HONIGDIEB: Interview mit Sir Hannes

19.08.2008 | 15:43

Selbst wenn man von Bands wie THE IDIOTS, PHANTOMS OF FUTURE und HONIGDIEB noch nichts gehört hat, kann man das nachfolgende Interview mit dem Kreativkopf Sir Hannes lesen, da Weiterbildung in deutscher Rockmusikgeschichte nicht schaden kann. Was der sympathische Sir Hannes nämlich zu jeder einzelnen Frage zu sagen hat, ist alles andere als Standard! Aber lest selbst:


Tilmann:
Saudumm und bestimmt schon 1000 Mal gefragt worden, aber da ich mir selbst ein Leben ohne Honigbrot nicht vorstellen kann, interessiert mich besonders, wie du auf den Namen gekommen bist.

Hannes:
Ich bin ein Mensch, der immer in Bewegung ist und für seine Kunst und für seine Lebensideologie immer neue Ausdrucksmöglichkeiten sucht. Meine Vorstellung war und ist, Musik zu machen, die tanzbar ist und ins Bein geht und den Hörern Kraft und Energie für den Alltag gibt. Dann wollte ich musikalisch sowie textlich keine Grenzen haben und völlig anarchisch texten und komponieren.
HONIGDIEB macht "MoG" (Musik ohne Grenzen). Beim Honigdieb ist alles möglich und alles erlaubt. Das ist für mich der wahre Punk! Da werden schamlos Breakbeat mit Hard Rock, mittelalterliche Klänge mit Reggae und Ska oder Punk mit Volksmusik kombiniert und zu unvergesslichen Songs komponiert. Gleichzeitig wollen wir aber auch mit HONIGDIEB die verlorenen Werte vermitteln, die in unserer egoistischen "Geiz ist geil"-Gesellschaft verloren gegangen sind.
Wir bewegen uns mit großen Schritten wieder auf die Hierarchie-Verhältnisse des Mittelalters zu - ein König und die dummen Bauern-Sklaven. Das Volk wird durch immer höhere Abgaben wie Steuern auf Benzin, Energiekosten, Lebensmittel usw. ausgesaugt und klein gehalten. "Sei wie Du bist" ist der Leitspruch vom Honigdieb. Eigentlich eine neue Art des Punk, mit Selbstverwirklichung und Gesellschaftskritik, mit einer neuen Ausdrucksform ohne Zeigefinger-Attitüde. HONIGDIEB - "Der Eulenspiegel in der Computerzeit" mit einer gewissen Robin-Hood-Mentalität. Als Logo haben wir ja einen Esel unter dem steht "Sei wie Du bist" und der einen ganz frech anschaut. Der macht, was er will! Das kann man natürlich in alle Richtungen verstehen.
Übrigens kleben mittlerweile über 50.000 in Europa davon auf Ampeln oder Verkehrsschildern. Ich weiß auch nicht wie die dahin gekommen sind...
Ich hatte auch schnell die Instrumentierung für die Musik in meinem Kopf. Querflöte wollte ich, da sie sehr fröhlich und lebensbejahend klingt. Kontrabass, weil er mehr Tiefe und Gefühl ausdrückt als ein E-Bass. Geige, weil sie auch sehr lebendig ist und man damit alle möglichen Geräusche wie z. B. Wind, Möwen, Türgeräusche simulieren kann und dadurch Bilder zaubern kann, um dann noch mehr in die Musik einzutauchen zu können.
Dazu benötigte ich dann noch für den Groove ein Schlagzeug und Gitarre. Beim HONIGDIEB sollte alles per Hand gespielt werden, weil ich kein Freund von
steriler Computermusik bin. Ca. 30 Musiker lud ich zu den Proben ein, bis sich am Ende die HONIGDIEB-Formation heraus kristallisierte. Nichts habe ich dem Zufall überlassen. 200 Bandnamen überlegte ich mir und lud dann Leute aus verschiedenen Strukturen zu unseren Proben ein, vom Metalfan oder Punk bis hin zur Lampenverkäuferin, die dann nach dem Hören von 5-6 Songs per Punktesystem ihren Favoriten aus den 20 besten Bandvorschlägen auswählen mussten. HONIGDIEB gewann mit über 100 Punkten.

Tilmann:
Wie hast du deine derzeitigen Mitstreiter für HONIGDIEB gefunden?

Hannes:
Es benötigte eine Menge Anstrengung bis ich die richtigen Honigdiebe zusammen hatte. Zu den Proben lud ich nach und nach über 30 Musiker ein. Allein 12 Schlagzeuger versuchten ihr Glück.
Wie fand ich diese Mitstreiter? Nun, ich kenne im Ruhrgebiet Hunderte von Musikern und habe in meinem Leben schon weit über 1500 Auftritte gespielt, bei denen es immer wieder neue Bekanntschaften mit anderen Musiker gab. Dann habe ich unzählige Sessions mit verschiedenen Musikern gemacht.
Außerdem verkaufe ich bei Idiots Records seit 25 Jahre auch Demos von Bands aus dem Pott und habe dadurch natürlich auch viele Kontakte zu Musikern.

Tilmann:
Wie entstehen die Songs bei euch?

Hannes:
Die Songs sowie Texte komponiere ich in Einsamkeit (auf dem Dach oder im Wald). Mit der Songstruktur treffe ich mich dann in Köln mit unserem Gitarristen. Zusammen arbeiten wir dann an den Arrangements der Songs, die wir dann im Proberaum mit der ganzen Band auf den Punkt bringen.
Alles geschieht nach meinen Vorstellungen. Aber natürlich bringen meine Musiker auch Ideen ein, da sie wirklich Virtuosen auf ihren Instrumenten sind.

Tilmann:
Gibt es bei euch manchmal Diskussionen in der Band, in denen vielleicht mal einer oder eine sagt: "Das ist mir jetzt aber doch ein bisschen zu kindisch oder zu krass"?

Hannes:
Oh, ja die gab es sehr oft. Da die Hälfte der Musiker aus der Klassik kommt, gab es am Anfang einige Verständigungsschwierigkeiten. Da wurde sich für Songs wie 'Telefonsex' oder 'Madame' geschämt...
Sie haben die Zwei- oder Dreideutigkeit verschiedener Songs erst nicht verstanden. Außerdem mussten sie auch erst mal den Rock'n'Roll kennen lernen.
Bei HONIGDIEB-Konzerten wird auch mal ein Zuhörer beim Konzert ins Bein oder in den Nacken gebissen... Alleine unsere 14-tätige Chinatour hat uns sehr geholfen zusammenzuwachsen. Aber genau auf diese Reaktionen bei meinen Mitmusikern und Hörern zielt der HONIGDIEB. Der HONIGDIEB macht keine nichts sagende Einheitsbrei–Hintergrundmusik, sondern Kunst, die polarisiert.
Die Songs sind zwar ganz bewusst so angelegt, dass jeder sehr schnell einen Zugriff zu ihnen bekommt und mitsingen kann, aber später dann doch auch unbewusst zum Nachdenken angeregt wird.

Tilmann:
Was steht derzeit bei HONIGDIEB außer der Promo für die gelungenen Seelentropfen und der laufenden Tour noch an bzw. was ist für die nähere Zukunft geplant?

Hannes:
Wir verhandeln gerade mit einigen Managements/Bands wegen einer großen Tour für den Herbst 2008 oder Frühling 2009. Außerdem arbeiten wir schon wieder an neuen Songs. Dann planen wir für nächsten Sommer eine Tour, wo wir dann wie früher die Bader (bekannt aus dem Buch "Medicus") durch die Städte ziehen und unsere Musik und "Seelentropfen" verbreiten wie im Mittelalter.

Tilmann:
Was sind deine derzeitigen Ziele mit HONIGDIEB außer dem hörbaren Spaß daran? Die Musiklandschaft bzw. –Industrie hat sich ja in den letzten Jahren ziemlich verändert und es ist nicht mehr so einfach bzw. für die meisten unmöglich, von der Musik leben zu können.

Hannes:
Beim HONIGDIEB leben alle von der Musik, und meine Musiker spielen noch in mehreren anderen Bands. Zusätzlich sind fast alle als Musiklehrer oder Dozenten an Musikschulen angestellt.

Tilmann:
Kannst du von der Musik leben bzw. was machst du sonst noch, wenn du gerade keine Texte, Gesangslinien oder Songs schreibst, probst oder Konzerte gibst?

Hannes:
Ja, ich lebe seit vielen Jahren von der eigenen Musik. Es wurden schon mehrere hunderttausend Tonträger mit meiner Musik verkauft und das, obwohl ich so eigen und kompromisslos musiziere.
Mit meinem Metal-Indie-Laden "Idiots Records" habe ich mir aber ganz bewusst vor weit über 20 Jahren ein zweites Standbein aufgebaut. Unsere Kunden kommen aus der ganzen Welt, weil wir immer wieder Sachen im Sortiment haben, die es nirgendwo anders gibt. Es waren schon fast alle großen Bands persönlich in meinem Laden, als Besucher oder für Autogrammstunden, z.B. BELA B, SISTERS OF MERCY, KREATOR, SODOM, SUICIDAL TENDENCIES, NAPALM DEATH, BIOHAZARD, PRO PAIN, VICIOUS RUMOURS, HELLOWEEN und unzählige andere. Sogar METALLICA haben mein Logo, das IDIOTS-Schwein, abgefilmt und auf einer Großleinwand vor ihrem Konzert in der Dortmunder Westfallenhalle präsentiert. Idiots Records hat mittlerweile absoluten Kultstatus.
Jetzt sind wir noch zusätzlich Nuclear Blast Store für das Ruhrgebiet geworden und können dadurch die CDs und Merchandise-Artikel noch günstiger anbieten. Ich wusste schon immer, dass es, wenn man nur seine eigene Musik macht, immer wieder Höhen und Tiefen gibt.

Tilmann:
Was zählst du persönlich zu deinen größten Erfolgen deines bisherigen Schaffens?

Hannes:
Mein Gespür, Neues zu schaffen und zu kreieren. Ich war der Zeit schon immer ein wenig voraus. Als ich 13 war, sagte ich zu meinen Kumpels, dass ich später mal mit all meinen Idolen zusammen auf einen Bühne stehen werde – sie lachten mich aus. Das waren damals die SEX PISTOLS, STRANGLERS, IGGY POP u. a. Natürlich wurde meine Prophezeiung wahr. Später wurde ich mein eigenes Idol...
Das Deutsche Haus der Geschichte in Bonn hat 2006 meine Frühwerke und Kleidungsstücke bei der Ausstellung "50 Jahre Musik und Jugendkulturen" neben ELVIS und den BEATLES als entscheidender Mitgründer des Deutsch-Punk (THE IDIOTS) ausgestellt. Letztens war ein Bericht im ZDF "Punk im Dschungel". Dort haben sie über die große Punksszene in Indonesien berichtet. Die Punks dort druckten ihre Shirts selber per Siebdruck. Ja, und was für Shirts haben sie dort gedruckt? Natürlich von meiner alten Punkband THE IDIOTS.
Genauso ist es in Brasilien, und das obwohl es die IDIOTS schon fast 20 Jahre nicht mehr gibt. Dort sind die IDIOTS absoluter Kult in der Punk-/Metal-/Hardcoreszene. Auch in China habe ich unvergessliche Spuren hinterlassen.
Mit meiner Nachfolgeband, den PHANTOMS OF FUTURE habe ich mystischen Crossover praktiziert, bevor überhaupt der Begriff erfunden wurde. Bands wie z. B. MARILYN MANSON waren wir zehn Jahre voraus. Musikalisch, aber auch von der visuellen Darbietung und Performance. Mit dem HONIGDIEB ist mir wieder etwas Neues gelungen. "M.o.G." Ich glaube, dass es viele Bands so in ihrer Form und ihrem Ausdruck nicht geben würde, wenn ich nicht meinen Teil an Inspiration und Impuls dazu beigetragen hätte. Es freut mich sehr, dass ich Musik gemacht habe und mache, die zeitlos ist und die Menschen stark bewegt und inspiriert, und das sogar international.

Tilmann:
Würdest du mit der Erfahrung von heute noch mal alles genau so machen?

Hannes:
Klar würde ich das, inkl. meiner Esels-Grundprinzipien – die sind kreativ, charismatisch, exotisch, rebellisch und unkäuflich. Sei wie du bist und bleib dir treu!
Aber Drogen würde ich nicht mehr so viele nehmen...

Tilmann:
Trauerst du einer deiner nicht unbekannten vorherigen Formationen wie den PHANTOMS OF FUTUTRE oder den IDIOTS nach oder sind die Kapitel endgültig für dich abgeschlossen?

Hannes:
Ich werde immer wieder an sie erinnert. Beide Bands waren Meilensteine in meinem Leben und es gab viele tolle und bewegende Momente. Es sind schon Kapitel, die für mich abgeschlossen sind, aber ich habe auch gelernt, dass sich Dinge ändern können.

Tilmann:
Fallen dir gerade zufällig erwähnenswerte Anekdoten aus deinem langjährigen Musikerdasein ein?

Hannes:
Ich war mal mit einer damaligen Freundin in Kreta im Urlaub, eine Woche vorher erschien ein großer Artikel in der Bravo über uns (THE IDIOTS, die extremste Punk-Band überhaupt). Auf jeden Fall war im Reisebus eine zehnköpfige Mädchengruppe, die mich erkannten und von da an nur noch kreischend hinter uns her liefen. Sie kletterten sogar auf unseren Hotelbalkon und versuchten alles Mögliche, um mich zu erhaschen. Meine damalige Liebste war so genervt, dass sie den Urlaub abbrechen wollte. Es blieb uns nichts anderes übrig als verstecken zu spielen. Was ich aber gerne spiele.
Als wir im Winter mit den IDIOTS mal eine Ungarn-Tour machten, flog uns ein Fasan vor die Windschutzscheibe. Sie zerbrach, und ich sah danach aus wie Bibo von der Sesamstrasse. Danach mussten wir noch 1500 km ohne Windschutzscheibe bei unter null Grad zurücklegen.
Damit es mir wieder richtig warm wurde, trat ich in Budapest splitternackt, nur mit einem Zylinder bekleidet bedeckt auf - es wurde eine Riesenparty.
Es gibt da noch so viele Geschichten zu erzählen, wo wahnsinnige und verrückte Dinge passiert sind. Z. B. als wir mit den PHANTOMS mit IGGY POP oder den SEX PISTOLS auf Tour waren oder mit dem HONIGDIEB in China. Da reicht hier sicher der Platzt nicht aus. Vielleicht werde ich später mal ein Buch darüber schreiben.

Tilmann:
Dem ist nichts hinzuzufügen!

Redakteur:
Tilmann Ruby

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