MYSTICUM: Wir blicken auf "Industries Of Inferno"

29.05.2023 | 21:40

Darkness Shall Rise Productions hat es schon wieder getan: Mit "Industries Of Inferno" steht die komplette Diskografie einer einzelnen Band auf der Matte, die tief verwurzelt im Schwarzmetall ihre finsteren Klauen bei jeder Veröffentlichung in die Augenhöhlen ihrer Hörerschaft sowie der Szene bohrte und bis heute als Vorreiter des Industrial Black Metals gilt. Ladies and gentlemen, wir sprechen über die legendäre Band MYSTICUM, blicken auf die klirrend kalte Historie des norwegischen Trios und wagen zuvor einen Blick in diese durch und durch hochwertige Box, die den schon zuvor von Darkness Shall Rise Productions aufgestellten Veröffentlichungsstandard weiter nach oben treibt.

Bevor wir uns in die Anfänge der 1990er Jahre in Norwegen begeben, öffnen wir "Industries Of Inferno", diese hochwertige und luxuriöse Hardcover-Box in mattschwarz und mit silbernem Heißfolienprägedruck. Im heimischen Schrank macht diese aus allen Nähten platzende Veröffentlichung einen gewaltigen Eindruck. Und während uns im Deckelinneren der Gehörnte persönlich die Hand reicht, springen uns zunächst drei Aufnäher an - ein farbiger, zwei in schwarz-weiß - die nicht nur das MYSTICUM-Gründungsdatum mit 1991 in Stein meißeln, sondern auch die "Piss Off!!!"-Einstellung der Mannen hinter der Band offenbaren. Als nächstes beinhaltet dieses "dangerous piece of metal" eine XXL-Flagge für das heimische Wohnzimmer, die dieses ausdrucksstarke Bandlogo, ein Pentagramm mit Vogel sowie den Schriftzug "Never Stop The Madness" ziert und somit auch die musikalische Marschroute festlegt, auf die ich zu einem späteren Zeitpunkt zu sprechen komme.

Wer die Veröffentlichungen von DSR kennt, weiß, dass die Verantwortlichen großen Wert auf Authentizität und den Hang zum Besonderen legen. Insofern haben wir der Box ein – haltet euch fest! – 272-seitiges Hardcover-Buch beiliegen, mehr geht einfach nicht. Und wohl ist der Zeitpunkt reif, euch die Protagonisten hinter dem Namen MYSTICUM vorzustellen: 1991 gründeten Robin "Dr. Best" Malmberg, John Preben "Prime Evil" Mulvik und Benny André "Cerastes" Laumann noch im Teenageralter die Band SABAZIOS, die mit "Wintermass" im frostigen Dezember 1992 ein Demo aufnahm und es 1993 veröffentlichte. Nach dem Output benannte sie sich in MYSTICUM um und kam unter die Fittiche eines gewissen "Euronymous" Aarseth von MAYHEM, der die drei Burschen mit seinem Label Deathlike Silence Productions unter Vertrag nahm. Soweit zum Karrierestart des Trios, an dem ich später nochmals ansetze und von dem es in diesem dicken Wälzer natürlich einige rare Bilder zu bestaunen gibt. Der Foto-Fokus liegt jedoch klar auf der Neuzeit, während auch einige Interviews mit den Musikern, der eine oder andere damalige Zeitungsausschnitt und vereinzelte Konzertplakatabdrucke den Foto-Overkill zusätzlich aufwerten. Am meisten bleibt mir aktuell ein Schwarzweißfoto von Cerastes im Gedächtnis, der im norwegischen Schnee mit Euronymous' Robe und Kreuz ablichtet ist. Auch Bildnisse der Post-"Planet Satan"-Ära sind dem Ende des Buches hinzugefügt, sodass wir chronologisch durch die Geschichte dieser Band gehen und tief in die norwegische Black-Metal-Szene der 1990er Jahre eintauchen können.

Selbstverständlich liegt der "Industries Of Inferno"-Box auch ein handnummeriertes Zertifikat ebenso bei wie ein ganzes Bündel an Postern, fünf Stück um genau zu sein. Hier wird nicht nur dieses fabelhafte "Planet Satan"- oder das legendäre "Black Magic Mushrooms"-Artwork, das es auch als passenden Patch gibt, honoriert, sondern die eine oder andere Bandfotografie ist auch mit von der Partie. Eine grimmiger und frostiger als die andere. Am coolsten finde ich die aufbereiteten Poster zum 2017er Auftritt auf dem Roadburn-Festival, der im Folgejahr auch als "Never Stop The Madness: The Roadburn Inferno" als CD- und DVD-Veröffentlichung für die Nachwelt festgehalten wurde. Geschmackvoll. Nachdem unsere heimischen vier Wände also mit MYSTICUM-Postern zugekleistert werden und wir unsere Nähkünste dank eines beigelegten Shaped-Backpatches vorführen können, kommen wir doch nun endlich zur Musik, zu dieser frostigen und industriell angerichteten Highspeed-Black-Metal-Offenbarung, die vor allem durch das einstige MAYHEM-Oberhaupt wegweisend beeinflusst wurde, oder?

Nein, nicht ganz. Während das Buch für die Augen, die Poster für unsere Wände, die Patches für unsere Old-School-Black-Metal-Kutte und die Box per se für unsere Vitrine gedacht war, befindet sich im Keller der "Industries Of Doom"-Vollbedienung noch ein kleines, aber feines Ledersäckchen mit MYSTICUM-Schriftzug. Geöffnet offenbart uns dieser Schatz eine Kette des Pentagramms samt Vogel, dem Markenzeichen des Trios Infernale. Geschmückt mit diesem robusten Metallanhänger mit Kette ist es aber nun höchste Zeit, mit der Musik MYSTICUMs zu starten – alle Veröffentlichungen stilecht als pechschwarze Tapes! Einmal mehr sieht man also die Liebe zum Detail, zur Authentizität, aber auch zur Musik seitens Darkness Shall Rise Productions.

Stilistisch wäre es fein gewesen, die Musik mit dem Ende Euronymous' beginnen zu lassen, doch zuvor brachte MYSTICUM noch unter dem alten Bandnamen das "Wintermass"-Demo auf den Markt. Diese sechs Tracks mit insgesamt knapp 25 Minuten bringen die einstige SABAZIOS- und spätere MYSTICUM-Ursuppe schon gut auf den Punkt: Hier regiert der Wahnsinn, die Aura könnte frostiger und diabolischer kaum sein, Belzebub persönlich grinst uns hämisch ins Gesicht und die durch den Drum-Computer erzeugte Industrial-Schlagseite könnte die Aggressivität nicht konsequenter erzeugen. Mir läuft es noch immer eiskalt den Rücken herunter, wenn 'Mourning', das finale 'Forces Of Darkness' sowie das 'Wintermass'-Titelinferno ihre Runden drehen. Natürlich sprüht der sehr überschaubare Sound den Charme des Black-Metal-Norwegens zu Beginn der 1990er Jahre durch jede einzelne Pore und doch haben "Wintermass" sowie die im Juli erstmals unter dem Namen MYSTICUM veröffentlichte Demokassette "Medusa's Tears" einen gewissen Charme. Kommen wir also zum zweiten Tape dieser Box. Vier Songs bei insgesamt 20 Minuten, eine Passage aggressiver, roher und wütender als die andere, doch merkt man schon früh eine gewisse Homogenität unserer drei Wüteriche aus Asker. Wenige Wochen nach dem Ableben Euronymous' erschien "Medusa's Tears" im Juli 1993 und war qualitativ schon einen Hauch besser als die einzige SABAZIOS-Veröffentlichung, wenngleich sich beide Tapes in Sachen diabolischer, hasserfüllter Aggressivität natürlich nicht sonderlich unterscheiden. Beide Veröffentlichungen wurden 1993 noch von MYSTICUM persönlich vertrieben, denn bevor Deathlike Silence Productions tätig werden konnte, zückte Varg sein Messer.

Nachdem es MYSTICUM im Folgejahr lediglich auf eine Split-Veröffentlichung mit ULVER brachte, griffen Dr. Best, Prime Evil und Cerastes im Folgejahr wieder an und veröffentlichten 1995 die 5-Track-Demo "Piss Off!", bei der zum ersten Mal das Symbolbild MYSTICUMs zum Vorschein kam und neben etwas überarbeiteten Versionen von 'Wintermass' und 'The Rest' mit 'Where The Raven Flies', 'Kingdom Comes' und 'In Your Grave' auch brandneues, garstiges und klirrendkaltes Material beinhaltete. Einmal mehr sorgt der programmierte Drumcomputer für eine Atmosphäre ihresgleichen, Cerastes und Prime Evil röcheln und röhren sich die Seele aus dem Leib, die effektvollen Klampfen versetzen den Songs, ihrer Aura, letztendlich dann den Gnadenstoß – ein tolles Demo und wieder ein Lebenszeichen MYSTICUMs. Nun kommen wir zu einer Besonderheit, denn das folgende Tape ist nicht in der offiziellen Auflistung der Band beinhaltet, doch dass MYSTICUM auch live die Leviten lesen lassen, zeigt uns das Live-Tape "Live At Grotten" vom 21. September 1996, das in Sachen Soundqualität natürlich dem heutigen Standard nicht entsprechen kann, aber solch eine diabolische und unmenschliche Aura trägt, dass sich auch bei den Live-Darbietungen von 'In Your Grave', 'The Rest' und dem raren 'Crypt Of Fear', eine kleine Kostprobe des kommenden full-length-Abenteuers, heuer die Nackenhaare sträuben. Ein absolutes Sahneleckerli für Fans des Underground Black Metals, wie er im Buche steht.

Nun habe ich schon angedeutet, welche Unterwelt sich am 01. Oktober 1996 offenbaren sollte, dann spreche ich "In The Streams Of Inferno", das erste full-length-Album aus dem Hause MYSTICUM, auch an. Überwiegend finden sich bis auf das bereits erwähnte 'Crypt Of Fear', das abschließende 'In The Last Of The Ruins We Search For A New Planet' und das eröffnende Instrumental 'Industries Of Inferno' - Namensgeber dieser wundervollen Box - altbekannte Brecher des Trios im leicht verbesserten Soundgewand wieder. Doch auf vollständiger Länge merkt man erst, wie konsequent über eine Spielzeit von 36 Minuten MYSTICUM diese schaurige, industrielle Atmosphäre, die droht am Kältetod zu krepieren, aufrechterhalten kann. Durch die Bank weg ballert das Debüt der drei Wüteriche auf Teufel komm' raus und zeigte zum ersten Mal auch einem etwas breiteren Publikum, wie gut Black- und Industrial Metal miteinander harmonieren können. Nach dem düsteren Intro explodiert 'The Rest' förmlich und das blanke und hasserfüllte Chaos bricht aus. Während 'Wintermass', der Uraltsong des Trios, etwas mehr dem Black Metal zugewandt ist, halten 'Where The Raven Flies' und 'Let The Kingdom Come' die Fahne des mechanischen, unterkühlten Sounds etwas höher. Mal schrillen die Schreie, mal lassen Cerastes und Prime Evil die Bestie von der vokalen Leine und das durchaus hohe Niveau wird bis zum Ende durchgezogen. Die etwas mühsame Vorarbeit hat sich also bezahlt gemacht, kann MYSTICUM doch auf ein mehr als ordentliches Debütalbum zurückblicken. Unter der sechsten Kassette "Norwegian Madness" sind insgesamt fünf Songs zusammengefasst, die außerhalb der Demo- oder Albumveröffentlichungen erschienen. Insbesondere das abschließende 'Black Magic Mushrooms' begegnet uns immer und immer wieder, doch auch 'Kingdom Comes' und 'In Your Graves', die beiden Darbietungen des musikalischen "Nordic Metal"-Tributs an Euronymous, können sich hören lassen. Zudem hat sich auch die kurz angesprochene Split-Geschichte mit ULVER in Form vom beginnenden 'Mourning', ein weiterer Uralt-Track also, wie auch 'Eriaminell' der 1998er "A Tribute To Hell – Satanic Rites"-Compilation auf diesem Tape breitgemacht. Vor allem für Die-Hard-Fans eine durchaus lohnenswerte Geschichte, obgleich ich lediglich vom Euronymous-Tribut und den pechschwarzen Pilzen wirklich angefixt bin.

Kommen wir zu den letzten beiden Tapes und Schlussakten dieser Box. Ein wahnsinnig tolles Artwork, eine "kalte, sphärische, interstellare Ästethik" und "morbide Marschrhythmen, Trommelfeuer aus dem Desruptor und Gesang zwischen drohender Beschwörung und manischem Wahn" zelebrieren den Sound und den Kult MYSTICUMs auf dem Zweitwerk "Planet Satan", das im Oktober 2014 emporstieg. Liebe Leute, ich will ehrlich sein, aber die Rezension von Kollege Stehle hätte besser nicht auf den Punkt gebracht werden können, sodass ich mich nur nahtlos dieser anschließen kann und hier verlinke. Gönnt euch bei der Lektüre Songs wie 'LSD', 'Annihilation', 'Fist Of Satan' oder 'Cosmic Gun' und ihr stimmt Rüdiger in jedem einzelnen Buchstaben seiner 10-Punkte-Rezension zu.

Last, but not least: Ich sprach auch zu Beginn das Inferno auf dem niederländischen Roadburn-Festival 2017 an, das in dieser Box leider nicht audiovisuell, aber zumindest auf einem illustren Tape vorhanden ist und somit den MYSTICUM-Rundumsorglos-Paketsack fest zuschnürt. Die Klangqualität dieses Hölleninfernos ist gut, die Songauswahl wie aus dem Ei gepellt und tatsächlich haben es die Mannen Dr. Best, Prime Evil und Cerastes auch auf diesem Festival geschafft, ihre bedrohliche und hasserfüllte Mixtur aus Black- und Industrial Metal an den Fan zu bringen. Hämmernde Drumcomputer, typisch rasende Black-Metal-Riffs, Schreie in Hülle und Fülle und fertig ist dieses starke Live-Album auf Kassette. Exemplarisch endet das Konzert mit 'All Must End' nach leider nur acht vorangegangenen Stücken, von denen aber eines drückender war als das andere. Ob 'Fist Of Satan', 'LSD', 'Crypt Of Fear' oder 'Kingdom Comes', MYSTICUM hat ein kleines Feuerwerk entfacht und das Roadburn in Schutt und Asche gelegt. Und damit enden auch fast vier Stunden MYSTICUM!

Kommen wir also nun zu meinen Abschlussworten, ist doch schon eigentlich alles über "Industries Of Inferno" gesagt: DSR hat nicht gekleckert, sondern einmal mehr in höchsten, diabolischen Tönen geklotzt und alles, wirklich alles aus MYSTICUM herausgeholt, was man aus der Historie dieses ungestümen Drei-Mann-Infernos hätte herausholen können. Einmal mehr war es mir eine enorme Freude, mit Hilfe der authentischen Extras, des qualitativ hochklassigen Buchs und der insgesamt acht Tapes einmal quer durch das schwarzmetallische Norwegen der 90er Jahre zu reisen. In diesem Sinne: Never Stop The Madness!

Redakteur:
Marcel Rapp

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