In der Gruppentherapie: INDUKTI - "Idmen"

16.07.2009 | 22:23

Ein Album frei von Grenzen, progressiv bis zum Anschlag und sicher nicht für die Masse geeignet, wird Soundchecksieger bei POWERMETAL.de. Ganz ohne kontroverse Meinungen gab es dieses Ergebnis nicht, wie euch unsere Gruppentherapie zeigt.





Beachtet bitte auch unser Gewinnspiel, bei welchem ihr das Album gewinnen könnt.

Kurzer Auszug aus dem Steckbrief von Nils Frykdahl, der bei 'Tusan Homichi Tuvota', einem von drei "Idmen"-Songs mit Vocals, zu vernehmen ist: sitzt normalerweise im SLEEPYTIME GORILLA MUSEUM, baut mit den dortigen Kollegen eigene Zwischenweltinstrumente, ist für Klangerzeugnisse, die 'Sleep Is Wrong' oder 'Helpless Corpses Enactment' heißen, mitverantwortlich, hört Stimmen, die ihm nichts Anständiges flüstern, und kann zu jeder seiner Unterhosen ein Zwanzig-Strophen-Gedicht freestylen. Gastiert der Typ auf einer Platte, sollten die Schrebergartenmetaller geschlossen antreten und die Ohren empfangsbereit schalten, um nach spätestens dreißig Sekunden auf das Satzungspapier reihern zu können. Aber diese Stunde ist nicht nur dank solcher vorstellbarer Reaktionen auf ihren Inhalt bemerkenswert. Mit Prog Metal der Anti-DREAM THEATER-Ausführung, apokalyptischem Gefiedel, Einzelhaftpsychedelik und konsequenter Freigeistattitüde vertonen die Polen INDUKTI ihren persönlichen Fiebertraum für die enthusiastische Opposition. Das abschließende Monument 'The Ninth Wave' lässt mit Möwengeschrei und Meeresrauschen am Ende Raum für Hoffnung und weist auf ein Refugium der Ruhe hin, vorher ist das Album teilweise so bedrohlich, dass sich Black-Metaller hinter den Bibern im Wald verstecken. '... And Who's The God Now?!' darf man da berechtigt ausstoßen. Und mit intaktem Selbstbewusstsein versorgte Musiker können Ausgezeichnetes wie 'Aemaet' und 'Nemesis Voices' hervorbringen, während andere immer noch die Ozzy-oder-Dio-Fragestellung durchkauen.

Note: 8,5/10
[Oliver Schneider]

In den letzten Monaten und Jahren war mein Verhältnis zu progressiver Musik sehr gespalten. Den so genannten Genre-Prog finde ich seit jeher langweilig und auch Musik, die im Wortsinne progressiv ist, kann bisweilen durch selbstgefälligen, emotionslosen Narzissmus gnadenlos belasten. Doch dann gibt es immer wieder Bands, die auf wundersame Weise aus den langweiligen Untiefen anspruchsvoller Flachheit heraus ragen. Diese Bands sind es, die es auch für mich als bekennenden Prog-Skeptiker interessant machen, mich mit progressiver Musik zu befassen, weil ich eben solche Bands bisweilen sehr verehre. Bis zur wirklichen Verehrung reicht es bei den Polen von INDUKTI zwar noch nicht, aber durch die verschrobenen World-Music- und Tribal-Einflüsse, den abgedrehten und vielseitigen Gesang und die ständige Präsenz dessen, was ich gerne den "Freak Factor" nenne, geben mir die polnischen Avantgardisten ungleich viel mehr als etwa der Vormonatssieger des Soundchecks, den ich retrospektiv wohl deutlich zu hoch bewertet habe. Wer also wirklich ausgefallene und spannende progressive Musik hören will, der soll lieber zu INDUKTI greifen als zu den vermeintlich Großen des Genre-Progs.

Note: 8,0/10
[Rüdiger Stehle]








Was wollen uns die Musiker damit sagen? Zur Hälfte mit Gesang, der Rest instrumental, nehmen uns die Polen an der Hand und führen uns durch einen Klangwald, der nur gelegentlich einen Sonnenstrahl durchs Blätterdach lässt, so dass wir uns an den Musikern festklammern, um nicht zurückgelassen zu werden, in diesem Universum der Widersinnigkeit, der wilden Schönheit, die dem Wanderer doch beim Durchqueren dornig die Kleidung zerreißt. In den Stücken mit Gesang wird das Ganze keineswegs zugänglicher, sondern erweist sich weiterhin widerspenstig, wenn es darum geht, einen Zugang zu dem Album zu finden. Es ist äußerst schwer zu beschreiben, was INDUKTI auf ihrem zweiten Album spielen, es werden zwar ein paar kleine Parallelen zu ihren Landsleuten RIVERSIDE hörbar, aber noch viel mehr zu den kühlen Gefühlen ANATHEMAs, eine Mischung aus Polen-Prog und nordischem Herbstwind dominiert von außergewöhnlicher Instrumentierung, Stilsprengseln und extremen Kontrasten. Technisch ist das Alles auf hohem Niveau, doch mitreißend nur selten, und über die Langstrecke wirkt die Mixtur doch etwas ermüdend. Man muss konstatieren, dass Gesangsmelodien eben doch die Brücke bauen, mit der Progmusiker ihre Kompositionen genießbar machen können. Tracks wie 'Indukted' bleiben einfach nicht hängen, während mehr Songs wie 'Tusan Homichi Tuvota' oder 'And Who’s The God Now' dem Album sicher zu einer höheren Wertung verholfen hätten.

Note: 7,0/10
[Frank Jaeger]

Hoppla, was war das denn? So waren meine ersten Gedanken zum Zweitling der polnischen Instrumentalkapelle INDUKTI. Völlig verwirrende, aber stellenweise auch sofort mitreißende Musik, die allein aufgrund der verwendeten Instrumente abgefahren klingt. Wo sonst bekommt der aufgeschlossene Musikliebhaber Violinen, Blasinstrumente und gar ein Hackbrett innerhalb eines Rock-Korsetts angeboten? Und diese Instrumentierungen sind kein Beiwerk, welches von starren Strukturen umgeben wird. Vielmehr dominieren sie das Gesamtbild und drücken INDUKTI somit einen sehr individuellen Stempel auf, der ausnahmsweise einmal den Begriff "progressiv" sehr passend macht. Und als wäre das nicht alles schon ausreichend viel Abwechslung, geben sich noch drei Gastsänger das Mikro in die Hand und erzeugen somit noch einmal weitere Farbnuancen innerhalb des schillernden INDUKTI-Kosmos. Hierbei hat es mir besonders 'Tusan Homich Tuvota' – gesungen von Nils Frykdahl (SLEEPYTIME GORILLA MUSEUM) – angetan, da diese Nummer neben aller Verspieltheit auch noch mit einem sehr heftigen Groove nach vorne donnert. So etwas wie die Hitsingle des Albums, wäre sie nicht neun schlanke Minuten lang. Es fällt mir schwer, die Musik auf "Idmen" in Worte zu kleiden, aber genau das macht auch den Reiz dieses Albums aus. Man hört es immer wieder und entdeckt jedes Mal Details, die einem vorher nicht aufgefallen sind. Und dies wäre auch vielleicht das einzige Manko: Wie bei einem David-Lynch-Film, wird man selbst nach intensivem Genuss nicht zu dem Ergebnis kommen, man hätte die Scheibe "verstanden". Muss man das aber überhaupt?

Note: 9,0/10
[Holger Andrae]








Schwer verdauliches Material haben INDUKTI mit "Idmen" auf die Menschheit losgelassen. Die musikalische Reise, auf die uns die Polen mitnehmen möchten, ist gewiss keine Spazierfahrt, sondern ein Abenteuer. Und darin liegt auch die Krux dieser Veröffentlichung: Die Vielzahl sehr unterschiedlicher Passagen in den einzelnen Stücken verschmilzt leider nicht zu einem stimmigen Ganzen. Der Gesang der Gastsänger ist ebenfalls nicht gerade als konventionell zu bezeichnen. Selbst nach wiederholtem Hören dieser Scheibe bleibt bei mir sowohl auf emotionaler Ebene als auch im Hinblick auf einzelne Lieder nichts hängen. Im Übrigen ist das aktuelle Album der Polen derart sperrig, dass ein kompletter Hördurchlauf des Albums aus meiner Sicht ohnehin fast unmöglich ist. Obgleich "Idmen" in der Summe eine Vielzahl interessanter Songideen und Strukturen birgt, so agiert die Band für meinen Geschmack viel zu verkopft. Und dieser Umstand raubt mir fast jeglichen Spaß an dieser Scheibe. Das haben die Landsleute RIVERSIDE für meine Begriffe wesentlich besser hinbekommen. Obgleich die Spielfertigkeiten der INDUKTI-Musiker Respekt verdienen und "Idmen" ein unkonventionelles und in dieser Form wohl einzigartiges Album sein mag: Ich würde es nur bekennenden Prog-Fans und Abenteuerlustigen empfehlen.

Note: 6,5/10
[Martin Loga]

Stellenweise hört man aus dem Kollegenkreis, wie anstrengend und wenig zugänglich der zweite Rundling der polnischen Prog-Hopefuls INDUKTI wäre, und teilweise finde ich diesen Einwand auch berechtigt. Dennoch ist zu betonen, dass auf "Idmen" auch eingängigen und harmonischen Passagen viel Raum gelassen wird, durch die ein wunderbarer Kontrast zu den weniger leicht fassbaren Parts aufgebaut und eine spannungsgeladene Vielfalt präsentiert wird. Man nehme nur den hervorragenden Opener 'Sansara': Gediegene und stimmungsvolle Streicher-Klänge wechseln sich mit kantigen Riffs ab - dabei ist das Ganze dermaßen mitreißend inszeniert, dass einem der fehlende Gesang zunächst gar nicht bewusst und auch später an keiner Stelle vermisst wird.

Nur bei drei Stücken wird überhaupt mit Gesang gearbeitet, wobei jeweils ein anderer Gastsänger für die Intonierung gewonnen werden konnte. Dabei kann ich mich nur mit der Darbietung von SLEEPYTIME GORILLA MUSEUM-Vokalist Nils Frykdahl nicht so recht anfreunden, bei '...And Who's The God Now?!' und 'Nemesis Voices' passt der Gesang der ROOTWATER- bzw. PRISMA-Sänger wie Arsch auf Eimer. Dabei erweist sich der Ansatz als hilfreich, dass INDUKTI einen Song erst fertig komponieren, bevor (falls erforderlich) ein stimmlich passender Sänger ausgesucht wird. Oder auch nicht, denn die Stücke kommen in jedem Fall musikalisch und kompositorisch so reichhaltig und eindrucksvoll daher, dass gar kein weiteres Stilmittel in Form von Gesang benötigt wird. Große Kunst einer sehr originellen Band!

Note: 9,0/10
[Stephan Voigtländer]








Geht’s noch? INDUKTI stecken in ihren ersten Song, 'Sansara', mehr Esprit, Witz und Gefühl als so manch andere Band in ganze Alben. Das ist einfach unglaublich. Das ganze Album erzeugt eine intensive Spannung, bedingt durch außergewöhnlichen Gesang und ein geniales Gespür für überraschendes, in seiner Komplexität aber nicht überforderndes Songwriting. Voller grenzdebiler Intensität wird der Hörer auf eine Selbstfindungstour durch den eigenen Geist geschickt. In ekstatische Gehörorgasmen gesteigerte und immer weiter aufputschende Songs verdichten alle Sinnfragen in ein '...And Who's The God Now?!'. Dazu streifen INDUKTI das klassischen Metalgewand ab und suchen sich Elemente aus Ost-Folk oder meinetwegen Metalcore, um sie passgenau einzusetzen und die Songs zu erhabenen Klangkunstwerken zu machen. Was hält sie nun von der ultimativen Weltherrschaft ab? Möglicherweise genau der Punkt, der sie so besonders macht: INDUKTI verlangen mit "Idmen" die volle Aufmerksamkeit des Hörers. Mal so nebenbei ist nicht. Vielmehr heißt das Drücken der Playtaste, dass man sich über den Rand der Klippe begibt und in den freien Fall durch die acht Sphären des ungewöhnlichen Albums springt. "Idmen" ist Kunst in Reinkultur und wer behauptet, alles verstanden zu haben, der lügt.

Note: 8.5/10
[Julian Rohrer]

Redakteur:
Peter Kubaschk

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