HIM - Berlin

16.02.2010 | 12:09

12.02.2010, Columbiaclub

Die Finnen geben den Startschuss zu ihrem neuen Album mit einem "Geheimkonzert" in Berlin. Von Ville, Liebe und anderen Dingen ...

Man kann ja von sozialen Netzwerken, bei denen man sein fehlendes Ego mit einem aufgepimpten Profil, bearbeiteten selbstverliebten Fotos und massig Sternchen verstecken kann, halten was man will. Fakt ist, dass man so aber auch von kostenlosen Auftritten seiner Lieblingsband erfahren kann - die Rede ist von den "MySpace Secret Shows", die in letzter Zeit häufiger für wundgestandene Füße sorgen. So auch der heutige Berliner Geheimauftritt von HIS INFERNAL MAJESTY, besser bekannt unter HIM, dessen Ankündigung wochenlang die Startseite von MySpace verzierte.

Wer nicht durch besagte Community von diesem Gig erfahren hat, bekam über das Radio die Chance und konnte sich sogar einen der Gästelistenplätze sichern, die anscheinend haufenweise rausgeschleudert wurden. Wie erklärt man es sonst, dass die Hälfte der nervösen Mädels sich mit diesen Worten vor dem Einlass ein Loch in den Bauch freut?

Nach 45-minütiger Verzögerung beginnt um 19.45 Uhr der Kampf um einen begrenzten Stehplatz im Columbiaclub - einige werfen misserfolgsorientiert sogar schon vorher das Handtuch. Erfroren und zerquetscht endlich drinnen ankommen, springt zuerst die riesengroße "New Yorker"-Werbung ins Auge, EVANESCENCE kreischen aus den Boxen, und die Gothic-Mädels rutschen vor Aufregung auf ihren Händen hin und her. Also heißt es jetzt: warten, warten und nochmals warten.

Nach zwei vorschnellen Kreischanfällen (Dirk Petry heute auch vor Ort?) und Gesprächen über Valo-Schweiß gehen nach eineinhalb Stunden Verzögerung um 21.30 Uhr endlich die Lichter aus. Plötzlich ertönt wildes Wiehern und Stampfen - die Spannung ist kaum auszuhalten. Doch ganz lässig betreten die finnischen Herzensbrecher die Bühne und packen mit 'Like St. Valentine' vom heute erscheinenden Album "Screamworks: Love In Theory And Practice" ihr frühzeitiges Valentinstagsgeschenk aus. Schön solide schmelzender melodisch-verzierter Finnenrock - absolut gelungener Auftakt!

Frontmann Ville Valo scheint bester Laune, hält die Kommunikation zu den Fans stets aufrecht und mimt zwischen den Songs immer mal den kleinen schelmischen Witzbold. Was fällt auf? Mal abgesehen davon, dass ich auf Zehenspitzen stehen muss, um das Ende von Lindes Dreads zu sehen, fehlen doch die obligatorischen Rauchschwaden. Zwar etwas abgemagert, scheint sich Herr Valo ansonsten bester Gesundheit zu erfreuen. Sehr erfreulich!

Ansonsten passiert auf der Bühne, wie man es von den Düster-Rockern gewohnt ist, nicht viel. Während Gitarrist Linde lässig seine Runden dreht, scheinen Ville, Migé, Gas und Burton ziemlich festgenagelt - aber nun gut, auch kein Makel. Man kann ja behaupten, Musik mit Inhalt sollte nicht durch visuelle Ablenkungen zerstört werden.

Die finnischen Dark-Rocker ziehen jedenfalls zweifellos eine glänzende Show ab. Gespannt war man, ob und wie viele Songs vom aktuellen Album präsentiert werden und welche Klassiker ihren Weg auf die heutige Setlist gefunden haben. Doch nachdem der Opener bereits das junge Blut in Wallung brachte, setzt man erst mal auf Nummer sicher und punktet mit den Klassikern 'Right Here In My Arms' und 'Wings Of A Butterfly', die natürlich Wort für Wort mitgegrölt werden.

"Was ist los, Berlin?", begrüßt uns der bemützte Herr Valo. Angeblich das Einzige, was er auf Deutsch sagen kann. Ja, in Finnland scheint man tiefzustapeln, bringt er doch nach fast jedem Song deutsche Statements an den Mann. Tiefgestapelt wird jedenfalls nicht mit der nun folgenden ersten Singleauskopplung vom neuen Album: 'Heartkiller'. Nachdem das Vorgängeralbum "Venus Doom", wie der Name schon verrät, in das doomige Genre abgedriftet war, bringt der Nachfolger melodischen und verträumten Goth Rock, wie man es im Norden eben immer noch am besten kann - eingängig, mitreißend und - obwohl die Lyrics melancholischer nicht sein könnten - definitiv ein Lächeln auf die Lippen zaubernd.

Wer mit HIM noch nie was anfangen konnte, wird durch "Screamworks: Love In Theory And Practice" natürlich keine kognitive Wende erleben. Ohne Zweifel werden aber alle HIM-Anhänger sowie Fans dieses Musikstils dieses Album lieben. Was kann man schon mit Songs falsch machen, die bereits beim ersten Hören zum Träumen verleiten? Eben, gar nichts, also ab für den liebreizenden Rockfetzen 'Scared To Death'.

Zwischendrin immer mal wieder glückliches Jubeln der Fans. Keine Frage, zu meckern gibt es hier überhaupt nichts. Jeder scheint in einer süßen Seifenblase zu sitzen und in bittersüße mentale Welten abzutauchen. Kann es dabei auch schon mal passieren, dass man das halbe Konzert über mit dem Rücken zur Bühne tanzt? Nein, dafür scheint es andere Erklärungen zu geben.

Warum ich bei 'Poison Girl' plötzlich Glückshormone ohne Ende ausschütte und auch die beiden Metaller neben mir wie wild mit den Köpfen wackeln, lässt tief blicken. Einmal einen Narren an HIM gefressen, kann man diesen auch nach über einem Jahrzehnt nicht mehr abschütteln.

Mit dem ebenfalls aktuellen 'Disarm Me' folgt nun die erwartete herzzerreißende Ballade und ein packendes Kurzsolo von Linde - zum Träumen, Schunkeln und Weinen schön! 'Katherine Wheel' haut in dieselbe Kerbe. Ob nun meine Mutti, pubertierende Mädels oder AMON AMARTH verfallene Bombenleger - auch wenn die melancholischen Düsterrocker polarisieren: Sie schweißen offensichtlich auch ziemlich unterschiedliches Publikum zusammen.

Nachdem mit CHRIS ISAAKs Rockbolzen 'Wicked Game' kräftig Arsch gekickt wurde, wird es wieder Zeit, das Taschentuch rauszuholen. Selten konnte ein Song auf solch eine sadistisch-schöne Art die Arterien zuschnüren wie 'Funeral Of Hearts'. Und heute sowieso in doppelter Hinsicht, denn irgendwann finden auch Geheimnisse ein Ende, und für "MySpace Secret Shows" gilt leider dasselbe.

Nach minutenlangem Krach und Gebrüll lassen sich die Jungs für eine Zusatzrunde erweichen. So freue ich mich auf drei weitere schmalzig-schöne Rockballaden. Aber denkste! Nachdem Ville sich brav für die heutige Resonanz bedankt und sommerliche Festivalauftritte angekündigt hat, ertönen die Keyboard-Parts von 'When Love And Death Embrace'. Ein lauter Mix aus Stöhnen und Schluchzen geht durch die Reihen. Mit diesem doomigen, zutiefst depressiven Stück haben sich HIM ohne Frage selbst ein Denkmal gebaut – zum Sterben schön! Ein bitterer Beigeschmack bleibt jedoch: So wurden spontan zwei weitere (laut offizieller Setlist) geplante Zugaben weggelassen. Verdammt schade!

Nichtsdestotrotz sind sich nach eineinhalb Stunden geballter Finnenpower alle einig, dass der Columbiaclub kräftig gerockt wurde und dass Sachen, die kostenlos sind, eigentlich doch die schönsten sind - Liebe zur Musik, zermürbende Emotionen und irgendwie auch die "MySpace Secret Shows". Gute Nacht, ich muss jetzt ein Heartagramm in einen Schneemann ritzen!

Setlist HIM:
Like St. Valentine
Right Here In My Arms 
Wings Of A Butterfly
Heartkiller
Join Me 
Kiss Of Dawn
Scared To Death
Poison Girl
Killing Loneliness
Disarm Me  
Babl
Wicked Game
Katherine Wheel
Funeral Of Hearts
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When Love And Death Embrace
[Gastautorin Nadine Ahlig]

Fotos stammen von Fotomaschine Christin Kersten.

Redakteur:
Enrico Ahlig
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