THEORY IN PRACTICE: Interview mit Henrik Ohlsson

01.01.1970 | 01:00

Die frickelnden Schweden von THEORY IN PRACTICE können sich in diesem Jahr zusammen mit ebenfalls erfreulich unkonventionellen Truppen wie ESQARIAL das Prädikat "besonders wertvoll weil innovativ" voller Stolz an die Brust nageln. Zwar dürfte die Fangemeinde deutlich geringer sein, als dies bei "normalen" Proggies der Fall ist - aber es handelt sich immerhin auch um progressiv/technischen Death Metal.
Sänger Henrik Ohlsson stand mir per eMail für einen kurzen, aber auch recht abgehobenen und tiefsinnigen Plausch zur Verfügung:

Rouven:
Was habt ihr denn bisher an Feedback zu "Colonizing The Sun" einfangen können?

Henrik:
Das war größtenteils richtig gut. Ich denke, mit der neuen Platte haben wir deutlich mehr Leute erreicht als nur Musiker, was wohl an der eher straighteren Ausrichtung von "Colonizing The Sun" liegt (straight?! Nicht wirklich... - d. Verf.). Ich habe letztens mit einem Webzine-Betreiber gesprochen, und der fand die neue Scheibe wirklich klasse, obwohl er normalerweise ganz und gar nicht auf technischen Metal steht. Das spricht sicherlich für uns. Wir hatten eine Menge Interviews mit Magazinen in ganz Europa, und auch die Reviews waren meistens sehr gut. Allerdings hatten wir auch für unsere anderen Alben gute Bewertungen bekommen, so dass das nicht wirklich was neues ist - wir sind verwöhnte Bastarde, haha!
Aber ernsthaft, das Album wurde gut aufgenommen, wir sind damit zufrieden, und unsere Plattenfirma ebenfalls.

Rouven:
Im Vergleich zu den vorhergehenden Alben ist "Colonizing The Sun" äußerst technisch geraten. Wie kam es dazu?

Henrik:
Hm, eigentlich ist es viel straighter geworden, das sagen wir zumindest, und auch die meisten Kritiker konnten sich darauf einigen. Wir wollten einige einfachere Songstrukturen einbringen, da wir sonst immer einen höllischen Stress im Studio hatten, mit nur zwei Wochen Zeit, die uns zur Verfügung standen. Als wir unser zweites Album, "The Armageddon Theories", aufgenommen hatten, sagte unser Gitarrist Peter, dass er nie wieder solch ein technisches Album machen wollte, alleine schon, weil es so ewig lange dauert, das ganze Zeug aufzunehmen. Es ist wirklich zum Kotzen, wenn du ein extrem technisches Death Metal-Album in nur zwei Wochen aufnehmen musst, da hast du gar keine Zeit, um dich richtig kreativ zu entfalten. Peter und ich gründeten dann ein Side-Project namens MUTANT, für das wir bei Listenable Records einen Plattenvertrag erhielten. THEORY in PRACTICE lag derzeit auf Eis, bis wir für unsere Hauptband ebenfalls bei Listenable einen Vertrag erhielten. Das war dann zwei Jahre nach dem letzten Album, und wir waren voller Elan, wieder eine Scheibe aufnehmen zu wollen. Und damals schon stand fest: Wir werden ein wenig straighter. Natürlich wollen wir unsere Roots nicht verlassen, es sollte schon ein progressives Death Metal-Album werden. Glücklicherweise haben wir "Colonizing The Sun" dann in Peters eigenem Studio aufgenommen und hatten so anstelle der zwei Wochen den ganzen Sommer des letzten Jahres. Und doch ist es nicht mehr so technisch...

Rouven:
Gibt es denn dieses Mal - wie schon auf dem Vorgänger-Album - ein lyrisches Konzept? Falls nicht, um was drehen sich die Texte im Allgemeinen?

Henrik:
Nein, die neue Scheibe ist kein Konzeptalbum. Wir hatten uns darauf geeinigt, die Songs unabhängig voneinander zu schreiben, und ich habe dasselbe bei den Lyrics gemacht. Ich würde sagen, die Songtexte kann man im Prinzip in zwei Kategorien einordnen. In der ersten wären "okkulte" Songs, es geht also um paranormale Phänomene, etwas magisches oder auch um Außerirdische. Diese Ganzen Sachen basiere ich dann auf einer Person, die es auf dieser Welt gibt oder gab, um es glaubhafter wirken zu lassen, so dass der Hörer sich möglicherweise auch damit identifizieren kann. In die zweite Kategorie gehören "prophetische" Songtexte, diese Lyrics beschreiben düstere Zukunftsvisionen. Ich versuche dabei zu beschreiben, dass die Menscheit lediglich mit technischem Fortschritt, aber ohne das Level geistig zu erreichen, diese Technologie irgendwann einmal lediglich für niedere und böse Absichten nutzen wird.

Rouven:
Was inspiriert euch denn in Sachen Musik und Texte?

Henrik:
Musikalisch gesehen werden wir von einer Menge Sachen beeinflusst. Wenn wir alle zusammen spielen, dann sind wir in einer konstanten Vorwärtsbewegung drin, aus der ein jeder seine eigenen musikalischen oder auch lyrischen Ideen schöpfen kann. Das ist wie ein eingebauter Turbo-Drive. THEORY IN PRACTICE ist wie ein Blitzableiter, der es uns erlaubt, die überschüssigen Energien in etwas Kreatives umzuwandeln. Die Tatsache, dass wir in Fleisch und Blut existieren ist dabei die tiefgründigste Inspirationsquelle - darüber kann man nämlich endlos philosophieren.

Rouven:
Wieso habt ihr eigentlich den 70´s-Hit "This Town Ain´t Big Enough For Both Of Us" gecovert?

Henrik:
Das haben wir nur so zum Spaß gemacht. Wir haben den Song absichtlich am Ende der Platte untergebracht, so dass die Leute wissen, dass es sich lediglich um eine Art Bonus-Track handelt. Da steht echt keine tiefere Bedeutung oder Absicht dahinter. Komischerweise fragt uns das aber jeder Journalist.

Rouven:
Habt ihr eigentlich vor, auf Tour zu gehen? Schon irgendwelche Pläne, auch hinsichtlich der Begleit-Bands?

Henrik:
Leider haben wir noch gar keine Tour-Pläne. Wir spielen hier und dort mal ein paar kleine Gigs, im Juni spielen wir beim Parkrock in Schweden. Aber sonst läuft da noch gar nichts, wir haben wohl einige Gig-Möglichkeiten in Europa, aber da laufen noch nicht mal die Verhandlungen.

Rouven:
Welche Bands und/oder Musiker haben denn THEORY IN PRACTICE besonders beeinflusst?

Henrik:
Als ich die Band 1995 mit Peter gegründet haben, waren wir deutlich beeinflusst von Bands wie MEKONG DELTA, ATHEIST und auf jeden Fall auch DEATH. John McLaughlin, das Mahavishnu-Orchester waren ebenso Inspirationsquellen wie Al DiMeola oder ein Typ namens Philip Glass. So gesehen kommt alles von technischem Death Metal bis hin zu Fusion als der Grundstein von THEORY IN PRACTICE in Frage. Natürlich darf man auch die Klassik nicht vergessen.

Rouven:
Das technische Level auf "Colonizing The Sun" ist schlichtweg atemberaubend. Wann habt ihr mit dem Musizieren angefangen?

Henrik:
Wir haben alle im frühen Jugendalter angefangen. Ich persönlich mit Schlagzeug mit dreizehn, habe dann aber auch Saiteninstrumente gespielt. Matthias ist eigentlich Keyboarder, er hat mit dem Bassspiel erst begonnen, als er zur Band hinzukam. Peter hingegen hat immer nur Gitarre, Gitarre und nochmals Gitarre gespielt. Der hat früher wie ein Verrückter geübt. Patrick, unser neuer Drummer, hat auch schon eine lange Band-Geschichte hinter sich. Auch wenn wir jetzt nicht alle im gleichen Alter sind, haben wir doch alle in etwa zur gleichen Zeit angefangen, Musik zu machen.

Rouven:
In den letzten Jahren war ja nicht gerade viel in Sachen progressivem/technischem Death Metal los. Viele Leute sind der Meinung, dass diese Mucke viel zu kompliziert und überladen ist. Wie siehst du das, und was hältst du von der momentanen "Szene"?

Henrik:
Also ich hatte immer die Meinung, dass progressiver Death Metal rult! Was denn sonst? Es hat ja auch was, den ganzen "normalen" Bands mal zu zeigen, was man denn auf den Instrumenten alles machen kann, haha!
Ich hör´ mir auch gerne straighte Sachen an, für mich ist das technische Level kein Muss. Ich finde es allerdings armselig, dass sich jemand dieser progressiven Musikrichtung verschließt, nur weil sie es nicht auf Anhieb kapieren. Meiner Meinung nach verpassen solche Leute auch eine gesamte Kunstform. Das Genre an sich ist eindeutig nicht konfus, es kann aber konfus und überladen für das untrainierte Ohr wirken - und das ist ein deutlicher Unterschied! Es stimmt allerdings, dass progressive Death Metal-Bands immer ein Schattendasein fristeten, im Schatten der Bands, die man sich leichter anhören konnte, die leichter zu verstehen waren. Zumindest wenn es um Bands wie ATHEIST oder CYNIC geht. DEATH haben es geschafft, einige "Hits" zu schreiben, aber die Band war auch nicht wirklich progressiv, zumindest nicht im wahren Wortsinne. Ich denke, mit dem neuen Album haben wir uns ein wenig in Richtung DEATH bewegt. Wir wurden aber auch vorher immer wieder mit ihnen verglichen.

Rouven:
Schweden kennt der geneigte Hörer ja eher von Melodic Death- und "True"-Metal-Bands. Fühlt ihr euch dort überhaupt wohl?

Henrik:
Wir sind ziemlich isoliert hier in der Mitte von Schweden und haben nicht wirklich viel mit den Szenen in Göteborg oder Stockholm zu tun, wo die ganzen Melodic Death-Truppen herkommen. Das Augenmerk richtet sich auf Südschweden, wo man die größte Metalszene findet. Uns hat aber mit Sicherheit keine Band von dort beeinflusst, und wir hören uns das auch nicht an. Also fühlen wir uns ganz wohl so - anderenfalls würden wir das auch nicht machen, haha!

Rouven:
Wie sehen die Zukunftspläne von THEORY IN PRACTICE aus?

Henrik:
Auf die Bühne zu kommen und endlich mal wieder live zu spielen! Wir waren seit 1997 nicht mehr on stage. Das Problem war, dass wir zu der "Armageddon Theories"-Ära keine Live-Shows machen konnten, weil es für mich unmöglich war, gleichzeitig Drums zu spielen und zu singen - auf dem Level klappt das einfach nicht mehr.

Rouven:
Und wo siehst du die Band in fünf oder zehn Jahren?

Henrik:
Uh, das ist unmöglich zu sagen. Ich weiss ja nicht mal, was morgen oder übermorgen passieren wird! Ich traue mich auch nicht zu spekulieren, weil mit der Zeit Dinge auf dich zukommen, die du vielleicht niemals erwartet hättest. Das habe ich zumindest aus vergangenen Erfahrungen gelernt.

Rouven:
Stell dir vor, du hast die freie Auswahl - mit welchen Musikern würdest du gerne mal eine Platte aufnehmen oder live spielen?

Henrik:
Also von den Musikern her würde ich gerne mit Snowy Shaw spielen, der ist einfach unglaublich gut. Live auftreten würde ich gerne mal mit MORBID ANGEL, wiedervereinten ATHEIST oder NOTRE DAME. Eine Widerauferstehung von Chuck Schuldiner mit DEATH wäre auch verdammt geil, wenn das möglich wäre!

Rouven:
Was sind denn deine momentanen Lieblingsscheiben?

Henrik:
Momentan sind das wohl SPASTIC INK. mit "Ink Compete", die letzte ENYA, CYNICs "Focus", MORBID ANGELs "Covenant" sowie NOTRE DAME mit "Coming Soon To A Theatre Near You".

Rouven:
Zum Abschluss: Möchtest du unseren Lesern noch etwas mit auf den Weg geben?

Henrik:
Passt auf euch auf und denkt an die unsterblichen Wörter von Chuck Schuldiner: "Schließt eure Augen und stellt euch vor, ihr hättet all die Dinge nicht, die wir jedes Mal als selbstverständlich ansehen, wenn wir unsere Augen öffnen."

Redakteur:
Rouven Dorn

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