THE OCEAN: Interview mit Robin Staps

28.12.2010 | 16:34

THE OCEAN haben nur wenige Monate nach dem starken "Heliocentric" mit "Anthropocentric" den zweiten Teil dieses als Bruderwerk zu verstehenen Albums veröffentlicht. Wir sprachen mit Bandkopf Robin Staps.


Zuallererst mal Gratulation zum neuen Album "Anthropocentric", welches mir wie schon "Heliocentric" sehr gut gefällt. Insgesamt erscheint mir das Album aber etwas spröder und lotet dabei die Pole sehr viel mehr aus. Gerade der Titelsong und das Instrumental könnten auch auf "Precambrian" oder "Fluxion" stehen, währenk 'For He That Wavereth' wohl der anmutigste Song der Bandgeschichte ist. Ist das eine Beobachtung mit der du konform gehst?


Ich finde es immer spannend, wie verschiedene Leute das wahrnehmen. Ich würde meinen, die meisten hielten "Heliocentric" für das schwierigere und polarisierendere Album. Die Spanne dort zwischen ganz ruhigen, Klavier-basierten Stücken und harten Nummern ist dort am Extremsten und das Album fordert Metalfans viel Toleranz und Aufgeschlossenheit ab.

"Anthropocentric" wurde erstmals als echtes Bandalbum aufgenommen, wo auch alle am Songwriting beteiligt waren. War das für dich eine große Umstellung, die Ideen der anderen aufzunehmen und einzubauen? Oder war das einfach der nächste Schritt der Entwicklung hin zur "echten" Band, die ihr ja zu Beginn eher nicht gewesen seid?


Es war eine Herausforderung anderer Art. Da waren einerseits grossartige Songs, die ich nicht selbst geschrieben hatte, die aber trotzdem nach THE OCEAN klangen. Das fand ich sehr cool und es bewies mir einmal mehr, dass ich endlich das Line-up für diese Band gefunden habe, nach dem ich immer gesucht habe. Gleichzeitig war das Material der einzelnen Stücke des Albums sehr heterogen und vielfältig, Jonas Songs waren doch irgendwo ganz anders als meine und Louis‘ Track passte zunächst auch nicht so richtig ins Bild - dachte ich. Die Herausforderung bestand darin, das alles unter einen Hut zu bringen und dabei nicht das grosse Ganze, das Album, aus den Augen zu verlieren. Da hatte ich anfangs ziemlich Bedenken, aber am Ende haben sich all diese Sorgen zerstreut: der einheitliche, etwas rauere Sound verbindet die Songs und die Brüche, die es gibt, machen das Ganze nur interessanter und stören überhaupt nicht.

Auch hinter "Anthropocentric" steckt ein Textkonzept, das sich vor allem um die Frage dreht, wie die Rolle des Menschen im Universum zu definieren ist: Mittelpunkt oder Randerscheinung. Geh' doch da bitte mal etwas in die Tiefe.

"Anthropocentric" setzt die Kritik am Christentum fort, die wir mit "Heliocentric" begonnen haben. Der Mensch im Zentrum des Universums, wie es viele Hardcore-Christen heute noch sehen wollen, ist das übergeordnete Thema. Wir sind bei den beiden Alben gewissermassen anti-chronologisch vorgegangen: Eigentlich hätte ja "Anthropocentric" das erste Album sein müssen, gefolgt von der aufgeklärten heliozentrischen Sichtweise. Wir haben es umgekehrt gemacht, weil wir mit "Anthropocentric" darauf anspielen, dass es heute, über 400 Jahre nach der heliozentrischen Wende, immer noch weit verbreitete Glaubensströmungen gibt, die den Menschen im Zentrum des Universums sehen wollen und sich auch dementsprechend verhalten bzw. daraus die Rechtfertigung ableiten, mit der Erde umzugehen wie mit einem Wegwerfartikel. Ich sehe im Christentum die ursprüngliche und noch heute fortwirkende Ursache für diesen Anthropozentrismus. Das Christentum ist eine Handlungsanweisung zur Selbstzerstörung. Davon handelt der Song "Anthropocentric".

Im Zentrum des Albums stehen drei Songs, die alle den Titel 'The Grand Inquisitor' tragen, Bezug nehmend auf das gleichnamige Kapitel in Dostojewskis Roman "Die Brüder Karamasow". Die drei 'The Grand Inquisitor'-Episoden stellen verschiedene Perspektiven und Teilaspekte des selben Dialogs zwischen den Brüdern Ivan, dem Atheisten und Aljoscha, dem Mönch, dar. Grundsätzlich geht es um das Theodizee-Problem: wenn Gott allmächtig, allwissend und gütig ist, wie Christen das gerne hätten, dürfte es konsequenterweise kein Übel geben. Nun gibt es das aber offenbar doch, was im logischen Umkehrschluss bedeutet, dass Gott, sofern es ihn denn gibt, zumindest eine dieser drei Eigenschaften nicht haben kann: denn wäre er gütig, würde er das Übel nicht wollen und wäre er allmächtig, dann stünde es auch in seiner Macht, dies zu verhindern... usw. In 'The Grand Inquisitor II: Roots & Locusts' geht es um Ivans Perspektive und sein emotionalstes und gleichzeitig stäkstes Argument: Ivan erzählt grausame Anekdoten von gefolterten Kindern und Tieren, areligiösen und damit also gewissermassen unschuldigen Wesen also, und sagt: "selbst wenn es Gott gäbe, würde ich nicht einem Gott huldigen wollen, der diese fürchterliche Welt, in der solche Dinge möglich sind, toleriert". Ein solcher Gott gehöre bestraft. Parallel spricht hier auch der Grossinquisitor selbst zu Jesus und spielt auf die biblische Legende von der Versuchung Christi an.

Nun war "Heliocentric" kein Album, das man nach fünf Durchgängen abgefrühstückt hatte und von da an nicht mehr gehört werden musste. Befürchtest du nicht, dass mit der schnellen Veröffentlichung von "Anthropocentric" die Aufmerksamkeit zu früh von "Heliocentric" gelenkt und das Album dadurch ggf. etwas stiefmütterlich behandelt wird?

Das könnte sein, aber ich denke die Entscheidung, beide Alben getrennt und kurz aufeinanderfolgend zu veröffentlichen, war dennoch die beste von allen Alternativen. Alles auf einmal wäre zu viel gewesen - da hätten wir unseren eigenen Songs keinen Gefallen mit getan. Und den regulären Albenzyklus abzuwarten, dafür waren wir zu ungeduldig und ausserdem hätte das den Eindruck, dass die beiden Alben zusammen gehören, gestört. Ich denke, wir haben das schon richtig gemacht und es ist auch so, dass viele Leute, die mit "Heliocentric" anfänglich ihre Schwierigkeiten hatten, nun wo "Anthropocentric" raus ist, auch mehr Zugang zu "Heliocentric" finden, das habe ich schon öfter gehört jetzt. Die beiden Alben machen eben erst im Bund so richtig Sinn.

Haben sich mit "Heliocentric" deine Erwartungen an Verkäufen, Feedback etc. eigentlich erfüllt? Und wie ist die Reaktion bisher auf "Anthropocentric"? Wird es ähnlich aufgenommen oder sind die Reaktionen sehr unterschiedlich?

Die Spanne der Reaktionen auf "Heliocentric" reichte von euphorischen Liebeserklärungen bis hin zu Briefbomben-Androhungen. Ich finde das gut, das Album polarisiert enorm. Wir haben auf der gegenwärtigen Tour viele Leute getroffen, deren erster Kontakt mit der Band das "Heliocentric"-Album war. Auf der anderen Seite konnten manche Fans unserer härteren Alben mit den Klavierstücken oder dem cleanen Gesang nichts anfangen, was ich auch durchaus verstehen kann. "Das ist doch kein Metal mehr", hab ich hier und da gehört. Ist es auch nicht - so what? Wir haben uns nie als Metal-Band gesehen und haben uns seinerzeit bewusst einen Namen ausgesucht, der es uns ermöglichen würde, stilistisch machen zu können, worauf immer wir Bock haben. Wenn jemand nun ausschließlich Metal hört und alles Andere kacke findet, ist das sein gutes Recht, dann sind wir halt die falsche Band für ihn. Wenn man genau hinsieht, sind das immer dieselben Meckerköppe gewesen, die nichts besseres zu tun haben, als den ganzen Tag in Foren abzuhängen und scheisse zu labern. Das interessiert mich nicht. Live schlugen die "Heliocentric"-Stücke auf der Tour jeden Abend ein wie eine Bombe.

"Anthropocentric" wird alles in allem sehr viel besser geschluckt als "Heliocentric". Es scheint, als hätten die Leute verstanden, wo wir hin wollen. Viele sagen auch, dass sich ihnen "Heliocentric" erst durch "Anthropocentric" erschlossen hätte, dass das erste Album erst durch das zweite seinen Sinn und Platz bekommt.

Ihr seid kurz vor Release des Albums noch mit THE DILLINGER ESCAPE PLAN unterwegs gewesen. Wird es jetzt noch eine Headliner-Tour geben, wo die beiden "-Centric"-Geschwister besonders im Mittelpunkt stehen?

Ja, die wird es geben, im März 2011.

Bei dem letzten Interview stand gerade das von dir mitorganisierte "Friction Fest" vor der Tür. Wie ist das denn aus deiner Sicht gelaufen? Was hat besonders gut geklappt, was lief völlig schief? Und - am wichtigsten - wird es eine Neuauflage geben?

Es war sehr geil, wir haben durchweg positives Feedback von Besuchern und Bands bekommen und deshalb wird es auch dieses Jahr eine zweite Auflage des Festivals geben: vom 21.- 23.04. im "Berghain". Wir haben uns mit Berlins wohl bekanntestem Club für elektronische Musik verbündet und sind sehr froh, dass wir das "Berghain" von unserem Konzept begeistern konnten. Das Berghain nutzt den kommerziellen Erfolg seiner legendären Parties auch dafür, um experimentelle Konzerte durchzuführen. So haben bereits SUNN0))) und im Dezember SHRINEBUILDER im "Berghain" gespielt . Das "Berghain" ist die ideale Location für ein Friction Fest: nicht bloss, weil wir Reibung diesmal auch zwischen Gitarrenmusik und elektronischer Musik erzeugen wollen, sondern auch, weil das dortige Soundsystem deutschlandweit seinesgleichen sucht. Die New York Times hat das "Berghain" vermutlich auch deshalb den "besten Club der Welt" genannt. Es gibt eine sehr positive Atmosphäre der Zusammenarbeit zwischen allen Beteiligten. Bands stehen derzeit erst wenige fest (CASPIAN, EARTH, JULIE CHRISTMAS, IMAAD WASIF, OWEN PALLETT, SABBATH ASSEMBLY, WEEDEATER - PK), aber wir bieten bereits Tickets an. Mehr auf der Festival-Homepage.

Redakteur:
Peter Kubaschk

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