FULL FORCE XXVI - Gräfenhainichen

17.07.2019 | 20:47

28.06.2019, Ferropolis

Zum dritten Mal beehrt der selbsternannte härteste Acker Deutschlands die Stadt aus Eisen: Drei Tage in beeindruckendem Ambiente mit Bands wie PARKWAY DRIVE, ARCH ENEMY und LIMP BIZKIT.

Am letzten Festivaltag beginnt die Mainstage ausnahmsweise eine Stunde früher als sonst. Bei brütender Hitze findet sich um 14 Uhr zwar zunächst nicht mal eine Hundertschaft vor der Bühne ein, die meisten suchen nach einem der raren Plätze im wenigen Schatten auf der Tribüne. Doch nach und nach wird es voller, als WALKING DEAD ON BROADWAY mit Deathcore à la 'Hostage To The Empire' loslegt. Der Sänger der Leipziger fordert nicht nur einen Circlepit, sondern auch Solidarität mit allen gesellschaftlich Ausgeschlossenen. Die kleine Meute folgt zumindest schon mal dem ersten Teil und wird von den Securities aus einem Wasserschlauch für die schweißtreibende Arbeit belohnt. An gesellschaftskritischen Statements von der Bühne mangelt es derweil an diesem frühen Nachmittag nicht. "Spendet eure Pfandflaschen den Leuten hier von Viva Con Agua", mahnt Sänger Robert. "Die setzen sich gegen die Privatisierung von Wasser ein, das führt immer zur Verknappung." Auch wenn es als Gitarrist vielleicht keine gute Idee ist, die Ansagen seines Sängers mit kurzen Soundchecks zu zerschreddern. Nebensache, zu 'Song Of Courage' schwimmen die letzten Crowdsurfer Richtung Mainstage. Angesichts der knallenden Sonne aber lieber gleich richtig Schwimmen und rüber zur Seebühne.
[Carsten Praeg]

Es lässt sich wohl sagen, dass GUTALAX nicht nur sprichwörtlich aus Scheiße Gold machen. Schaut man sich vor der Medusa Stage um, wird schnell deutlich, dass sich diese Annahme wohl bereits herumgesprochen hat. Es ist den Tageshöchsttemperaturen zum Trotz verdammt voll. Das bewährte Konzept wird auch heute dargeboten und weder auf, noch vor der Bühne gibt es große Überraschungen. Lyrische Kunstwerke wie 'Fart Fart Away', 'Total Rectal' und 'Toi Toi Story' werden untermalt von aufblasbaren Gummitieren, Menschen in weißen Overalls und sehr viel Toilettenpapier (die Klobürsten nicht zu vergessen – Anm. v. Carsten). Nicht zum ersten Mal gibt es auch heute wieder die genialen Tanzeinlagen von Frontsau Maty zu sehen. Man kann ihn getrost zum König des "Charleston Bees Knees Moves" krönen (einfach mal recherchieren und probieren). Wir können festhalten: Grindcore von GUTALAX ist tanzbar und zum abschließenden Song 'Strejda Donald' darf dann auch nochmal kräftig mitgesungen werden.

Am letzten Festivaltag bei Tagestemperaturen von fast 40° Celsius sind Ermüdungserscheinungen in meinem Alter leider unausweichlich. Da ich das große Los des Autofahrers gezogen habe, bleibt mir auch die Option der Stärkung mit Zaubertrank verwehrt. Was kann jetzt noch helfen? Große Hoffnungen setze ich auf POWER TRIP. Mit ihrer absolut brachialen Mischung aus Thrash Metal und Hardcore ist die Band für mich derzeit das heißeste Eisen, wenn man den Zeiten von S.O.D. und D.R.I. immer noch nachtrauert. Die Veröffentlichungen in der jungen Bandgeschichte sind noch überschaubar, so dass heute fast das komplette aktuelle Album "Nighmare Logic" (Empfehlung: unbedingt reinhören!) gespielt wird. 'Soul Sacrifice' geht dermaßen nach vorne, dass ich mich frage, welcher Orkan hier gerade durchs Zelt fegt. Ohne Pause folgt 'Executioner ́s Tax', das mit seinem geilen Groove im Midtempo nochmal die Nackenmuskeln fordert. Beim superschnellen 'Firing Squad' entsteht den unmenschlichen Temperaturen zum Trotz tatsächlich ein Circlepit. Die neue Nummer 'Hornet's Nest' gibt einen Ausblick auf die kommende Veröffentlichung, zeigt aber auch, dass keine Veränderungen zu erwarten sind. POWER TRIP ist brachial und minimalistisch. Das mag man als eintönig und langweilig bezeichnen, aber ich finde diese Kompromisslosigkeit so geil, dass es kein bisschen stört. Hier gibt es keine Überraschungen und keine Experimente – was nichts daran ändert, dass die 40 Minuten wie im Flug vergehen und ich tatsächlich wieder fit bin.
[Chris Gaum]

Mit thrashigen Klängen geht es anschließend ebenso auf der Mainstage weiter, wenn auch in etwas groovigerer Form. "If I die, you are forgiven", schallt der Mafiakodex aus den Boxen, dann legt LAMB OF GOD mit 'Omerta' druckvoll los. Anfangs ist die Zuschauermenge noch recht überschaubar dafür, dass hier eine der vermeintlich wichtigsten Metalbands dieses Jahrhunderts spielt. Was auch daran liegen könnte, dass die teils etwas in die Jahre gekommenen Amis bisweilen ein wenig hüftsteif agieren. Das wird allerdings durch den dafür umso agileren Sänger Randy Blythe mehr als wettgemacht. Der Mitvierziger lässt seine langen Dreads fliegen, springt über die mit schwarzweißen US-Flaggen dekorierte Bühne und fordert die Fans zum Mitschreien auf. Nach gut drei Minuten bildet sich dann auch der erste kleinere Circlepit und immer mehr Menschen zieht es zur größten Festivalstage. "Wie geht's, Deutschländ?" brüllt Randy der Menge zu, "let me fucking hear you!" Groovige Songs wie 'Walk With Me In Hell' passen zu den immer noch nicht wirklich abgekühlten Temperaturen und lassen zugleich immer mehr Schwitzwillige mitspringen. Das abschließenden 'Redneck' beschert den Gotteslämmern dann auch endlich ihren gewünschten Circlepit größeren Ausmaßes. Was im späteren Verlauf des Abends Fred Durst von LIMP BIZKIT allerdings noch zu manch hämischen Kommentar veranlassen wird, aber das spielt jetzt noch keine Rolle. "Mach schnell, Muchacho", heizt Randy die Flitzer an und verabschiedet sich danach mit ein paar letzten Sprüngen von der Bühne.

Anschließend verrät ein überdimensionales Kleeblatt auf der "Mad Max", was gleich folgt: Irischer Folk-Rock, sympathisch präsentiert von den Kaliforniern FLOGGING MOLLY. Quasi das weniger tätowierte Westcoast-Gegenstück zu den Bostonern DROPKICK MURPHYS. Der Frontman, Brillen- und Bartträger sowie gebürtige Ire Dave King sammelt erstmal Sympathiepunkte, indem er mit einer Dose Guinness dem Publikum auf Deutsch zuprostet. Dann legt seine siebenköpfige Truppe mit '(No More) Paddy's Lament' los. Hüpfen, schunkeln, Spaß haben. Nach ein paar stimmungsvoll-urigen Songs stellt Dave seine Ehefrau und Bandmitglied Bridget vor, die nun mit der Flöte bewaffnet in den Mittelpunkt rückt, um zunächst 'Life In A Tenement Square' und kurz darauf den wohl bekanntesten Bandsong 'Devil's Dance Floor' anzuspielen. Die Stimmung steigt, als Dave auch noch Guinness ins Publikum verschenkt und zum Dank kollektives Mitsingen beim kurzen QUEEN-Cover 'We Will Rock You' erntet. Sympathische Truppe, Daumen hoch für dieses Booking!

Nachdem das Licht beim Hardbowl von OUR LAST NIGHT und auf der Medusa Seebühne von AMORPHIS ausgeknipst wurde, heißt es zum Abschluss auf der Hauptbühne: Springen, springen, springen. Das wird schon beim HOUSE OF PAIN-Intro 'Jump Around' deutlich. Zudem fordert LIMP BIZKIT-Rapper Fred Durst die Menge von Anfang an zu mehr Bewegungsdrang auf. Man sei zwar nicht LAMB OF GOD, die Jungs hätten schließlich einen riesigen Moshpit gehabt. Was aber sicher nicht als Kompliment gemeint ist, bedenkt man das frühere gegenseitige Dissen beider Bands. Erst dann legen die Amis mit 'My Generation' richtig los. Während der stets geschminkte Gitarrist Wes Borland heute Cowboyhut, einen blauen Kimono und gelbe Unterhosen trägt, hat der Frontman sein einstiges Markenzeichen, die rote Basecap, gegen einen Army-Schlapphut und einen orangenen Hoodie eingetauscht. Der Sonnenbrillenträger erkundigt sich, wer tags drauf alles arbeiten müsse und ergänzt hämisch, eine ganze Menge sei wohl arbeitslos. "I like that!" Wenn das Plappermaul mal keine Ansagen macht, werden auch Bandhits wie 'Rollin' oder das THE WHO-Cover 'Behind Blue Eyes' gespielt. Zu 'Full Nelson' dürfen zwei vermeintliche Fans auf die Bühne, schmettern den Song gemeinsam mit Fred Durst aber doch etwas zu eingespielt, um tatsächlich rein zufällig ausgewählt worden zu sein. Nach ein paar weiteren Seitenhieben auf LAMB OF GOD soll sich das gesamte Publikum zum abschließenden 'Take A Look Around' hinsetzen, um zu den letzten Riffs nochmal richtig loszuspringen. Beim "Breakfast Club"-Outro 'Don't You Forget About Me' macht der ewig quatschende Frontman mit in die dürstende Menge geworfenen Wasserflaschen noch etwas Boden gut, dann ist auch auf der Mainstage Schicht im Schacht.

Während im Zelt dann James Kent alias PERTURBATOR das traditionelle "Last Supper" mit selbst für diesen Programmteil ungewöhnlichen Elektro-Klängen einleitet, läutet anschließend MAMBO KURT zum großen Finale. Wer als der Meister der Heimorgel – fast schon zum Inventar gehörend, im Vorjahr noch am frühen Abend ran müssend und auch schon mal das VIP-Zelt rockend, wenn er ausnahmsweise nicht zum Bühnenprogramm gehört – wäre besser prädestiniert, das diesjährige Force mit seinem schrägen Coverprogramm abzurunden. Drei Tage mit drückender Sonne, einer beeindruckenden Kulisse, neuen Elementen und manch neuentdeckter Band gehen somit zu Ende. Full Force, nächstes Jahr gerne wieder!
[Carsten Praeg]

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Redakteur:
Carsten Praeg

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