RAGE: Interview mit 'Peavy' Wagner

11.04.2024 | 14:47

"Afterlifelines" heißt das neue Geschoss der Herner Urgesteine von RAGE. Die Band um Aushängeschild und Frontmann Peavy Wagner hat einen länger gehegten Traum umgesetzt und die erste Doppel-LP in den letzten vier Dekaden einspielen können. Wir hatten die Gelegenheit, den Mastermind an einem sonnigen Dienstagmittag zu sprechen und uns über die aktuelle Situation bei RAGE zu erkundigen.

Hey Peavy, Du klingst ein wenig angeschlagen. Ist alles gut bei dir?
Ja, ich habe gerade noch versucht, meine Heizung zu reparieren, bevor du angerufen hast. Mir geht es gut, absolut.

Ein neues Album steht in den Startlöchern, diesmal sogar ein recht üppiges. "Afterlifelines" ist direkt mal eine Doppel-LP geworden. Wie schaffst Du das eigentlich, binnen so kurzer Zeit überhaupt neues Material zu komponieren und dann auch gleich noch so viel?
Nun, in der Corona-Phase hatten wir genügend Zeit, neues Material anzusammeln. Ich habe immer schon mal darüber nachgedacht, irgendwann mit RAGE auch mal ein Doppelalbum einzuspielen, und da wir zu der Zeit auch nicht auf Tour gehen konnten, haben wir die Zeit kreativ genutzt und viele Ideen umgesetzt. Irgendwann haben wir gemerkt, dass wir so viele neue Songs beisammen haben, dass es für eine einzige Platte nicht reichen würde. Das haben wir dann genutzt, um ein etwas größeres Projekt anzugehen und schließlich auch dieses Doppelalbum zu realisieren. Streng genommen sind ja auch mehrere Jahre seit unserer letzten Platte vergangen. Am Ende waren es drei Jahre, die wir für die Entstehung des neuen Albums in Beschlag genommen haben, ohne dass wir uns hierzu großartig strecken mussten.

Die neue Platte ist in zwei Sinneinheiten unterteilt, daher auch die Namensgebung. Was steckt hinter der Idee?
In der gesamten Geschichte von RAGE hat es immer wieder unterschiedliche Phasen gegeben, was unsere musikalischen Visionen anbetrifft. Wir hatten die wilde Phase in den 80ern, dann die symphonischen Projekte im Anschluss, aber auch die experimentelle Phase damals mit Smolski und Terrana. Wenn man so will, haben wir alle musikalischen Perioden der RAGE-Historie hier noch einmal zusammengefasst, so dass eigentlich auch für jeden etwas dabei sein sollte. In der ersten Hälfte gibt es dann entsprechend eher die straighteren Nummern für diejenigen Fans, die es eher mögen, wenn RAGE etwas heavier klingt. Der zweite Abschnitt ist dann etwas melodischer geraten und spiegelt sicherlich auch Ideen wider, die ein wenig an die "Lingua Mortis"-Sachen erinnern. Gerade zum Ende hin wird es ja dann auch epischer. Wir haben einen längeren Track, der wunderbar in diese Zeit passt. Letztlich geht es aber nicht nur darum, die ganze Vielfalt unserer bisherigen Geschichte neu aufzulegen. Es ist eher eine natürliche Weiterentwicklung mit vielen Zutaten aus der Vergangenheit.

Es gibt auch eine Reihe von symphonisch untermalten Stücken. Dies gab es bei RAGE von Zeit zu Zeit immer wieder mal. Was hat dich veranlasst, bzw. inspiriert, hier nun wieder anzugreifen?
Wir haben ja immer wieder mal mit orchestralen Arrangements gearbeitet, vielleicht nicht mehr so intensiv wie damals bei "Lingua Mortis" oder auf der "XIII", aber diese Elemente gehören doch irgendwie immer schon dazu. Wir haben von Zeit zu Zeit ja auch wieder Auftritte mit dem Orchester gehabt, und ich bin sicher, dass auch die neuen Nummern hier richtig gut reinpassen werden. Das war eigentlich nur eine natürliche Entwicklung, auch wieder vermehrt symphonische Parts einzubauen. Weil wir genügend Material hatten, bei dem diese Inhalte gewinnbringend eingesetzt werden konnten, haben wir diesmal auch wieder vermehrt symphonisch unterlegte Nummern am Start.

Als ihr damals zum ersten Mal mit dem Lingua Mortis Orchestra zusammengearbeitet habt, habt ihr für eine ganze Szene echte Pionierarbeit geleistet. Die Liste der Nachfolger ist unendlich lang. War dir damals bewusst, dass ihr hier für viele Bands ganz neue Türen öffnen würdet? Und ist dies im Nachhinein auch von Musikerkollegen, die sich auf einen ähnlichen Weg gemacht haben, ebenfalls so gewürdigt worden?
Im Nachhinein waren wir sicherlich eine der ersten Bands, die sich auf dieses Terrain gewagt hat. Uns war auch damals schon klar, dass wir hier neue Wege gehen, wir waren uns aber nicht sicher, ob das auch von unseren Fans so aufgenommen wird. Die "Lingua Mortis"-EP war ein richtig großer Erfolg, und auch "XIII" gehört immer noch zu unseren wichtigsten Platten bis hierhin. Ich denke schon, dass wir einige Künstler beeinflussen konnten. Ich habe mal gehört, dass Lars Ulrich zu der Zeit extrem auf den europäischen Metal abgefahren ist und sich auch immer hat Platten zuschicken lassen. Womöglich ist er auch an eine von unseren Platten geraten und hat dabei das "S&M"-Projekt von METALLICA bereits im Blick gehabt.

Leider ist es ja so, dass immer noch die allgemeine Meinung ist, dass METALLICA damals mit den symphonischen Parts eine neue Ära eingeläutet hat. Zumindest diejenigen, die den Metal nur oberflächlich betrachten, sind davon überzeugt. Ist das nicht irgendwie undankbar?
Ach, das ist mir eigentlich ziemlich egal. Unsere Fans und vor allem die Power-Metal-Freunde hier in Europa, die unsere Entwicklung damals mitverfolgt haben, wissen sicherlich, dass wir hier in vielerlei Hinsicht die Basis gesetzt haben. Natürlich ist METALLICA viel bekannter, aber die Band hat ja nie behauptet, dass sie den Grundstein für solche Projekte gelegt hat. Ich fände es eher im Gegenteil schön, wenn sie sich von uns haben inspirieren lassen. Ob das aber tatsächlich so ist, habe ich nie herausgefunden.

Könntest du dir vorstellen, auch die neuen Songs irgendwann wieder mit dem Orchester zu spielen?
Ja, sicher. Wir werden ja in diesem Jahr einige Shows mit dem Orchester spielen. Wir spielen zum Beispiel auf einem Inklusionsfestival in Braunschweig, da haben wir das Orchester wieder dabei. Ich sagte ja schon: Bei einigen neuen Stücken hatten wir sofort das Gefühl, dass sie mit dem Orchester wunderbar zusammenpassen. Ich bin schon ziemlich gespannt, wie das Ganze dann live klingen wird.

Ich habe es in meiner Rezension schon formuliert: Man hat ja die ganzen Klassiker von PRIEST bis MAIDEN komplett im Schrank stehen, und da kommen schon reichlich viele Platten zusammen. Ich würde aber fast behaupten, dass die meisten CDs in meiner Sammlung von Euch stammen. Du hast mit RAGE einen riesigen Katalog erstellt. Was treibt dich da noch weiter an, ständig Neues zu probieren und vor allem so konsequent diesen Tour-Album-Tour-Album-Rhythmus durchzuhalten?
Ich bin nun mal in der glücklichen Position, dass ich es irgendwann geschafft habe, mit der Band ein gutes Auskommen zu erzielen, so dass ich mein Leben von der Musik bestreiten kann. Mir ist bewusst, dass nicht mehr viele Künstler heutzutage dieses Privileg haben. Ich sehe das ganze zwar nicht wie einen typischen Job, aber man kann es gut vergleichen. Um auch weiterhin gut von der Band leben zu können, ist es wichtig, am Ball zu bleiben und diesen Rhythmus beizubehalten.

Wenn ein neues RAGE-Album aufgelegt wird, hat man eigentlich immer schnell raus, von wem die Platte stammt, auch wenn man es vorher nicht gelesen hat. Das liegt einerseits an deiner markanten Stimme, andererseits aber auch an der klaren Handschrift, die euer Sound trägt. Ist das deiner Meinung nach eine Einschränkung oder eher eine Gunst, wenn man sich auf den Weg macht, neues Material einzuspielen? Denn grundsätzlich hat man ja schon immer eine gewisse Erwartung wie eine RAGE-Scheibe klingen soll.
Ich empfinde das überhaupt nicht als Einschränkung. Es ist ja auch nicht so, dass unsere Scheiben alle gleich klingen. Andererseits ist es enorm wichtig, eine klare Handschrift zu haben, und die war bei RAGE eigentlich immer gegeben, auch wenn ich mittlerweile in vielen unterschiedlichen Konstellationen mit der Band gespielt habe. Im Laufe der Jahre hat die Band viele verschiedene Gesichter angenommen, ist aber doch die ganze Zeit über RAGE geblieben.

Wenn du jetzt mal auf deine gesamte Laufbahn mit dieser Band zurückschaust, gibt es da Momente, die für dich besonders herausragen bzw. auf die du besonders stolz bist? Davon wird es sicherlich viele geben, aber was sind für dich die markanten Punkte in der RAGE-History?
Das ist eine schwierige Frage, denn ich bin stolz auf alle Platten, die wir bis heute veröffentlicht haben. Es gab sicherlich einzelne Scheiben, die man herausnehmen kann, weil sie uns auch kommerziell weitergebracht haben. "Perfect Man" ist zum Beispiel eine Scheibe, die uns einen enormen Push gegeben hat. Dann sind es natürlich die Alben mit dem Orchester, die für eine bestimmte Phase stehen. "The Missing Link" war ebenfalls sehr erfolgreich und hat uns weitere Türen geöffnet. Ich denke aber, dass jeder Fan das ganz unterschiedlich sehen wird. Manche finden ja auch, dass zum Beispiel "Black In Mind" oder die späteren Alben mit Victor und Mike eine Ära geprägt haben. Und die jüngeren Anhänger haben uns erst mit den Alben der letzten Jahre kennengelernt. Für mich ist es schwierig, da einzelne Platten herauszupicken, aber die genannten spielen in der Historie sicherlich eine etwas größere Rolle.

Und wenn du, losgelöst vom neuen Album, eine Platte aussuchen müsstest, die du im Nachhinein für das beste Rage-Album hältst, könntest du da eine benennen? Gibt es für Dich den einen Meilenstein?
Da kann ich dir fast nur die gleiche Antwort geben. Es sind die eben genannten Platten, mit denen wir in Sachen Erfolg große Schritte gemacht haben. Ich habe aber kein Album, das für mich jetzt extrem heraussticht.

Viel Material bringt ja auch die Schwierigkeit mit sich, ein neues Live-Set zusammenzustellen. Es gilt, Erwartungen zu erfüllen, also Klassiker spielen, aber auch neues Material unterzubringen. Wie geht ihr in der Band damit um? Wie wird entschieden, was gespielt wird?
Ja, da hast du recht, das ist jedes Mal wieder extrem schwierig. Ich bin mir auch sicher, dass wir nie alle Leute zufriedenstellen können, weil es einfach zu viele Stücke gibt und jeder andere Favoriten hat. Es gibt einige Nummern, die müssen wir einfach spielen, sonst lassen uns die Leute nicht von der Bühne. Und natürlich haben wir auch den Anspruch, ein wenig zu variieren und vor allem auch die neuen Stücke ins Programm aufzunehmen. Du kannst mir glauben, dass dieser Prozess manchmal sehr problematisch ist, weil wir eben auch wissen, dass wir nicht alle Wünsche erfüllen können. Das wird mit jedem Album schwerer, aber ich denke, wir haben bis jetzt immer einen guten Kompromiss für alle finden können.

Weißt Du denn eigentlich, wie viele Songs RAGE bisher veröffentlicht hat?
Puh, das kann ich dir nicht sagen, aber das wäre mal spannend, das zu recherchieren. Ich denke, dass wir inzwischen ca. 300 Songs eingespielt haben, aber vielleicht sollte ich das wirklich mal in Erfahrung bringen, das würde mich auch mal interessieren.

Es gibt ja mittlerweile viele Bands, die sich zu einem bestimmten Jubiläum noch mal auf den Weg machen und ein besonderes Album in ihrer Laufbahn mit einem speziellen Set würdigen. IRON MAIDEN macht das ja auch von Zeit zu Zeit. Wäre das für dich auch eine Option?
Wir haben das ja schon ein paar Mal gemacht, und ich finde die Idee auch super. Mit REFUGE haben wir ja auch noch mal die ganzen alten Stücke gespielt, und ich kann mir gut vorstellen, dass wir das bald mal wieder in Angriff nehmen. Es stehen ja bald auch wieder Jubiläen an, zu denen sich das anbieten würde. Es ist zwar nichts Konkretes geplant, aber es wäre sicherlich denkbar, dass wir irgendwann auch wieder einen Klassiker in der Setlist würdigen.

Ich habe gelesen, dass ihr in Kürze nach Japan aufbrechen und dort ein paar Konzerte geben werdet. Man hört ja immer die tollsten Dinge über das Publikum dort. Was ist der Unterschied zwischen dem asiatischen Publikum und dem europäischen?
Mittlerweile ist der Unterschied gar nicht mehr so groß wie damals. Als wir in den 80ern zum ersten Mal dort aufgetaucht sind, waren die Zuschauer alle noch sehr jung und haben uns dort gefeiert wie Rockstars. Wir sind überall erkannt worden und teilweise schon am Flughafen von den Leuten empfangen worden. Das asiatische Publikum ist immer noch sehr euphorisch, aber Heavy Metal ist dort inzwischen auch etabliert, und die Fans von damals sind ein wenig ruhiger geworden und schreien außerhalb der Konzerthalle nicht mehr ganz so laut. Lediglich als wir mit REFUGE noch einmal nach Japan gereist waren, war das wie damals. Die Fans hatten Tränen in den Augen und konnten kaum glauben, dass wir die alten Nummern noch einmal gespielt haben. Wir hatten nirgendwo Ruhe, sind im Hotel regelrecht belagert worden, haben aber auch noch einmal gemerkt, wie viel unsere Nummern den Leuten dort immer bedeutet haben. Das war schon ein tolles Erlebnis.

Und wie sieht es mit Konzerten auf deutschem Boden aus?
Wir werden auf jeden Fall auf einigen Festivals spielen und haben ja auch schon eine Tour geplant. Spannend sind sicherlich die Shows mit dem Orchester, weil wir dort auch noch mal anderes Material spielen werden. Ich freue mich jetzt schon riesig, endlich wieder aufzutreten und vor allem auch die neuen Songs spielen zu können.

Nun noch eine eigenartige, eher persönliche Frage: Ich arbeite seit anderthalb Jahren in Oer-Erkenschwick, lebe aber in Hagen. Ich fahre tagtäglich mit der Bahn und kreuze dabei immer auch Deine Heimatstadt Herne. Ich habe mich immer schon gefragt, ob es dort noch einige Clubs oder Bars gibt, die man als Metalhead besuchen sollte. Hast Du da eventuell einen Tipp für mich?
Ja klar, da musst du ins 'Stennert' gehen. Das ist so eine alte Rock- und Metalkneipe, in der wir auch regelmäßig einkehren. Am Donnerstag ist da immer ein Metalabend, da trifft sich die ganze Ruhrgebiet-Szene. Da musst du auf jeden Fall mal vorbeischauen, weil die Leute dort alle total cool und nett sind. Im Sommer wird dort auch immer draußen gegrillt. In der Nähe gibt es seit einigen Jahren auch ein Festival, bei dem verschiedene Bands aus der Region auftreten. Das ist ein kostenloses Event Anfang September, bei dem wir in diesem Jahr Headliner sein werden. Schau auf jeden Fall mal vorbei! Und wo du gerade Oer-Erkenschwick sagst, das ist ja lustig: Ich habe als Kind auch ein paar Jahre dort verbracht, weil meine Eltern dorthin umgezogen sind. Ich kann mich zwar nicht mehr ganz so gut erinnern, aber ich habe auch eine Geschichte mit Oer-Erkenschwick.

Was verbindest Du denn mit Deiner Heimat, wenn es rein um den Heavy Metal geht?
Ich habe sehr viele schöne Erinnerungen. Die Szene steht hier immer noch gut zusammen, die Leute aus den 80ern sind immer noch dabei. Wir haben hier viele Freunde und ich fühle mich hier pudelwohl.

Auf euren Tourneen weicht ihr ja für das Heimatkonzert in der Regel nach Bochum aus. Gibt es hier in Herne keine Alternativen?
Doch, die gibt es schon. Wir haben ja auch schon öfter in Herne gespielt. Natürlich ist die Zeche in Bochum eine zweite Heimat geworden, da spielen wir ja auch auf der kommenden Tour wieder. Aber RAGE ist auch immer wieder mal in Herne aufgetreten.

Das Jahr hat gerade erst begonnen: Was sind deine Wünsche für 2024?
Dass wir viele besondere Momente bei unseren Shows haben werden und mit unserem neuen Album wieder richtig durchstarten können.

Last words?
Ich muss meinen Dank an unsere Fans richten. Mir ist bewusst, dass RAGE nicht dort stehen könnte, wenn die Leute uns nicht immer unterstützt hätten. Ich bin extrem dankbar für den jahrelangen Support und freue mich, euch alle auf Tour wiederzusehen.

Photo Credit: Andre Schnittker

Redakteur:
Björn Backes
1 Mitglied mag diesen Artikel.

Login

Neu registrieren