Alchemist - Berlin

27.06.2008 | 11:13

24.06.2008, Festsaal Kreuzberg

Eine der innovativsten Bands dieses oft viel zu konventionellen Planets kommt in die deutsche Hauptstadt, weder die Europameisterschaft noch sonstige wichtige Veranstaltungen machen Konkurrenz - und dennoch kommen nur gefühlte 50 Nasen, um einen seltenen Hauch Genialität von der Südhalbkugel zu schnappen. Diese ernüchternde Erkenntnis steht nach diesem Dienstag im Festsaal Kreuzberg. Und dabei haben die australischen Sound-Magier von ALCHEMIST sogar noch zwei klasse Vorbands mit am Start, alles zum Vorzugspreis von zehn Euro ...

Die Ungerechtigkeit, die das Tourleben von kleineren Bands manchmal schreibt, müssen zuerst FAUST AGAIN ertragen. Doch lassen sich die Polen kaum von der spärlichen Kulisse beirren und beackern die Zuschauer mit einer sehr spielfreudigen Metalcore-Variante, die sich als apokalyptisch anmutender Neo-Thrash mit spannenden Melodien entpuppt. Besonders fällt dabei Marcin "Pysh" Pyszora auf, der nicht nur ein schickes DEATH-Shirt trägt, sondern auch eine extrem variable Stimme besitzt. So schreit er nicht nur im üblichen Metalcore-Stakkato, sondern vermag durchaus melodisch zu singen. Dies gibt der ohnehin interessanten Mischung noch ein paar Farbtupfer mehr, Songs wie 'To Dwell On Thoughts Of You' oder 'What Misery Means' von der aktuellen "Hope Against Hope"-Scheibe werden von den Fans lautstark beklatscht. Wie entspannt die Atmosphäre an diesem Abend ist, zeigt auch die Ankündigung des Songs 'Among The Grey Masses', die Pyszora all jenen widmet, die etwas anderes machen - zum Beispiel am Dienstagabend ein Konzert besuchen. Ein Besucher ruft als Antwort: "I know what you mean". Und Pyszora grinst. Eine sehr sympathische Band, die den etwas behäbigen Soundcheck zu Beginn vergessen lässt.

Denn es ist bereits fast 23 Uhr, als VOLTRON auf die Bühne kommen. Die Berliner haben offenbar vergessen, ihrer heimischen Fanschar vorher Bescheid zu geben - das Besucherinteresse an dem Abend bleibt jedenfalls gleich bleibend gering. Doch die Hauptstädter lassen sich wie schon FAUST AGAIN nicht irritieren und zocken ihren recht breaklastigen Doom-Core mit großer Intensität. Wie stark er nämlich auch innerlich mitbrüllt, zeigt ihr Frontmann Señor Kato, der erst einmal den Mikroständer umreißt. Dazu hat die gesamte Saitenfraktion coole Posen gelernt, wie sie Gitarre und Bass optisch möglichst toll einsetzen. Und das Publikum gewöhnt sich sichtlich schnell an den schwer schleppenden VOLTRON-Sound, der oft ausladend lange Gitarrenpassagen bietet. So suchen sich Stücke wie 'Triathlon' oder 'Blossom Of Despair' sehr fett ihren Weg durch rauchgeschwängerte Luft, zumal der Sound ordentlich differenzierten Krach entstehen lässt. Da bleibt die Ankündigung eines "Disko-Stücks" logischerweise nur ein Witz, der als 'Back To Black' schwer scheppernd durch den Saal walzt. Eine harte Doom-Schule, das!

In gar keine Kategorie lassen sich dagegen ALCHEMIST einordnen. Maximal die Sparte Psycho Metal passt. Unglaublich spielfreudig beginnen sie gegen Mitternacht ihr Set - und wirbeln sich quer durch die mehr als 15 Jahre währende Bandhistorie. Zum optischen Fixpunkt wird Gitarrist und Sänger Adam Agius, der mit unglaublicher Leidenschaft seine Songs spielt, singt und schreit. Denn auf der Bühne klingen Kompositionen wie 'Wrapped In Guilt' oder das schon wesentlicher betagte 'Yoni Kunda' noch einen Zacken schärfer als auf den vielen Alben der Australier. So zaubern sie in Berlin, brillieren, setzen ihre mitgebrachten Keyboardmaschinen für geniale Hintergrundspielereien der elektronischen Art ein. PINK FLOYD on Metal, so lässt sich dieses Schauspiel beschreiben. Entsprechend laut fällt der Szenenapplaus nach Songs wie 'Nothing In No Time' oder 'Great Southern Wasteland' aus. Ein weiterer Vorteil von ALCHEMIST als Live-Band zeigt sich bei solchen Perlen auch: Die Songs sind mit je drei bis vier Minuten kurz genug, den Gig über seine gesamte Dauer abwechslungsreich und spannend zu halten, psychedlische Urkraft auf latent orientalischer Basis zu zelebrieren. Nur eines nervt in diesem Rausch: Offenbar gehen bei der Sound-Mischerin die Hirn-Pferde durch und sie dreht immer lauter, lauter, lauter ... ALCHEMIST als Düsenjet, der über einem landet. Doch auch das ist egal, das Ohrfiepen ist tags darauf schon Geschichte. Aber nicht die Erinnerung an eine völlig losgelöst auftrumpfende Band, die mit dem finalen 'Grasp At Air' noch einmal ihre Wandlungsfähigkeit demonstriert und eine Ballade serviert, auf die TIAMAT in ihren besten Zeiten stolz gewesen wären. Wer die nicht oft in Deutschland gastierenden ALCHEMIST verpasst hat, darf sich jetzt in den Arsch beißen.

Redakteur:
Henri Kramer

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