Im Dialog: NAPALM DEATH - "Time Waits For No Slave"

23.01.2009 | 07:48

NAPALM DEATH haben mit "Time Waits For No Slave" ein neues Langeisen am Start, das von zweien unserer Redakteure auf Herz und Nieren geprüft wurde. Ob das neue Studiowerk von Barney Greenway & Co. aus dem Backkatalog besonders herausragt oder nicht, das erfahrt ihr im nachfolgenden Gedankenaustausch.

Wir befinden uns in der virtuellen Redaktionskantine von POWERMETAL.de, an einem sagenumwobenen Ort also, an dem sich zahlreiche Old-Schooler, einige New-Schooler, vereinzelte Rocker, diverse Thrasher und seelenschwarze Blackies zum Fachsimpeln über Neues und Altes aus dem metallischen Parallel-Universum treffen. Am Tresen sitzen zwei Patronengurt-behängte Gestalten vor mächtigen Humpen voller Gerstenkaltschale: Kauz-Metal-Kenner Martin Loga (ML) und sein Vornamensvetter Martin van der Laan (MvdL), seines Zeichens Halb-Holländer und bekennender Edelstahl-Traditionalist. Unsere beiden Freunde sind ziemlich aufgeregt, denn sie haben soeben eine Begegnung der dritten Art hinter sich. Beide haben sich einer mehrstündigen Dauerbeschallung mit dem brandneuen NAPALM DEATH-Album "Time Waits For No Slave" ausgesetzt und Bekanntschaft mit dem Suchtpotential dieses apokalyptischen Geschosses gemacht.








MvdL:
Hey-ho, eine neue Platte von NAPALM DEATH ist für mich immer ein Grund zum Feiern. Mit dieser Band verbindet mich eine besondere emotionale Beziehung. Ich erinnere mich noch sehr genau an das Jahr 1987. Ich war damals zarte 13 Jahre alt und hatte kurz zuvor METAL CHURCH, SAVATAGE und HELLOWEEN für mich entdeckt. Doch eines Tages spielte mir ein ziemlich schräger Kumpel etwas vor, das mein Weltbild nachhaltig erschütterte: "Scum" von NAPALM DEATH. Was für ein viehischer, eklig-schöner Hyper-Krach!!  Zunächst war ich irgendwie angewidert, dann aber völlig fasziniert von diesen komischen Geräuschen; es war wohl die Geburtsstunde der Grindcore. Bald haben wir alle zusammen 'Multinational Corporations' gegrunzt. "From Enslavement To Obliteration" habe ich geliebt. Tue ich eigentlich heute noch. Meine liebsten NAPALM DEATH-Alben sind aber immer noch "Harmony Corruption" und "Utopia Banished". Das war, als die Jungs anfingen, mehr Death Metal in ihren Sound zu mischen. Außerdem war und ist Barney der bessere Frontmann als Lee Dorrian.


ML
:
NAPALM DEATH habe ich erst spät für mich entdeckt. So mit fünfzehn. Ich sah den Videoclip zum ruppigen 'Mass Appeal Madness' damals bei "Metalla", einem sehr coolen Format bei VIVA (Ja, die haben nicht immer Schrott gesendet!). Dieses wütende Gebolze ging mir nicht mehr aus dem Schädel, diese zerstörerischen Blasts und die massiven Gitarrenwände. Das war 1995, glaube ich. Im Prinzip waren NAPALM DEATH der Einstieg für mich in Sachen Grindcore. Mir gefällt "Harmony Corruption" ziemlich gut, wobei ich auch die Zusammenstellung "Death By Manipulation" sehr stark finde. Das Kultalbum schlechthin ist unzweifelhaft "Scum", obwohl natürlich sich dieses Teil in Sachen spieltechnischer Anspruch weit hinter den aktuellen Outputs der Band anstellen muss. Ansonsten mag ich vom neuzeitlichen Material "Smear Campaign" bisher am meisten.


MvdL
:
Zwischendurch gab's auch mal das eine oder andere nicht ganz so zwingende Album, ich sage nur "Diatribes". Extrem klasse fand ich "Inside The Torn Apart" und auch die letzten beiden Scheibe "The Code Is Red... Long Live The Code" und "Smear Campaign" haben mir die Ohren ordentlich durchgepustet. Zuletzt waren wieder mehr Grindcore und punkige Grooves in der Musik drin. Wenn man das mit jüngeren Knüppel-Acts wie NASUM oder ROTTEN SOUND vergleicht, könnte man glatt von Ultraheavy Melodic-Grind sprechen.


ML:   
Eine treffende Beschreibung, Herr Kollege! Ja, "Diatribes" fand ich auch nicht so prickelnd, denn auf dieser Scheibe ist der Band der Grind-Einschlag spürbar abhanden ge- kommen. Aber was NAPALM DEATH in den letzten Jahren abliefern, das kann sich mehr als sehen lassen. Nach einer famosen Langrille wie "Smear Campaign" hat mich der aktuelle Output "Time Waits For No Slave" schier aus den Latschen gehauen!


MvdL
:
Erging mir ähnlich. Anfangs hat mich das neue Album ziemlich erstaunt. Da steckt so wahnsinnig viel drin, dass man einige Durchläufe braucht, um alles aufzunehmen und zu verarbeiten. 


ML
:
In Sachen Abwechslungs-reichtum haben sich Barney und seine Mannschaft wahrhaft nicht lumpen lassen. Einen ganzen Haufen tierischer Grindcore-Groovemonster haben NAPALM DEATH auf ihrer aktuellen Langrille für die Nachwelt konserviert. Besonders mit der schweren Walze 'Limb From Limb', aber auch Dampframmen wie 'Work To Rule' und 'Diktat' haben NAPALM DEATH für meine Begriffe echte Klassiker am Start. Oder wie siehst du das? 


MvdL
:
'Life And Limb' ist so eine Nummer, die mich erst total überrascht und dann schwer begeistert hat. Sollte das die erste Single werden? Dann muss Britney Spears sich aber verdammt warm anziehen, hahaha...!  Nee, mal im Ernst, ich kann mich an keine NAPALM DEATH-Platte erinnern, die so vollgepackt war mit charismatischen, vielschichtigen Songs. Früher waren es oft gar nicht so sehr die einzelnen Stücke, die mich so umgeblasen hat, sondern mehr das gesamte Album als tonnenschwere Dampframme. Ich habe den Eindruck, dass sich Barney und seinen Mannen dieses Mal besonders viel Zeit genommen haben fürs Songwriting.
                     













ML:
Also ich würde sogar soweit gehen, dass NAPALM DEATH mit "Time Waits For No Slave" das abwechslungsreichste Werk ihrer Karriere überhaupt abgeliefert haben. Ich meine, du findest echt alles auf dieser Scheibe, vom infernalischen Grind-Geschoss der Marke 'Strong Arm', über Groovekiller wie 'Downbeat Clique' bis hin zu ungewöhnlicheren Kompositionen wie 'Procrastination On The Empty Vessel', wo die Gitarren für meine Ohren sehr originell klingen.


MvdL
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Wer uns so zuhört, könnte meinen, dass NAPALM DEATH ganz anders klingen als zuvor. Dem ist aber nicht so, die Gitarrenarbeit ist über weite Strecken sehr typisch, die Grind-Eruptionen und die sehr britisch klingenden Todesblei-Einflüsse sind präsent, das infernalische Gekreische von Mitch Harris geht immer noch durch Mark und Bein. Ein gutes Beispiel für eine klassische NAPALM DEATH-Nummer ist 'Diktat', das wird die alten Fans zum Ausrasten bringen und schreit förmlich nach livehaftiger Umsetzung. Auch Midtempo-Groover wie 'The Brink Of Extinction' gehören auf jede vernünftige NAPALM DEATH-Platte. Aber was ist den in 'Work To Rule' los?  Der Mittelpart klingt ziemlich Black-Metal-lastig, finde ich.


ML:
Etwa für eine halbe Minute klingt 'Work To Rule' tatsächlich nach Black-Metal-like. Und es ballert ganz schön brutal. Da wächst kein Gras mehr, wenn Danny Herrera sein Drumkit vermöbelt. Ein sehr starker Track!


MvdL
:
Mit dem Titelsong wird es dann so richtig spannend, diese wieselflinken Gitarren-Leads und der hypnotische Gesang ergänzen sich sehr schön mit dem äußerst aggressiven, thrashigen Gebolze dazwischen. 'Limb To Limb' und 'Downbeat Clique' hast du ja schon angesprochen, das werden auch ganz große Schlachtfeste auf der Tour. Mir tun schon die Nackenmuskeln weh, wenn ich nur dran denke! 


ML:
Die Gitarrenleads des Titeltracks 'Time Waits For No Slave' sind fast schon ein wenig frickelig und stark gemacht. Auf die Live-Umsetzung der neuen Geschosse freue ich mich auch schon sehr. Ich habe NAPALM DEATH im Mai 2008 in der Röhre in Stuttgart erlebt. Es war meine dritte Begegnung mit der Band. Ich sag dir eins: Das war mein Konzert des Jahres! Absolute Granate. Das Live-Inferno, das NAPALM DEATH da entfesselt haben, war wirklich beeindruckend. Die Frage ist nur, wie man die ganzen neuen Hits in den Set einbaut, ohne dafür zu viele alte Kracher opfern zu müssen.


MvdL:
'Fallacy Dominion' ist einer meiner Lieblingssongs. Wer so einen intensiven Chorus in eine dermaßen brutale Nummer reinbauen kann, ist definitiv von den Göttern gesegnet. Aber sag mal, bilde ich mir das ein, oder kann die zweite Hälfte von "Time Waits For No Slave" tatsächlich nicht mehr hundertprozentig mit dem atemberaubenden Niveau der ersten mithalten? 'Procrastination On The Empty Vessel' und das völlig entfesselte 'A No-sided Argument' sind in der Tat Highlights. Ein Track wie 'Larceny Of The Heart' plätschert aber phasenweise vor sich hin. Und 'Feeling Redundant' knallt zwar ordentlich, verliert aber im Chorus irgendwie an Dynamik. 


ML
:
Wie bitte? Plätschern? Das sehe ich nicht so. Dass das letzte Drittel vielleicht etwas weniger mächtig klingt als das illustre Dreierpaket am Anfang, das aus 'Strong Arm', 'Diktat' und 'Work To Rule' besteht, da ist was dran. Wirklich schwächeln tut aber kein Song der Platte. Ich finde auch den rüden Abschlusstrack 'De-Evolution Ad Nausea' ziemlich gut. Der Chorus von 'Fallacy Dominion' ist übrigens in der Tat beeindruckend, da er sehr wuchtig und regelrecht hymnenhaft ausfällt.


MvdL
:
Ich wollte ja auch nicht sagen, dass es wirklich schwache oder langweilige Momente gibt auf "Time Waits For No Slave". Wir reden lediglich über eine Differenzierung in "nur" gute und fantastische Songs. 


ML
:
Aha! Jetzt willst du wieder ein bisschen beschwichtigen, hahaha... Was sagst du eigentlich zur Produktion und zum Mix der Scheibe? Im Vergleich zum rumpelig produzierten "Order Of The Leech" ist die Neue eine klangliche Glanzleistung. Jedes Instrument ist super herauszuhören und der Sound klingt sehr klar und zur selben Zeit auch lebhaft.


MvdL
:
Stimmt, soundtechnisch ist die Platte ein wahrer Genuss. Herrlich aggressiv und doch transparent. Wer war da eigentlich für Produktion und Mix verantwortlich? 


ML
:
Russ Russell hat die Scheibe soundtechnisch ins richtige Licht gerückt. Mit ihm arbeiten NAPALM DEATH ja schon lange zusammen. Er fungierte bereits bei "Enemy Of The Music Business" (2000) als Co-Produzent.

                                                                                                          
MvdL:                      
Findest du nicht auch, dass Barney  mehr und mehr wie eines dieser kultigen Pappmaschee-Monster aus den trashigen, alten Schwarzweiß-Horrorstreifen aus Japan klingt?
                                
ML:
Wie Godzilla? Vielleicht nicht ganz. Godzilla pfeift in diesen Billig-Schinken aus dem letzten Loch, während Barney als Brüll-Gott durchgeht. Und als entfesselter Berserker auf der Bühne hat er dem billigen Pappmaschee-Reptil aus Nippon-Land auch in Sachen Beweglichkeit vieles voraus.


ML:
Hmm...Wie könnte nun ein Fazit zur neuen Scheibe aussehen? Ich denke, dass "Time Waits For No Slave“ grundsätzlich ein typisches NAPALM DEATH-Album ist, das aber in Sachen Songwriting variabler ausfällt als "Smear Camapaign". Meine Erwartungen haben Barney und seine Mannschaft übertroffen. Und dass "Time Waits For No Slave" saftig in die Kauleiste trümmert, muss ich ja wohl nicht noch einmal betonen, oder? Das ist eine Killerscheibe aus meiner Sicht!


MvdL:
Es ist schon bewundernswert, wie diese Band seit Jahren immer wieder höchste Qualität abliefert. "Time Waits For No Slave" ist ein wunderbares Beispiel dafür, dass auch bei einer extremen Knüppel-Platte die Raffinesse und die kompositorischen Feinheiten über Wohl und Wehe entscheiden. NAPALM DEATH sind eben nicht brutal zum Selbstzweck, sondern töten mit Sinn und Verstand. Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass "Time Waits For No Slave" zu den Highlights der Diskographie dieser Truppe gehört. Wer es besonders gerne auf die ganz harte Tour mag, sollte diese Platte auf gar keinen Fall verpassen!




Tracklist

01. Strong Arm
02. Diktat
03. Work To Rule
04. On The Brink Of Extinction
05. Time Waits For No Slave
06. Life And Limb
07. Downbeat Clique
08. Fallacy Dominion
09. Passive Tense
10. Larceny Of The Heart
11. Procrastination On The Empty Vessel
12. Feeling Redundant
13. A No-Sided Argument
14. De-Evolution Ad Nauseum

Label/Vertrieb: Century Media
VÖ-Datum: 23.01.2009

Redakteur:
Martin Loga

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