HELLOWEEN, GAMMA RAY, SHADOWSIDE - Balingen

06.05.2013 | 09:03

20.04.2013, Volksbankmesse

Tolle zweite Auflage dieser historischen Konstellation

Nachdem der Frühling anscheinend Urlaub genommen hat und dafür gleich mal der Sommer aufgekreuzt ist, hat sich das Wetter gegen Wochenende doch wieder rapide verwässert, was dem Samstag-abendlichen Ausflug in musikalisch-sonnige Gefilde fast schon therapeutische Wirkung verleiht. Nach anfänglichen Irrungen und Wirrungen, verursacht durch den Krückstock aller Autofahrer bzw. ihrem Sündenbock Nr. 1, aka Navi, schaffen wir es doch zur Volksbankmesse, die eine halbe Stunde vor Beginn schon sehr gut gefüllt ist.

Den Abend eröffnen SHADOWSIDE aus Brasilien. Mir und sicherlich noch diversen anderen im Saal vollkommen unbekannt und in meinen Augen für eine Tour mit derart überragenden Hauptacts ein Stück zu klein. Das wurde in der ersten Ausgabe der Hellish Rock Tour mit AXXIS als Vorband etwas eleganter gelöst. Nun gut, die Truppe um Frontfrau Dani Nolden präsentiert sich spielfreudig und, wie es sich gehört auf dieser Tour, mit Spaß in den Backen. Einziges größeres Manko, das sich während der Show auch nur marginal bessert, ist der Sound. Es gibt zwar keinen Matsch, aber das Schlagzeug knüppelt – obwohl es gar kein Geknüppel gibt – alles nieder, unterstützt von einem omnipräsenten Bass. So hört man den Gesang von Frau Nolden zu wenig, das, was man aber hört, klingt gut, sauber intoniert und respektabel. Zudem sollten sich SHADOWSIDE zumindest live mal einen zweiten Gitarristen besorgen, der zweite Sound-Leidtragende war nämlich Gitarrist Raphael Mattos, der zwar einige flinke Soli auf Lager hat, die auch gut hörbar sind, seine tieferen Begleitparts aber, fallen stark in den Hintergrund. Insgesamt muss man den Brasilianern einen guten und sehr motiviert dargebotenen Gig attestieren: Raphael grinst die ganze Zeit wie ein Honigkuchenpferd, Dani versucht sich als Entertainerin in etwas befremdlichem Glitzerlook, Bassist Fabio bewegt sich so viel auf der Bühne, wie er Platz hat und der zweite Fabio der Truppe, der vor dem aufragenden Drumriser mit dem Schlagzeug von GAMMA RAY, das noch verdeckt ist, ziemlich klein aussieht, verdrischt gekonnt und engagiert seine Felle.

Es ist wohl bezeichnend für diese Band, das beim Soundcheck ein kleines rosa Schweinchen zwecks Test ins Mikro quicken darf. Spaß machen GAMMA RAY also schon, bevor die ersten zusammenhängenden Klänge ertönen und das geht dann in der nächsten Stunde genauso weiter. Die Hanseaten um den Gott des Melodic Speed Metal und Strahlemann der deutschen Metalnation in einem - Kai Hansen himself - sind als Garant von Spielfreude schlechthin bekannt und die versammelte Gemeinde wird auch heute nicht enttäuscht. Auf der Bühne ist nun etwas mehr Platz, es gibt links und rechts neben dem Drumpodest zwei kleinere Aufbauten und als Backdrop dient das Cover der aktuellen EP 'Master Of Confusion', dessen Farbgebung im Zusammenspiel mit der Lichtshow ziemlich gut zur Geltung kommt.
GAMMA RAY beginnen ihr Set nach dem kurzen Intro, so wie sich das gehört, immer schön durch die Schallmauer mit 'Anywhere In The Galaxy'. Es folgen 'Men Martians And Machines' und aus ganz frühen Tagen 'The Spirit' sowie 'Dethrone Tyranny'. Hansens Kai ist offensichtlich bester Laune und gut bei Stimme, spielen kann er ja sowieso. Das noch mehr und grinsen auch, kann "the unbelievable Henjo" (Richter), seines Zeichens "Lead- und Rhythmus und äh… Leadgitarrist", wie sich Kai Hansen gegen Ende der Show ausdrückt. Der gute Mann soliert filigran und wie eine Eins und ist er vielleicht auch nicht einer der Allerbesten, so gehört er sicher mit zu den unterbewerteten seiner Zunft in diesem Genre, das eben doch auch viel Wert auf Flitzefingerakrobatik legt. Dirk Schlächter post mit Bass und singt seine Backings hingebungsvoll wie eh und je und Neuzugang Michael Ehré, der den letztes Jahr ausgestiegenen Dan Zimmermann hinterm Schlagzeug ersetzt, kann auch live voll und ganz überzeugen. Eigentlich keine Frage, dass der Mann technisch beschlagen ist und die Art Musik spielen kann, stand er doch vorher u.a. für kurze Zeit bei FIREWIND in Lohn und Brot. Überhaupt ist die ganze Band perfekt eingespielt und supertight.
Der mittleren Phase (und Frühphase, was 'The Spirit' angeht) wurde fürs erste genug Aufmerksamkeit geschenkt und man geht zu neueren Großtaten über. Der Sprung ist recht groß, es geht gleich zur aktuellen EP "Master Of Confusion". Diese ist zwar sicherlich nicht die längste in der Geschichte des Metal, wie zu Promozwecken behauptet, hat aber zwei erstklassige Songs am Start, die beide in Folge dargeboten werden. Bei 'Master Of Confusion' gibt sich das Publikum merkwürdigerweise noch etwas verhalten. Das ändert sich aber, als Kai Hansen die Meute auf das kommende 'Empire Of The Undead' vorbereitet: Ob wir Headbangen können? So hoch und runter und gedreht? Natürlich, und es wird willig Folge geleistet zu den Klängen des Speed-Krachers. Die Stimmung ist exzellent und wir bleiben in neueren Gewässern. Es folgt das düster-fesselnde 'Empathy' und dann eine der Hymnen schlechthin: "Balingen, it`s time to rise" verkündet der Meister und im Folgenden wird vermutlich wirklich jeder, der des Textes halbwegs mächtig ist, oder es zumindest glaubt, aus voller Kehle mitgeschmettert haben. "And then we`ll rise in victory / stand our ground…", herrlich, Gänsehaut, spätestens jetzt haben GAMMA RAY wiedermal auf voller Länge gewonnen. Übrigens ist der unbalancierte Sound, unter dem SHADOWSIDE leiden mussten, von Anfang der Show an kein Thema mehr, man versteht alles differenziert, klar und deutlich – das Schwein muss wohl seine Wirkung getan haben.
Kai wechselt nun von Flying V Marke "schwarz mit gold verziert" auf Flying V Marke "klassisches Weiß" und stimmt das in der Szene mittlerweile hinlänglich bekannte Thema von Edvard Griegs "Halle des Bergkönigs" an, nicht nur, aber im Szene-Kontext verwendet unter anderem in 'Gorgar'. Es folgt aber nicht eben jener Song vom HELLOWEEN-Debüt, sondern Henjo, der ein kleines, aber sehr feines Solo zum Besten gibt. Wo wir schon bei alten Großtaten sind, "der nächste Song ist für Leute die das kennen, aber uns nicht, oder so", wie sich Kai ausdrückt. Und als ob die bisherige Show nicht ausgelassen genug gewesen wäre, folgt mit dem HELLOWEEN-Klassiker 'Future World' Happy Hippie Metal par excellence. Die Reaktion auf die Ankündigung des letzten Songs dieses Abends (was wohl keiner so richtig – zurecht – glauben will) fällt Kai wohl etwas zu verhalten aus. Also wird erstmal kollektives Ausbuhen für diese Ansage geübt, das Publikum lernt auch das sehr schnell, die Band lässt sich nicht lange bitten und es erklingt 'To The Metal'. Jene Hymne, die doch eigentlich bei PRIEST geklaut ist und MANOWAR inhaltlich gut zu Gesicht stehen würde, aber hier sowas von genau und richtig an der Stelle ist.
Natürlich ist das auch nicht das letzte Stück für den Abend. Die Band begibt sich zwar von der Bühne, aber eher, damit sich Kai und Henjo jeder eine wohlverdiente Zigarette anzünden können. Die Mannen tauchen auch kurze Zeit später wieder auf und es verbreitet sich auf positive Weise eine gewisse Feierabendstimmung. Abends bei GAMMA RAY im Wohnzimmer quasi. Nichtsdestotrotz ist irgendwann mal Schluss mit lustig, oder zumindest Umbaupause und anscheinend haben auch die Götter des Melodic Speed Metal zeitliche Grenzen, die sie zwar lyrisch, aber doch nicht physisch durchbrechen können und so ist nach der Zugabe 'Send Me A Sign' Ende.

Setlist GAMMA RAY: Intro/ Anywhere In The Galaxy, Men Martians And Machines, The Spirit, Dethrone Tyranny, Master Of Confusion, Empire Of The Undead, Empathy, Rise, Gitarren Solo (Henjo), Future World, To The Metal
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Send Me A Sign


In der Umbaupause erklingt zur Einstimmung AC/DC’s 'For Those About To Rock', dann eröffnen HELLOWEEN mit 'Wanna Be God', jenem ziemlich perkussiven Zwischenspiel auf dem aktuellen Album "Straight Out Of Hell". Währenddessen ist die Band noch halb verborgen hinter einem Tarnnetz, welches quer über die Bühne gespannt wurde, schattenhaft angeleuchtet von Suchscheinwerfern, die das Publikum und die Hallendecke der Volksbankmesse absuchen. Die Lightshow ist zumindest schonmal sehr gut gelungen komponiert. Das Tarnnetz fällt und es geht richtig los mit 'Nabatea', der Hit-Single desselben Albums, wenn man so will. Die Bühne ist nochmal um einiges größer bzw. tiefer als bei GAMMA RAY und schielt wohl Richtung Aufbauten á la IRON MAIDEN, das heißt, der Schlagzeuger sitzt tiefer, als die ihn flankierenden Podeste. Dafür hat Dani Löble vier Bassdrums spendiert gekriegt und generell auch ein recht großes Kit. Das brauch er aber auch, denn viel kriegt man von dem Mann an den Trommeln während der Show nicht mit (abgesehen davon halt, dass irgendjemand offensichtlich Schlagzeug spielt). Insgesamt geht durch die, wie gesagt, ziemlich tiefe Bühne recht viel von der familiären Atmosphäre, die der GAMMA RAY-Gig davor hatte - ohne dass dort Platzmangel geherrscht hätte - verloren.
Nach der Präsentation neuen Materials geht es einen riesigen Schritt zurück in die Vergangenheit und es wird mit 'Eagle Fly Free' der erste Klassiker ausgepackt. Der Sound ist gut, die Meute freut sich. Das war‘s dann aber erstmal mit schöner Nostalgie, die Setlist ist nicht zwanghaft auf Klassiker zugeschnitten, sondern man ist, neben Material von "Straight Out Of Hell", bemüht, eine recht umfassende Auswahl zu spielen. So geht es dann auch mit zwei Tracks neueren Datums weiter: Es folgt das Titelstück des aktuellen Albums und danach 'Where The Sinners Go' sowie das poppige 'Waiting For The Thunder'. Bei GAMMA RAY wurde gebangt, bei HELLOWEEN singt der Saal mit, auch gut. Singen konnte ich auch bei ersteren, die mich bis jetzt definitiv mehr überzeugen konnten. Dabei spielen die Kürbisköpfe nicht schlecht oder wenig engagiert. Mr. Weikath bleibt eher am rechten Bühnenrand und schaut im Allgemeinen recht ernst aus der Wäsche. Immerhin kommt er zu seinen Soli mal in die Mitte und glänzt mit einer interessanten, ziemlich huldvollen Gestik seiner Anschlagshand. Die Aktivposten der Band sind Sänger Andi Derris und Bassist Markus Großkopf. Ersterer hat heute ein Gene Simmons-Shirt an und lässt mimisch auch gerne mal denselben, sprich seine Zunge, raushängen. Gestisch wiederrum versucht sich der Mann gerne an Gott himself, DIO (R.I.P.)-Gedächtnisposen. Bloß kommen die über den ganzen Gig hinweg ziemlich affektiert und übertrieben rüber, soll heißen: nerven nach kurzer Zeit. Der Tieftöner hat ein Lieblingsspiel, welches auch sehr lustig anzuschauen ist. Dafür braucht man zwei Leute, in diesem Fall noch Gitarrist Sascha Gerstner, sowie eine beliebige Anzahl Plektren. Der Mann an der Gitarre wirft nun dem Bassisten sein Plektron zu, wobei dieser dasselbe möglichst mit offenem Mund fangen muss. Gelingt in den seltensten Fällen, ist aber ein Heidenspaß, besonders anscheinend für die zwei auf der Bühne. Das wird nur etwas eng, wenn die doch begrenzte Stückzahl Plektren am Mikro irgendwann aufgebraucht ist. Ersatz ist jedoch schnell besorgt und weiter geht’s.
- In diesem Fall mit der Setlist, als nächstes geht man doch wieder ein ganzes Stück zurück und lässt den 'Steel Tormentor' auftreten. Danach nimmt man kurzzeitig – oder eher länger, so wie's sich anfühlt – das Tempo aus der Show. Dani Löble macht sich nämlich per Drum-Solo bemerkbar. Oder zumindest mit etwas, das ein solches darstellen soll, welches jedoch viel zu lang, bei gleichzeitig recht niedrigem Interessantheitsfaktor ist. Naja, zumindest die wieder mal eingesetzten Flak-Suchscheinwerfer in der kurzen Pause davor hatten was. Danach nimmt der Gig aber wieder ganz schön an Fahrt auf, man spielt den zweiten Song der Kiske-Ära an diesem Abend, nämlich 'I`m Alive'. Übrigens, was seinen Gesang angeht und dem ewigen Vergleich mit seinem Vorgänger, ist Andi Derris technisch nichts vorzuwerfen, man muss halt seine bisweilen etwas nasale Stimme mögen. Nur die ganz hohen, falsettierten Schreie klingen recht schwach und lassen eine Portion Stahl vermissen. Dafür ist er aber offensichtlich sehr gut aufgelegt, und spielt Singspielchen zu 'Live Now', was das Publikum gerne aufnimmt, von einer verhaltenen Stimmung kann auch vor der Bühne keine Rede sein. Es wird dunkler, man präsentiert mit der Ballade 'Hold Me In Your Arms' und dem melancholischen Rocker 'If I Could Fly' gleich zwei ruhigere Stücke hintereinander, bevor mit 'Hell Was Made' und 'Power' der Hauptblock des Konzertes beendet wird.
Derweil warte vermutlich nicht nur ich auf einen glorreichen Zugabenblock in Form von Kai Hansen als Gastgitarrist, oder noch besser, Gastsänger. Doch man muss sich gedulden, erste Zugabe ist 'Are You Metal?', eine wohl eher rhetorische Frage (naja, die vielleicht bei dem Publikum dieser Band doch noch eher seine Berechtigung hat), gefolgt von 'Dr. Stein'. Und noch immer kein Kai oder Hansen in Sicht. Die Band verabschiedet sich, die Lichter gehen aus und die Hoffnung schwindet. Aber doch, nach einer etwas längeren Pause erklingen vertraut dissonante Gitarrenklänge, die es so nur einmal in der HELLOWEEN-Diskographie gibt, nämlich bei der Quasi-Bandhymne 'Halloween'. Und wer steht da putzmunter auf der Bühne? Der Komponist des Krachers, welcher sich noch einmal die Gitarre umgeschnallt hat. Das ganze wird als Medley dargeboten aus 'Halloween', 'Heavy Metal (Is The Law)', sowie 'How Many Tears', letzte zwei dargeboten von Kai Hansen natürlich. Zum Abschließenden 'I Want Out' haben sich dann endgültig HELLOWEEN und GAMMA RAY komplett auf der Bühne versammelt, und feiern das Ende eines großartigen Konzertabends, bei dem für mich zwar die Gewinner feststehen, die Stimmung aber bis zum Ende klasse war und auch Fans des Headliners voll auf ihre Kosten gekommen sein dürften.

Setlist HELLOWEEN: Wanna Be God, Nabatea, Eagle Fly Free, Straight Out Of Hell, Where The Sinners Go, Wating For The Thunder, Steel Tormentor, Drum Solo, I`m Alive, Live Now!, Hold Me In Your Arms, If I Could Fly, Hell Was Made, Power
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Are You Metal?, Dr. Stein
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Medley (Halloween, Heavy Metal Is The Law, How Many Tears), I want Out

Redakteur:
Christian Schwarzer

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