SYLVAN: Interview mit Marco Glühmann

05.03.2007 | 17:52

Nach dem im Frühjahr letzten Jahres erschienenen Konzeptalbum "Posthumous Silence" wollen sich SYLVAN mit dem gleichzeitig komponierten und aufgenommenen "Presets" nun ein Publikum jenseits des Prog-Genres erschließen. Glücklicherweise verprellen die Hamburger - trotz der teilweise deutlich kürzeren und eingängigeren Songs - dabei nicht ihre bisherigen Fans, denn auch "Presets" beinhalt musikalischen Hochgenuss, der das Wort "kommerziell" in einem völlig neuen Licht erscheinen lässt. Sänger Marco Glühmann klärt über die Hintergründe auf.

Elke:
Ich hatte im Juni letzten Jahres ein ausführliches Interview mit eurem Gitarristen Kay Söhl zu "Posthumous Silence", wo sich bereits abzeichnete, dass dieses Konzeptalbum, das, wenn ich mich recht erinnere, eher als eine Art Dankeschön an die Fans gedacht war, sich zu eurem bisher erfolgreichsten Werk entwickelt hat. Kannst du mir genaue Verkaufszahlen nennen?

Marco:
Der Erfolg von "Posthumous Silence" hat uns in der Tat ziemlich überrascht, da es sich ja um ein relativ komplexes Konzeptalbum handelt. Die genauen Zahlen weiß ich ad hoc nicht, aber es dürfte sich in der Größenordnung von ca. 8000 Exemplaren bewegen. Das ist für unseren Status und vor allem angesichts der Tatsache, dass wir uns um sämtliche Belange der Band selbst kümmern, ein immenser Erfolg. Den machen wir allerdings nicht allein an den Verkaufszahlen fest, sondern auch an dem durchweg positiven Feedback der Fans, sei es auf den Konzerten oder durch die vielen E-Mails, die wir bekommen haben.

Elke:
In der mir vorliegenden Bandbiographie eurer neuen Promo-Agentur heißt es, dass es "Posthumous Silence" somit schon geschafft hat, was eigentlich die Aufgabe von "Presets" gewesen wäre - nämlich eure Musik einem größeren Kreis von Rockfans bekannt zu machen. Wie siehst du unter dem Gesichtspunkt die Entscheidung, alte und neue Fans jetzt mit einem doch wieder ziemlich anders gelagerten, da eher kommerziellen Album zu konfrontieren - als Experiment oder als logischen Schritt?

Marco:
Beides. Zunächst war es von vornherein ein Experiment, neben dem musikalisch und kompositorisch sehr komplexen "Posthumous Silence" parallel noch ein zweites Album aufzunehmen. Dies erforderte insgesamt unheimlich viel an logistischem und zeitlichem Aufwand. Dass "Posthumous Silence" so gut angekommen ist, macht es sicher für "Presets" nicht leichter, gerade auch weil es weniger komplex ist - wobei diese Zweiteilung ja genau so beabsichtigt war. Aber wir stehen definitiv voll hinter dieser Entscheidung. Ich bezweifle, dass dieser Schritt für uns in irgendeiner Form zukunftsweisend ist, es war vielmehr eine Erfahrung, die wir machen wollten und auch machen mussten und die ich auch als sehr wichtig einschätze, einfach um es einmal versucht zu haben. Jeder Fan holt sich sicher das heraus, was er lieber haben möchte, das Komplexe oder das eher Eingängige, wobei die Songs auf dem zweiten Album so kurz letztendlich auch nicht geworden sind.

Elke:
Wurden die Stücke zu "Posthumous Silence" und "Presets" auch parallel geschrieben, oder war jedes Album - bis auf die gleichzeitige Aufnahme im Studio - ein in sich geschlossener Arbeitsprozess?

Marco:
Nein, sie wurden sowohl parallel geschrieben als auch aufgenommen. Wir haben schon versucht, die beiden Alben - gerade was den Sound angeht - weitestgehend zu trennen, aber zum Teil sind z.B. die Nachbearbeitungen im Studio kreuz und quer gegangen. Auch kompositorisch war es eine "Mal hier, mal da"-Sache. Wir haben einfach drauflos geschrieben und dabei überlegt, wie wir die Kurve beim Konzept von "Posthumous Silence" kriegen, welchen Song wir besser auslagern, weil er halt für sich alleine steht, usw. Insgesamt haben die Vorarbeiten ein gutes Jahr gedauert, und es war ein Prozess, der ineinandergriff.

Elke:
Nachdem "Presets" als "kommerzielles Album mit radiotauglichen Stücken" angekündigt wurde, hatte ich ehrlich gesagt mit Schlimmerem gerechnet, denn ihr sprengt mit immerhin zwei Songs noch locker die Sieben-Minuten-Grenze und habt mit dem Titeltrack sogar ein fast dreizehn Minuten langes Stück ans Ende gestellt. So ganz wolltet ihr offenbar doch nicht die Finger von den etwas progressiveren Stücken lassen, oder?

Marco:
Das mag stimmen. Im Grunde hat sich das mit den längeren Songs so ergeben, auch wenn man dies als inkonsequent bezeichnen könnte. Es war weder geplant, einen derart langen Titeltrack draufzupacken, noch war es geplant, dies nicht zu tun. Natürlich wollten wir uns eher auf kürzere Songs konzentrieren, einfach um zu versuchen, neue Fans zu erschließen. Aber wie das so ist in der kreativen Phase, gerade wenn mehrere Personen involviert sind, kommt es manchmal eben anders als geplant.

Elke:
Bei den kürzeren Stücken scheint ihr viel mit Effekten - sei es auf deiner Stimme, sei es in der Musik selbst - gearbeitet zu haben. Wolltet ihr dadurch mehr Abwechslung in die kürzeren Stücke bringen?

Marco:
Mir ist eigentlich nicht bewusst, dass wir dort mehr Effekte hereingepackt hätten. Vielleicht wirkt es so, weil es für uns eine andere Herangehensweise an den Sound war. So unterstellen uns auch viele Rezensenten, dass das Album sehr keyboardlastig ist, was gerade im Vergleich zum eher symphonischen "Posthumous Silence" auch nicht stimmt. Es gibt auf "Presets" sehr viel filigrane Gitarrenarbeit mit mehreren Layers, wir haben also mit einem vielschichtigeren Sound gearbeitet, was vielleicht einen etwas stärkeren "verhallten" Effekt ergibt. Was die Sound-Samples betrifft, haben wir jedoch eher weniger verwendet. In 'One Step Beyond' gibt es diese Telefonstimme, aber sonst haben wir das eigentlich möglichst zurückgefahren.

Elke:
Warum ist das Album in eine A- und B-Seite aufgeteilt? Ist das eine stilistische bzw. inhaltliche Trennung oder eher eine Hommage an alte Schallplatten?

Marco:
Es ist definitiv eine Hommage an alte Schallplatten, wobei wir inzwischen festgestellt haben, dass auch PAIN OF SALVATION das auf ihrem neuen Album gemacht haben - die Idee ist also nicht neu. Thematisch sind die Stücke zwar auch ein wenig zweigeteilt, aber das war nicht die Haupt-Intention.

Elke:
Auch wenn "Presets" kein Konzeptalbum ist, so scheinen die Texte doch ein gewisses Grundthema zu haben. Es geht viel um enttäuschte Liebe bzw. Hoffnungen in einer neuen Liebe, Einsamkeit/Resignation, Vergänglichkeit, kurz: Es sind viele kleine tragische Geschichten über Menschen, die es offenbar nicht leicht haben im Leben. Bildet "Presets" eine Art Oberbegriff für die Texte?

Marco:
Ja, aber das war bei uns schon immer so. "X-Rayed" oder "Artificial Paradise" waren auch gewissermaßen Oberbegriffe für die Texte. Bei "Presets" ist es in diesem Fall, wie du richtig sagst, eine individuelle, traurige Komponente. Viele der Texte sind in der Phase entstanden, wo wir "Posthumous Silence" geschrieben haben, und die ursprüngliche Idee war, eine Art Verbindung zwischen beiden Alben herzustellen, sowohl grafisch als auch textlich. Das haben wir letztendlich nicht konsequent umgesetzt, aber es gibt trotzdem noch viele Elemente, die die Platten ein wenig verlinken, so dass man sozusagen auf Erkundungsreise gehen kann. Grundsätzlich liegt "Presets" aber eher in der Linie der anderen Alben, wo die Songs zwar eine Art Oberthema haben, aber auch einzeln zu verstehen sind.

Elke:
Eure Fans diskutieren bereits intensiv in eurem Forum über die Vorsilben "pre" und "post" und andere möglichen inhaltlichen Zusammenhänge zwischen den beiden Alben.

Marco:
Die Verbindung anhand der Vorsilben ist geplant, und wie bereits erwähnt gibt es auch noch weitere Zusammenhänge. Die ursprüngliche Idee war quasi, ein Vor- und Nach-"Posthumous Silence" abzubilden, und einige unserer Foren-Mitglieder haben auch schon etliche Elemente gefunden.

Elke:
Es scheint in gewisser Weise ein Hobby von euch zu sein, die Texte von euren Fans interpretieren zu lassen, ohne selbst klar Stellung zu beziehen, was ihr damit eigentlich ausdrücken wolltet.

Marco:
Jedes künstlerische Werk muss den Menschen eine gewisse Interpretationsfreiheit lassen. Wenn ich als Texter sagen würde, das ist genau so und so gemeint, wären einige vielleicht enttäuscht, andere überrascht, weil sie das ganz anders verstanden haben, aber generell würde es die Leute von ihren eigenen Empfindungen und ihrem eigenen Interpretationsweg wegführen. Wir geben dem Hörer lieber etwas Raum für Spekulationen, damit er somit letztendlich Zeit mit dem Album verbringt. Natürlich haben wir uns - und speziell ich als Texter - etwas Konkretes dabei gedacht. Einige interpretieren auch Dinge hinein, die definitiv so nicht gemeint waren, die mir aber trotzdem nicht so abwegig erscheinen. Wir wollen niemandem vorschreiben, wie er die Texte zu deuten hat, denn das bringt unter künstlerischen Aspekten gar nichts.

Elke:
Gerade weil "Presets" als "kommerzielles" Album gedacht war, wundert es mich, dass die Texte trotzdem eher pessimistisch sind. Kannst du dir vorstellen, jemals einen Happy-Song zu schreiben?

Marco:
Vielleicht bin ich noch der in der Band, der sich das vorstellen kann, aber auch nur sehr schwer. Wir haben eher eine Tendenz zur Melancholie. Das bringen sicherlich auch die Melodien mit, aber auch die grundsätzlich melancholische Stimmung, die teilweise noch mit symphonischen Komponenten gepaart wird. Einen total fröhlichen Song zu schreiben, würde uns deshalb kaum gelingen, aber man weiß nie, was die Zukunft bringt. Natürlich hätten wir mit "Presets" einen noch gradlinigeren Weg gehen und beispielsweise rockige Elemente integrieren können. Einerseits war das nicht beabsichtigt, andererseits waren wir wohl noch zu sehr in der "Posthumous Silence"-Stimmung drin, so dass es sich einfach nicht ergeben hat. Möglicherweise machen wir irgendwann mal ein komplett rockiges Album, aber geplant ist diesbezüglich noch nichts.

Elke:
Ihr habt die Promotion von "Presets" jetzt in die Hände einer professionellen Agentur gelegt, statt euch wie bisher selbst um alles zu kümmern. Kay hatte im letzten Interview sogar davon geträumt, dass ihr mit "Presets" vielleicht einen Major-Deal ergattern könntet. Habt ihr das versucht?

Marco:
Die Promotion haben wir vor allem deswegen abgegeben, um andere Wege zu beschreiten und andere Türen zu öffnen. Ob dies gelingt oder nicht, wird die Zeit zeigen. Den Gedanken an einen Major-Deal gab es in der Tat. Aber einerseits ist das in unserer doch sehr festgefahrenen und von sehr großen Vorurteilen diktierten Musikwelt nicht einfach. Andererseits wollen wir nicht abhängig sein und weiterhin unseren eigenen Weg verfolgen, ohne uns Vorschriften machen zu lassen. Für unsere Kreativität ist diese Freiheit, entscheiden zu können, wohin wir gehen und was wir machen wollen, sehr wichtig, und das ist mit einem Major-Label einfach nicht möglich. Zumal nicht garantiert ist, dass sich ein Deal positiv auf die Verkaufszahlen auswirken würde.

Elke:
Unter den kürzeren Album-Tracks gibt es zwei, die ich auf Anhieb als "radiotauglich" identifizieren würde - 'For One Day' und 'Hypnotized'. Gab es im Vorfeld Überlegungen, tatsächlich eine Single auszukoppeln?

Marco:
Die gab es, und die Präferenz lag auf 'For One Day', das wir deswegen auch ganz bewusst an dritter Stelle des Albums platziert haben. Wir haben uns zu diesem Schritt jedoch nicht durchringen können, da dies für uns Extra-Kosten bedeutet hätte und es ohne Label und dem dazugehörigen Support schwierig sein dürfte, die Singles entsprechend auf den Markt zu bringen und zu bewerben.

Elke:
Eure CD wurde bereits zwei Wochen vor dem Veröffentlichungstermin an diejenigen verschickt, die sie über eure Homepage bestellt hatten. Wie fallen die Reaktionen bisher aus?

Marco:
Sehr gut! Es wurden auch extrem viele CDs vorbestellt, was wir nicht erwartet hätten. Natürlich spielen hier die Vorschusslorbeeren aufgrund von "Posthumous Silence" eine Rolle - trotzdem freut es uns, dass der Direkt-Kontakt zu uns so gut läuft. Die Reaktionen sind nicht so euphorisch wie zum letzten Alben, aber durchgehend gut. Es gibt natürlich ein paar Ausreißer, die sich lieber ein "Posthumous Silence 2" gewünscht hätten und das neue Album zu wenig komplex und daher zu langweilig finden. Andere wiederum sind total begeistert und bestätigen uns, dass die Stücke, obwohl zum Teil kürzer, immer noch nach SYLVAN klingen. Die ersten Reaktionen kommen natürlich hauptsächlich aus der Prog-Szene, wo uns klar war, dass "Presets" einen schweren Stand haben würde, und dafür sind die Resonanzen extrem gut. Natürlich wollen wir mit dem Album auch außerhalb dieser Szene Erfolg haben. Die Zukunft wird zeigen, ob wir mit unseren naturgemäß limitierten Möglichkeiten über diese Szene hinaus eine Zuhörerschaft erreichen können.

Elke:
Wird es zu "Presets" - wie auch zum Vorgänger - eine eigene Tour geben?

Marco:
Eventuell gibt es im Frühjahr eine zusammenhängende Tour, für die wir derzeit in Verhandlungen stehen. Es ist auf jeden Fall geplant, dieses Jahr einige Konzerte zu spielen, und ein paar Sommer-Festivals sind bereits angekündigt. Vor allem auf das "Night Of The Prog"-Festival auf der Loreley freuen wir uns sehr.

Elke:
Es gab im Dezember letzten Jahres einen sehr lesenswerten Artikel über Progressive Rock im Allgemeinen und SYLVAN im Besonderen, und zwar - wie ihr damals sagtet - "in einer dieser Zeitschriften, in denen man mit 100-prozentiger Sicherheit keinen Artikel über Progressive Rock erwarten würde", nämlich Men's Health. Wie ist es dazu gekommen?

Marco:
Men's Health sind selbst an uns herangetreten. Eine Redakteurin hat vor ein oder zwei Jahren ein Konzert von uns besucht, und wir blieben in Kontakt. Sie hat im Laufe der Zeit viel recherchiert und uns sogar auf Tour begleitet, um dort Interviews zu führen und interne Einblicke zu bekommen. Die Sache war sicherlich ungewöhnlich, aber es hat unheimlich viel Spaß gemacht, mit ihr zu arbeiten. Dementsprechend war es natürlich fantastisch, einen mehrseitigen Artikel in Men's Health zu bekommen. Das ist für eine Band aus der Prog-Szene schon etwas Besonderes.

Elke:
Habt ihr daraufhin Feedback von den Lesern dieser Zeitschrift bekommen?

Marco:
Ja, haben wir. Auch im Shop konnten wir feststellen, dass Leute aufgrund des Artikels unsere CDs gekauft haben. Das Men's Health-Publikum ist definitiv nicht die Zielgruppe, die wir im Auge haben, aber die eine oder andere Resonanz kam doch.

Elke:
"Posthumous Silence" und "Presets" sind ja beide schon eine ganze Weile im Kasten. Gibt es schon Ideen für das kommende Album?

Marco:
Ideen gibt es, denn obwohl wir parallel zwei CDs hochgezogen haben, wurden trotzdem noch einige Songs verworfen. Ich nehme zwar stark an, dass wir sie auch künftig nicht verwenden werden, denn wenn wir Songs aussortieren, bleibt es meistens auch dabei, aber man weiß nie. Auch für neue Songs gibt es bereits Ideen in den Köpfen, Tasten oder Saiten. Im Moment sind wir aber überwiegend in organisatorische Dinge eingebunden und daher nicht unbedingt kompositorisch oder probenderweise aktiv. Der Plan für dieses Jahr ist, zunächst eine Live-DVD und -CD anzugehen. Wir werden versuchen, das im Sommer/Herbst zu realisieren - genügend Material dafür haben wir sicherlich. Außerdem denken wir darüber nach, zusätzlich noch ein spezielles Konzert für die DVD zu filmen. Wie und wann wir das genau durchführen, ist aber noch ungewiss.

Redakteur:
Elke Huber

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