CASTLE ROCK - Mülheim an der Ruhr

09.07.2017 | 17:19

01.01.1970, Schloss Broich

Acts der Düster-Szene in stilvollem Ambiente? Bereits im achten Jahr steht das CASTLE ROCK auf dem Schloss Broich in Mülheim an der Ruhr für ein herzliches, intimes Miteinander, welches Künstler, Veranstalter und Organisator so nahe zusammenbringt, wie kaum ein anderes Event der schwarzen Szene...

Nach einem ausgedehnten Frühstück ins Hotel starten wir wieder in Richtung Festivalgelände. Wie schon im vergangenen Jahr haben auf dem Schlosshof einige ausgewählte Händler mit Deko-Artikeln oder mittelalterlichem Schmuck und Tüchern (eine Reminiszenz an das Burg Folk, das 2016 leider zum letzten Mal stattfand) ihre Stände aufgeschlagen. Nicht so viele als dass es auf dem Hof überladen wirkt, aber genug um sich die Zeit zwischen den Acts bei einem Bummel zu vertreiben. Irgendwie setzt sich das Motto "Handverlesen und persönlich" selbst hier fort – ein dickes Lob an Veranstalter Michael Bohnes.


Allzu viel Zeit ist jedoch trotzdem nicht, um groß shoppen zu gehen. Schließlich startet der zweite Tag des CASTLE ROCK wesentlich früher, so stehen am heutigen Tag acht Bands auf dem Programm. Den Anfang machen die Herren von HEMESATH mit ihrem klassisch-düsteren Gothic Rock. Die angerauhte Stimme von Sänger Christopher Zumbült fegt mit der rollenden Gitarren-Fraktion über Schloss Broich und sorgt dafür, dass die Glieder nach einer langen Nacht ordentlich durchgeschüttelt werden und die Zuschauer trotz des fiesen Nieselregens wieder auf Betriebstemperatur kommen.
In bester Old School Manier setzt HEMESATH dabei auf eine schnörkellose Bühnenshow und lässt lieber die Stücke des Debüt-Albums "Für Euch", das 2015 das Licht der Welt erblickte, sprechen. Und apropos Bühne: Dass trotz der jungen Bandgeschichte der Deutsch-Gothic-Rock-Kombo Christopher Zumbült auf den Brettern, die die Welt bedeuten, schon einige Erfahrung gesammelt hat, lässt sich nicht nur an seiner charismatischen Stimme erkennen. Wo andere große Posen brauchen, setzt er die Texte beinahe nur durch eine ausdrucksstarke Mimik in Szene. Chapeau!

NOX INTERNA schafft hingegen erst einmal andere klimatische Bedingungen auf dem CASTLE ROCK. Feuer frei heißt es für die spanische Gothic Rock Band und ihre Mitglieder, die alleine schon durch ihre Optik eine wesentlich aufwendigere Show versprechen. Dem werden Richy Nox und seine Mannen auch heute gerecht – zu Songs wie ‚Pray‘ absolviert NOX INTERNA auf der Bühne als zweite Band des Tages ein beachtliches Programm. Ob nun Hypnose-Einlagen mit dem weiß-schwarzen Regenschirm, eine expressionistische Mal-Session auf dem Portrait des Frontmanns während des virtuos gespielten Gitarren-Solo oder die obligatorische Bühnen-Technik: Die Band zaubert im übertragenen Sinne ein weißes Kaninchen nach dem anderen aus dem Hut und lässt mich staunen wie Alice einst im Wunderland. Auch musikalisch präsentiert sich INTERNA NOX an diesem Tag als besonders facettenreich, fahren sie doch sämtliche Variationen ihres Schaffens, von den tristen-doomigen Stücken bis zu Industrial-Brechern.auf. Das fantastisch-morbide Bild von Richy Nox, als er als „Edward mit den Scherenhänden“ gegen Ende des Sets agiert, fügt sich da wie das fehlende Steinchen in ein schaurig-schönes Mosaik der Eindrücke. Geendet wird mit einem Tribut an die wohl größte spanisch-sprachige Band des Genres: Das 'Entre Dos Tierras' von NOX INTERNA lockt schließlich auch den letzten Regenscheuen vor die Bühne.

Der Sänger des nächsten Acts ist auf dem CASTLE ROCK definitiv kein Fremder: Als Besucher und schon mit seiner ehemaligen Band STAHLMANN auf der Bühne des ehrwürdigen Gemäuers zugegen, mischt Neill Devin nun mit ERDLING das Festival auf. Mit jede Menge Rückenwind startet die NDH-Gruppe mit der Single-Auskopplung 'Mein Element' in den regnerischen Gig, was Neill jedoch äußerst gelassen nimmt ("Ihr dürft gerne auch die Regenschirme im Takt bewegen"). Tatsächlich tut das Wetter der Stimmung keinen Abbruch, ERDLING hat hörbar viel Unterstützung im Publikum. Ob dies nun die Chöre bei 'Blitz und Donner' oder die Eskalation bei 'Absolutus Rex' sind, ERDLING veranstaltet in Anlehnung an das aktuelle Album eine echt explosive Party auf der Bühne, "Supernova" eben. Dass die Jungs jedoch auch anders können, beweist Neill mit der ernsten Ansage zu DEM Gänsehaut der Setliste, 'Frei wie der Wind'. "Ich breite meine Flügel aus" - eine Aufforderung, der die Festival-Gänger auf dem CASTLE ROCK sofort nachkommen.

Erwachsener und reifer - so soll "Unbroken", ihr neues Album, nach eigener Aussage von VLAD IN TEARS klingen. Härter, das sind sie definitiv geworden, ernster, düsterer. Doch nichtsdestotrotz: Die ausgelassene Spontanität haben sich die Gothic Rocker um Kris Vlad, den Göttern sei Dank, erhalten! Jede Menge Spaß versprühen die Jungs aus Berlin bei Songs wie 'Burn Inside' mit seinem einprägsamen Chorus ('We Are The Flames In The Air') oder dem treibend-melancholischen 'Over Again'. Ob dies nun die wilden Sprünge der beiden Saitenhexer Dario Vlad und Illia Ioffe sind oder Kris' Moves: Ihren Titel als "Gewinner der Herzen" erobern sich die Musiker mit ihrer unglaublichen Losgelästheit von jeglichen Star-Allüren. Freunde werden wie selbstverständlich mitten während des Auftritts begrüßt, um dem Publikum ordentlich einzuheizen, wird der Bass mal kurz zur Seite gelegt... VLAD IN TEARS lässt die Festivalbesucher außer Atem und mit einem strahlenden Grinsen zurück. Die Sonne ist wiedergekehrt auf dem CASTLE ROCK!

Zum ersten und letzten Mal an diesem Wochenende heißt es mit AEVERIUM im Anschluss: Bühne frei für starke Frauen! Denn mit Aeva steht das einzige Mal auf dem diesjährigen CASTLE ROCK eine Frau am Mikrophon. Bei ihrem ersten Besuch auf Schloss Broich noch als Opener am Start, hat sich die Kombo an diesem Tag den Slot am späteren Nachmittag redlich verdient. So machen Aeva und Marcel "Chubby" den zahlreichen Zuschauern vor der Bühne mit Songs ihres Erstlingswerks "Break Out" (und besonders dem gleichnamigen Stück, mit dem AEVERIUM schließlich sämtliches Wohlwollen in der Tasche hat) ebenso Dampf wie mit dem aktuellen Album "Time" und erweisen sich dabei als Band mit den wohl unterschiedlichsten zwei Gesichtern des Tages. So rocken Marcel und Aeva mit einer genialen Showeinlage inklusive gemeinschaftlicher Leg-Gitarre selbst die Gitarrensoli, im nächsten Moment präsentiert Aeva sich jedoch alleine mit gefühlvoller Stimme bei ruhigen Balladen im Bühnennebel. Eine immense Entwicklung, die AEVERIUM im Vergleich zu ihrem letzten CASTLE ROCK gemacht hat. Schön, dass der Veranstalter schon damals das Potential der jungen Melodic Metal Band erkannt hat.

Bissige Nostalgie und gekonnte Provokation ohne Rücksicht auf Tabus: Wer sich die OST+FRONT einlädt, weiß eigentlich genau, worauf er sich einlässt. Denn die Berliner stehen nicht nur für brachialen NDH mit Texten à la "Darf der das?", sondern auch für bildgewaltige Shows, bei denen nicht nur Hermann Ostfront auf der Bühne ordentlich ins Schwitzen gerät. So startet OST+FRONT mit der aktuellen Single, der 'Fiesta Del Sexo', einem spanischsprachigen Titel mit stampfend-stoischen Beats in den Endspurt des CASTLE ROCK und fährt mit dem riesigen Ballon, den sie zu 'Freundschaft' ins Publikum werfen, den Partyfaktor noch einmal ordentlich nach oben. Rücksicht auf Verluste werden zu Nummern wie 'Schlag mich' nicht genommen. So laufen auch einige der Festivalfotografen nach dem Gig von OST+FRONT mit verdächtigen, blutroten Spritzern im Gesicht und auf der Kleidung über den Schlosshof. Ein Auftritt ohne Berührungsängste.

Vor dem letzten Künstler des Abends wird es auf dem CASTLE ROCK noch einmal deftig: CREMATORY lädt vor die Bühne; im Gepäck haben die Schwarzheimer ein bunt gemischtes Set aus ihrer beachtlichen Diskographie. Diese umfasst nicht umsonst eine zweistellige Anzahl an Scheiben, so können die Düsteren um Frontmann Felix aus einer schier endlosen Vielfalt an Eindrücken, Stimmungen und Stilarten schöpfen. Das nutzt CREMATORY mit 'Greed' oder auch deutschsprachigen Nummern wie 'Höllenbrand' ohne Wenn und Aber aus, ein jeder der Jungs erweist sich an dem Abend als Teil eines geschmierten Uhrwerks, welches zum Ende des Auftritts hin der Eskalation vor und auf der Bühne entgegengetickt. Umso effektvoller schließlich das überraschende Ende des Auftritts mit einer gefühlvollen Ballade in minimalistischer Besetzung.

Ob man die Neuausrichtung der portugiesischen Dark und Gothic Metaller von MOONSPELL deren härtere Vergangenheit vorzieht, ist Geschmackssache. Fest steht jedoch, dass die Musiker um Frontmann Fernando Ribeiro sich die Ehre, das diesjährige CASTLE ROCK mit dem Headliner-Slot am Samstagabend zu beenden, redlich verdient haben. Ein beinahe folkloristisches Bühnenbild mit dem hinter dicken Bambusrohren verkleideten Keyboard und einer bunten Mischung aus ganz alten Nummern wie 'Alma Mater', bei denen die Zuschauer ein letztes Mal die langen oder kurzen Mähnen kreisen lassen und neuen Titeln wie 'Breathe' vom 2015 veröffentlichten Silberling. "Inhale - exhale - you made it to the end of days" - Ribeiro folgt das Publikum einfach zu all seinen Aufforderungen und Aufrufen. So lässt sich auch das Schauspiel, dass der Bariton tatsächlich die Leute zum Anheulen des Mondes zum Song 'Fullmoon Madness' lesen kann, vor allem als eines sehen: Eine beachtliche Leistung des charismatischen Entertainers, der MOONSPELL damit eine Höchstleistung in den letzten Minuten des CASTLE ROCK Festivals attestiert. Sie waren lange totgesagt, wurden auf dem Gelände als die "portugiesischen Heulsusen" vor ihrem Auftritt belächelt, dennoch: MOONSPELL straft sämtlicEe Kritiker Lügen und beschert dem CASTLE ROCK einen gebührenden Abschluss, der die Besucher mit einem fetten Grinsen in den Feierabend ziehen lässt.

Doch nicht zu früh gefreut: Denn die letzten Worte gehören schließlich Michael Bohnes, dem Mann hinter den Kulissen. Während seine Gäste noch vom diesjährigen Festival ganz berauscht sind, kündigt der Veranstalter bereits das CASTLE ROCK Festival 2018 am 29. und 30. Juni mit Acts wie LACUNA COIL oder STAHLMANN an...

Redakteur:
Leoni Dowidat

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