Gorgoroth, Anathema - Krakau (Polen)

29.02.2004 | 13:49

31.01.2004, TV-Studio Krzemionki

Sonntag, 01.02.2004

Tag zwei beginnt fast ohne Kater und mit einem wunderschönen Spaziergang in Krakow. Drei Erkenntnisse aus dem Marsch: Die Marienkirche, immerhin das Wahrzeichen der Stadt, macht beim Betreten fast bekifft, beim größten gotischen Altar Europas kein Wunder - Gold und Geprunkel wohin man blickt. Außerdem gibt es in Krakow ein eigentlich ernsthaft moralisch angedachtes Foltermuseum, wo man Sachen wie Eiserne Jungfrauen oder witzige Dornenstühle auch mal selbst probieren darf - evil never dies. Wer dann noch nicht genug "Geschmacklosigkeiten" genossen hat - in Krakow gibt es eine Mauer, an der die "besten" Beispiele in Öl als Repräsentation des modernen polnischen Realismus ausgestellt und verkauft werden - Bilder so hässlich und kitschig - uaargh! Doch es geht noch abgefahrener: Plötzlich taucht ein polnischer Metalfan auf und drückt uns eine Werbung in die Hand, für die "Black Metal Golden Hits Vol. II - 2 CDs Evil Compilation". Schnell weg und ab zum Fernsehstudio.

(Henri Kramer)

Los geht's mit einer absolut polnischen Mischung aus Black und Death Metal. HATE heißen die vier Barden, welche sich vor überdimensionierten umgedrehten Pentagrammen und Kopf-stehendem Jesulein als Bühnendeko die Ehre geben. Ist das schön, wenn solch finster dreinblickenden jungen Männern schon nach dem dritten Lied die Schminke verläuft! Auch die bösen Posen wirken eher albern als bedrohlich. Die Versuche, als Gefahr für die Menschheit durchzugehen, scheitern und verleihen ihrem Auftritt pubertären Charme. Dabei sind HATE inzwischen alte Hasen unter den polnischen Metal-Bands. Seit 1990 verbreitet Bandgründer und Sänger Adam The First Sinner mit wechselndem Line-Up Blasphemie und Satanismus. Insgesamt erinnern sie musikalisch sehr an BEHEMOTH, auch bei ihnen spürt man die polnische Seele in Form von Perfektionsdrang, Ungestüm und Leidenschaft in der Musik. Davon lassen sich das Publikum und vor allem die treuen polnischen Fans gern mitreißen.

Interessant ist es mal zu vergleichen wie ein polnischer und ein norwegischer Black Metal-Musiker den Satansgruß vollziehen. Ein Nattefrost als Identifikationsfigur für den nordischen Schwarz-Metaller-Typ macht das so: Er streckt einen oder auch beide Arme entschlossen in Richtung Publikum. Dabei ist sein gesamter Körper angespannt und die Glieder sind bis zu den Fingerspitzen gerade durchgedrückt. Der polnische Gitarrist hingegen spreizt seine Oberarme seitlich vom Körper ab und hält nur die dazu im rechten Winkel stehenden Unterarme senkrecht in die Höhe. In dieser Haltung verharrend, streckt er selbstbewusst seine stolz geschwollene Brust heraus, während sich die Wirbelsäule zum Hohlkreuz durchbiegt. Die Gitarre kommt dann sanft auf dem ebenfalls hervorstehenden Bäuchlein zu liegen. Ist das nicht wahrer Satanismus?

Die Polen finden das gut. Ihre Begeisterung wird dann auf der DVD "The Liatanies Of Satan" zu sehen sein. Bis hierher stören auch die vereinzelten "GORGOROTH"-Rufe noch nicht…

(Wiebke Rost)

CARNAL FORGE haben sich die Aufnahmen zu ihrer Live-DVD sicherlich anders vorgestellt. Dabei sah am Anfang alles so schön aus: Die Fans rennen rein, der Vorhang vor der Bühne fällt herunter, Pyros knallen und die Schweden rocken los. In den ersten Reihen moshen auch einige Fans, fünf Meter dahinter entsteht sogar ein kleiner Moshpit. Doch kann dies nicht über die mangelnde Begeisterung hinwegtäuschen, die CARNAL FORGE in Krakow entgegenschlägt. Was verwunderlich ist, denn Songs wie 'Fire Demon' haben alles, was guter schwedischer Death Metal braucht: Energie, Aggression, einen Finger für schneidende Melodien. Dazu springt der Sänger wie ein geladener Springball von Bühnenende zu Bühnenende. Das Mikrokabel mehrfach um den Hals geschlungen, versucht er immer wieder die Massen zu begeistern: "Come on! Lets go!" brüllt er, sich der Ironie dieser Worte wohl nicht bewusst. Die Fans unten lässt das kalt. Immer mehr verschwinden, die Halle lichtet sich. So fallen die "GORGOROTH"-Schreie in den Songpausen noch mehr auf. Eine Gruppe rechts hinten von der Bühne ist besonders groß im Lästern: Mit polnischem Akzent schreien sie in den Pausen "Black Metal ist Krieg" und halten demonstrativ den Mittelfinger in Richtung CARNAL FORGE. Dennoch lassen sich die fünf Skandinavier nicht entmutigen und ziehen ihren Gig in allen Ehren durch - mal sehen, wie die DVD wird...

(Henri Kramer)

Ja, dieser Abend steht definitiv unter einem schwarzen Stern, wenn Nattefrost seine Kollegen von CARPATHIAN FOREST würdevoll auf die Bühne führt und "This is Norwegian Black Metal!" keift, zwei umgedrehte Christenkreuze vor sich in die Höhe reckend. Das macht großen Eindruck auf das polnische Publikum, das haben sie gern. Es bleibt einem die Spucke weg, wenn man sich mal alle Protagonisten der ins Hause stehenden Horror-Show von CARPATHIAN FOREST anschaut. Das ist nicht einfach nur Corpse-Paint, das ist wahre Rebellion!

(Wiebke Rost)

Was haben die Jungs nur mit ihrem Basser Vrangsinn gemacht? Der hat über seinem mächtigen Bauch nur noch eine Art Kette und einen kümmerlichen Lendenschurz, seine Haut ist putzig weiß bemalt, auf seinem Arsch prangt groß und breit "Sodomized By Satan". An den Seiten der Bühne stehen große Schilder mit einem herausfordernden "Fuck You All!"-Logo. Wahrscheinlich sind damit aber nicht die beiden engagierten Tänzerinnen gemeint - beide haben die 50 schon merklich überschritten und werfen ihre drallen nackten Rundungen nach allen Seiten. Kurz vorher saßen sie noch unschuldig im Backstage-Raum und legten Tarot-Karten. Welche Agentur vermittelt eigentlich solche Exemplare? Lösungsvorschläge bitte an henri.kramer@metal-magazin.de ... Danke!

Und weiter im Text, denn der Irrsinn ist sogar noch musikalisch. CARPATHIAN FOREST spielen nicht nur Black Metal, hier rockt die Halle. Zwar klingen die Jungs aus Norwegen technisch eher nach Rumpel-Combo, aber hier stimmt vom Feeling bis zum extrem hohen Rockfaktor alles, so macht Black Metal richtigen Spaß. Der rechts vor der Bühne stehende, kleine polnische Extrem-Fankreis ruft jetzt verzückt aus: "Black Metal ist Krieg!" - in jeder Songpause mit einer Inbrunst, die in Verbindung mit böse stierenden Blicken Einiges an Psychosen vermuten lässt. Egal: Die DVD von CARPATHIAN FOREST verspricht ein Fest des "schlechten" Geschmacks zu werden, eine Verbeugung vor allen Klischees, die der Black Metal jemals hervorbrachte. Hut ab, schön war's!

(Henri Kramer)

Und noch schöner wird's! GORGOROTH beweisen, dass Black Metal stinkt. Als die Fans endlich in den nun völlig schwarz verhangenen Raum stürzen, betört sie nämlich der süßliche Geruch von achtzig Litern Schafsblut, welcher sich mit dem Rauch der Nebelmaschine mischt. Die Spannung wird langsam unerträglich, aber geduldig wartet die aufgeheizte Menge und vertreibt sich laut singend mit polnischen "Volksliedern" die Zeit, bis der Vorhang fällt.
Schuss! Und Feuer! Und oh weh! Hinter Stacheldraht, Fackeln und aufgespießten Schafsköpfen betreten Gaahl und seine bekennenden Nietzsche-Anhänger das Schlachtfeld Bühne. Zur Rechten, hinten und zur Linken flankieren insgesamt vier etwa drei Meter hohe Holzkreuze die Szene, an ein jedes gehangen ein blutüberströmter nackter Mensch, und zwar nach den Geschlechtsteilen zu urteilen zwei Männer und zwei Frauen. Einzig ihre Köpfe sind von schwarzen Kapuzen bedeckt. Ihnen zu Füßen liegen insgesamt 130 abgetrennte Schafsköpfe. Man stelle sich das Geblök auf der Schlachtbank vor... Das riecht nach Ärger!

Kaum haben GORGOROTH mit ihrem Opener 'Procreating Satan' die Schlacht eröffnet, fällt auch schon die Erste vom Kreuz. Das Mädchen kollabiert unter der Mischung aus Rauch, Blut, Schweiß und Kadaver und wird von der Bühne getragen. Aber GORGOROTH nehmen Opfer in Kauf und kämpfen weiter mit verzerrten Gitarren und heiserer Stimme.

(Wiebke Rost)

So ungefähr wird sich die katholische Kirche in Polen auch die Hölle vorstellen. Nur mit dem Unterschied, dass die Zuschauer im höllisch wirkenden TV-Studio ausnahmslos begeistert sind. So wird der Gig für GORGOROTH zum Triumphzug. Nur der blonde "Black Metal ist Krieg"-Jüngling steht mit verschränkten Armen da, stiert unverwandt auf die Bühne und schreit in den Pausen weiter sein Lebensmotto heraus. Fast scheint es zu passen, fast. Der Moshpit vor der Bühne wird derweil immer größer, entfesselte Polen werfen ihre Köpfe gegeneinander. Die Jubel-Arien in den Pausen sind von frenetischer Kraft, die Optik auf der Bühne samt dem diabolisch-martialischen Auftreten von GORGOROTH fasziniert immer wieder. An dieser Show hätte wohl auch eine Brachialkünstlerin wie Leni Riefenstahl ihre Freude gehabt. Alles pure Handarbeit und lebensecht! Die zeitaufwendigen Arbeiten an der Dekoration haben sich wirklich gelohnt – es dauerte nur eben ganz schön lange, ehe alle Schafsköpfe aus blauen Plastik-Müll-Säcken ausgepackt und säuberlich angeordnet waren. Gewissenhaft ging ein Typ in blauer Hausmeisterhose samt Plastikeimer voll Blut fix noch mal mit einem Pinsel darüber. Der Lohn der Mühe ist eine schon fast gemäldeartige Dekoration…

(Henri Kramer)

Mel Gibson hätte es nicht besser machen können; in seiner "Passion Christi" spielt er ähnlich detailverliebt mit blutroter Ästhetik, fordert er von seinen Darstellern Leid bis aufs Äußerste. Hier hat die katholische Kirche nichts auszusetzen, im Gegenteil. So werden die nichts ahnenden Bewohner ganzer amerikanische Vororte von ihren Pastoren in diesen Film geschleppt. Endlich wissen amerikanische Bürger, was Sünde und Sühne bedeuten, wenn sie traumatisiert und in Tränen ausbrechend das Kino verlassen. Orthodoxe Katholiken loben die realistische und vielschichtige Darstellung des Lebensweges Jesu in Gibsons Werk. GORGOROTH hingegen verstoßen mit ihrer künstlerischen Darbietung gegen Artikel 196 im polnischen Gesetz zum Schutz religiöser Gefühle, in denen sich ein ahnungsloser Kameramann verletzt fühlt. Der ebenfalls nicht richtig informierte Studio-Manager Andrzej Jeziorek staunt nicht schlecht, als er sich nach der Show das Filmmaterial ansieht. Sofort ruft er die Polizei, welche die Bänder erst mal konfisziert. Die Veranstalter dieser zwei Tage vom Metal Mind Production-Team sowie Künstler, Manager und Journalisten wissen zu dieser Zeit noch nichts von rechtlichen Konsequenzen...

(Wiebke Rost)

Ein bisschen erstaunlich ist es aber schon, als schon während der Show einige mürrisch blickende polnische Polizisten den Saal betreten. Doch bleiben die Gesetzeshüter ruhig und stehen abseits, keinerlei Gefühlsregungen sind zu entdecken, noch nicht einmal ein verstohlenes Zeichen gegen "böse Blicke"… So verläuft auch die Aftershow-Party in nichtsahnend-trunkener Atmosphäre, heute erhält der männliche Teil des www.powermetal.de-Teams seine Kriegsbemalung. Gebrandmarkt als "BON JOVI-Fan mit Erektionsstörungen" schlummert der "King Of Hell" ruhig und selig auf den kalten Fliesen des wohnlichen Hotels "Galicya" ein. Wer abkackt, wird eben angemalt. Erkenntnis: Norweger sind ganz schön trinkfest. Fern des Hotels bahnt sich inzwischen der Skandal an…

(Henri Kramer)

Als GORGOROTH am nächsten Tag schon wieder in Südamerika auf Tour sind, titeln polnische Tagesblätter wie die Gazeta Wyborcza oder Metro: "Szatan W Telewizji". Auf der ersten Seite ist der kopflose, blutüberströmte und nackte Frauenkörper am Kreuz zu sehen. Der Pressewirbel bewirkt neue Besucherrekorde auf der Homepage der Norweger, das Gästebuch wird überflutet. Sollte das DVD-Material jemals wieder frei gegeben werden, dürften GORGOROTH dank der Verkäufe bald in Ruhestand gehen. Den könnten sie aber auch vorzeitig in einem polnischen Gefängnis verbringen. Würden sie in Polen wegen der Verletzung religiöser Gefühle verurteilt, drohen ihnen fünf Jahre Freiheitsstrafe. Die norwegische Polizei ermittelt nun ebenfalls in dem Fall, in der Heimat drohen zwei Jahre Gefängnishaft. Das trifft sich gut, denn Gaahl muss sich im April sowieso mal wieder vor einem norwegischen Gericht wegen des Verdachts auf schwere Körperverletzung verteidigen.

Dabei wirkt der GORGOROTH-Sänger eigentlich ganz friedlich, wenn man mit ihm unter vier Augen spricht. Trotz Erschöpfung nach der Show sind seine Augen immer noch weit aufgerissen, es fällt schwer dem starren Blick standzuhalten. Es braucht ein wenig Zeit bis er sich traut umfangreicher zu erzählen. Kritisch geht er mit seiner künstlerischen Leistung ins Gericht. Er sei unzufrieden gewesen mit seiner Stimme, die stickige Luft habe ihm den Hals ausgetrocknet. Er finde es furchtbar, zu wissen, dass er eigentlich mehr leisten kann. Auch die Location gefällt ihm nicht, der Konzertraum und die Distanz zu den Fans seien viel zu groß. Er spiele viel lieber in kleineren Sälen, wo er mit den Leuten in der ersten Reihe Blickkontakt halten kann. Außerdem habe er sich die Models anders vorgestellt. Er zeigt aber Verständnis für die vom Kreuz Gefallene, die nach ihrer Auferstehung verwunderlicherweise gleich wieder auf die Bühne will. Die anderen drei Gekreuzigten sind nach der Show ebenfalls wohlauf. Schließlich wurden sie auch nach und während jedem Song mehrmals gefragt: "Are you OK?", worauf ein zufriedenes "OK" unter ihrer Kapuze hervortönte. Eine humanitäre Katastrophe gab es also nicht. Zur Symbolik der ganzen Aktion meint Gaahl, dass die Männer und Frauen Adam und Eva verkörpern sollten. Die aufgespießten Schafsköpfe seien als Analogie zum Lämmer-Motiv in der Bibel zu sehen. Er prangert damit die biblische Forderung an, dass sich gute Christen wie brave Lämmer verhalten sollen. Da hat er was dagegen; er fordert das Individuum in Jedem (Nietzsche lässt grüßen). Auf Vorwürfe wegen Tierquälerei entgegnet er, dass die Schafe sowieso geschlachtet werden sollten. Für die DVD wurden also keine Tiere extra getötet. Dennoch gibt es nun eine weitere Anklage wegen Verletzung des Tierschutzgesetzes. Übrigens, Gaahl ist bekennender Vegetarier!

(Wiebke Rost)

Was bleibt? Die Bänder sind noch immer unter Verschluss. Bei Nuclear Blast stapeln sich wahrscheinlich schon die DVD-Vorbestellungen. GORGOROTH sind populärer denn je, die Kommentare zu der Geschichte im Internet sprechen Bände.

Und die erschöpften Schreiberlinge? Die sitzen im Zug. Die Fahrt ist lang. DIE ÄRZTE spuken im Kopf herum: "Mit dem Schwert nach Polen (Sag' warum René)" vom "Die Bestie in Menschengestalt"-Album. Wirre Gedanken, ist doch der Gipfel des bizarren Irrsinns endlich erklommen.

Letzter Logbucheintrag von Wiebke: "Nur tote Tiere hier in Polen... am Ende noch ein vom ICE halbierter Hirsch im Schnee".

(Henri Kramer)

Redakteur:
Henri Kramer

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