Party.San 2008 - Bad Berka

29.08.2008 | 11:42

07.08.2008, Festivalgelände

Freitag, ein Bolzenschussgerät wartet

Früh aufstehen wie beim Wacken muss beim Party.San niemand. Ganz entspannt geht es zu, richtig muggelig. Erst eben ein Hühnchen - oder doch etwas vom großen Fress-Stand daneben? Die Auswahl ist nicht riesig, aber genau richtig für ein Festival dieser Größe. Und liegt der erste "White Russian" dann auch noch in der Hand, geht es schon los.
[Henri Kramer]

Gegen zwei Uhr mittags präsentieren sich IRATE ARCHTECT vor einer ansehnlichen Menschenmenge als schlagkräftiges Aufweckkommando, das besonders in Sachen Kompromisslosigkeit überzeugt. Death Metal/Grind mit leicht technischen Anleihen zockt die Band aus dem norddeutschen Raum. Dank der sehr wenigen Groove-Passagen und des stets durchgetretenen Gaspedals setzt die Band einiges an Energie frei, die das Publikum jedoch noch nicht in Bewegung zu setzen vermag. Die fein umgesetzten Stücke der unlängst erschienenen ersten Langrille "Visitors" zeigen, dass IRATE ARCHITECT schon jetzt zu den Geheimtipps in der deutschen Extrem-Musikszene zu zählen sind. Bemerkenswert an der Bühnenpräsenz ist der Sonnenbrille tragende Schlagzeuger Philipp Pfeiffer, der wie ein Schweizer Uhrwerk 240 bpm prügelt, ohne dabei auch nur eine Miene zu verziehen. Vom Gesichtsausdruck her könnte man gar meinen, dass der Gute meditiert. Unglaublich.

Eine satte Portion gut abgehangenen Old School Death Metal servieren uns dann DEFLORATION aus Pößneck in Thüringen, die hier quasi Heimvorteil genießen. Die Band präsentiert sich spielfreudig und gut eingespielt. Der Titeltrack der gerade am Festivaltag erschienenen Scheibe "Necrotic Nightmares" wird besonders tight heruntergezockt, und auch das Publikum kommt langsam in Wallung. Alles in allem eine gute Performance.

Und weiter geht's: Mit lecker Dosenbier bewaffnet und mächtig Spaß in den Backen holzen die Schweden TYRANT (nicht zu verwechseln mit der gleichnamigen US-Metal-Combo) partymäßigen Dreck 'n' Roll, der für wehendes Haupthaar bei vielen Zuschauern sorgt. Der rotzige Black Metal des Trios erinnert an eine musikalische Schnittmenge aus alten VENOM, die auf jüngere DARKTHRONE und HELLHAMMER treffen. Da sich die drei Protagonisten dank ihres Alkoholpegels ordentlich ins Zeug legen, ist hier Party praktisch vorprogrammiert. Mit einer coolen Coverversion der BATHORY-Schote 'Die In Fire', die fein umgesetzt wird, schließen die Schweden einen unterhaltsamen Auftritt. Eine der Überraschungen des Tages.
[Martin Loga]

Doch TYRANT lassen sich auch anders sehen: Sie besteigen am frühen Nachmittag die Bühne in blauen Jeanshosen und mit einer Menge Bier in der Hand. Ihr Black-Thrash-Mix ist genau so, wie es das Banner bereits versprochen hat: "Raw. Simple. Ugly." Dennoch scheint die Menge eher schlaftrunken, und selbst verzweifelte Animationsversuche wie "C'mon Party.San" und "C'mon for fuck's sake" scheinen fruchtlos zu bleiben. Nur mäßig kommen die Party.Sanen bei Nummern wie 'Restart With The Number 6.6.6.' oder 'Armageddon Is Here' in Fahrt. Vielleicht ist es diesmal auch einfach noch zu früh für solch düstere Klänge.

Der Sound von Sirenen fesselt die Party.Sanen-Truppe anschließend mehr, als nämlich die holländische Death-Metal-Kriegsmaschinerie HAIL OF BULLETS auf die Bühne rollt. Mit ihrem Midtempo-Hammer 'The Red Wolves Of Stalin' kitzeln sie die Hörerschaft langsam wieder richtig wach. Doch während des Songs 'Nachthexen' bricht dann plötzlich ein sintflutartiger Regen los. Es scheint, als würden jene besungenen Hexen mit einem eiskalten Regen auf das Publikum einprügeln, das sich äußerst feige und wasserscheu gibt. Doch mit 'Stalingrad' endet der Regen, und HAIL OF BULLETS begrüßen die Deserteure mit einer Dankesrede und ihrem letzten Song 'Berlin' zurück.
[Gastschreiber Silvana Conrad und Marko Seppä]

Die Amis von LIVIDITY treten als erste Grindcore-Band dieses Party.Sans auf die Bühne, und alle freudigen Anhänger des gar unmelodiösen Krachs und Geschreis stehen davor - oder besser: rennen im Kreis, schubsen sich um und schütteln die Haare, bis auch wirklich jeder wenigstens ein paar blaue Flecken davonträgt. Der Sänger, der im normalen Leben ebenso ein Versicherungsvertreter oder Frauenarzt sein könnte, thematisiert auf der Bühne anale und vaginale Praktiken in allen möglichen Formen und Farben, untermalt mit brachialen Gitarrensound und Gegrunze, wobei Dave ein wirklich extremes Organ hat. Ein sehr schöner Auftritt. Wer braucht schon Melodie?
[Gastschreiberin Julia Erdmann]

Nach den amerikanischen Pussy-Fetischisten LIVIDITY betreten die norwegischen Pagan-Aktivisten von KAMPFAR das Feld. Nach so vielen animierenden Muschisongs merkt man jedoch deutlich, dass die Menge trotz einiger Crowdsurfer und weniger Headbanger nicht so ganz bei der Sache ist. Vielleicht hätte man den Wilden vor der Bühne erst einmal ein paar Weibsbilder vorwerfen sollen, bevor man sie mit Songs wie 'Ravenheart' und 'Troll, Død Og Trolldom' in den nächsten Kampf schickt. Obwohl sich Sänger Dolk mit "Make some noise Party.San!"-Schlachtrufen ins Zeug legt und mit frischem Material der neuen Scheibe "Heimgang" lockt, behalten die meisten Zuschauer lieber die Hände in den Hosen.

Die herausragendste Band des gesamten Party.San dürften wohl TYR von den Färöer-Inseln sein. Ihre melodischen Männerchöre stechen durch einen klaren und prägnanten Gesang deutlich aus den bisher gehörten Growl- und Kreischtruppen hervor. Mit 'Dreams', 'Lokka Táttur', 'Ramund Hin Unge' und ihrem Hitsong 'Hail To The Hammer' erzählen sie dem feiernden Publikum ihre Kampfgeschichten aus längst vergangener Zeit und verlassen nach viel zu kurzer Spielzeit unter "Zugabe!"-Rufen die Bühne.

Kerzen, emporsteigender Nebel und der heulende Wind kreieren kurz darauf eine unvergleichliche Horror-Atmosphäre, als die mit Corpsepaint bemalten Schweden von UNANIMATED nach zwölf qualvollen Jahren die Bühne betreten. Wiedervereint und zum ersten Mal überhaupt in Deutschland lassen sie Hasstiraden wie 'Through The Gates', 'Mournful Twilight', 'Oceans Of Time', 'In The Forest Of Dreaming Death' und 'Die Alone' über die Party.Sanen hereinbrechen. Schade nur, dass die Band wegen technischer Schwierigkeiten immer wieder störende Pausen einlegen muss. Manchmal sehen sie merklich angepisst aus. Dennoch top!
[Gastschreiber Silvana Conrad und Marko Seppä]

Nach dem tollen UNANIMATED-Auftritt - unglaublich, dass diese Band derart lang aufgelöst war - geht es nun auf dem Party.San deutlich schwarzmetallischer zur Sache. Shouter Iblis und seine Mannschaft von ENDSTILLE marschieren auf die Bühne und schroten in gewohnt kompromissloser Manier pechschwarze, klirrende Hymnen wie 'Frühlingserwachen', 'Ripping Angelflesh' oder 'Dominanz'. Auch die Stücke des neuen Albums wie der Titelsong 'Endstilles Reich' oder das schnurstracks nach vorn walzende 'Vorwärts (Sturmangriff)' werden gelungen umgesetzt. Einzig und allein der Gesamtsound, den der Mann am Mischpult der Band beschert, gibt wenig Anlass zur Euphorie. Nichtsdestoweniger haben ENDSTILLE heute Abend eine recht gute Performance hingelegt, obgleich ich die Band vom FEAR DARK-Festival am 01.06.2008 etwas mitreißender in Erinnerung hatte.
[Martin Loga]

Soooo, und jetzt ist es Zeit für BLOODBATH. Weiß gar nicht, was ich da erwarten soll. 1998 von Mikael Akerfeld, Dan Swanö, Anders Nyström und Jonas Renkse gegründet - als so eine Art All-Star-Studio-Spaß-Projekt um dem Old School Death Metal vom Ende der achtziger Jahre in Schweden zu huldigen -, veröffentlichte man 2000 die viel umjubelte "Breeding Death"-EP. Dieses Niveau konnte man dann auf der "Resurrection Through Carnage"-Veröffentlichung nicht über die komplette Spielzeit halten. Akerfeld wollte sich dann mehr um seine Hauptband OPETH kümmern, und man spielte mit leicht verändertem Line-up (Peter Tägtgren am Mikro) das zweite deutlich schwächere Studioalbum "Nighmares Made Flesh" ein. Akerfeld kam wieder zurück, man trat in Wacken 2005 zum ersten Mal live auf. Dem schob man ein Livealbum hinterher, und die neue Scheibe steht jetzt in den Startlöchern. Jetzt also zum zweiten Mal überhaupt live am Start muss ich sagen, dass BLOODBATH musikalisch für mich ziemlich unspektakulär sind und eher eine Band fürs Vorabendprogramm wären, anstatt Freitag Co-Headliner. Aber da gibt's ja noch Herrn Akerfeld, der einfach ein unglaublich charismatischer Frontmann ist und den Auftritt fast alleine trägt. Er zieht mit seiner tiefen, ruhigen, eines Märchenerzählers nicht unähnlichen Stimme das Publikum bei den meist auch sehr witzigen Ansagen sofort in seinen Bann.

Vor der Bühne ist's rappelvoll, aber eher ruhig, man lauscht andächtig dem All-Star-Team aus Schweden, das das Hauptaugenmerk bei der Songauswahl glücklicherweise auf das "Resurrection Through Carnage"-Album legt. Zu bemängeln gibt's eigentlich nichts, aber leider gibt's ebenso wenig zu feiern, außer eben einem obercoolen Mikael Akerfeld. So beendet man den Gig, von dem bei mir recht wenig hängen bleibt, nach einer knappen Stunde mit dem BLOODBATH-Hit 'Eaten' und macht Platz für die Band, auf die anscheinend vor der Bühne alle schon die ganze Zeit warten: BOLT THROWER.
[Gastschreiber Thorsten Seyfried]

Nicht alle. Eine Institution wie BOLT THROWER zu verpassen, ist ärgerlich. Und doch passiert es beim Party.San etlichen Fans wegen solcher Stände wie etwa dem Brutz-&-Brakel-Zelt. Doch noch mehr Fans schaffen es, die britische Death-Metal-Wucht zu erleben. Es wird ein großes Fest. Denn die Songauswahl ist formidabel. Und die Spielfreude der Mannen um Blond-Hühne Karl Willets sowieso. "I see you mosh", ruft er den austickenden Massen zu, kurz bevor mit 'Mercenary' eine dieser ganz typischen BOLT THROWER-Granaten abgeschossen wird, die sich in zielstrebigem Midtempo in den Magen drehen, dort die Eingeweide durchwalken und schließlich direkt in den Nacken fahren. Weitere Höhepunkt dieses zerstörerischen Gigs sind Nummern wie 'The 4th Crusade' oder 'No Guts, No Glory', alle serviert in brachialem Soundgewand, das allerdings noch ein bisschen lauter hätte sein können. Dies bleibt aber auch der einzige kleine Makel einer perfekten Show, deren Ausgang eigentlich schon vorher feststeht. Denn BOLT THROWER zeigen beim Party.San einmal mehr, wie erfolgreich ihr Geschäftsmodell ist, selber T-Shirts zu drucken und für wenig Geld zu verkaufen: Ihre Textilien gehen weg wie Bier inner Wüste, manche Fans kaufen gleich eine gesamte BOLT THROWER-Kollektion, so viele Shirts haben die Engländer mit im Gepäck. Zu Recht ist der Stand am Ende ausverkauft. Und nach dem Auftritt von BOLT THROWER ist noch lange nicht Schluss: Ein denkwürdiger Tag in der Historie dieses fantastischen Festivals darf bis tief in die Morgenstunden hinein im Partyzelt begossen werden. Ohne Gnade.
[Henri Kramer]

Redakteur:
Henri Kramer

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