Hartmut Rosa und der Heavy Metal: When Monsters Roar and Angels Sing

25.08.2023 | 09:57

Deutschlands Resonanzforscher Hartmut Rosa hat ein Buch über Heavy Metal geschrieben. Ich habe es mir zu Gemüte geführt und geschaut, ob es mit mir in Resonanz tritt.

Die wissenschaftliche Inspektion des Heavy Metal hat schon immer mein Interesse geweckt. Daher wurde ich sogleich hellhörig, als ich von Hartmut Rosas neuem Werk "When Monsters Roar and Angels Sing – Eine kleine Soziologie des Heavy Metal" erfuhr.

Hartmut Rosa ist Professor für Allgemeine und Theoretische Soziologie an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena und außerdem Direktor des Max-Weber-Kollegs an der Universität Erfurt. Ich kenne ihn von seinen Auftritten auf den Podien des Deutschen Evangelischen Kirchentages, auf dem ich mich alle zwei Jahre tummle, wenn ich mal eine Metal-Pause benötige.

Hartmut Rosa forscht zu den Themen Zeitnot, Beschleunigung und Resonanz. Und nun hat er sich mit seinem beim Verlag W. Kohlhammer erschienenen Buch als Heavy-Metal-Fan geoutet.

Was er wohl zu sagen hat, frage ich mich und bestelle das Buch. Aus dem Klappentext des Buches geht hervor, dass Rosa untersucht, warum die Metalfans so sind wie sie sind. Warum sie sich so intensiv mit dieser Krachmusik beschäftigen, warum sie immer wieder die Konzerte der gleichen Bands besuchen und auch noch CDs kaufen. "Worum geht es im Heavy Metal wirklich?", steht im Klappentext des Buches. Das ist eine ziemlich universale Frage, die ein bisschen nach Boulevard-Journalismus à la "Wir wissen, wie es wirklich war" klingt. Aber sowas traue ich Hartmut Rosa gar nicht zu und fange daher erst einmal an, zu lesen.

Und tatsächlich ist Rosas Text ziemlich vergnüglich. Er löst aus, was autobiographische Erzählungen auch in anderen Zusammenhängen bewirken: Man identifiziert sich als Leser und erkennt sich wieder. Rosa beschreibt seine ersten Kontakte mit der Metalmusik, wie sie ihn geflasht hat und welche Anziehungskraft die Plattencover auf ihn hatten. Es sind Schulgeschichten dabei über ihn und seinen Freund, wie sie unter der Schulbank Cassetten austauschen und in Schallplattenläden nach den Alben suchen, die sie unbedingt haben müssen.

Ja, so war das bei uns auch, denke ich. Da kommen schöne Erinnerungen hoch an die ersten Kontakte mit einem prägenden Musikstil, der ein Lebensbegleiter geworden ist. Aber warum ist das so? Warum sind Hartmut Rosa und man selbst nicht da gelandet, wo viele andere auch gelandet sind – bei der Musik, die "im Radio läuft"?

Jetzt kommt die Resonanztheorie ins Spiel. Ob ich die so richtig kapiert habe, weiß ich nicht, aber was Rosa sagt, leuchtet mir durchaus ein. Nach seiner Theorie ist Heavy Metal vor allem Energie und Berührung. Der Fan wird, wenn alles optimal läuft, durch die Musik zu einem sogenannten Gipfelmoment getragen, einem emotionalen Augenblick voller innerer Erfüllung. Ob es während eines Konzertes dazu kommt, scheint offen. Unverfügbar nennt Rosa das. Und ein aktuelles Konzert kann an frühere Gipfelmomente erinnern und damit selbst wieder zu einem solch erfüllenden Ereignis werden.

Das kommt mir irgendwie bekannt vor. Von zahllosen Konzerten meiner Lieblingsbands, die ich besucht habe, sind es nur einige wenige, an die ich immer wieder zurückdenke. Dabei erinnere ich mich besonders an die überbordende Begeisterung, die diese Konzerte in mir ausgelöst haben. CHILDREN OF BODOM in der Live Music Hall in Köln Ende Dezember 2005 war so ein Gipfelmoment für mich. Nach beklemmenden Weihnachtstagen in schwieriger familiärer Lage floh ich nach den Feiertagen geradezu aus meinem Elternhaus und erlebte dieses Konzert wie einen Befreiungsschlag. So war es nie wieder, aber die Erinnerung an dieses Konzert wurde zum Maßstab aller anderen BODOM-Konzerte. "Heavy Metal ist reine Energie, die das Geistige mit dem Leiblichen, das Innen mit dem Außen verbindet", schreibt Hartmut Rosa. Und weiter: "Es ist Berührung von innen und von außen zugleich [...]."

Lange Ausführungen widmet er auch der Bedeutung der Themen, um die es im Metal geht, meist die "letzten Dinge", also das was zwischen Himmel und Erde passiert, aber nicht so richtig greifbar ist. Himmel und Hölle, Gut und Böse, Tod und Teufel, Religion und die Engel, all das, was sich zuweilen als Artwork auf physischen Alben wiederfindet und was von so vielen Bands auf unterschiedlichste Weise betextet und besungen wird. Sehr existentiell alles.

Das Buch enthält ein paar soziologische Exkursionen, die so geschrieben sind, dass man sie auch verstehen kann, wenn man nicht in Hartmut Rosas Pro-Seminar gesessen hat. Ob man sich das alles merken kann... andere Frage. Vielleicht hat gar nicht jeder Lust, die eigene Identität als Metalfan derart intensiv zu sezieren, wie Rosa es hier tut, aber es würde durchaus passen zu den Anhängern der Schwermetallfraktion, die sich sonst so intensiv mit der Analyse von Konzerten befassen, Best-of-Listen führen und immer und immer wieder die alten Scheiben und ihre Bedeutung für die Szene und die eigene Biographie durchleuchten.

Als ich das Buch zu Ende gelesen habe, fällt mir ein Brief ein, den ich etwa 2006 an meine Mutter schrieb, die sich über meine ständigen Konzertbesuche wunderte. Ich hatte ihn später in ihrem Nachlass wiedergefunden. Ich war schon über 30 und musste mir die Frage gefallen lassen, ob man denn nicht mal erwachsen werden wolle und ob SLAYER denn "auch Lieder macht". Auf drei eng beschriebenen Seiten klamüserte ich meiner Mutter auseinander, welche Bedeutung der Metal mit seinen emotionalen Rauschmomenten für mich und meinen Lebensgefährten damals hatte und wie er unser Gleichgewicht im Alltag erhielt.

Hartmut Rosa hat also irgendwie recht.

Redakteur:
Erika Becker

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