MOTÖRHEAD: Happy Birthday, "Another Perfect Day"!

21.10.2023 | 20:49

"Overkill", "Ace Of Spades" oder "Orgasmatron" gehören in jede noch so gut sortierte Musiksammlung, da sind sich alle einig. Dass unser lieber Lemmy vor allem in den 1980er Jahren allerdings auch ein paar eher versteckte Perlen veröffentlicht hat, verdient auch Erwähnung. So feiert die sechste MOTÖRHEAD-Scheibe "Another Perfect Day" in diesem Jahr stolz ihren 40. Geburtstag und anlässlich der Feierlichkeiten erscheint in diesen Tagen nun eine üppige Jubiläumsedition. Das nehmen wir zum Anlass, einmal genauer auf dieses unterbewertete Juwel zu schauen und dieses Fangeschenk näher zu betrachten.

"Aber "Another Perfect Day" hat die Zeit überdauert – viele Fans haben ihre Meinung geändert und gelernt, sie zu mögen. Aber das half uns damals nicht." Dieser Auszug aus "White Line Fever" verdeutlicht gut den damaligen und heutigen Stellenwert des "Iron Fist"-Nachfolgers: Während durch die Hinzunahme Brian Robertsons an der Klampfe der melodische Aspekt deutlicher als in den Jahren zuvor in den Vordergrund rückte, war dies den MOTÖRHEAD-Fans ein Dorn im Auge bzw. Ohr. "Unsere Fans hassten sie allerdings. Sie meinten, wir wären "kommerziell" – das Wort schon wieder. Sie schaffte nur Platz 20 in den Charts. Also war sie längst nicht so "kommerziell", wie die Leute behaupteten." Auch dieses Zitat über die erstmals am 04. Juni 1983 erschienene Scheibe trifft den Nagel auf den Kopf.

Doch schauen wir uns zunächst die Aufmachung der Jubläumsedition an und merken, wie hochwertig und geschmackvoll die sechste Platte MOTÖRHEADs wiederveröffentlicht wird. Als mehr als schmucke 3-LP-Version ist allein das ach so typische, gewaltige, aber im Kontext der 1980er-MOTÖRHEAD-Jahre auch herausstechende Artwork natürlich eine Wucht und entführt uns in einen weiteren perfekten Tag. Das eigentliche Album hat selbstverständlich eine klangliche Frischzellenkur erfahren dürfen und darf sich den Platz mit einer Live-Aufnahme der kompletten MOTÖRHEAD-Show vom 22. Juni 1983 aus der Hull City Hall den Platz teilen. Dazu später mehr, seien doch noch einige Worte über das üppige Booklet erwähnt, die die Zeitreise ins Jahr 1983 noch wesentlich authentischer gestalten. So hält die Veröffentlichung rare Fotos unserer drei Protagonisten, einige bisher unveröffentlichte Interviews, die uns ein gutes Verständnis von der damaligen Situation ermöglichen, sowie abgedruckte, rare Erinnerungsstücke wie handgeschriebene Briefe, Konzerttickets wie auch Plakate, Setlisten und Single-Artworks bereit. Mehr geht nicht.

Bevor wir uns über die Platten hermachen, seien noch die historischen MOTÖRHEAD-Hintergründe dieser Zeit geklärt und weshalb "Another Perfect Day" das einzige Studioalbum der Jungs mit Gitarrist Brian "Robbo" Robertson ist. Kurzum: Er ging Lemmy auf den Sack! Auch hiervon ist vieles in seiner Autobiographie zu lesen, war es noch nicht einmal der grelle, so gar nicht passende Kleidungsstil des Clarke'schen Nachfolgers, der sich bereits bei THIN LIZZY einen Namen machen konnte. Bei sieben der insgesamt zehn Stücke auf "Another Perfect Day" beteiligte sich der Schotte am Songwriting, was sich auch in einer wesentlich melodischeren, moderneren und filigraneren Gitarrenarbeit niederschlug, als es MOTÖRHEAD noch mit dem schnellen Eddie auf "Iron Fist" gelang.

Doch spätestens bei der anschließenden Tour im Sommer 1983 wurden die Spannungen in der Band sichtbar, weigerte sich Robbo doch, alte MOTÖRHEAD-Titel zu spielen, um nicht mit der Vergangenheit der Jungs in Verbindung gebracht zu werden. Das Fass zum Überlaufen brachten jedoch sein Alkoholrauschverhalten sowie seine recht eigenwillige Art, mit den neuen MOTÖRHEAD-Songs umzugehen, stimmte er in Hannover doch dreimal hintereinander das aktuelle Titelstück an, was unseren Lemmy gelinde gesagt in Rage brachte. Die Kids wollen eben 'Ace Of Spades', 'Overkill' und all den Kram hören, oder? Folgerichtig musste Robertson seine Koffer packen, darf aber auf eine sehr gute MOTÖRHEAD-Scheibe blicken, die er mit Lemmy und Phil Taylor einspielte.

Weil diesem Album per se noch eine Rezension fehlt, möchte ich auch den einzelnen Songs etwas Aufmerksamkeit schenken: So startet das MOTÖRHEAD-Trio in Form von 'Back At The Funny Farm' gewohnt offensiv und mit sehr coolem Groove, der durch das folgende 'Shine' konsequent durchgezogen wird. Und während 'Dancing On Your Grave' etwas gelassener und mit einer fantastischen Hookline um die Ecke kommt, braucht der Mid-Tempo-Rocker 'Rock It' zwar einige Zeit zum Zünden, entfacht dann aber einen regelrechten Coolness-Flächenbrand, ehe sich MOTÖRHEAD in Form von 'One Track Mind' von der etwas ruhigeren Seite zeigt. Dies war aber nur die Ruhe vor dem Sturm, so startet die B-Seite mit dem Titeltrack und wieder einer so wahnsinnig guten Hook und der Melodie zum Niederknien. Das anschließende 'Marching Off To War' verflacht vor dem heimlichen Album-Hit 'I Got Mind' leider etwas, geht aber auch gut ins Ohr. Ein ähnliches Schicksal erleidet auch 'Tales Of Glory', das nach dem beinahe schon doomigen Ausflug auch gut nach vorne rockt, aber im Schatten des abschließenden 'Die You Bastard!' das Nachsehen hat. Doch ziehen wir eine musikalische Bilanz, so hat "Another Perfect Day" nicht nur Groove in den Knochen, sondern auch durch die melodischere und fast schon moderne Ausrichtung sowie dezente ZZ TOP-Blues-Vibes sehr viel Reiz und, wie Lemmy passenderweise bilanzierte, schon damals den Test der Zeit mit Bravour bestanden.

Abschließend hören wir uns auf zwei Platten noch an, was das Trio Infernale vor 40 Jahren am 22. Juni im Rathaus von Hull fabriziert hat. 16 Songs umfasste das damalige Set und bis auf 'I Got Mind' und 'Die You Bastard!' wurden sämtliche einst aktuellen Songs zum Besten gegeben. Und allem Anschein nach konnte sich Robbo hinsichtlich der Setliste durchsetzen, suchen wir nach den Gassenhauern 'Ace Of Spades', 'Overkill' oder 'Iron Fist' doch vergeblich. Und genau hier liegt des Pudels Kern, sind doch sämtliche MOTÖRHEAD-Live-Veröffentlichungen ohne zumindest diese drei unsterblichen Klassiker kaum denkbar. Entsprechend viele Versionen sind im Umlauf und – offen und ehrlich – ist MOTÖRHEAD live mit eben eher seltener gespielten, aber nicht minder drückenden und bockstarken Brechern wie 'Shoot You In The Back', 'Hoochie Coochie Man' oder 'Go To Hell' doch eine mehr als willkommene Abwechslung. Dass abrundend 'The Chase Is Better Than The Catch' ebenso wenig fehlen darf wie 'Heart Of Stone' oder 'Iron Horse/Born To Loose', gehört jedoch auch zum guten Ton, doch in Summe sind gerade die Raritäten das Salz in der Suppe. Hinzu kommt ein wirklich guter, erdiger Sound, eine tolle Live-Atmosphäre, die unsere Protagonisten versprühen und die gewohnt energiegeladene Aura, die dazu beiträgt, dass das Publikum auf 180 ist.

Auch wenn Robertsons Zwischenspiel nur ein kurzes war, kam mit "Another Perfect Day" ein richtiger Diamant in der MOTÖRHEAD-Diskographie dabei heraus, von dem viele Jahre später auch Lemmy noch viel hielt. Und mit dieser 40th Anniversary Edition bekommt das gute Scheibchen auch jenen Rahmen, den es verdient. "Ich finde, dass "Another Perfect Day" eine gute Veränderung für uns war, und vielleicht war es ein Fehler, dass wir nicht schon viel früher experimentierten", so ein resümierender Lemmy in "White Line Fever".

Redakteur:
Marcel Rapp

Login

Neu registrieren