LINGUA MORTIS ORCHESTRA - Memmingen

22.12.2013 | 18:13

19.12.2013, Kaminwerk

Ein intensives Erlebnis abseits der üblichen Kitsch-mit-Streicher-Pfade.

Nach dem starken, kurz "LMO" betitelten Album kommt das LINGUA MORTIS ORCHESTRA, aus Erkennungsgründen und um klar zu machen, dass es auch den einen oder anderen RAGE-Song geben wird, mit dem Zusatz "featuring RAGE" versehen, nun auf Tour. Bislang waren alle Auftritte der Band mit Orchester, sei es 1996 zum Album "Lingua Mortis" oder später auf Festivals, mit nahezu durchweg positiven Kritiken bedacht worden. Da ich sowieso ein großer Fan der Band RAGE bin und sich auf "LMO" immerhin mit 'Cleansed By Fire' der bislang stärkste Band-mit-Orchester-Song der Jungs befindet, kann ich mir die Tour nicht entgehen lassen.

Bevor ich losfahre, suche ich die Adresse der Stadthalle im Internet und stelle fest, dass das Konzert verlegt worden ist. Ins Kaminwerk. Das ist zwar eine tolle Halle, aber das lässt auch darauf schließen, dass der Vorverkauf nicht gut gelaufen ist. Mit einem ganz schlechten Gefühl mache ich mich auf den Weg und erkenne bald nach meiner Ankunft, dass der Vorverkauf wohl eher in Richtung katastrophal tendierte. Es ist halb acht, der Parkplatz ist nur wenig gefüllt. Zwei Minuten später bin ich drin und entsetzt. Wieviel Zuschauer sind das? 120? Höchstens 150! Das kann doch nicht euer Ernst sein, Leute!

An den beiden Aufstellern erkenne ich, dass es auch noch eine Vorgruppe gibt: MAJESTY. Na ja, okay, Vorgruppe ist ja eigentlich eine gute Idee, nur muss es ausgerechnet Tareks berühmt-berüchtigte Klischee-Kapelle sein? Allerdings ist das letzte Studio-Album weniger schlimm, als ich es erwartet hatte, daher: zurücklehnen und abwarten, es könnte schlimmer kommen. Allerdings kommt es dann doch dicke. Nicht musikalisch, da ist alles wie erwartet, aber die Klischeekiste wird wie erwartet bis zum Boden ausgepackt. "Wir feiern hier eine fette Heavy Metal Party!". Ja, Leder, Nieten, Posing, und am besten schnell alle Englischkenntnisse fahren lassen. Wenn jemand das so sieht, weiß man wenigstens, wo die Vorurteile gegenüber Metalfans herkommen.

Schon mit dem Opener wird klar, dass es nun weder filigran noch tiefsinnig wird. Aber dafür posen die Jungs, was das Zeug hält. Also, zugegeben, das ist schon ansteckend. Und mit 'Thunder Rider' kommt dann sogar ein ziemlich fetter Track mit relativ geringem Fremdschämfaktor. Klar, spätestens beim völlig peinlichen 'Heavy Metal Battlecry" und dem Kitsch-Schlussdoppel schaut man sich schon um, ob jemand bemerkt hat, dass der Fuß wippt, aber ich bin hier eindeutig nicht ein Teil der Mehrheit. Ziemlich viele gereckte Fäuste zeigen mir, dass MAJESTY einen Nerv trifft. Wenn auch nicht meinen. Aber was subjektiv Freude bereitet, als es zu Ende ist, dem muss ich objektiv Lob zollen, da sehr viele der Anwesenden ganz offensichtlich ordentlich Spaß hatten. Also: Ich bin hier die Spaßbremse, und Tarek, der übrigens wirklich kraftvoll singt, und seine Mitstreiter, die ihre MANOWAR-Gedächtnis-Songs mit viel Überzeugung ins Eckige gefeuert haben, haben alles richtig gemacht. Mea culpa. Jetzt aber bitte runter von der Bühne, 'Metal Union' hat meinen Bedarf an HM-Feier-Lyrik für mehrere Wochen übererfüllt.

Setlist: Metal Law, Time for Revolution, Thunder Rider, United By Freedom, Heavy Metal Battlecry, Banners High, Metal Union

Nach einem kurzen Bühnenumbau kommt Andre Hilgers zuerst auf die Bühne und setzt sich hinter sein Drumkit, hat ein paar technische Probleme. Die sind aber schnell behoben, und alle Musiker kommen und nehmen ihre Plätze ein. Das LINGUA MORTIS ORCHESTRA besteht aus eineinhalb Dutzend Musikern, darunter ein Keyboarder und natürlich der Dirigent. Plus Peavey und Victor. Und drei weiteren Vokalisten, natürlich mit Jeanette Marchewka und Dana Harnge, die beide auch auf "LMO" zu hören sind. Und los geht's! Natürlich mit dem brillanten 'Cleansed By Fire'. Ja, das ist mal eine ganz andere Baustelle als MAJESTY. Druckvoll, klar, und von der ersten Sekunde an feiern die mittlerweile an die 200 Besucher die von der Vorband angekündigte Party!

Wie um klarzumachen, dass es hier und heute mehr zu hören geben wird als das eine Album, folgen mit 'Empty Hollow' vom "Strings To A Web"-Album, eine eher ungewöhnliche Wahl, wie ich finde, und dem großartigen 'From The Cradle To The Grave' zwei RAGE-Songs. Letzterer lässt fast alle Anwesenden mitsingen. Ja, das hier ist die passende Umsetzung auch für das "XIII"-Album. Der Gesang wird hauptsächlich von den Gästen bestritten, Peavey übernimmt zwar immer wieder die tiefen Teile, hält sich aber ansonsten zurück. Warum auch nicht, wenn er drei so gute Begleiter hat. Obendrein strahlen die beiden Damen und haben ganz augenscheinlich Freude an der Musik.

Das Orchester ist dabei sehr gut zu hören und kann auch und gerade die, stilistisch erforderlichen, kitschigeren Passagen ganz treffend umsetzen. Ja, das hier ist weiterhin Metal. Kein Metal meets Classic, hier spielt auch das Orchester Metal. Das immerhin auch während der Bandpassagen durchaus fußwippend und auch mal kopfnickend mitmacht. Soweit man das kann, sitzend und ein Instrument haltend. Hier haben sich ein paar junge Musiker aus Barcelona und unser lieber Victor Smolski offensichtlich gefunden.

In der Mitte des Sets, nach 'Lament', das ich immer noch für das schwächste, weil unglaublich kitschige, Stück des neuen Albums halte, gibt es auch noch die 'Suite Lingua Mortis', angekündigt als "das schwierigste Stück, dass wir je geschrieben haben". Schwierig glaube ich, aber auch klasse. Umso seltsamer, dass nur so wenige nach Memmingen gekommen sind, um sich dieses Spektakel anzusehen. "Nächstes Mal bringt ihr eure Nachbarn mit, okay?". Nee, Peavey, die willst du hier nicht. Aber recht hat er trotzdem. Und Victor fügt hinzu, dass er es einfach auch als seine Pflicht ansieht, dieses Projekt auf die Straße zu bringen. Ich freue mich darüber, auch wenn es RAGE sicher eine Stange Geld gekostet hat, die nicht wieder reinkommen wird. Aber die Burschen sind schon lange im Geschäft, die haben einen langen Atem.

Im Set folgen jetzt ruhigere Tracks, nach dem RAGE-Klassiker 'Turn The Page', nämlich 'Afterglow' und das Instrumental 'Oremus. Beim ersten greift Victor dann selbst zum Cello, und Dana greift sich sogar mal die elektrische Gitarre und rockt. Man hat zu keinem Moment das Gefühl, dass hier eine Band mit ein paar Gastmusikern auf der Bühne steht. Das wirkt alles organisch und passend, jeder lässt dem anderen Raum zur Entfaltung. Und dann ist das Ganze doch schon fast zu Ende! Tatsächlich, eineinhalb Stunden. Das verging ja wirklich wie im Fluge. Als guten Nachtisch kriegen wir noch 'Straight To Hell' und 'Higher Than The Sky' zu hören, und dann ist Schluss. Schade.

Es ist mir völlig unverständlich, warum diese Tour zu einer Zeit, wo nicht einmal viele andere Konzerte anstehen, so wenige Zuschauer zieht. Ich hoffe, es sieht woanders besser aus, denn die Show ist stark und die Band hat sich nicht lumpen lassen, das Album und die orchestralen RAGE-Stücke adäquat für die Tour in Szene zu setzen. Ich hätte erwartet, dass das mehr Leute interessieren würde.

Auf jeden Fall wird das LINGUA MORTIS ORCHESTRA nächstes Jahr noch einige Festival-Auftritte hinlegen, die man sich auf jeden Fall vormerken sollte. So etwas gibt es nicht alle Tage, denn trotz Orchester bleibt RAGE eben eine Metalband. Und das hier eine Metaltour.

Setlist: Cleansed By Fire, Empty Hollow, From the Cradle to the Grave, Scapegoat, The Devil's Bride, Lament, Suite Lingua Mortis II - Prelude of Souls, Suite Lingua Mortis III - Innocent, Suite Lingua Mortis V - No Regrets, Eye For An Eye, Turn the Page, Afterglow, Oremus, Witches' Judge, Straight to Hell, Higher Than the Sky

Redakteur:
Frank Jaeger

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