LORD OF THE LOST: Interview mit Pi Stoffers

11.05.2023 | 12:37

Was lange währt, wird endlich gut. Nicht das erste Mal haben es die Jungs von LORD OF THE LOST probiert, einen Platz beim Eurovision Song Contest zu ergattern. Und in den letzten Atemzügen des vergangenen Jahres erschien mit "Blood & Glitter" das neue Studioalbum der Mannen um Chris Harms. "Kommt, versuchen wir es nochmal", dachte man sich wohl und prompt gewannen sie mit dem Titeltrack den deutschen Vorentscheid für den ESC 2023 mit knapp 40% der Publikumsstimmen und werden somit Deutschland am 13. Mai in Liverpool vertreten. Und offen und ehrlich standen die Chancen in den letzten Jahren selten so gut wie in diesem. Grund genug, einmal mit Pi Stoffers, Gitarrist der Mannschaft, über dieses besondere Ereignis, aber auch die aktuelle Studiorille zu sprechen.

Pi, hinter euch liegen sehr spannende Wochen und vor euch liegen womöglich noch viel spannendere Zeiten. Die spannendsten eurer bisherigen Karriere?
Auf eine gewisse Art schon. Wir bewegen uns auf einmal in einer Welt, die wir so gar nicht kennen. Natürlich waren die Supportslots für IRON MAIDEN total abgefahren, es lag aber trotzdem im Tour-Universum, nur um 100 skaliert. Dieses ganze ESC-Ding allerdings ist etwas anderes und die ganze Bubble um den ESC sowie der Hardcore-ESC-Fan sind komplett Neuland für uns. Das merke ich speziell an dem Spirit, der diese Veranstaltung umgibt. So happy, super enthusiastisch und in einer Art ungewohnt für uns, weil wir mit LORD OF THE LOST zwar eine Nische bedienen, uns auf einmal jedoch auf einer absoluten Mainstream-Bühne bewegen. Eine sehr spannende Zeit.

Ihr tretet mit eurem aktuellen Titelstück auf. Die Ankündigung zu "Blood & Glitter" kam wie aus dem Nichts. Wie kam es dazu, dass ihr mal diesen unkonventionellen Weg der Vermarktung gewählt und Vorab-Singles, Teaser, Making-Ofs und Tralala außen vor gelassen habt?
Kurz und knapp, wir hatten keinen Bock, dieses stinknormale Musikbusiness-Spiel mitzumachen. Das haben wir vorab mit "Judas" vor zwei Jahren gemacht. Die gefühlt ewig andauernde Promo war auch cool und aufregend, aber das Gleiche nochmal zu machen? Ne, gerade bei einem Album wie "Blood & Glitter", ohnehin eine 180-Grad-Drehung für uns, da wollten wir auf alles scheißen und das Gefühl der Frische und Überraschung wieder zurückholen. Bis auf die Single 'Blood & Glitter', die sechs Tage vorher veröffentlicht wurde, kennst du nichts von der Platte und könntest sogar meinen, dass der Song die Ballade auf dem Album sei. Aber nein, es gibt keine einzige Ballade auf dem Album. Stell dir vor, du gehst zum CD-Händler deines Vertrauens, besorgst dir dieses Album und wirst überrascht, kannst etwas mitnehmen, ohne schon die Hälfte des Albums zu kennen. Uns war bewusst, dass das zahlenmäßig floppen kann, aber wir haben uns damit gut gefühlt.

Auch der Zeitpunkt mit Ende Dezember war interessant gewählt. Trotzdem: Nummer eins in Deutschland – habt ihr damit gerechnet?
Du kannst nicht damit rechnen, wenn du erst wenige Tage vor dem Release mit der Sprache herausrückst. Wir wissen natürlich um die Loyalität unserer Fans, die total krass ist und uns über beispielsweise die Pandemie enorm geholfen hat, und dachten auch, dass "Judas" mit Platz zwei unsere höchste Chart-Platzierung ever sein wird. Damit waren wir auch vollkommen fein, keiner von uns hat mit Platz eins für "Blood & Glitter" gerechnet, niemals.

Du bist auch ein Kind der 1990er Jahre. Ein ROXETTE-Cover, das ist schon cool. Aber wie kam es zur Coverversion von 'The Look' mit BLÜMCHEN?
Vor allem der Kontrast ist so geil und passt herrlich zu solch einem kontrastreichen Titel wie "Blood & Glitter". Und wie weit könnten die Welten zwischen BLÜMCHEN und Marcus Bischoff von HEAVEN SHALL BURN, mit dem wir auch ein Feature auf dem Album haben, denn noch liegen? Wir wollten 'The Look' covern, wussten auch, dass wir dafür eine weibliche Stimme bräuchten. Wir gingen mögliche Kandidatinnen durch, aber eigentlich willst du aus dem Dunstkreis, der hierfür logisch wäre, ausbrechen. Und wenn wir nach den Sternen greifen und beispielsweise LADY GAGA fragen, antwortet ohnehin niemand. Aber BLÜMCHEN ist hiervon nicht weit entfernt und hat den großen Vorteil, dass schon Kontakt bestand und Gerrit [Heinemann – Anm. d. Red.] sie auf einer DAVID HASSELHOFF-Tour kennengelernt hat. Der Vorschlag stand dann im Raum, wir haben sie gefragt und fanden die Idee vor allem ob des Kontrastes sehr spannend. Und da sie selbst ein großer ROXETTE-Fan ist, hat sie zugesagt.

Ihr seid ziemliche Arbeitstiere: Acht Alben in 13 Jahren, die Kreativität sprudelt aus euch heraus. Nebenbei noch Gigs mit IRON MAIDEN – und es geht immer weiter bergauf. Der Lohn von jahrelanger harter Arbeit, die sich nun bezahlt macht. Und nun der Eurovision Song Contest, auf den ihr euch beworben habt. Warum hat es gerade jetzt geklappt? Ist Deutschland bereit für LORD OF THE LOST?
Ob Deutschland bereit ist, weiß ich nicht, aber zum Vorentscheid hat es gereicht, hehe. Ich empfinde gerade den jetzigen Zeitpunkt als richtig. Du kommst nur zum ESC, wenn du eine Bewerbung einreichst und dich die Zuschauer auch wählen. Es ist auch kein Geheimnis, wenn ich sage, dass die Auswahl der Künstler in den letzten Jahren recht homogen war. Da hat sich nicht viel unterschieden. Aber dieses Jahr war der Grundtenor "Diversität". Das soll nicht arrogant klingen, aber wenn jemand Diversität kann, dann sind wir es. Hinzu kommt, unsere visuelle Darstellung mit "Blood & Glitter", die vor dem ESC kam, passt einfach. Der ESC selbst ist ein happy Happening – total lebensbejahend mit viel Glitter. Somit sind wir zur richtigen Zeit am richtigen Ort.

Die Reaktionen seitens der Rock- und Metalcommunity ob des Songs für Liverpool war schon überwältigend. Habt ihr damit gerechnet? Oder war euch das im Hinblick auf den generellen Zusammenhalt von vornherein klar?
Auch wenn wir gedacht haben, dass wir nicht nur auf unsere Fans, sondern auch die Community generell zählen können, waren wir doch sehr überrascht, wie weit das ging. Letztendlich haben sogar die Wacken-Veranstalter für uns die Werbetrommel gerührt. Effektiv hat es auch viele Vorurteile gesprengt: Dem richtigen Metalhead sind wir nicht hart genug, für Pop-Hörer sind wir zu hart – wir haben nie irgendwo richtig reingepasst außer in das, was wir uns selbst geschaffen haben. Dass das nun solche Kreise zieht und wir als Paradiesvögel auch außerhalb des Fan-Kreises zu dieser Community gezählt werden und solch eine Unterstützung bekommen, war total schön zu sehen. Unsere Denke "Alternative Musik gehört zum ESC" war vorher da, aber dass es solche Kreise zieht, damit haben wir nicht gerechnet.

Wie wurde die Idee geboren, LORD OF THE LOST wäre etwas für den ESC?
Das war immer ein "Warum nicht?"-Gedanke, denn das letzte, was solch eine Teilnahme machen kann, ist uns schaden. Nach unserem Mindset passen wir zum ESC, aber nicht als deutscher Beitrag. In den letzten Jahren kam aus Deutschland eher ein Singer-/Songwriter-Act, da wurde auf die Pop-Schiene gesetzt, auf der wir nun einmal nicht sind. Und nun hat es für uns geklappt.

Jury- und Zuschauerwertung lagen hierbei etwas auseinander – schließlich seid ihr aufgrund der Zuschauerwertung für Liverpool auserwählt worden. Eine ketzerische Frage, aber was stimmt mit der Jury denn nicht?
Das kann ich nicht beurteilen, da die Jury eine internationale, keine deutsche war. Ich empfinde uns selbst auch als sehr international und relevant, aber da hat jeder seine eigene Meinung. Das basiert ohnehin auf Geschmack und ich kann dir nicht sagen, warum wir auf dem fünften Platz waren. Aber darum muss ich mir auch keine Gedanken mehr machen, haha. Denn solch eine Jury sieht letztendlich auch, was vom Publikum kommt. Die Jury hat mit WILL CHURCH auch für eine fantastische Stimme gevotet, der es auch komplett verdient hätte.

Nach den letzten Jahren kann Deutschland ja nur besser abschneiden – aber in den letzten Jahren haben Rock-Acts immer wieder gezeigt, dass auch diese für den ESC funktionieren. Offen und ehrlich, wie schätzt du die Chancen für LORD OF THE LOST ein?
Ich würde niemals wagen, zu sagen, dass wir richtig geil abschneiden werden. Ich glaube aber auch nicht – und bitte nicht auf die Goldwaage legen – dass wir der deutschen Tradition folgen werden.

Das denke ich auch. Platz zwei bis fünf wäre wunderbar, aber wenn eine Band nach den Sternen greift, dann doch LORD OF THE LOST. Wurden euch seitens der Veranstalter irgendwelche Vorgaben gemacht, wie euer Auftritt auszusehen hat?
Das war unsere Anforderung. Wir haben gesagt, dass wir nur hingehen, wenn wir uns so geben, wie wir sind und wir den kompletten Einfluss darauf haben, wie wir uns auf der Bühne präsentieren. Letztendlich sind wir eine Live-Band und fangen nicht mit irgendwelchen Choreo-Spielchen an. Wir brauchen das Gefühl von Live-Konzert, auch wenn es eine TV-Show ist. Bei manchen Kamera- und Schnittbildern muss man sich entsprechend bewegen, das ist klar. Aber die größte Prämisse war und ist unsere Authentizität, dass wir uns so geben können, wie wir sind. Da gab es aber auch keine Probleme mit den Veranstaltern.

Stand 'Blood & Glitter' von vornherein fest als LORD OF THE LOST-Beitrag?
Nun, wir haben uns letztes Jahr beispielsweise mit 'One Last Song' beworben. Letztendlich repräsentiert uns 'Blood & Glitter' am ehesten und hat die komplette Bandbreite verschiedenster Klänge: sanfte Pianoklänge mit zartem Gesang bis hin zum Vollalarm mit Rumgeschreie, hehe. In diesen kurzen drei Minuten ist alles drin und es ist noch immer genau die richtige Wahl für uns und für diese Bühne.

Auf jeden Fall. Hast du den Contest früher selbst als Musikfan verfolgt oder ist es eher Neuland?
Meine Familie hat es immer geschaut und ich bekam es schon früh mit. Das hatte den Vorteil, dass ich als Kind ausnahmsweise auch lange aufbleiben durfte, haha. Man wollte schließlich auch das Ergebnis mitbekommen, ich habe aber damals nie die Tragweite des ESCs verstanden. Und als Jugendlicher hat man in der Pubertät ohnehin andere Sachen im Fokus und verfolgt den ESC nicht mehr. Irgendwann kommt es dann wieder, weil man sich wieder in der Musiklandschaft befindet und es interessant findet. Durch Lena hat Deutschland 2010 mitgefiebert und der Hype ging auch an mir nicht vorbei. Dann flaute es wieder etwas ab und vor fünf Jahren kam Michael Schulte und wurde Vierter. Was also zwischen LORDI und Lena und Lena und Michael Schulte war, habe ich nur nebenbei mitbekommen. Auch das hat sich durch MANESKIN 2021 und den – bitte nicht falsch verstehen – sehr politisierten ESC im vergangenen Jahr wieder geändert.

Wenn du einmal den Blick in die Glaskugel wagst, welche Bedeutung könnte der ESC für LORD OF THE LOST haben?
Was auch immer passiert, wird das eine gute Basis sein für das, was wir mit unserer Art und Weise daraus machen. Welchen Platz auch immer wir erreichen werden, sind wir gut darin, etwas Lohnenswertes für uns daraus zu ziehen. Und so werde ich auf den Wettbewerb schauen. Doch auch ohne ESC geht dieses Jahr sehr viel ab. Das klingt zwar scheiße, ist für uns aber eine Art Add-on.

Du rechnest als Rock-Act auch eher mit dem Album-Tour-Album-Tour-Rhythmus und nicht mit einem Platz in Liverpool während des Eurovision Song Contests. Ich finde, dass die Band von ihrer Live-Präsenz und dem Extravaganten lebt.
Genau, wir ziehen unser Ding komplett durch, nur das Budget für einen Auftritt beim ESC ist etwas größer als bei unseren üblichen Auftritten, hehe. Das erste Limit ist immer das finanzielle, aber von der Art her, wie wir sind und wir das machen, bleibt es komplett uns überlassen.

Komplette Authentizität also. Ich freue mich sehr auf den Auftritt und möchte mich vielmals für das Gespräch bedanken. Wie schon gesagt, ist "Blood & Glitter" ein tolles, euch sehr repräsentierendes Album geworden – alles Gute damit und für den Eurovision Song Contest! Was möchtest du unseren Lesern noch mit auf den Weg geben?
Sollten die Leser von POWERMETAL.de den ESC verfolgen, würde ich mich freuen, wenn sie sich darauf einlassen und nach ihrem Geschmack gehen. Natürlich dürfen uns alle unterstützen, das fände ich hervorragend. Beim ESC hat auch dieses Grenzen-Ding das Heft in der Hand und bestimmt letztendlich, wer für wen votet. Aber letztendlich geht es um Musik, nicht um Ländergrenzen. Wir treten für Deutschland an, weil wir hier geboren sind. Deswegen sollte Geschmack der erste Parameter sein, weshalb man votet – und nicht das Land. Gebt die 14 Cent pro Minute aus, das ist es Wert.

Fotocredits: VDPictures

Redakteur:
Marcel Rapp

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