NOCTE OBDUCTA: Interview mit Marcel Va. Tr.

15.08.2005 | 15:36

NOCTE OBDUCTA sind sicherlich eine Ausnahmeerscheinung im extremen Metal und gehören zweifelsfrei zu den originellsten Bands Deutschlands. Auch das aktuelle Werk "Nektar - Teil 2: Seen, Flüsse, Tagebücher" untermauert diese Tatsache nur. Im folgenden Interview nimmt Marcel Va. Tr. ausführlich Stellung zum Album, zu den Texten und "Nektar 3". Auch seine Abneigung gegenüber Livegigs kommt zur Sprache und die Frage, ob NOCTE OBDUCTA jetzt noch Black Metal sind, wird zur Freude aller Schubladendenker auch geklärt.

Herbert:
Wie sind denn die Reaktionen auf euer neues Album ausgefallen?

Marcel:
Im Schnitt eigentlich sehr gut, meistens sogar begeistert. Es gibt zwar ein paar Leute, denen das nicht gefällt, aber die gibt es bei jeder Veröffentlichung, egal was man macht.

Herbert:
Gibt es bei euch auch ein Mittelmaß oder sind die Kritiken entweder sehr gut oder sehr schlecht? Oder ist es doch differenzierter?

Marcel:
Größtenteils ist es schon entweder-oder, zumindest von dem, was ich mitbekomme. Mittelmaß ist gering, es sind schon entweder sehr gute oder sehr schlechte, wobei man natürlich in erster Linie sehr gute hat, weil die Leute einfach persönlich mit einem reden oder ins Gästebuch posten, das merkt man bei Negativreaktionen nicht immer.

Herbert:
Um mal auf das Album selber zu sprechen zu kommen: was mir persönlich gut gefällt, ist die dem Album innewohnende Atmosphäre. Es gibt melancholische Passagen, dann wieder aggressivere Sachen, aber irgendwo ist doch immer eine dunkle, einzigartige, unberechenbare Atmosphäre auf dem Album. Siehst du das genauso?

Marcel:
Ja, schon. Es ist halt immer ein bißchen schwierig, bei der Musik, die man selber geschrieben oder gemacht hat, die Atmosphäre wirklich zu beschreiben. Das ist halt etwas, das man empfindet, wenn man sich das anhört oder was man hat, wenn man etwas ausdrückt. Aber ein Album atmosphärisch erleben findet eher statt, wenn man sich Sachen anhört, die andere Menschen geschrieben haben. Mir geht es jedenfalls so. Ich schätze allerdings atmosphärische Musik sehr, auch als Ausdrucksform und halte es zumindest für nahe Zukunft, für das Ausdrucksmittel, das mir am ehesten liegt.

Herbert:
Was ich interessant finde, das ihr sehr kurze Lieder auf der Platte habt mit 'Es fließe Blut' und dann noch einen 16-Minuten-Song. Was ist eigentlich vom Songwriting her einfacher zu schreiben?

Marcel:
Das kommt ein bißchen drauf an. Ich würde nicht sagen, das es gleich ist, aufgrund der Tatsache, dass man auf mehr achten muss, wenn man viele Parts unterbringt. Man hätte auch 'Es fließe Blut' auf zehn Minuten ausdehnen können mit den gleichen Riffs, das wäre zum Kotzen gewesen. Weil man auf mehr Details achten muss, ist der längere Song schwieriger, aber so groß ist der Unterschied nicht.

Herbert:
Was mir an eurer Musik gut gefällt, ist die stilistische Offenheit. Man erkennt zwar immer noch die Black-Metal-Basis, aber dann gibt es da Doom-Elemente, Gothic-Elemente oder bei 'Atme' diese Dark-Rock-Elemente. Plant ihr sowas oder kommt das mehr aus dem Bauch heraus? Gibt es für euch da überhaupt Limits oder sagt ihr "Das klingt gut, das nehmen wir", egal aus welchem Bereich das nun kommt?

Marcel:
Generell ist nichts geplant, es kommt halt wie es kommt. Um es mal an der "Dark-Rock"-Beschreibung festzumachen: wir haben nicht gesagt "Ahh, das klingt aber wie dunkle Rockmusik", sondern wir haben das Album gemacht und danach meinte der Robbi (Labelchef von Supreme Chaos Records - Anm.d. Verf.), dass es teilweise wie düstere Rockmusik klingen würde. Das war keine Intention von uns. Wenn man vornehmlich düstere und atmosphärische Musik macht und auch gerne mal rockigeres spielt, ist klar, das genau so etwas dabei rauskommen muss. Was die Limits angeht, so gibt es da keine.
Man wird bestimmte Sachen bei NOCTE OBDUCTA vermutlich nie hören, ein Reggaesong wird von uns nie kommen. Aber da wir bis auf bestimmte wenige Musikrichtungen, die dem einen oder anderen nicht zusagen, ziemlich quer hören, wird das in Zukunft auch stärker hervortreten. Das war natürlich früher nicht so intensiv, weil auf dem Gebiet Black Metal noch mehr Neuland da war, aber da kann man sich nicht ewig rumtreiben, das macht keinen Sinn und bringt die Musik nicht weiter.

Herbert:
Würdest du NOCTE OBDUCTA eigentlich immer noch als Black-Metal-Band bezeichnen?

Marcel:
Nein - jein - eigentlich nicht. Ich habe das auch früher nie als Black Metal bezeichnet, sondern mich dem Begriff gefügt und auch benutzt, weil die grobe stilistische Beschreibung, die man uns aufdrücken könnte, in erster Linie dem Frühneunziger-Black-Metal, wenn auch mit mehr Elementen entspringt. Man sollte den Leuten schon eine grobe Erklärung geben und nicht einfach hingehen und sagen, dass man Musik macht.

Herbert:
Wenn ich das richtig verstehe, bist du auch nicht unbedingt ein Freund von Schubladen?

Marcel:
Nein, sollte eigentlich niemand sein, der Musik macht.

Herbert:
Es gibt aber viele Musiker, gerade auch in der Black-Metal-Szene, die sehr in Schubladen denken.

Marcel:
Ja, das ist das Problem, was Szenen generell haben. Man verliert dann das, um was es der Szene eigentlich geht. Wenn eine Szene jung ist, dann wird viel aus dem Bauch heraus gemacht, was Neues, Eigenes, Individuelles. Sobald man das dogmatisch macht, macht man ja genau das Gegenteil von dem, was die "Vorväter" im Sinn hatten.

Herbert:
Was ich nochmal fragen wollte: kann man das Album eigentlich auch als Einheit sehen? Die ersten drei Songs hängen textlich zusammen und wie ich finde, auch musikalisch, während die restlichen drei Songs jeder für sich eine eigene Stilistik haben.

Marcel:
Ja, schon. Im Endeffekt ist "Nektar 2" in zwei Hälften aufgeteilt, einmal retrospektiv und einmal nach vorne blickend, zumindest in die Richtung. Dieser offensichtliche Zusammenhang bei den ersten drei Liedern ist insofern kein Gegensatz zum offensichtlichen Gegeneinanderspiel der letzten drei Lieder, weil das ja eigentlich auch der Inhalt ist.
Da geht es ja um drei Blickwinkel, von denen man auf das Morgen schaut. Das Morgen hat zwar kein wirkliches Ziel, deshalb hat die Musik kein abschließendes Ziel. Sonst hätte am Schluss jemand sagen können, wie das nächste NOCTE OBDUCTA-Album klingen würde. Und diese Prognose kann man jetzt nicht machen.

Herbert:
In diesem Zusammenhang macht dann auch Sinn, das im Info als letzter Satz steht, dass man von diesem Punkt aus mehrere Wege gehen kann. Kann man auch musikalisch auf euch beziehen, das ihr weiterhin unberechenbar bleibt?

Marcel:
Ja, das bezieht sich sowohl auf das persönlich-menschliche, was wir in den Texten verarbeiten als auch auf das Zukunftsbild, was die Leute von NOCTE OBDUCTA haben.

Herbert:
Was ich an den Texten sehr schön finde, ist, dass ihr euch bemüht, Klischees zu vermeiden. Ist das etwas, worauf ihr achtet oder schreibt ihr aus dem Bauch heraus?

Marcel:
Ich schreibe sehr viel aus dem Bauch heraus, aber schaue mittlerweile mit einer größeren Distanz über die Texte drüber. Es ist auf jeden Fall so, dass dieses bewusste Vermeiden nicht wirklich stattfindet, als dass ich mir Grenzen auferlege. Ich denke einfach nicht in diesen Klischees. Ich bin mir ihrer zwar bewußt, aber das ist einfach nicht die Art und Weise, wie ich mich ausdrücke.

Herbert:
Wird es denn noch eine Fortsetzung davon geben oder ist "Nektar" quasi abgeschlossen?

Marcel:
Das ist auch so ein jein. Es ist eigentlich abgeschlossen. Ich will nicht noch ein Album in dieses Korsett stecken, was "Nektar 1" und "Nektar 2" hatten. Das ist einfach zuviel des Guten. Außerdem muss man sich die Frage stellen, ob man, wenn man sich auf bestimmte Themen bezieht, die halt in "Nektar 2" verarbeitet werden und sich nur auf einer zweiten Ebene auf "Nektar 1" beziehen, gleich "Nektar 3" nennt, dann nicht jedes zweite Album von uns "Nektar" nennen, weil die Bezüge einfach da sind. Deswegen ist damit einfach Schluss.
Es ist aber so, das ich durch die Arbeit an "Desihras Tagebuch 1-3", woran ich schon lange gearbeitet und mich gedanklich viel mit dem Thema auseinandergesetzt habe, nach dem Studiobesuch angefangen habe, das Ganze von einer etwas kritischeren Seite, aber im exakt dem Szenario, zu beleuchten. Dieser Blick in das Tagebuch ist ja in erster Linie wehmütig und beschreiben und relativ verklärt, aber nicht nach irgendwelchen Mechanismen gefragt. Daran arbeite ich gerade für ein Konzeptalbum. Das könnte man auch "Nektar 3" nennen, aber das werden wir nicht machen.

Herbert:
Mal weg vom Albumkontext: habt ihr livemäßig irgendetwas geplant? Eine Tour z.B.? Und kannst du dir irgendeine Band vorstellen, mit der du gerne touren würdest und die auch zu euch passen würde?

Marcel:
Geplant ist keine Tour. Es waren welche geplant, die sind aber alle abgesagt worden. Jetzt werden wir sehen, ob wir das eventuell innerhalb der nächsten anderthalb Jahre nachholen oder mit dem üblichen "Alle paar Wochen mal ein Gig" oder zusammenhängenden Wochendendauftritten mit irgendeinem festen Billing machen. Das sind aber alles nur Gedankenspielereien. Was eine Traumband angeht, ist das ganz zu schwer zu sagen. Bis auf Bands, die ich aus irgendeinem Grund im Metalbereich gerne mal sehen möchte, würde ich mir nie freiwillig irgendwelche Metalkonzerte angucken.
Ich gehe einfach nicht auf Konzerte, die in diesem Genre stattfinden, weil ich mich da nicht wohl fühle. Das habe ich vielleicht zehn-, zwölfmal gemacht in meinem Leben. Ich würde mir dann eine Band aussuchen, die aus einer anderen Ecke kommt, damit ich sie sehen kann bzw. mit ihr unterwegs sein kann. Da müsste ich mir aber überlegen, ob die Leute die uns sehen wollen, auch diese Band sehen wollen und andersrum. Mir fällt jetzt nichts ein. Ich würde schauen, das man einen ordentlichen Headliner bekommt, damit die Tour kein finanzielles Desaster wird und als dritte Band würde ich mir eine aussuchen, mit der wir auf menschlicher Ebene befreundet sind.

Herbert:
Was stört dich denn an Metalkonzerten, plakativ gefragt?

Marcel:
Ich bin kein Freund von Massenveranstaltungen, wenns zuviel wird, gefällts mir einfach nicht. Und im Metal, vor allem im extremen Metal braucht man Leute, die auf der Bühne genauso gut spielen können, wie es sich im Studio anhört und vor allem einen guten Sound. Extreme Musik im schlechten Sound dargeboten ist einfach tödlich für die Musik. Und das ist in der Regel der Fall, zumindest bei unseren Auftritten (lacht).
Da ich denke, dass ich da nur Enttäuschung mitnehme, lasse ich es halt. Das heißt nicht, das ich nicht zu Konzerten gehe, ich schau mir immer gerne mal was an. Ich mag es auch nicht, das Konzerte mit drei bis acht Bands vollgestopft worden, denn beim besten Willen kann ich mir nicht mehr als drei Bands einer Stilrichtung geben.

Herbert:
Vielen Dank für das Interview.

Marcel: Ich habe zu danken.

Herbert:
Hast du vielleicht noch ein knackiges Abschlussstatement, das du unbedingt loswerden willst?

Marcel:
Nein, da fällt mir nie was ein. Ich habe mir irgendwann überlegt, ob ich ein Paket von knackigen Sätzen zusammenstelle, damit ich was habe, aber auch das habe ich noch nicht gemacht. Das werde ich wohl auch lassen.

Redakteur:
Herbert Chwalek

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