TURNER, JOE LYNN: Interview mit Joe Lynn Turner

18.03.2005 | 18:53

Mr. Joe Lynn Turner gehört zu jener Gattung Sänger, die einen unverkennbaren Stil besitzen und auch als feste Institution im Musikbusiness gelten. Er versteht es, jedem seiner Projekte seinen eigenen Stempel aufzudrücken und hat sich damit quasi selbst zu einem "Trademark" gemacht. Mit "The Usual Suspects" hat der Amerikaner gerade sein neuestes Werk unter dem Banner JLT veröffentlicht und damit wieder einmal bewiesen, dass Melodic Rock in der heutigen Zeit nicht zwangsläufig banal und (nur) nett sein muss, sondern auch kräftig rocken kann.

Chris:
Zunächst muss ich dir erst einmal ein großes Lob aussprechen, denn meiner Meinung nach ist "The Usual Suspects" eines der besten Melodic-Rock-Alben der letzten zehn Jahre. Wie waren denn die Reaktionen bisher seitens der Presse und der Fans?

Joe:
Die Reaktionen sind von beiden Seiten sehr positiv im Moment. Das finde ich natürlich gut und bin wirklich dankbar dafür.

Chris:
Könntest du dir vorstellen, dass es eine Art Revival des Melodic Rock geben wird?

Joe:
Das scheint in Europa tatsächlich so zu sein. Das ist wunderbar. In Amerika geht die Tendenz anscheinend auch immer mehr dahin, dass die Künstler ihr Handwerk auch wirklich verstehen, singen und auch gut spielen können. Nicht mehr nur noch "one hit wonders".

Chris:
Du warst in den letzten Jahren mit ziemlich vielen Projekten beschäftigt. Gib uns doch mal bitte einen kleinen Überblick, welche Bands noch bestehen, und welche Bands nur als einmaliges Projekt ausgelegt waren.

Joe:
BRAZEN ABBOT und HTP (Glenn Hughes/ Joe Lynn Turner Project) sind mehr einmalige Projekte, denn ich habe bei beiden Sachen schon einige Alben gemacht. Die ganzen Tributealben, auf denen ich gesungen habe, kann man als Einzelprojekte ansehen, da es keine kompletten Alben oder richtige Bandprojekte waren. Ich hoffe, das beantwortet deine Frage.

Chris:
Klingt zumindest übersichtlicher als ich es mir vorgestellt hatte. Wenn du einen Song geschrieben hast, wie entscheidest du, zu welcher Band er passt beziehungsweise auf welches Album er kommen wird?

Joe:
Der Song muss zur jeweiligen Stimmung eines Albums oder eines Projekts passen. Das kann man nicht wirklich erklären. Manchmal schreibe ich einen Song und er passt einfach nicht zu dem Album, an dem ich gerade arbeite. Dann hebe ich ihn auf und verwende ihn irgendwann später.

Chris:
Die Musik auf "The Usual Suspects" ist fast wie eine Zeitreise durch deine musikalische Vergangenheit. Songs wie 'Jack Knife' oder 'Unfinished Business' erinnern ein wenig an DEEP PURPLE und der Geist von RAINBOW scheint eh allgegenwärtig. War das geplant oder eher Zufall?

Joe:
Das Album hat sich einfach selbst so entwickelt; war ein richtiger Selbstläufer. Es gab keine vorgegebene Richtung, obwohl ich zugeben muss, dass viele Leute in der Musikindustrie, Fans und Freunde mir nahegelegt hatten, so eine Platte zu machen. Es war also eigentlich ein bisschen von beidem. Ein bisschen Zufall und ein bisschen Planung.

Chris:
Operation gelungen, muss man da wohl sagen. Besonders die beiden Opener 'Power Of Love' und 'Devil's Door' sind ein richtiger starker Einstieg für die Platte. Die Songs sind wirklich heavy, was ich sehr mag...

Joe:
Wir möchten immer mit einem starken Opener beginnen. Danke für das Kompliment. Es freut mich, dass es dir gefällt. Wir legen immer sehr viel Wert auf die Songreihenfolge einer Scheibe. Viele Leute haben mir gesagt, dass die vier ersten Songs auf "The Usual Suspects" wirklich sehr stark sind, aber sie meinten auch, dass es noch viele weitere gute Sequenzen auf diesem Album gibt. Aber ich freue mich, dass du das Gefühl hast, die Scheibe startet mit einem "bang". :-)

Chris:
'Live And Love Again' ist eine klassische, aber sehr starke Ballade. Sie erinnert ein wenig an BON JOVI. Hat da dein Produzent ein wenig Einfluss gehabt?

Joe:
Du spielst wahrscheinlich auf Gary Tole an, der bereits mit BON JOVI gearbeitet hat, aber er war unser Engineer und nicht der Produzent. Ich glaube, die Nähe zu BON JOVI ist eher eine geographische Geschichte, weil wir alle in New Jersey aufgewachsen sind und immer New York Radio gehört haben. Wir werden alle von unserem Umfeld beeinflusst.

Chris:
Was kannst du mir zu den Songwritern auf der Platte sagen? Wie läuft so eine Zusammenarbeit ab?

Joe:
Ein paar der Songs wurden bereits vor ein paar Jahren geschrieben, aber es gab nie wirklich einen Platz für sie auf einer der früheren Platten, an denen ich bis jetzt beteiligt war. Während des Songwritingprozesses machen wir oft erst einmal einen Roughmix des Songs und arbeiten dann alle daran, um den Song noch zu verfeinern. Chris Marksbury, mit dem ich bereits am ersten Album von JLT gearbeitet habe, kam erneut mit super Material an. Mein lieber Freund und Produzent, Bob Held, hat auch sehr vieles beigetragen, was er ja eigentlich immer macht. Ein alter Freund, Vick Le Car, kam auch mit einigen Songs an. Außerdem habe ich gemeinsam mit meinem Kumpel von HIT SQUAD, Ricky Byrd, der unter anderem bereits mit JOAN JETT zusammengearbeitet hat, einige gute Stücke geschrieben.

Chris:
Auf deinem neuen Album hast du wieder mit einigen fantastischen Musikern zusammen gearbeitet. Hältst du noch richtige Auditions ab, oder fragst du sie einfach, ob sie Bock haben?

Joe:
Ich habe eigentlich nur die "gewöhnlichen Verdächtigen" (the usual suspects) zusammen gerufen, haha... Die brauchen keine Audition mehr, weil ich weiß, dass sie gut sind und immer gute Arbeit abliefern. Ich bin immer dankbar für ihren Beitrag.

Chris:
Was bedeutet der Albumtitel "The Usual Suspects"? Ist das nicht der Titel eines Films?

Joe:
Ich kann verstehen, dass einige Leute denken, ich hätte ihn von diesem Film mit Kevin Spacey, den ich übrigens sehr gut finde, aber eigentlich kommt der Albumtitel überhaupt nicht davon. Die Leute, mit denen ich oft zusammen Songs schreibe und die auf meinen Alben spielen, saßen einfach nur herum und wir dachten daran, dass wir uns immer selbst als die "üblichen Verdächtigen" bezeichnen. So kam uns plötzlich die Idee zu diesem Titel. Wir dachten: Was für ein geiler Name für eine Scheibe. Die Musiker, die auf diesem Album gespielt haben, sind Leute, die immer für mich da waren. Sie haben immer ihre Zeit, Energie und ihr Talent während all meiner Höhen und Tiefen für mich geopfert. Wir waren in den Neunzigern alle als JLT ALL STAR BAND zusammen auf Tour. Auch hat jeder einzelne auf mindestens einer meiner Platten in der Vergangenheit gespielt.

Chris:
Viele Leuten sagen: "Wo Joe Lynn Turner draufsteht, ist auch Joe Lynn Turner drin." Ist das für dich ein Kompliment?

Joe:
Es ist immer ein "Trademark", egal ob gut oder schlecht, wenn man dich sofort erkennt und du aus der Masse herausragst. Ich sehe das eher als Kompliment. Individualistisch zu sein ist ein Kompliment.

Chris:
Du hast in deiner Karriere schon so viele Texte geschrieben. Woher nimmst du noch immer deine Inspirationen?

Joe:
Aus meinem persönlichen Leben; genauso wie aus dem Leben anderer. Wenn mir etwas auffällt, schreibe ich darüber. 'Really Loved' zum Beispiel entstand aus einem Gespräch heraus, dass ich mit meiner Schwester hatte. Es geht dabei nicht um mich, aber dieses Gespräch war einfach der Auslöser für diesen Text.

Chris:
Wofür brauchst du länger: eine gute Gesangsmelodie für einen Refrain oder einen kompletten Text?

Joe:
Das geht immer Hand in Hand. Du kannst witzige Texte haben oder gute Melodien. Wenn du den Song entwickelst, musst du beides noch verstärken und miteinander verschmelzen.

Chris:
Wie entscheidest du letztendlich, ob ein Refrain stark genug ist oder nicht? Gibt es irgendwelche Freunde oder deine Familie, deren Meinungen du einholst?

Joe:
Alle, die du genannt hast. Ich spiele das Material alten Freunden und Leuten aus dem Musikbusiness vor, bevor ich mich endgültig festlege. Ich muss immer wissen, ob es das gewisse Etwas hat, wenn du weißt, was ich meine. :-)

Chris:
Habt ihr "The Usual Suspects" analog aufgenommen, oder habt ihr die digitale Variante mit all seinen Kopiermöglichkeiten genutzt?

Joe:
Manchmal doppeln und kopieren wir bei den Chören, um eine bestimmte Performance, Leidenschaft und Gefühl zu erreichen. We do sometimes stack and fly.

Chris:
Singst du lieber am Morgen oder eher in den Abendstunden? Hast du irgendwelche Studiotipps für junge Sänger?

Joe:
Ich denke, ich bin eher ein Abendtyp, aber manchmal geht meine Stimme auch in den Keller, wenn die Stunden vergehen. Am besten wäre es, gegen 13 Uhr anzufangen und gegen 22 Uhr aufzuhören. In dieser Zeit wird aber ja nicht nur gesungen, denn Pausen sind wichtig. Mehr als sechs Stunden Gesang am Tag würde ich nicht machen. Es ist vor allem wichtig, sich zu entspannen und sicher zu stellen, dass das Gespür für Melodie, Text und Gefühl stimmen, damit du die Lines nicht zu oft wiederholen musst. Wenn du dauernd singen musst, ist deine Stimme bald am Ende. Ein guter Sänger bringt in drei oder weniger Takes seine Lines auf Band.

Chris:
Woran arbeitest du gerade?

Joe:
Wir sprechen gerade über ein neues Album von MOTHER'S ARMY. Weiterhin arbeitete ich an einer Rockoper über Galileo mit dem Titel "Stargazer". Die Leute, die diese Geschichte planen, sind die gleichen Leute, die "We Will Rock You" auf die Beine gestellt haben. Außerdem läuft das HIT SQUAD PROJEKT hier in den Staaten gerade sehr gut. Auch habe ich einige gute Songs mit Nikolo Kotsev und BRAZON ABBOT geschrieben. Diese Scheibe sollte bald auf den Markt kommen. Du kannst alles darüber auf meiner Website nachlesen: joelynnturner.com

Chris:
Eine Frage muss ich aber zu deiner Zeit mit YNGWIE MALMSTEEN loswerden, denn "Odyssey" ist meiner Meinung nach das beste Album des Schweden bisher. Hast du gute Erinnerungen an diese Zeit, oder willst du, wie viele andere Kollegen, die mit Yngwie gearbeitet haben, an diese Zeit nicht mehr erinnert werden?

Joe:
Danke für deine netten Worte. Ich liebe dieses Album und es war toll mit Yngwie zu arbeiten. Ich habe unglaubliche Erinnerungen daran. Es war fantastisch alle diese Shows in Russland zu spielen. Und auch der große kommerzielle Erfolg von "Odyssey" hat sich für mich gelohnt. Ich habe später noch einmal mit Yngwie für "Inspirations" gearbeitet. Das war eine tolle Zeit. Er war so freundlich und hat mich gefragt, welche Songs ich auf der Scheibe singen wollte. Wenn die Situation es für uns beide erlauben würde, könnte ich mir vorstellen, noch einmal mit ihm zu arbeiten. Yngwie ist brillant.

Chris:
Wow, das überrascht mich aber jetzt. Nun gut, wie sieht es aus mit einer Tour durch Europa mit JLT?

Joe:
Wir schauen gerade, ob es logistisch möglich ist, eine Europatour zu fahren. Noch ist nichts entschieden, aber wir hoffen, bald nach Europa kommen zu können, um die Platte zu promoten. Wir würden wirklich gerne nach Europa zurückkommen. Wir hatten eine tolle Zeit mit der Tour von HTP im letzten Jahr und hoffen, euch alle bald wieder zu sehen.

Chris:
Deine letzten Worte an deine deutschen Fans ...

Joe:
Ich liebe euch alle wirklich sehr und wenn ich es nicht für euch tun würde, hätte ich weniger Freude an dem, was ich mache. Ihr gebt mir alle sehr viel Energie und Mut, um weiter Musik zu machen.

Redakteur:
Chris Staubach

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