Bang Your Head 2014 - Balingen

20.07.2014 | 21:45

11.07.2014, Messegelände

Wir präsentieren das Traditionsfestival mit den Wetterextremen.

Noch habe ich ein paar Nachwehen vom gestrigen ARP-Auftritt, der auch auf dem Gelände am Kaffee- und Crêpe-Stand kräftig diskutiert wird. Ohne große Erwartungen schlendere ich dann in Richtung Bühne, um mir die erste Band am Samstag anzuschauen: MORE - noch nie gehört. Vielleicht hätte ich das Programmheftchen mal ein bisschen genauer studieren sollen. Eventuell wäre mir dann auch aufgefallen, dass es sich um die Band von Starproduzent Chris Tsangarides handelt, der vor allem durch sein Mitwirken bei JUDAS PRIESTs "Painkiller" berühmt geworden ist. Außerdem hat man mit Mike Freeland den ehemaligen PRAYING-MANTIS-Sänger in seinen Reihen. Hoher Besuch mit Kultfaktor zu solch einer frühen Stunde. Diesen Umstand der Unkenntnis ändert Veranstalter Horst Franz nach den ersten beiden Songs, in dem er den bereits überraschend zahlreichen Anwesenden auf der Bühne verkündet, dass eben Chris Tsangarides an der Klampfe gerade zockt. Peinlicherweise vergisst das Festivaloberhaupt aber ansonsten zumindest mal die gesamte Band zu begrüßen. Nicht nett, finde ich.

Musikalisch ist MORE eine NWOBHM-Band, die mit "Warhead" (1981) und "Blood & Thunder" (1982) auf genau zwei Scheiben zurückblicken kann. Das ist nichts wirklich Weltbewegendes, dafür aber Gute-Laune-Rock am frühen Morgen, der unaufgeregt daherkommt. Einfach nett zum Reinkommen in den Tag. Sänger Mike macht eine gute Figur, ist sehr agil und klingt in den hohen Tonlagen sogar ab und an wie Paul Stanley. Und das aus dem Mund eines fanatischen KISS-Fans kann man getrost als Kompliment verstehen. Leider hat auch er immer mal wieder mit Mikrofonaussetzern zu kämpfen, die gelegentlich den Hörgenuss schmälern. Überraschend ist auch die Gitarre von Chris beim Eröffnungsdoppel 'Killer On The Prowl' und 'Warhead' kaum zu hören, was sich nach Horsts Ankündigung natürlich schlagartig ändert. Ehre, wem Ehre gebührt oder so. Natürlich müssen die Herren dann mit 'A Touch Of Evil' auch noch einen Song der erwähnten "Painkiller"-Scheibe auspacken, immerhin hält Mr. Tsangarides an diesem Song auch Songwritercredits. Also alles im grünen Bereich.

Die Band wirkt insgesamt ein wenig hüftsteif, einzig Freeland hüpft und rennt permanent über die Bühne. Gitarrist Paul Stickles macht mit seinem Cowboyhut auch optisch noch eine gute Figur, der Rest bleibt dagegen eher blass. Die Musik ist ordentlich und man erntet dafür guten Applaus, aber ob das für einen Neuanfang reicht, darf an dieser Stelle gerne bezweifelt werden.

Setlist: Killer On The Prowl, Warhead, Rock’n’Roll, Road Rocket, We Are The Band, Scream, A Touch Of Evil, Atomic Rock

[Chris Staubach]


Willkommen zum Bierfrühstück mit HIRAX. Die Band aus Cypress, Kalifornien, ist natürlich das komplette Gegenteil zu MORE. Hier wird das Gaspedal durchgetreten und das Quartett orientiert sich an SLAYERs Frühwerken. Bisher hatte ich die Amerikaner immer als komplett struktur- und willenlose Geschwindigkeitskapelle auf dem Schirm, die mich tendenziell immer an die frühen SEPULTURA erinnerte, rein vom Krachfaktor her. So ist meine innere Messlatte enorm niedrig, als mich HIRAX mit dem kraftvollen und durchaus überzeugenden Instrumentaleinstieg positiv überrascht. Der Sound ist druckvoll und auch die Band wirkt absolut wie eine Einheit. Sie nimmt direkt die Bühne ein und weiß diese auch auszufüllen. Sänger und Szene-Ur-Gestein Katon W. de Pena ist darüber hinaus sehr lauffreudig, gut bei Stimme und ein Sympathikuss vor dem Herrn. Respekt.

Dass die Faszination dann doch spätestens ab Mitte des Sets merklich nachlässt, liegt vor allem an der fehlenden Abwechslung. Songs wie 'Lucifers Inferno', 'Hostile Territory', 'Destroy' oder das neue 'Black Night' sind alle am Anschlag und ermüden mich auf Dauer - und das liegt nicht nur am wenigen Schlaf. Wenn sie mal das Tempo rausnehmen, klingen sie zwar verdächtig nach Araya, King und Co., machen dabei aber verdammt groß einen auf dicke Hose. Mehr davon.

Den vielen Thrashfans auf dem Gelände gefällt es. Vereinzelte Headbanger und zaghafte Moshpits sind zu erkennen. Das ist aus sicherer Entfernung angenehm zu beobachten und auch die Band hat sichtlich ihren Spaß. Im weiteren Verlauf des Festivals ist Katon ein gern gesehener Gast unter den Fans und auch der Preis für den meist fotografiertesten Musiker dürfte an den farbigen Kalifornier gehen, der auch abseits der Showbühne einen mehr als netten Eindruck macht. Musikalisch geht HIRAX in der Rolle als ultimativer Weckruf auf, für einen Sprung ins Langzeitgedächtnis dürfte es jedoch nicht gereicht haben.

[Chris Staubach]


Der Morgen der musikalischen Gegensätze geht weiter. Es ist Zeit für Michael Voss. Hat er sich gestern Abend bei der Show von Axel Rudi Pell noch im Hintergrund aufgehalten, darf der junge Mann nun mit seiner Gitarre direkt im Scheinwerferlicht stehen. Und das zu Recht. Michael ist nicht nur ein angesehener Produzent im Hardrockbereich, sondern auch mit CASANOVA und eben MAD MAX als Musiker sehr geschätzt. Einziges Problem, er würde gerne seinen deutschen Stempel ablegen und schielt unverhohlen über den großen Teich. Das schlägt sich sowohl in seiner Musik wieder, zeigt sich aber auch an der Kleinigkeit, dass er die kompletten Ansagen auf Englisch macht. Floskeln sind in meinen Augen kein Problem, aber ein bisschen Direktmarketing mit den anwesenden Rockfans kann nie schaden und bringt zusätzliche Sympathiepunkte. Da geht Lockerheit vor Professionalität. [Die englischen Ansagen liegen daran, dass die Band eine DVD mitschneiden wollte, die im Januar erscheinen soll. - Anm. R.S.]

Das ist dann aber auch tatsächlich der einzige Kritikpunkt an einer überaus gelungenen Show, die vor allem mit einer Old-School-Setlist aufwartet. Sehr guter und gelungener Schachzug. MAD MAX hat einen guten Sound und wirft die komplette Bandbreite in den Ring - von lässigen Rocknummern, Mid-Tempo-Stampfern, Up-Tempo-Songs und Balladen ist in den 45 Minuten alles mit dabei. Michael ist super bei Stimme und wirkt smart wie eh und je. Dem Publikum gefällt es. Leider trifft es wetterbedingt ausgerechnet die Münsteraner, denn während 'Lonely Is The Hunter' fängt es plötzlich zum ersten Mal kräftig an zu regnen. Der urplötzliche Regenguss treibt die Fans fluchtartig unter die Schirme im hinteren Bereich und fegt den Platz komplett leer. Was für ein Pech, denn eigentlich hätte der Auftritt definitiv auch die volle Sonne verdient. Das Quartett lässt sich aber nicht aus der Ruhe bringen und darf die kurz erschrockene Meute nach nur gefühlten neunzig Sekunden (noch während des gleichen Songs) zurück vor der Bühne begrüßen. Pünktlich zur 'Heaven And Hell'-Einlage während 'Lonely' ist es wieder gut gefüllt.

Die Anwesenden bereuen dies keine Sekunde, denn das ist qualitativ auf höchstem Niveau mit reichlich Retro-Charme und vertreibt die letzten Wehwehchen des Vortages wie im Fluge. Ausgerechnet bei der Ballade 'Thoughts Of A Dying Man' ist die Gitarre von Jürgen Breforth verstimmt, was aber ansonsten nur einen kleinen Schönheitsfehler darstellt. Als MAD MAX mit dem THE SWEET-Cover 'Fox On The Run' das Set beendet, sieht man nur glückliche Gesichter im vorderen Bereich. Was will man um diese Uhrzeit mehr? Ein voller Erfolg mit Sternchen.

Setlist: Burning The Stage, Night Of Passion, Rollin’ Thunder, Wait For The Night, Lonely Is The Hunter, Never Say Never Again, Thoughts Of A Dying Man, Fox On The Run

[Chris Staubach]


Nach dem Wetterchaos kommt EKTOMORF genau richtig. Zwar hätte beim Auftritt der Ungarn rein stilistisch der Regen besser gepasst, doch Zoltán Farkas und seine Kollegen lassen sich von der zurückgekehrten Sonne nicht beeindrucken. Wetter ist ihnen egal, Uhrzeit ist ihnen egal - bei ihrer ersten Show auf dem "Bang Your Head" wollen sie einfach nur all ihre aufgestauten Emotionen in die Welt hinaus schreien, der Gesellschaft beide ausgestreckten Mittelfinger entgegenrecken und das Messegelände ins Wanken bringen. Gewaltig, brutal und die totale Energie.

Als die Ungarn mit 'You Can’t Control Me', 'Face Your Fear' und dem grandiosen 'Last Fight' in ihr Set einsteigen wird gleich deutlich, dass sie dem klassischen "Bang Your Head"-Besucher zu hart und zu unmelodiös sind. Dem Rest gefällt es dafür umso mehr. Die Fronten sind klar verteilt. 'Hate', 'Fear', 'Fight', 'Fist', 'Fuck', 'Fire' – der Wortschatz ist begrenzt, dafür aber in voller Überzeugung vorgetragen. Hier wird im Akkord im Pulk geheadbangt, nur um Sekunden später gemeinsam zu springen, die Fäuste gen Himmel zu werfen, zu schreien und den ersten richtigen Moshpit des Tages zu starten. Ein Siegeszug. Der Sound tut dafür auch sein übriges, denn dieser ist klar, angenehm laut und vor allem kracht er wie eine Dampfwalze bis ins letzte Zelt auf dem Metalcamp. Das ist ganz großes Kino. Natürlich heftet ihnen zu Recht noch immer das Klon-Stigma an, zu Recht gelten sie als osteuropäische Antwort auf SEPULTURA und SOULFLY. Doch ich muss gestehen, dass mir EKTOMORF aktuell deutlich besser gefällt als die Originale. Ob man daraus eine Prinzipgeschichte macht, bleibt jedem selbst überlassen. Mir macht das Quartett Spaß und nach den vielen soliden Shows zuvor, freut es mich, dass eine Band bewusst aneckt und sich nicht darum schert, massenkompatibel zu sein.

Als die Ungarn mit dem brachialen 'Outcast' und 'Redemption' ihre fünfzig Minuten tonnenschwer und standesgemäß beschließen, schleiche ich mich selig zur Wassertränke, in der Gewissheit, gerade einem meiner persönlichen Höhepunkte des Festivals beigewohnt zu haben. Wenn ich die Zuschauerreaktionen zugrunde legen müsste, würde ich sagen, dass EKTOMORF ruhig auch noch die eine oder andere Position höher im Billing hätte stehen können. Das Messegelände bebte erstmalig an diesem Wochenende - im positiven wie im negativen Sinne. Immerhin.

Setlist: You Can’t Control Me, Face Your Fear, Last Fight, Show Your Fist, Souls Of Fire, Numb And Sick, Fuck You All, I Hate You, Outcast, Redemption

[Chris Staubach]


Nach den Ungarn darf jetzt mal wieder etwas Melodie kommen, finde ich. Da kommt mir Rob Rock natürlich absolut recht. Der Sänger, der für kraftvollen, melodischen Metal steht und ihn mit seinen Bands IMPELLITTERI, M.A.R.S. oder auch dem gestern aufgetretenen Axel Rudi Pell bereits häufig überzeugend dargeboten hat, ist aber im Namen seiner Soloband unterwegs, mit der er immerhin bereits vier ausnahmlos tolle Alben veröffentlicht hat. Seine Soloband besteht hauptsächlich aus schwedischen Musikern, darunter mit Andreas Olsson und Carl Johan Grimmark gleich zwei NARNIA-Mitglieder. Rob wird auch allgemein dem christlichen Metal zugeordnet, aber glücklicherweise schlägt sich das nicht so deutlich in seinen Songlyrics nieder.

Von Anfang an gibt er kräftig Gas und lässt so manche Matte schwingen. Dennoch ist es auffällig, dass vorne größere Lücken klaffen. Erst langsam kommen die Fans auf das Gelände, so ein Festival hinterlässt doch Spuren. Doch spätestens bei dem Doppel 'In The Night' und dem rasanten 'Slayer Of Souls' sieht man begeisterte Mienen, zumindest im vorderen Bereich, wo ich mich auch eingefunden habe, um fetten Metal, kraftvoll und mit Überzeugung vorgetragen zu genießen. Auch Grimmark ist wieder eine Freude, trotzdem scheint es, dass vor allem die Fans der Band da sind und so einige die Dosis White Metal, die ja anschließend noch mit STRYPER weitergehen wird, eher als Pause nutzen wollen.

Trotzdem schafft es Rob Rock, eine Dreiviertelstunde lang feinstes Bang- und Mitsingmaterial zu kredenzen, und spätestens bei 'I'm A Warrior' gibt es dann doch einige überzeugende Chöre auch aus dem Publikum. So bleibt ein kurzweiliger Gig, der genau die richtige Länge hatte und Rob sicher einige Sympathien eingebracht haben dürfte, zumal er als Sänger in die Champions League gehört, auch live.

[Frank Jaeger]


Es ist bestimmt schon mehr als zehn Jahre her, als der Veranstalter Horst Franz mal zu mir sagte, dass er gern BLACK SABBATH und STRYPER zusammen auf die Bühne stellen würde. BLACK SABBATH war ja schon in Form von HEAVEN AND HELL auf dem "Bang Your Head", und nun folgt also endlich auch STRYPER. Ich hatte die Jungs das letzte Mal 2010 in der Schweiz zu sehen bekommen und war von der Performance beeindruckt. Sicherlich spielte damals auch eine wesentliche Rolle, dass in der Halle rund 1000 eingefleischte STRYPER-Fans anwesend waren und eine entsprechende Stimmung verbreiteten. Dies ist auf dem "Bang Your Head" natürlich nicht zu erwarten, wobei mir schon den ganzen Tag über erstaunlich viele STRYPER-Hemd-Träger entgegen kommen. So ist auch in den vorderen Reihen eine Vielzahl von textsicheren Fans zugegen. In den gut gefüllten hinteren Reihen dagegen eher Interessierte, welche die Gelegenheit nutzen, die Amis in Augenschein zu nehmen.

Los geht es überraschenderweise mit dem Mitgröler 'Sing Along Song', gefolgt von dem Klassiker 'Loud 'N' Clear', den die Band kurzfristig unterbricht, um denjenigen, die ihn nicht kennen, die Chance zu geben ebenfalls mitzubrüllen. Es folgen 'Reach Out' und natürlich der Mithüpfer 'Calling On You'. Was bis dato schon auffällt, ist der überraschend gute Sound und die Perfektion, mit der die zweistimmigen Gitarrenlinien dargeboten werden. Und weiter geht es mit den Hits 'Free' und 'More Than A Man', bevor man mit dem KISS-Cover 'Shout It Out Loud' vom 2011er Album "The Covering" auch den Teil des Publikums anspricht, welcher die Alben der Band nicht auswendig kennt.

Es folgt mit 'Marching Into Battle' auch ein Track vom aktuellen Album "No More Hell To Pay", welcher sich nahtlos in die erstklassige Darbietung einfügt. Unerwarteterweise findet auch 'All For One' vom eher ungeliebten "Against The Law"-Album den Weg in die Setliste. Und dann ist es auch schon fast vorbei. Es kommen noch die Titellieder der Alben "Soldiers Under Command" und "To Hell With The Devil", ein kurzes "God bless you!" und schon ist ein kurzweiliger bis begeisternder Auftritt der Mannen um Goldkehlchen Michael Sweet vorüber. Ich freue mich schon darauf, wenn die Jungs wieder - im Programm mit BLACK SABBATH - auf dem BYH zu sehen sein werden.

Setlist: Sing Along Song, Loud 'N' Clear, Reach Out, Calling On You, Free, More Than A Man, Shout It Out Loud
Marching Into Battle, All For One, Soldiers Under Command, To Hell With The Devil

[Georg Weihrauch]

 

Georg, wenn wir da mal nicht auf das himmlische "Bang Your Head" warten müssen. Denn HEAVEN AND HELL ohne Dio ist ja dann auch nicht so der Hit, und BLACK SABBATH scheint aktuell eine etwas zu große Nummer fürs BYH zu sein. Nun aber zurück ins Diesseits: Lange ist es ja nicht her, dass uns Floridas Death-Metal-Veteranen in Deutschland heimsuchten, durfte ich OBITUARY doch jüngst erst zu Pfingsten in Gelsenkirchen bewundern. Und nun sucht das apokalyptische Kommando um die Gebrüder Tardy uns auch im Südwesten heim, als die mit Abstand extremste Band, die beim heurigen "Bang Your Head" auf der Hauptbühne zocken darf. Dräuend hängt der blutrote Logo-Backdrop über der Bühne, und John Tardy, der growlende, keifende, geifernde und ohne Unterlass seine blonde Matte schwingende Prediger des Weltuntergangs hat die Härtner im Frontbereich des Messegeländes voll im Griff, auch wenn natürlich zahlreiche Altrocker und Melonenfreunde das martialische Treiben zwischen brachialer Aggression und alles zermalmender Heaviness eher skeptisch beäugen oder gar das Weite suchen. Ich für meinen Teil finde es schön, dass sich die BYH-Veranstalter seit etlichen Jahren eben auch an die eine oder andere extreme Band wagen, denn auch hier gibt es eben Kapellen, die großartige Songs im Gepäck haben und das Publikum mit eingängigen Stücken mitreißen können. Das gelang bereits AMON AMARTH und IMMORTAL, und heute gelingt es OBITUARY, vor allem auch deshalb, weil der Mischer den wuchtigen Sound der Old-School-Deather ziemlich perfekt und drückend in Szene setzt, aber in erster Linie eben weil die Setlist passt. Mit den Klassikern der Neunziger, die vom Kaliber solcher Perlen wie 'The End Complete', 'Slowly We Rot' und 'Immortal Visions' sind, kann man eben nur wenig falsch machen, wobei natürlich schon auffällt, dass die Band den klaren Schwerpunkt auf ihre ersten drei Studioalben legt. Nur ein Song stammt nicht von "Slowly We Rot", "Cause Of Death" oder "The End Complete", und das ist mit 'Inked In Blood' ein brandneuer, bisher unveröffentlichter Song, der sich gut in die Setlist einfügt und auf ein bald erscheinendes neues Album hoffen lässt, auch wenn die Klassiker-Setlist ja leider doch den Eindruck vermittelt, dass neue Alben bei OBITUARY nicht mehr das Maß der Dinge sind. Aber was will man machen, wenn man am Nachmittag nur acht Songs spielen darf? Eben, da sind halt die alten Gassenhauer gebucht, und die hat das Quartett aus den Sümpfen heftig in die Meute gepumpt!

Setlist: The End Complete, Stinkupuss, Slowly We Rot, Inked In Blood, Immortal Visions, I'm In Pain, Chopped In Half, Back To One

[Rüdiger Stehle]


Nach dem Verklingen der letzten brachialen Walzentöne OBITUARYs bahnt sich beim Publikum vor der großen Balinger Bühne ein Schichtwechsel an, ist als nächstes doch UNISONIC angekündigt. Sozusagen die Antithese, die gut gelaunte, positive Seite der rockenden Musik, die folgerichtig auch den Regen vom Gelände vertreibt. Dass diese Band in Balingen eine massive Zugkraft entwickeln würde, das ist bereits im Vorfeld klar. Denn an einem Ort, an welchem nahezu alle alten Helden der klassischen Teutonik zur ersten Götterriege zählen, da sind natürlich auch die ex-HELLOWEEN-Ikonen Kai Hansen und Michael Kiske Teil des erweiterten Pantheons.

Dass das für Anfang August angekündigte neue Album "Light Of Dawn" zudem einen etwas härteren, schnelleren und metallischeren Ansatz verspricht als noch das eponyme Debüt, erhöht die Spannung zusätzlich, und so ist das Quadrat mehr als nur gut gefüllt, als die Protagonisten nach einem Intro vom Band die Bühne zu ihrem ersten Live-Auftritt seit 2012 betreten. Den Anfang macht das Quintett mit einem melodisch rockenden Doppeldecker vom Debüt, bevor mit 'For The Kingdom' die flotte Vorabsingle der kommenden Scheibe gewürdigt wird. Waren die Publikumsreaktionen bis dahin wohlwollend positiv, aber noch nicht euphorisch, so sorgt diese Livepremiere dann für den ersten Adrenalinschub bei den Anwesenden, denn die melodischen Speed-Passagen sind wahrlich nicht von schlechten Eltern.

Das folgende Triple vom Debüt hält dann das Stimmungslevel ordentlich oben, Michael Kiske kommuniziert mit dem Publikum, fühlt sich sichtlich wohl auf der Bühne und ja, es ist schön, dass der gute Mann offenbar seinen Frieden mit dem Metalpublikum gemacht hat, denn es frisst ihm ja quasi aus der Hand. Die Saitenfraktion um Sympathieträger Kai Hansen, Mandy Meyer und Dennis Ward sorgt zusammen mit Drummer Kosta Zafiriou für einen satten, massig rockenden Groove, und darüber schweben Kiskes wie immer meisterlich gesungene Hooklines, die auch die entspannte, von unzähligen Leuten mitgeklatschte Melodic-Nummer 'Exceptional' als weitere Livepremiere veredeln.

Damit strebt der Gig auch schon langsam seinem Ende zu, und wenn man so um sich herum ins Rund blickt, dann ist schon spürbar, dass das Auditorium - abgesehen natürlich von den fanatischen Supportern in den ersten Reihen - noch nicht ganz zufrieden ist. Der Grund dafür ist ganz simpel: Es fehlen noch die HELLOWEEN-Klassiker, und das Publikum in Balingen ist halt gemeinhin sehr auf die alten Hits fixiert. Wäre ansonsten TWISTED SISTER der Dauerheadliner? Eben! Und natürlich wissen auch die Unisonischen, dass sie nicht ohne ein Bratkürbis-Dessert von der Bühne zu gehen brauchen. Deshalb gib es ein richtig feines Finale aus 'March Of Time', dem UNISONIC-Debüt-Hit 'We Rise' und natürlich der obligatorischen Zugabe 'I Want Out', die abgefeiert wird, als gäbe es kein Morgen.

UNISONIC gelingt damit ein richtig starker Auftritt, der rundum positiv bewertet wird und kaum Wünsche offen lässt. Der einzig für die Band vielleicht etwas unbefriedigende Aspekt mag allenfalls sein, dass die überwiegende Mehrheit im Publikum im Zweifel auf die HELLOWEEN-Hits noch steiler geht als auf die schönen neuen UNISONIC-Songs. Doch dieses Los teilen so ziemlich alle Bands, die seit den Achtzigern aktiv sind. Warum soll es dann neuen Bands mit gestandenen Musikern aus jener Zeit anders gehen?

Setlist: Unisonic, Never Too Late, For the Kingdom, Star Rider, My Sanctuary, King for a Day, Exceptional,  March of Time (HELLOWEEN-Cover), We Rise, I Want Out (HELLOWEEN-Cover)

[Rüdiger Stehle]


Sehen wir nun den heimlichen Headliner des Festivals? Nichts gegen TWISTED SISTER und EUROPE, gerade auf die Schweden freue ich mich wie Bolle, aber ANTHRAX versprüht im Vorfeld ein ganz besonderes Flair. Mann, sie gehören zu den "Big Fuckin’ Four"! Noch Fragen? Das sehen anscheinend die meisten Besucher genau so, denn das Messegelände ist gestopft voll. Bis hinter den FOH-Turm stehen die Menschen gepresst und harren der Dinge, die da kommen mögen. Die Spannung steigt.

Als Scott Ian, Joey Belladonna, Frank Bello, Charlie Benante und Sologitarrist Jonathan Donais mit der Old-School-Keule 'Among The Living' und 'Caught In A Mosh' in ihr Set einsteigen, fällt direkt auf: Es ist laut. Vielleicht sogar etwas zu laut. Es klingelt ganz gut in den Ohren. Doch das Dargebotene fasziniert so sehr, dass man die leichten Ohrenschmerzen wohlwollend in Kauf nimmt. Die gesamte Band ist agil, allein das Energiebündel Frank Bello ist das Eintrittsgeld wert. Joey "Vogelscheuche" Belladonna ist super aufgelegt, scherzt mit dem Publikum und zerrt unentwegt irgendwelche Fotografen auf die Bühne, die ihn oder das Publikum in den unterschiedlichsten Posen fotografieren müssen. Einzig der gemietete Donais hält sich sogar unangenehm zurück, wirkt irgendwie verloren und deplatziert. Er spielt ordentlich, doch ein bisschen mehr Bühnenpräsenz und Aktionsradius könnte ihm und der gesamten Band gut zu Gesicht stehen - sofern erlaubt.

Der Sound wird im weiteren Verlauf des Sets besser, jedoch nicht leiser. Weiter geht es mit dem gefeierten Joe-Jackson-Cover 'Got The Time' und dem unverzichtbaren 'Indians', bei dem Sänger Joey auf den obligatorischen Indianerkopfschmuck verzichtet und das Publikum zum kollektiven "Wardance" auffordert. Wir kommen der Aufforderung nur allzu gerne nach. Danach halten alle kurz inne und bewundern ehrfürchtig die beiden Banner, die ANTHRAX enthüllen. Das eine ziert das Konterfei von Ronnie James Dio, das andere zeigt das Gesicht von Dimebag Darrel. Beiden verblichenen Musikern widmen die New Yorker das folgende 'Hym1/ In The End' vom aktuellen Album "Worship Music". Das erzeugt eine gewissene erhabene und bedächtige Stimmung im Auditorium. Doch die Moshkönige erhöhen umgehend mit 'Madhouse', 'Fight 'Em 'Til You Can't' und 'I Am The Law' das Energielevel wieder und bereiten das Publikum mit kräftigen Shoutchören-Warm-ups auf das unvermeidliche 'Antisocial' vor. Hier dreht Balingen noch einmal mächtig am Rad, schreit die Band fast an die Wand und spendet am Ende frenetischen Applaus. Zu Recht. Ein großer Auftritt, wegen dessen man solche Festivals besucht. Gewinner. [Echt? Freut mich, dass es dir so gefallen hat. Ich fand gerade 'Hymn 1' und 'Fight 'Em 'Til You Can't' mächtig langweilig. Und im übrigen ist John Bush sowieso der besser Sänger. Und mit ihm hatte ANTHRAX auch noch die besseren Songs. Nee, das ist ordentlich, aber ich bin dann doch froh, als es vorrüber ist. FJ]

Setlist: Among The Living, Caught In A Mosh, Got The Time, Indians, Hymn1/ In The End, Madhouse, Fight ’Em ‘Til You Can’t, I Am The Law, Antisocial

[Chris Staubach]


Ach ja, da kommen Erinnerungen hoch. Ta-ta-taaaa-ta, ta-ta-ta-ta-taaaa... Keyboard-Geplänkel, wallende Mähnen wie nach einer Haarspray-Explosion, Achtziger-Jahre-Geträller. Aber Moment mal, da war doch was. Richtig: Dann kam 2004 und das Album "Start From The Dark". Da war nichts mehr Achtziger, das war überraschend, rockig, großartig. Eine Band, die ihrem Stil treu blieb, aber trotzdem ihren Sound in die Moderne transferiert hatte. Mittlerweile sind vier Studioalben veröffentlicht, von denen eines besser ist als das andere und die gemeinsam EUROPE wieder an die Spitze des Melodic Metal katapultiert haben.

Die Band, deren Stars immer John Norum und der brillante Sänger Joey Tempest waren und sind, besteht nicht aus neuen, jungen Musikern um die beiden zentralen Figuren, sondern hat eine echte Reunion hingelegt. Keiner der Musiker ist später als 1984 zur Band gestoßen. Also nach dem zweiten Album und vor allem noch vor dem "Final Countdown". Diese Tatsache schlägt sich auch in der Setlist nieder, die sich ausgewogen präsentiert. Hier wird kein ewiggestriger Evergreen-Set gespielt, hier stehen fünf Musiker, denen das, was sie gerade machen, Spaß macht. Gleich mit zwei Liedern vom aktuellen Album "Bag Of Bones" wird dem Publikum klar gemacht, dass der Pensionsten-Tanztee nicht stattfinden wird. Zumindest nicht auf dem "Bang Your Head". 'Riches To Rags' ist einer der besten Songs, die die Band je geschrieben hat, und 'Firebox' ist einer der eher weniger kommerziellen Tracks. Macht aber nichts, Gefangene werden nicht gemacht. Dann rocken hier halt einige nach Liedern, die sie noch nicht kennen.

Wie zur Versöhnung wird 'Superstitious' hinterhergeschoben. Der Unterschied in Songwriting und Sound ist riesig, und vor allem ist das Pop-Rock, während die neuen Alben lupenreiner Hard Rock sind, bei dem sich Norum austobt und sogar eine Metal-Attitüde an den Tag legt, und Tempest beweist, dass er einer der großartigsten Sänger der Szene ist. Auch im Folgenden wechseln sich frühe Tracks mit aktuellem Material ab, sogar das 1984er Album "Wings Of Tomorrow" wird zweimal bedacht. Aber die Highlights im regulären Set sind das hymnenhafte 'No Stone Unturned' und 'Sign Of The Times', wobei letzteres zu großer Begeisterung anstiftet.

Die Band gibt sich souverän und wer dachte, dass die Herren auf dem "Bang Your Head" fehl am Platze sein könnten, sieht sich eines Besseren belehrt. Auch skeptische Gesichter lösen sich im Laufe des Gigs auf in Lächeln. Hier herrscht auch absolute Professionalität. Den meisten Bands ist die Bühne zu groß, sie können sie nicht ausfüllen, aber EUROPE ist das gewöhnt und nutzt die gesamte Breite zum Laufen, Turnen, Rocken. Mitten im Set dann ein Relikt der großen Rockzeiten, sozusagen der Kreidezeit des Rock: Ein Drumsolo. Aber eines mit eingespielten Samples, die es zu einem Song ohne Gesang machen. So geht das, sonst betrachte ich Drumsoli ja nur als Aufforderung zum Bier holen.

Ehe ich mich versehe, sind sieben Songs vorbei und wir bereits in der Mitte des Sets angekommen. Wow, das geht aber schnell heute. Irgendwann jetzt kommt normalerweise etwas Balladeskes. Man hat ja schließlich 'Carrie' im Köcher. Ich höre schon fast das gesamte Gelände mitsingen, auch wenn einige sich ob des kitschigen Achtziger-Jahre-Hits gerunzelter Stirnen nicht werden erwehren können. Aber noch nicht, es wird munter weitergerockt. Mensch, Joey Tempest ist wirklich unerhört gut bei Stimme!

Und dann kommt doch tatsächlich 'Rock The Night'. Moment mal. Das ist üblicherweise der letzte Song des regulären Sets. Und tatsächlich, die laut singende Menge wird zurückgelassen, um die Band natürlich noch einmal herauszuholen. Kein 'Carrie'. Können die das machen? Ja, die können das, sagt Herr Mon. Statt dessen gibt es als Zugabe sogar noch einen recht aktuellen Song. 'Last Look At Eden' vom gleichnamigen 2006er Album ist in der Tat zugabewürdig, eine Art moderner Klassiker in der Bandhistorie. Danach kommt das Unvermeidliche. Wie eingangs angedeutet: Ta-ta-taaaa-ta, ta-ta-ta-ta-taaaa...! "The Final Countdown" muss natürlich sein.

Am Ende stehen sieben Songs aus den 2000ern sieben Songs aus den Achzigern gegenüber und werden durch 'Girl From Lebanon' von 1991 ausbalanciert. EUROPE hat mehr gerockt als einige andere Bands, denen man die Berechtigung, auf einem Metalfestival zu spielen, sicher weniger abgesprochen hätte. Ein ziemlich volles Gelände mit gut unterhaltenen Musikfans spricht für die Schweden, und ich bin begeistert. Der einzige Kritikpunkt ist das Weglassen von 'Carrie'. Meine Tochter ist darob sehr enttäuscht.

Setlist: Riches to Rags, Firebox, Superstitious, Scream of Anger, No Stone Unturned, Wasted Time, Girl From Lebanon, Drum Solo, Sign of the Times, Demon Head, Love Is Not the Enemy, Let the Good Times Rock, The Beast, Rock the Night, Zugabe: Last Look at Eden, The Final Countdown

[Frank Jaeger]


Jo, und der Rüdiger ist auch enttäuscht. Warum? Weil er EUROPE nicht sehen kann, sondern zu ATLANTEAN KODEX in die Halle muss. Nichts gegen den KODEX, ganz im Gegenteil, ich habe die Band sehr gerne, aber während ich die Oberpfälzer schon diverse Male bewundern durfte, wäre es mein erster EUROPE-Gig gewesen. Da ist sie einmal mehr berechtigt, die Kritik am Doppelbühnenbilling, und mir scheint auch die Band auf den Hallenbrettern nicht ganz glücklich ob der Situation. [Genau - und ich hätte nämlich diesen Auftritt auch gerne gesehen! Das nur der Vollständigkeit halber. Ich bin alt, ich will old school, und old school ist eben nur eine Bühne! FJ] Sänger Markus Becker beklagt ein wenig lakonisch, aber auch augenzwinkernd, dass ihm viele Leute gesagt hätten, dass sie schon gerne ATLANTEAN KODEX sehen würden, aber da leider bei EUROPE vor der Bühne stehen werden, und Gitarrist Manuel Trummer stimmt auch einmal ein wenig sarkastisch 'Carrie' an. Frank, vielleicht hättest du mit deiner Tochter da in die Halle kommen sollen, da wären wenigsten drei Sekunden des Songs erklungen.

Doch möge das Lamento an dieser Stelle enden, denn zum einen ergeht sich die Epik-Metal-Front nicht lange darin, über die Überschneidung zu jammern, sondern sie macht das, was sie am besten kann: Getragene, gefühlvolle und intensive Hymnen des epischen Stahls werden zelebriert, und eines steht fest: Dafür, dass eine Band im Quasi-Headliner-Rang eben draußen Welthits vom Stapel lässt, ist die Halle verdammt gut gefüllt. Der KODEX hat sich in den wenigen Jahren seiner Existenz ein stattliches Gefolge erspielt, und dieses Gefolge ist grabestreu und ziemlich textsicher. Der Prozentsatz der Mitsinger ist auch heute wieder gigantisch, und selbst der bisweilen deutlich epikmüde und etwas ausgelaugte Rezensent kann sich dieses Mal der Magie der Jungs und ihrer Mucke nicht erwehren. Mit acht stattlichen Longtracks füllt das Quintett aus Vilseck seine Setlist vortrefflich, und vor allem 'Sol Invictus', 'Pilgrim' und 'Heresiarch' sorgen für ausgiebiges Mitsingen, während das folkloristische 'A Prophet In The Forest' stilecht von einem Intro aus THIN LIZZYs von SKYCLAD gecovertem Hit 'The Emerald' eingeleitet wird.

Als dann mit der zugegebenen Bandhymne 'The Atlantean Kodex' die epische Messe ihr Ende findet, gibt es viel Applaus für die sympathisch, unaffektiert und voller Hingabe an die Musik auftretenden Jungs, und doch muss ich noch einmal darauf zurück kommen: Es ist schade, dass eben nur der harte Kern der KODEX-Fans in der Halle war, der die Band eh schon kennt. Mit einem Slot ohne Überschneidungen oder auf der Hauptbühne, hätte die Band sicher noch ein paar neue Fans mehr dazu gewinnen können.

Setlist: Enthroned In Clouds And Fire, Sol Invictus, Pilgrim, From Shores Forsaken, Heresiarch, A Prophet In The Forest, Twelve Stars and an Azure Gown, The Atlantean Kodex

[Rüdiger Stehle]



Nach dem Ende des AK-Sets sind mir dann doch noch einige Songs von EUROPE vergönnt, und selbst den letzten Countdown darf ich mitfeiern, bevor es mich wieder in die Halle ruft, zu DELAIN. Den niederländischen Symphonikern mit dem für ihr Land durchaus typischen Bombast-Metal mit Frauenstimme, massig Keyboards und wuchtigem Riffing und Schlagwerk widme ich sodann die Umbaupause zum Headliner TWISTED SISTER. Das Quintett stellt ausgiebig sein neues Album 'The Human Contradiction' vor und flicht auch älteres Material ein. Die Halle ist ganz ordentlich gefüllt, doch der Zuspruch ist deutlich weniger intensiv als kurz zuvor bei ATLANTEAN KODEX. Dennoch, es überrascht mich schon, dass auch dieser sehr zeitgemäße und kommerzielle Stil doch so viele Anhänger in Balingen hat. Aber ich will nicht unfair sein: Auch wenn symphonischer Keyboard-Bombast mit Frauenstimme mit meiner Metalwelt herzlich wenig zu tun hat, macht die Band ihre Sache nicht schlecht und Sängerin Charlotte Wessels liefert eine energetische Vorstellung ab. Dennoch, für mich sind das nicht genug Gründe, zu verharren, so dass ich nach vier oder fünf Songs der Niederländer dann doch vor die Hauptbühne abwandere, wo eben vom Band das obligatorische 'It's A Long Way To The Top (If You Wanna Rock 'n' Roll)' von AC/DC erklingt, das eben nur Eines ankündigen kann: Den Headliner aller Balingen-Headliner!

[Rüdiger Stehle]

Balingen ist TWISTED SISTERs "own ground". Keine Band durfte so oft den Headliner des "Bang Your Head" geben wie die verdrehten Schwestern um Oberschwester Dee Snider. Manch einer beschwert sich dann im Vorfeld stets über das langweilige Billing, doch Leute, die Beziehung des Festivals, seines Publikums zu dieser Band aus New York ist einfach etwas ganz Besonderes, und das bringt Jay Jay French heute auch prosaisch perfekt auf den Punkt. Der Mann redet viel, fast so viel wie Joey DeMaio, doch es hat etwas mehr Substanz. Er referiert über Bands, die immer das gleiche erzählen, über Sinn und Unsinn von Casting Shows, aber eben auch über das Verhältnis von TWISTED SISTER zu Balingen, darüber, dass die Reunion nur kam, weil man sich das nach dem Dee-Snider-Sologig in Balingen so sehr gewünscht hatte, und dass diese phänomenale Reunion-Show am Fuße der Zollernberge eben der Grundstein für all das war, was seither für die Schwestern und ihre Fans noch folgen sollte.

Nach solch großen Worten, die er - worauf er Wert legt - eben nur in Balingen ans Publikum richten kann, wird die Magie dann doch irgendwie greifbar, und wenn ich so in meinen Erinnerungen krame, dann habe ich tatsächlich TWISTED SISTER nirgendwo sonst so intensiv erlebt wie in Balingen. Allein schon wenn man sich in Erinnerung ruft wie 2001 das Publikum noch eine halbe Stunde nach dem Gig, im strömenden Regen im Menschenstau vom Gelände walzend, unisono 'We're Not Gonna Take It' sang, dann spürt man, wie sehr das BYH-Publikum und TWISTED SISTER eins sind, und auch heuer passiert es wieder: Nach den obligatorischen Klassikern wie den Titelsongs der Alben zwei und drei, sowie dem nicht minder überragenden 'Shoot 'Em Down' vom Debüt folgen erst einmal die seltener gespielten Highlights von "Stay Hungry" (zum 30. Jubiläum der Scheibe), namentlich 'Captain Howdy' und 'Steet Justice', bevor es dann eben wieder so weit ist: Die Band zockt 'We're Not Gonna Take It' und muss dreimal eine Reprise starten, weil das Publikum einfach nicht aufhört, den Refrain weiter zu singen. Eine Szene, von der die meisten Bands eben nur träumen können.

Was gibt es sonst zu erzählen? Nun, die Schwestern sind heute ohne Fummel und Schinkkasten am Start, schlicht in Jeans und Leder, wenig Hairdo, außer Meister Dee natürlich, der die Locken ausgiebig wehen lässt. Die Setlist bietet im weiteren Verlauf erwartungsgemäß wenig Überraschungen, zu hoch ist einfach die Dichte der Klassiker, die gespielt werden "müssen". Einzig das dem Bandfreund Lemmy gewidmete MOTÖRHEAD-Cover 'Born To Raise Hell' ist nicht zu erwarten gewesen und wird intensiv dargeboten, so dass einige Leute sagen: "Hoffentlich können wir den Lemmy auch noch mal in Balingen als Headliner sehen!". Als dann die Zugabe mit 'Come Out And Play', einem Vorgeburtstagsständchen für Mark Mendoza und dem unverzichtbaren Hinausschmeißer 'S.M.F.' verklingt, sind die meisten Leute auf dem Gelände ziemlich glücklich und das großartige Feuerwerk darf den Hauptteil des Festivals beschließen.

Setlist: Stay Hungry, Shoot 'Em Down, You Can't Stop Rock 'n' Roll, Horror-Teria (The Beginning) feat. Captain Howdy & Street Justice, We're Not Gonna Take It, The Kids Are Back, I Believe In Rock 'n' Roll, Born To Raise Hell (MOTÖRHEAD-Cover), The Fire Still Burns, The Price, Burn in Hell (including Drum Solo), I Wanna Rock, Zugabe: Come Out And Play, Happy Birthday, S.M.F.

[Rüdiger Stehle]


So, der Headliner ist in den letzten Zügen, und weil zeitgleich mit dem Ende des TWISTED SISTER-Sets meine alten US-Metal-Lieblinge von OMEN in ihre Show starten sollen, stürme ich noch direkt während der letzten Takte von 'Come Out And Play' in Richtung Halle. Doch Pustekuchen! Irgendwelche Spezialisten hielten es für eine gute Idee, die Security bereits die direkte Verbindung zwischen Gelände und Halle zu sperren, so dass der geneigte Hallenbesucher erst komplett vom Gelände musste und auf der Hallenseite dann wieder hinein. Tolle Sache! Wirklich! Zwar kriege ich dafür auch noch 'S.M.F.' am Rande mit, aber als ich abgehetzt in die Halle komme, da ist der klassische OMEN-Opener 'Death Rider' schon in den letzten Zügen. Alles nicht so schlimm, doch was schlimm ist, das ist die Tatsache, dass sehr viele Leute sich nach dem Feuerwerk nicht mehr die Mühe machen, vom Gelände zu gehen und nochmals zurück in die Halle, sondern eben gleich den Weg zum Campingplatz oder nach Hause antreten. Wie schon bei ATLANTEAN KODEX so ist halt auch hier schade, dass die Umstände verhindern, dass mehr Leute eine tolle Band sehen können.

Doch nun zu dem, was auf der Bühne geschieht. Nach dem sehr durchwachsenen Gig der kalifornischen Wahltexaner beim "Metal Assault" in Würzburg musste Sänger Matt Story, der umstrittenste Mitmusiker der Axtschwinger um Kenny Powell, seinen Hut nehmen und wurde durch den Rückkehrer Kevin Goocher ersetzt, der schon einmal von 1998 bis 2009 elf Jahre lang in den ominösen Diensten stand, und sowohl gesanglich als auch in Sachen Auftreten und sympathische Wirkung seinen Vorgänger locker in die Tasche steckt.

Der heutige Auftritt der Band, die vom einzigartigen Urdrummer Steve Wittig (der auch ein kleines Solo spielen darf) und dem langjährigen Stammbasser Andy Haas vervollständigt wird, ist indes nicht perfekt. Kevin macht seine Sache toll und besticht nicht nur stimmlich, sondern er baut auch einen tollen Kontakt zum Publikum auf. Kenny indes hat mächtige technische Problem mit seinem Guitar-Rack, was den guten Mann so sehr auf die Palme bringt, dass ich teilweise schon Angst habe, dass er gleich die Axt in die Ecke wirft und den Gig beendet. Seine Bandkameraden bringen ihn aber doch wieder herunter, und irgendwie schafft es dann ein fleißiger und unentwegter Techniker, einen Zustand herzustellen, mit dem Kenny leben kann und der es auch dem Publikum ermöglicht, die Songs in anständigem Sound zu genießen.

Was gibt es sonst zu berichten? Nun, es werden fast alle obligatorischen Klassiker gespielt, natürlich auch mein ewiger Favorit 'Ruby Eyes'. Als Überraschung geht allenfalls '1000 Year Reign' vom mit Kevin Goocher aufgenommenen Studioalbum "Eternal Black Dawn" (2003) durch, dafür fallen die zuletzt im Programm befindlichen Stücke vom geplanten Album "Hammer Damage" ersatzlos weg. Das bringt mich dann schon wieder ins Grübeln, ob wir dieses Album wirklich irgendwann zu hören bekommen, und ob es Kevin neu einsingen wird. Eine weitere kleine Überraschung bietet dann das gerne genommene Highlight 'Don't Fear The Night', das Kevin heute im Duett mit seiner Tochter Devon Goocher singt, die in den USA ein klitzekleines Popsternchen zu werden scheint. Eine nette Einlage nach der sowohl die Energie der Band als auch das Mitsingpotential zum Ende hin mit der Hit-Kanonade aus 'Battle Cry', 'Teeth Of The Hydra' und der letzten Zugabe 'Die By The Blade' noch einmal ins Unermessliche steigt.

Jedenfalls habe ich mein Festival-Highlight erwartungsgemäß mit der letzten Band erlebt. Die letzte Band ist ja auch der Headliner, oder nicht? Jetzt bin ich jedenfalls heiser und glücklich, und ich freue mich riesig, dass ich mir das tolle OMEN-Shirt mit dem roten Bandlogo am Merch geholt habe. Auch wenn die Auftritte technisch und spielerisch nicht immer höchsten Ansprüchen genügen, so ist OMEN für mich doch eine der ganz wenigen Bands, die ich immer und überall sehen kann und will. Am liebsten jeden Monat! Jetzt macht mir noch das verdammte neue Album fertig, Leute, und dann ist wirklich alles gut! Das sehen wohl auch die Veranstalter so, denn für die Balingen-Show 2014 ist OMEN schon wieder bestätigt, und ja, ich freue mich riesig darauf!

Setlist: Death Rider, Dragon's Breath, Ruby Eyes (Of The Serpent), The Axeman, 1000 Year Reign, Last Rites, Warning Of Danger, Be My Wench, Don't Fear The Night (feat. Devon Goocher), In the Arena, Termination, Battle Cry, Teeth Of The Hydra, Zugabe: Die By The Blade

[Rüdiger Stehle]

Redakteur:
Rüdiger Stehle
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