ProgPower USA - Atlanta

17.10.2007 | 14:16

04.10.2007, Center Stage

Samstag, 6. Oktober 2007

Dank eines gepflegten Jacky-Cola-Absturzes am Vorabend lechze ich nach dem Aufstehen vor allem nach einem: frischer Luft! In Fußnähe meines Hotels befindet sich der Piedmont Park nebst Botanischem Garten, und so wandere ich ausgiebig über akkurat getrimmte Rasenflächen und durch ein urwüchsiges Wäldchen, erfreue mich an zahmen Eichhörnchen und einer erstaunlichen Vogelvielfalt. Auf einer großen Wiese findet gerade ein Volksfest inklusive Sackhüpfen und anderer Albernheiten statt, an denen sich vor allem Erwachsene beteiligen. Wie ländlich Atlanta doch ist, zeigt sich auch in der Freundlichkeit seiner Bewohner: Inzwischen zucke ich nicht mehr zusammen, wenn mir Wildfremde ein donnerndes "How are you?" entgegenschmettern, sondern grüße lächelnd zurück. Wegen meines eher bescheidenen Orientierungssinns fällt mein kleiner Spaziergang etwas länger aus als geplant, so dass für Museumsbesuche keine Zeit mehr bleibt. Schade eigentlich, denn das "Margaret Mitchell House & Museum", in dem die Autorin den Schmachtfetzen "Gone With The Wind" geschrieben haben soll, hätte mich schon interessiert, genau wie das "National Museum of Patriotism", in dem man lernen kann, "what it means to be an American". Letzteres ist wegen Umzug gerade geschlossen - schade, das hätte echt lehrreich werden können ...

FIREWIND, der Opener des zweiten Tags, sind wie SONATA ARCTICA gestern sozusagen alte Bekannte, da gerade gemeinsam auf Tour. In Atlanta nutzt man die Gelegenheit, mit dem hier ansässigen Original-Sänger Brandon Pender zusammen zu spielen, der die hauptamtliche Aushilfe Henning Basse (METALIUM) für zwei Stücke ablöst. Der solariumgebräunte Blondschopf hat frappierende Ähnlichkeit mit Siegfried des Zauberer/Löwenbändiger-Duos Siegfried und Roy, aber gesanglich geht er durchaus in Ordnung.

Mir ist schon klar, dass für viele THRESHOLD-Fans der überraschende Abgang von Andrew "Mac" McDermott eine herbe Enttäuschung darstellt und Ex-und-wieder-Sänger Damian Wilson keinen leichten Start hat. Da ich aber sowieso nie besonders angetan von den Briten war, mit Damian hingegen ein paar großartige AYREON-Alben verbinde, freue ich mich riesig darauf, den Mann mit der angenehm ungeschliffenen, aber dennoch tollen Stimme endlich einmal livehaftig zu erleben. Und ich bin ganz ehrlich: Damian ist sehr viel schnuckeliger anzuschauen als sein doch etwas kompakterer Nachfolger/Vorgänger! Sein fortwährender Hüftschwung ist sexy, und angesichts seines in einer gut sitzenden Jeans verpackten knackigen Hinterteils, kombiniert mit einer breiten Schulterpartie und frisch aus der Dusche kommendem feuchten Haar, mutiere ich fast zum Groupie [fast? - d. Red.]. Ganz davon abgesehen entpuppt er sich als perfekter Entertainer, der auch einen kurzen Spaziergang durchs Publikum nicht scheut. Das bierselige Brüderpärchen, das mir völlig unvorbelastet Gesellschaft leistet, kriegt sich aber vor allem angesichts der Leistung von Schlagzeuger Johanne James nicht mehr ein. "That's one of the best drummers I've ever seen" freut sich Kevin, der sich mit zahlreichen "high five" für meinen guten Tipp ("Könnte euch gefallen, kommt mit!") bedankt. Aber auch der Rest der Mannschaft glänzt durch eine enorme Spielfreude: Gitarren/Bass-Posings wechseln sich ab, und die Mundwinkel sind bei allen Beteiligten permanent ganz weit oben. Aus dem Set selbst bleiben vor allem 'Hollow' und 'Pilot In The Sky Of Dreams' bei mir hängen, und sollte Wilson das nächste THRESHOLD-Album einsingen, werde ich auf jeden Fall mal ein Ohr riskieren.

Mit PRIMAL FEAR steht der nächste musikalische Höhepunkt auf der Running Order, und bevor mein Bericht fast nur aus Zitaten meines deutschen Festival-Mitstreiters besteht, übergebe ich lieber gleich ihm das Wort:
[Elke Huber]

Nun ist es an der Zeit zu sehen, wie sich PRIMAL FEAR bei den Amis verkaufen. Das neue Album "New Religion" hat mich persönlich ebenso überzeugt wie der Vorgänger "Seven Seals". Nach einem kurzem Intro entern die Herren Scheepers, Sinner & Co. die Bühne zum Opener des neuen Releases, 'Sign Of Fear', gefolgt von 'Rollercoaster' vom letzten Album. Und nach nur zwei gespielten Stücken ist die Stimmung in der Center Stage schon auf einem respektablen Level. Ralf Scheepers glänzt mit gewohnter Bühnenpräsenz, wechselt mehrfach das Oberteil (die Temperaturen in der ehrwürdigen Halle sind seit THRESHOLD und dem Beginn dieses Gigs deutlich angestiegen!) und hat die Menge voll im Griff.

PRIMAL FEAR spielen sich durch das komplette Alben-Spektrum ihrer Karriere, wobei auffällig ist das die neueren Stücke wesentlich besser vom Publikum aufgenommen und abgefeiert werden als die etwas älteren Nummern. Mich persönlich begeistern eben diese Alben auch am meisten, weil Kollege Scheepers hier einfach mehr aus seiner Stimme macht. Gegen Ende wird sogar noch 'Fighting The Darkness' zum Besten gegeben - ein fast achtminütiger Monster-Track (und mein Favorit des neuen Albums), der trotz mehrfacher Stimmungs- und Tempo-Wechsel live erstaunlich gut angenommen wird. Nach anderthalb Stunden und dem traditionellen Abschluss 'Metal Is Forever' verlassen PRIMAL FEAR die Bühne und hinterlassen ein mehr als zufriedenes Publikum (und einen Gastautor dessen Nackenschmerzen sich gerade verdoppelt haben). Für mich zusammen mit der Performance von RAINTIME am Freitag der Höhepunkt des Festivals!
[Gastautor Frank Sprau]

Setlist:
Sign Of Fear
Rollercoaster
Running In The Dust
Nuclear Fire
Face The Emptiness
Seven Seals
Angel in Black
Iron Fist In A Velvet Glove
New Religion
Batallions Of Hate
Demons And Angels
Fighting The Darkness
Final Embrace
Metal Is Forever

Am Billing des Festivals gab es bisher eigentlich nichts zu meckern, aber eine Sache haben die Veranstalter definitiv falsch gemacht: AFTER FOREVER als Headliner anzusetzen. Nachdem PRIMAL FEAR eben noch die Hütte zum Beben gebracht haben, lichten sich die Reihen zusehends. Das liegt sicher nicht an der wie immer guten Gesangsleistung von Floor Jansen, die heute übrigens ganz ohne Ventilator auskommt. Hat sie vergessen, einen Stromumwandler für ihr 240-Volt-Modell mitzunehmen? Konnte sie sich den von ihrem SONATA ARCTICA-Kollegen Elias nicht ausleihen? Oder gibt es inzwischen viel zu viele Nachahmer, so dass sie ihr Markenzeichen freiwillig abgelegt hat? Wir werden es nie erfahren ... Zumal ich mich selbst der "Massenflucht" anschließe und lieber noch einen ausgiebigen Schwatz im Vorraum genieße.

Den Abschluss des Festivals bildet der sogenannte "All Star Jam", um den alle Beteiligten ein groooßes Geheimnis machen. Auf meine neugierige Frage "Which song will you perform?" ernte ich allerseits nur ein "It's a secret!" als Antwort. Vielleicht ist die Erwartungshaltung deswegen etwas zu hoch, vielleicht liegt es auch nur an der zunehmenden Müdigkeit oder dem ausgiebigen Alkohol-Konsum der letzten Tage, aber so richtig amüsieren kann ich mich bei der ca. zweistündigen Performance irgendwie nicht. Grundgedanke ist, dass alle auf und vor der Bühne beteiligten Musiker der letzten Tage mit einem festen All-Star-Ensemble Klassiker der Rock- und Metal-Geschichte zum Besten geben. Vor allem der Bassist der All-Star-Band hat dabei sichtlich Spaß, zu welcher Stammformation er auch in Wirklichkeit gehören mag.

Ich persönlich freue mich am meisten, Zack Stevens (CIRCLE II CIRCLE) zu hören, den ich öfters schwer beschäftigt durch den Vorraum habe eilen sehen. Zu 'Strutter' von KISS erscheint er mit Original-Schminke! TAD MOROSE-Sänger Joe Comeau, verheiratet mit einer Einheimischen und deshalb Gast auf dem Festival, wird aber leider nicht an der All-Star-Sause beteiligt.

Ansonsten ist die Band- und Songauswahl etwas zu vorhersehbar, fast wie auf einer Metal-Karaoke-Party: MEGADETH, MAIDEN, PRIEST, AC/DC und natürlich AC/CD. Floor Jansen (AFTER FOREVER) legt mit 'Final Countdown' von EUROPE einen guten Start hin, HEARTs 'Alone' ist auch eine originelle Wahl und QUEENs 'Who Wants To Live Forever' im Duett mit Ralf Scheepers (PRIMAL FEAR) sowieso. Hier zeigt die Dame echt Geschmack! Nils Rue von PAGAN'S MIND, den Helden vieler Festival-Besucher, sowie Ralf Scheepers von PRIMAL FEAR sind ebenfalls kaum mehr von der Bühne zu kriegen. Zahlreiche andere Musiker wirken hier und da mit, singen Background-Vocals oder spielen Instrumente. Wir hängen allerdings ziemlich in der Zeit, und ich gebe beim vierzehnten Song auf. Verpasse dadurch leider Ray Alders (REDEMPTION) Version von FAITH NO MOREs 'The Real Thing' sowie die im ProgPower-Forum vieldiskutierte, "skandalöse" Show-Einlage, für die THRESHOLDs Damian Wilson verantwortlich ist. Irgendwo um die Ecke muss parallel zum Festival eine "Erotic Art Exhibition" stattgefunden haben, auf welcher der offenbar etwas notgeile Damian eine sehr leicht bekleidete Dame aufgegabelt und kurzerhand als Tänzerin mit auf die Bühne gebracht hat. Das geht im prüden Amerika, noch dazu auf einer "all ages"-Veranstaltung, nun mal gar nicht. ;-) Die Setliste der illustren Jam-Party stammt aus besagtem Forum - enjoy!

Setlist "All Star Jam":
Final Countdown/EUROPE - Floor Jansen/AFTER FOREVER
Strutter/KISS - Zak Stevens/CIRCLE II CIRCLE
Symphony Of Destruction/MEGADETH - Oddleif Stensland/COMMUNIC
Welcome Home/KING DIAMOND - Nils Rue/PAGAN'S MIND
You'll Never Remember, I'll Never Forget/YNGWIE - Henning Basse/FIREWIND
Youth Gone Wild/SKID ROW - Claudio Coassin/RAINTIME
Back On The Streets/GARY MOORE - Ralf Scheepers & Mat Sinner/PRIMAL FEAR
Lady Of Winter /CRIMSON GLORY - Nils Rue/PAGAN'S MIND
Highway To Hell/AC/DC - Christer Ortefors/FREAK KITCHEN
Back In Black/AC/DC - Christer Ortefors/FREAK KITCHEN
Flight Of Icarus/IRON MAIDEN - ProgPower Crew
Alone/HEART - Floor Jansen/AFTER FOREVER
Who Wants To Live Forever/QUEEN - Floor Jansen/AFTER FOREVER & Ralf Scheepers/PRIMAL FEAR
Desperado/EAGLES - Zak Stevens/CIRCLE II CIRCLE
Hard To Handle/BLACK CROWES - Damian Wilson/THRESHOLD
The Real Thing/FAITH NO MORE - Ray Alder/REDEMPTION
I Want Out/HELLOWEEN - Michael Gremio/CELLADOR
Take Hold Of The Flame QUEENSRYCHE - Nils Rue/PAGAN'S MIND
Children of the Sea/BLACK SABBATH - Zak Stevens/CIRCLE II CIRCLE
Metal Gods/JUDAS PRIEST - Ralf Scheepers/PRIMAL FEAR
Balls To The Wall/ACCEPT - Lance King/KRUCIBLE

Fazit: In Sachen familiärer Atmosphäre und Bandauswahl steht das "ProgPower USA"-Festival dem europäischen großen Bruder in nichts nach. Und die stets mit einem guten Sound aufwartende Location übertrifft den zwar irgendwie kultigen, aber eben doch sehr schlichten Jugendclub in Baarlo um Längen. Wer also um den 26./27. September 2008 sowieso eine USA-Reise plant, sollte unbedingt einen Zwischenstopp in Atlanta einlegen, um dort zwei oder mehrere Tage lang mit vielen potentiellen neuen Freunden dem (progressiven) Power Metal zu huldigen. Aber nicht vergessen: Die Tickets sind knapp, also besser heute als morgen sichern!

Redakteur:
Elke Huber

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