TOURETTES SYNDROME: Interview mit Michele

01.11.2006 | 13:23

"Sicksense" heißt die soeben erschienene CD der australischen Band TOURETTES SYNDROME, die in den Sommermonaten auch die ein oder andere Show auf deutschen Festivals abgeliefert hat. Im Vordergrund steht die burschikose Shouterin Michele, die sich jedoch, wie sich im folgenden Interview erweist, mit ihrer maskulinen Art ungern in Schubladen einordnen lässt. Introspektive Reflexionen über die Rolle der Frau in der Metalszene sind ihr Ding nicht...

Erika:
Zunächst möchte ich gerne mit Fragen zur Geschichte der Band und ihren Mitgliedern starten. Ich habe gelesen, dass ihr mit TOURETTES 1999 begonnen habt. War das eure erste Band oder habt ihr vorher in anderen Bands Erfahrungen gesammelt?

Michele:
Die Jungs haben in zu vielen Bands gespielt, um sie alle zu erwähnen... ich glaube, in fast allen Stilrichtungen, die es gibt. Was mich betrifft, ist das meine erste Band. Ich habe schon bei ziemlich krassem Scheiß eine Gastrolle gespielt (STRAPPING YOUNG LAD, THE HARD ONS), aber das gehört der Vergangenheit an.

Erika:
Wurdet ihr als Teenies von euren Eltern dabei unterstützt, ein Instrument zu lernen?

Michele:
Fuck no! Ich habe überhaupt keine Unterstützung erhalten. Ebenso wenig die Jungs, dafür sind sie überraschend gut.

Erika:
Habt ihr eure Instrumente in der Schule oder auf einem Konservatorium gelernt oder eher "learning by doing"?

Michele:
Die Jungs sind richtig ausgebildet, ich bin Straßenabschaum. Wir ergänzen uns gegenseitig perfekt.

Erika:
Hast du jemals was anderes gemacht als Rock bzw. Metal?

Michele:
Ich hab alles Mögliche gesungen. Ich mag das einfach und ich kann meine Stimme derart verändern, dass du es dir nicht vorstellen kannst! Aber da meine Stimme so kaputt klingt, denke ich, dass sie zu dem passt, was ich jetzt mache. Beim Metal fühle ich mich am besten und habe die meiste Power.

Erika:
Habt ihr musikalische Idole, irgendwelche Bands, die euch beeinflusst haben?

Michele:
Die Liste ist sooo lang! Klar gibt es die! Alle aus unterschiedlichen Gründen und auf verschiedene Weise. Meine TOP 3 in Australien sind für mich nicht nur als Band wichtig, sondern auch als Freunde. Du tätest gut daran, dich mal mit THE HARD ONS, BLOODDUSTER und POD PEOPLE vertraut zu machen. Sie alle haben meine DNA in der ein oder anderen Weise total verändert. Henry Rollins hat ebenfalls einen großen Schatten auf mein Leben geworfen.
Und wer bei mir an der Spitze steht?
LYNYRD SKYNYRD, PANTERA, COC, FNM, SLAYER, GUNS 'N' ROSES, SOUNDGARDEN, MINISTRY, BLACK SABBATH, ROSE TATTOO, AC/DC... die Liste ist endlos!

Erika:
Als ich "Sicksense" gehört habe, hatte ich Schwierigkeiten zu entscheiden, in welches Genre ihr eigentlich passt. Da sind Elemente des Death Metals, aber auch Sequenzen mit
Hard-Rock-Gitarre. In einem Artikel eines anderen Online-Magazins hat man euch mit PANTERA verglichen. Wo siehst du euch selbst?

Michele:
Das Ding mit PANTERA kommt in letzter Zeit immer wieder auf und ich finde, es ist das fetteste Kompliment! Ich meine, fuck! Das ist so cool! Ich denke, ich würde nicht da stehen, wo ich heute bin, wenn mir diese Typen nicht damals über den Weg gelaufen wären. Ich sehe uns nicht in irgendeinem Genre und ich weiß, dass das für die Leute am Anfang schwierig ist, aber das ist es, aus dem neue Sachen entstehen. Das Zeug, das am Anfang überhaupt nicht an dich geht, das wächst dir ans Herz. Ich bin ein weißer Thrash-Metalhead aus einer Kleinstadt, der sich für Messer, lustige Pornos und Henry Miller interessiert. Die Jungs sind gut ausgebildete musikalische Killermaschinen aufgetankt durch ihre Entschlossenheit, Joints und billiges deutsches Bier. Zieh deine eigenen Schlüsse was, zum Teufel, das für einen Sound gibt.

Erika:
Als ich zum ersten Mal eure CD gehört habe, habe ich mich über deine Stimme gewundert. Du bist ja nun keine von diesen Frauen, die wie ein Vögelchen zwitschern. Hast du irgendeine spezielle Technik, um so zu singen?

Michele:
Da wunderst du dich? Hehehe... Kann ich mir vorstellen. Ich klinge so wie ich bin, weil ich als ich aufgewachsen bin denselben Scheiß gehört habe wie du! Ha! Meine Stimme wird kräftiger je mehr wir damit machen, was gut ist und obwohl ich es manchmal vermisse, war das Beste, was ich tun konnte, das Rauchen aufzugeben. Ich weiß nicht, was zu Hölle ich tue oder warum ich so klinge, aber ich kann mich nicht beklagen.

Erika:
Hattest du je Gesangsunterricht?

Michele:
Nein, nie.

Erika:
Hast du eine Beziehung zur klassischen Musik?

Michele:
Ich liebe sie, habe aber keine Beziehung dazu wie du es meinst.

Erika:
Soweit ich weiß, lebt ihr alle in Australien, wo ihr eure ersten Schritte in Richtung musikalischen Erfolges gemacht habt. Wie seht ihr euch selbst in Australien? Seid ihr schon berühmt?

Michele:
Fuck no! Wir leben, wo immer die Band uns hinverschlägt. Ich hab kein Geld, besitze nichts... Jesus! Ich bin froh, in einer relativ bekannten Band zu spielen, die ordentlich Arsch tritt, aber wir haben uns den Arsch aufgerissen, um so weit zu kommen. Wie sehe ich mich selber zu Hause? Für gewöhnlich sehe ich mich selbst, wie ich in Australien hinter irgendeiner Bartheke stehe und versuche, nicht irgendwelche ungehobelten Leute zu killen, so dass ich genug Geld zusammenbekomme, um wieder in den Bus zu steigen und von vorne anzufangen. Ganz schön sexy, was? Kinders, bleibt in der Schule! Haha! War bloß ein Witz!

Erika:
Könnt ihr von der Musik leben?

Michele:
Wenn wir unterwegs sind, trägt sich die Sache selbst. Aber wir nehmen Arbeit an, wo immer wir welche bekommen. Es kostet einen Arsch voll Geld, Flüge aus Australien raus zu zahlen.

Erika:
Hat sich dein Leben sehr verändert, seit ihr mit TOURETTES SYNDROME erfolgreicher geworden seid?

Michele:
Es hat sich alles so allmählich entwickelt, dass ich das gar nicht richtig bemerkt habe. Die Leute tendieren dazu, zu glauben, dich zu kennen und in gewisser Weise glaube ich auch, dass sie es tun. Es ist lustig, durch die Gegend zu laufen und mitzubekommen, wie die Leute über dich reden, sich aber nicht trauen, dich anzusprechen. Je mehr du dich in der Presse präsentierst und auf Tour gehst, desto verrückter kann das werden. Aber mir ist das egal, ich liebe meinen Job. Ich würde ihn nicht machen, wenn ich keine Lust hätte, mich dafür anzustrengen.

Erika:
Welche Veränderungen missfallen dir?

Michele:
Wenn ich nicht unterwegs bin, lebe ich die meiste Zeit in Australien in einem kleinen Dorf. Ich bin ein Einsiedler. Kein Telefon. Kein Internet. Himmel. Wie du dir vorstellen kannst, habe ich das vermisst, als ich im Winter nach Europa kam. Dauernd belauert zu werden, war ein Tiefpunkt. Irgendwelche betrunkenen Leute, die sich kloppen wollten. Nicht so wichtig.

Erika:
Wie wichtig ist es für dich, in Europa erfolgreich zu sein?

Michele:
Ich will überall erfolgreich sein mit allem, was ich tue. Warum sonst die Plagerei? Wir haben hier einen festen Stamm aufgebaut und wir wollen keinen Rückzieher machen.

Erika:
Soweit ich weiß, hattet ihr einen Gig auf dem Wacken Open Air. Ich hab ihn leider nicht gesehen, obwohl ich auf dem Festivalgelände war. Wie hast du die Reaktionen der Fans bewertet?

Michele:
Dein Pech! Es war großartig! Keiner wusste, wer wir sind, aber das machte mir nichts aus. Wir sind rausgegangen und haben um unser Leben gespielt. Alle Leute, die ich getroffen habe, waren echt begeistert. Ziemlich cool!

Erika:
Eure CD wurde auch in Israel und der Türkei veröffentlicht. Hattet ihr schon die Gelegenheit, in diesen Ländern live zu spielen?

Michele:
Bis jetzt nicht, aber wir arbeiten dran für das nächste Jahr. Ich habe Mails von zig Typen aus der Gegend da bekommen, die wollen, dass wir dort spielen. Je mehr sich das rumspricht, desto länger wird die Tour. Nichts könnte mich mehr freuen!

Erika:
Ich hatte den Eindruck, dass du dich auf den beiden Videoclips zu 'Stand' und 'Gear live 2006' eher maskulin präsentierst. Liege ich da richtig?

Michele:
Süße, ich bin 1,83 groß, übersät mit Tattoos und klinge wie eine Motorsäge. Glaubst du, da mache ich einen auf niedlich?

Erika:
In 'Stand' sieht man dich verwickelt in blutige Kämpfe mit irgendwelchen Kerlen. Welche Bedeutung haben solche Sequenzen für dich?

Michele:
Hast du je den Film "Fight Club" gesehen? Tja, bitte schön...

Erika:
Nach meiner Auffassung sind toughe Frauen in der Metalszene immer noch in der Minderheit. Die meisten kommen als zart besaitete Rockladys herüber. Siehst du das auch so?

Michele:
Darüber denke ich nicht nach. Jeder hat mehr als eine Facette – sollte man doch meinen. Ich würde sagen, da ist Platz für alles. Ha! Und für jeden Regentropfen blüht eine neue Blume... sicher! Ich finde, die Leute sind bescheuert, wenn sie ihr Geschlecht in den Vordergrund rücken und nicht das, was sie tun wollen. Du fragst mich all diese Fragen, ob ich mich selbst als männlich, weiblich sehe... Wen, zum Teufel interessiert das! Okay, dich interessiert das, aber es ist nichts, was ich mir auf die Fahnen schreiben will. Es ist nichts, womit ich mich hochtrabend ausführlich beschäftigen will. Da habe ich Besseres zu tun. Frauen im Metal interessieren mich einen Scheiß, genau so wenig wie Männer im Metal. Mich interessiert nur die MUSIK! Das Talent zählt... siehst du worauf ich hinaus will?

Erika:
Welche Reaktionen erntest du mit deiner etwas anderen Art. Ist das nur ein Image oder bist du auch in Wirklichkeit eine kämpferische Frau?

Michele:
Meinst du die Art, wie ich aussehe oder wie ich klinge?
Das ist gemischt. Es gibt eine Menge engstirniger Motherfucker da draußen, das sag' ich dir. In Wirklichkeit? Ich glaube, ruhiger als du erwarten würdest. Ich habe es nicht nötig, herumzustolzieren und irgendetwas zu beweisen Ich bevorzuge meine eigene Gesellschaft. Ich trainiere hart, lese und schreibe viel. Und ich nehme keine Drogen, falls es das ist, was du meinst.

Erika:
Gibt es noch irgendwas, verbunden mit der Musik, was du betonen möchtest, etwas, von dem du möchtest, dass die Fans es erfahren?

Michele:
Ihr seid das Wichtigste für uns, wir alle stecken doch in der gleichen Scheiße. Wenn ihr wissen wollt, wo ihr mich findet, schreibt mir unter der Kontaktadresse auf unserer Site. Ihr wollt wissen, was on the road passiert oder was in meinen Nächten abgeht? Ich habe eine Homepage unter dem Namen "Whitetrash" eingerichtet:
http://www.myspace.com/tourettessf4l
http://www.tourettes.com.au
Wir sehen uns auf Tour.

Erika:
Können die deutschen Fans damit rechnen, dass ihr im nächsten Jahr auf eine Clubtour hierher kommt?

Michele:
Absolut! Haltet ein Auge auf unsere Website wegen der Termine. Wir sind gerade überall. Ihr wisst nie, wo ihr Glück habt.

Erika:
Danke, dass du dir Zeit genommen hast für dieses Interview und viel Glück für eure nächsten musikalischen Schritte.

Redakteur:
Erika Becker

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