SLEEP OF MONSTERS: Interview mit Ike Vil

12.07.2016 | 16:54

Neuentdeckte Freiheit.

Eines der interessantest und außergewöhnlichsten Alben des Frühsommers kommt aus Finnland, von SLEEP OF MONSTERS, um genau zu sein. Sänger Ike Vil nahm sich viel Zeit, um meine Fragen zu "Poison Garden" zu beantworten und über alles Mögliche - und Unmögliche - zu plaudern.

Beginnen wir mit dem Offensichtlichsten, der Frage, wer SLEEP OF MONSTERS überhaupt ist und wie die Band dahin kommt, wo sie jetzt ist: "Kennst du das Kinderlied mit den Elefanten, wo immer ein weiterer Elefant dazukommt? So ist das bei uns, wir sind jetzt bei 10 Bandmitgliedern angekommen, wir haben jetzt auch noch einen Barritongitarristen in unsere Reihen aufgenommen", beginnt Ike, die Entstehung der Band zu erzählen. "Alles fing damit an, dass mein Freund Sami (Gitarre) und ich uns betranken und Sami mich wieder zurück zur Musik lockte. Eigentlich hatte ich nach BABYLON WHORES damit abgeschlossen und wollte nichts mehr damit zu tun haben. Aber Sami hat mich überredet, wieder etwas Musik zu machen und nach und nach kamen dann die anderen dazu und wir schrieben Songs. Als wir dann für unser erstes Album ins Studio gingen, wollten wir eine Gastsängerin für den Song 'Murder She Wrote' haben und unser Produzent brachte drei verschiedene Sängerinnen ins Studio. Am Ende haben wir dann einfach alle drei in die Band aufgenommen." So kommt man dann auf eine beachtliche Größe, was gerade auf kleinen Bühnen zu Platzproblemen führen dürfte. "Ja, wenn wir in kleinen Clubs spielen, muss ich jetzt wohl auf der Bar sitzen oder hinter der Garderobe", schätzt Ike die Sache realistisch ein. Denn SLEEP OF MONSTERS würde gerne auf Tour gehen und Gigs spielen, aber bisher mangelt es gerade außerhalb Finnlands an Auftrittsmöglichkeiten. Für den Herbst verspricht Ike jedoch große Pläne, zu denen noch nichts genaueres gesagt werden kann.

Nachdem das erste Album also im kleinen Kreis geschrieben wurde und die Band erst im Studio zu fast vollständiger Größe anwuchs, konnte SLEEP OF MONSTERS beim Zweitwerk bereits beim Schreiben auf die volle Palette an Gesang und Instrumentierung zurückgreifen. "Ja, beim zweiten Album hatten wir bei den Kompositionen von vornherein mehr Möglichkeiten und haben diese auch ausgenutzt, was das Album abwechslungsreicher macht." Außerdem beteiligten sich natürlich mehr Musiker an den Kompositionen und Arrangements, teils mit überraschenden Ergebnissen. "Ich hätte nie gedacht, dass wir Trompeten auf dem Album verwenden würden, aber als die Songs im Studio fertig gemixt wurden, kamen unsere Sängerin Tarja und unser Produzent auf diese Idee und als ich 'Foreign Armies East' dann hörte, wurde mir klar, dass es gut passt." Dass sich Verbindungen erst im Nachhinein erschließen ist bei SLEEP OF MONSTERS keine Seltenheit und beschreibt die Art, in der Ike Songtexte schreibt sehr gut. "Ich bin recht faul, wenn es um das Schreiben von Texten geht, es gibt auch keine fertigen Texte, die nach einem Album noch rumliegen. Ich fange an zu schreiben, wenn die Songs fertig werden und dann hoffe ich, dass ich genug Ideen habe. Die kommen dann zusammen und es entstehen Verbindungen und so kommen nach und nach die Texte zustande." So auch bei 'The Art Of Passau', dem rockigsten Song des neuen Albums. "Ich habe etwas über den Dreißigjährigen Krieg gelesen und dabei bin ich darauf gestoßen, dass der Scharfrichter in Passau diese Zettel mit magischen Formeln an Soldaten verkauft hat, die sie unverwundbar machen sollten. Außerdem haben Schmiede dort Wolfsköpfe in Schwerter graviert - so sind die Zeilen 'It's A Wind Age and A Wolf Age', die ja Zitate aus der Edda sind, da reingekommen. Außerdem war Passau ein römisches Feldlager, und wo die römische Armee stationiert war, gab es Mithraea, also Tempel für den Mithraskult, und auch wenn ich nicht weiß, ob es in Passau ein Mithraeum gab, das gefunden wurde, kam so die Verbindung zu den Mithrasriten in dem Text zusammen. Zumal der Mithraskult ja auch vor allem von Soldaten verbreitet wurde, wie die Passauer Kunst dann eben auch Magie für Soldaten war." Freies Assoziieren ist also Teil der Arbeitsweise bei SLEEP OF MONSTERS und so kam dann letztendlich auch das Albumkonzept über Gifte und einen Garten zusammen. "Ich habe mit der Coverkünstlerin geschrieben und hatte diese Idee mit einem Garten, und in einem Garten muss man auch einen Apfelbaum haben und vielleicht waren das ja die Äpfel der Hesperiden und wenn man Äpfel im Garten hat, braucht man natürlich auch eine Schlange und all diese anderen alten Symbole und so entstand dann das Konzept, in das alle Songs hineinpassen."

Das Album hat zwar ein übergreifendes Konzept, doch es gibt natürlich innerhalb der Songs Unterschiede, in den Themen, die sie behandeln und in ihrem Fokus insgesamt. "Je weiter das Album fortschreitet, desto persönlicher werden die Texte. 'Foreign Armies East' beschreibt einerseits, wie ein Teil Finnlands nach dem 2. Weltkrieg an Russland fiel und Menschen ihre Heimat verlassen mussten, da im Osten fremde Armeen aufzogen, es beschreibt aber auch, wie wir unsere Kindheit hinter uns lassen müssen, um erwachsen zu werden und wie man generell seine Vergangenheit hinter sich lässt. Es war eigentlich ein eher nordischer Song, bis dann im finalen Mix diese Trompeten hinzukamen, die es etwas mexikanisch klingen lassen, wie in einem Westernsoundtrack von Ennio Morricone. Aber für die Ureinwohner Amerikas kamen die fremden Armeen ja auch aus dem Osten, insofern passt es auch wieder." Und auch hier hat sich einmal mehr eine Verbindung erst im Nachhinein offenbart, wie so oft bei den Liedern von SLEEP OF MONSTERS. Der Persönlichste Song ist jedoch 'Land Of Nod', in dem Ike das Verhältnis zu seinem Vater verarbeitet. "Das habe ich lange verdrängt und nun ist es aus mir herausgekommen und ich habe es verarbeitet. Der Song hat etwas Kathartisches und beendet das Album auf einer versöhnlichen Note. Ich habe akzeptiert, wer ich bin und warum und das gibt mir Hoffnung für die Zukunft." Für weitere Details empfiehlt er jedoch, den Text zu lesen, was sich beim gesamten Album sehr lohnt. So auch bei 'Golden Bough', der ersten Single, in der James G. Frasers Überlegungen zum Priester von Nemi und die Liebe zu gefährlichen Frauen ineinander fließen. "Das Lied ist auch sehr finnisch, denn bei unserem kurzen Sommer bekommt die Textzeile 'You Will Be King For A Summer's Day' eine besondere Bedeutung. Aber das schöne ist, dass die Fans das als ein einfaches Lied über eine gefährliche Liebe hören können, oder eben auch die weiteren Dimensionen erfahren können, wie sie wollen."

Das Album insgesamt beschäftigt sich auch damit, sein Schicksal zu akzeptieren, die Grenzen des Lebens zu erkennen und sich darin zu arrangieren. 'Our Dark Mother' behandelt dies, den Kreislauf des Lebens, des Sterbens und der Wiedergeburt, den man in den Jahreszeiten erkennen kann und der auch die dunkle Jahreszeit nie ganz hoffnungslos erscheinen lässt. "Ja, solche Riten sind wichtig und können Trost spenden, wie etwa auch Trankopfer. Ich gieße oft Alkohol auf die Erde, wie man das auch in der Antike tat, das verbindet mich mit Freunden, die bereits gestorben sind. Das ist nicht wirklich religiös oder hat etwas mit Glauben zu tun, ich fühle so aber eine Verbindung zu jenen Menschen, die nicht mehr da sind." Solche Riten können uns Menschen in der immer individualisierteren westlichen Welt Halt geben, uns in Raum und Zeit verankern und doch eine ganz persönliche Angelegenheit sein, im Kontrast zu kollektiven Riten, wie sie beispielsweise die Kirche und andere Traditionen geboten haben. "Ja, das ist sicher auch ein Grund für den Boom, den Okkultismus in letzter Zeit hat: Menschen suchen Halt und Orientierung, die ihnen die Gesellschaft nicht mehr bieten kann, da dort Grenzen weggefallen sind." Der Mensch braucht jedoch Grenzen, da echte Freiheit nur so gedacht werden kann, wie auch Ike feststellt: "Es ist die größte Freiheit, sich seine Grenzen selbst stecken zu können, ohne jegliche Grenzen fühlt man sich nicht frei. So beispielsweise in einer Beziehung. Es ist meine freie Entscheidung, treu zu bleiben, aber mit dieser Entscheidung fühle ich mich viel freier, als wäre ich nicht treu und mich über alle Grenzen hinwegsetzen."

Dass eine gewisse Distanz zu den Inhalten der Texte jedoch gesund ist, hat Ike am eigenen Leib erfahren. "Nachdem wir 'The Art Of Passau' aufgenommen haben, in dem es die Textzeile 'Nothing can hurt us now, we know the art of Passau' gibt, bin ich direkt am Abend betrunken eine Treppe heruntergefallen und habe mir zwei Finger gebrochen, da hat der Zauber wohl nicht richtig gewirkt," gibt er sich ernüchtert. Ernüchterung, Akzeptanz der Welt und die Wiederentdeckung der eigenen Kreativität, das sind die Pfeiler, auf denen SLEEP OF MONSTERS ruht, wie Ike feststellt: "Vor ein paar Jahren habe ich noch auf das Ende der Welt gehofft und nach dem letzten BABYLON WHORES Album "Death Of The West" hatte ich mit der Musik abgeschlossen. Das war so negativ, dass ich nicht wusste, wie es danach weitergehen sollte. Als wir dann "Produces Reason" aufgenommen haben, habe ich erst langsam wieder gemerkt, dass ich doch noch etwas zu sagen habe. Das verarbeite ich in dem Song 'Nihil Nihil Nihil', wenn ich singe: "I found out today that I could still write a song. I found out today that I could still fall in love." Seither setzen wir uns mit SLEEP OF MONSTERS unsere eigenen Regeln und tun, was wir wollen, in dem selbstgesteckten Rahmen, und, wie bereits oben gesagt, so fühlen wir uns frei und diese Freiheit hat "Poison Garden" geprägt." Mit diesen versöhnlichen Worten beenden wir dann auch unser Gespräch, auf einer ähnlich positiven Note wie auch das Album, das ihr euch unbedingt einmal anhören solltet.

Redakteur:
Raphael Päbst

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