LONG DISTANCE CALLING, SOLSTAFIR und AUDREY HORNE - München

06.03.2013 | 19:09

04.03.2013, Backstage

LONG DISTANCE CALLING, SOLSTAFIR und AUDREY HORNE: Dieses scheinbar ungleiche Trio sorgt für die bislang schmackhafteste Konzertkost des laufenden Jahres.

Eines der coolsten Packages des Jahres meldet im Münchner Backstage ausverkauft. Das spricht einerseits für die anwachsende Popularität von LONG DISTANCE CALLING (LDC), zum anderen für die erlesene Zusammenstellung der Bands.

Wir hatten im Vorfeld dieses Konzerts eine kleine Diskussion in unserem Forum. Ich hatte angekündigt dass ich mich sehr auf dieses Package mit AUDREY HORNE, SOLSTAFIR und LDC freue, woraufhin diskutiert wurde, ob und wie diese Bands überhaupt zueinanderpassen. Daraufhin wurden Herzblatt-Profile für SOLSTAFIR und LDC erstellt. Das von SOLSTAFIR lautete in etwa so: "Drogen konsumierende und dabei saucoole Urviecher aus dem Geysir mit Wurzeln im Black- und Viking Metal mit abgefuckter Ausstrahlung", wohingegen LONG DISTANCE CALLING als "Post- und kurzhaar-rockende Musterstudenten mit professioneller Einstellung und anspruchsvoll-reflektiertem Image" tituliert wurden. Nun, gut, trotz dieser gravierenden äußeren Unterschiede bewegen beide sich musikalisch mittlerweile in Gefilden, die man im weitesten Sinne des Begriffs mit "postrockig" beschreiben kann und Fans ausschweifender Arrangements und trippig arrangierter Musik sollen, dürfen und müssen beide Bands eigentlich gut finden.


audrey Horne toschieNun vergessen wir aber die Dritten und Bunde und das sind die Norweger AUDREY HORNE. Diese machen den Anfang und schleudern erstmal eine große Portion Spielfreude, Herzblut und positive Energie ins anfangs sehr verhaltene Publikum. Insbesondere Sänger Torkjell "Toschie" Rød (Foto links) ist ein bewegungsfreudiger, nimmermüder Publikumsanimateur. Dieser Mann sollte wohl niemals mit Luca Turilli in einer Band spielen, die beiden würden sich wohl ständig gegenseitig über den Haufen rennen. Zudem ließ er es sich nicht nehmen, sein Bad im Publikum zu nehmen und ein paar nette Mädels anzusingen. Das Set lag  schwerpunktmäßig bei Songs des neuen Albums "Youngblood", was AUDREY HORNE vor allem live ein weiteres Chancenplus verschafft. Well done, guys!

Setlist AUDREY HORNE:
Redemption Blues, Youngblood, Pretty Little Sunshine, This Ends Here, There Goes a Lady, The King Is Dead, Straight into your Grave, Blaze of Ashes



Nun aber zu unserer Herzblatt-Show "SOLSTAFIR versus LONG DISTANCE CALLING": SOLSTAFIR entern als erste die Bühne und sehen tatsächlich unverschämt cool aus. Zottelmonster, aber nicht unbedingt den Geysiren entstiegen, sondern sehr edel angezogen mit modischen Lederjacken und sorgfältig geflochtenen Zöpfen und Hüten auf ihren Köpfen (s. Foto unten).

solstafir

Einzig Sänger Aðalbjörn Tryggvason ist optisch der ungehobelte Rockbär mit langem Zwergenbart. LONG DISTANCE CALLING hingegen sind sympathisch wirkende Studententypen, denen man den Spaß an der Musik zu jeder Sekunde anmerkt und die es irgendwie nicht fassen können, dass ihnen so viele Fans aus der Hand fressen. Musikalisch sind SOLSTAFIR sehr isländisch. Meine Begleitung bezeichnete die Musik als "eisig" und "1000% zu einer Band aus Island passend". Ihre Bühnenperformance setzt mehr auf Coolness als auf Bewegung und musikalisch lassen sie sich sehr viel Zeit, bauen ihre Songs (drei der vier gespielten Songs kamen von der aktuellen Scheibe "Svartir Sandar") behutsam auf und steigern alles ebenfalls nur sehr langsam. Auffällig ist hier insbesondere, dass der Schlagzeuger bei der Band am meisten Arbeit hat und minutenlang stoisch seine Beats spielt, während Gitarren und Bass fast aufreizend lässig und minimalistisch ihren Stiefel runterspielen. Das lässt viel Raum für den mit breitem Hall belegten, eisigen Klargesang, der, komplett auf Isländisch vorgetragen, ganz eindeutig das Highlight der SOLSTAFIRschen Musikkunst darstellt.

LDC1LONG DISTANCE CALLING agieren da ganz anders. Ihre Songs sind weitaus facettenreicher arrangiert und es passiert viel mehr. Während SOLSTAFIR ihre Atmosphäre auf Basis langer repetitiver, meist simpler Elemente und eben den Gesang aufbauen, wirkt LONG DISTANCE CALLINGs Musik viel künstlerischer, anspruchsvoller und intelligenter. Bei aller Freude am Spielen wird extrem hoher Wert auf technische Präzision und klangliche Eleganz gelegt. So kann man sich bewegenderweise völlig in die Musik fallen und Filme vor dem geistigen Auge abspielen lassen. Und man kann headbangen. Ja, der "Faustfaktor" bei LDC ist eindeutig größer als bei den zotteligen Isländern. Es wird ordentlich gerockt (Foto rechts)!!!





LDC2Eine wichtige Neuerung auf der neuen Scheibe von LDC, "The Flood Inside",  ist der vermehrte Einsatz von Gesang in Person von Marsen Fischer. Ob dieser Schritt nun ein Fortschritt ist, oder die Musik von LDC verwässert, darüber wird man sicher noch eine Weile diskutieren. Live empfinde ich die Gesangsauftritte von Marsen eher deplatziert als gelungen. Bei seinem ersten Gesangsauftritt ('The Flood Inside') bleibt Marsen im Hintergrund der Bühne stehen und - schlimmer noch, man hört ihn kaum. Dieser zwiespältige Eindruck  wird in der Folge etwas relativiert, wenn Marsen tatsächlich die Bühnenfront betritt, doch seine weiteren Auftritte ('Tell The End', The Men Within') bleiben trotz redlicher Mühe eher blass. Die Stimme hat im Vergleich zu SOLSTAFIR kaum Charisma und wenig Widererkennungswert. Doch es wird auf diesem LDC-Konzert nicht viel gesungen und Marsens weitaus wichtigere Rolle in Klangkollektiv LDC ist die Generierung von Sounds auf Effekten, die für eine ungeheure Tiefe sorgen. So sind die Instrumentalongs auch die absoluten Highlights. Und zwar alle. Das ist perfekte Musik. Das fast salsamäßige 'Ductus' von der aktuellen Scheibe sei hier besonders zu erwähnen. Und wer zu den mittlerweile bewährten Livekrachern wie dem göttlichen 'Black Paper Planes' (instrumentaler Instru-Metal!), dem klassisch-postrockigen 'Aurora' oder der Zugabe 'Apposition' nicht entweder vor Wonne im Dreieck springt oder tief in sich gekehrt in den Klängen versinkt, hat einfach kein Verständnis für anspruchsvolle Musik.

Dann fassen wir mal zusammen:

In den Bereichen Bühnenperformance und Coolness sowie Qualität und Wiedererkennungswert des Gesangs machen eindeutig SOLSTAFIR das Rennen. Was die Punkte Spieltechnik, Klangqualität sowie Komposition und Arrangement angeht, so gebe ich LDC den Vorzug. Für mich sind LDC mittlerweile eine Liveinstitution, deren Konzerte ich genausowenig verpassen will wie die meiner Lieblinge ARCHIVE, KATATONIA und PORCUPINE TREE. Das ist ein gewaltiges Lob aus meinem Munde. Doch bitte, liebe LDC: lasst das mit dem Gesang sein!

Setlist SOLSTAFIR:

Ljós í Stormi, Svartir Sandar, Fjara, Goddess Of The Ages

Setlist LONG DISTANCE CALLING:

Nucleus, The Figrin D'an Boogie, Inside The Flood, Black Paper Planes, Ductus, Tell The End, Arecibo (Long Distance Calling), Aurora, The Man Within, Metulsky Curse Revisited
Encore:
Apparitions

Redakteur:
Thomas Becker

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