HIM: Interview mit Mige

02.03.2006 | 11:42

Ein Ort der Liebe soll es sein, mit der Band, deren Sänger Ville Valo als lebendes Sexsymbol durch die Welt wandelt. Und an der Tür des Aufenthaltsraums von HIM bei ihrem zweiten Konzert in Leipzig klebt - wie in einem Klischeefilm - ein Zettel. Seine Aufschrift, gemünzt auf den HIM-Bassisten: "MIGE AMOUR'S ROOM OF LOVE". Was für ein Trugschluss! Im Zimmer selbst sind keine willigen Groupies zu finden, aber eine abgekämpfte Band. Auf einer Couch in einer Ecke sitzt Ville Valo, der gerade ein Interview mit dem "Orkus"-Magazin gibt. In der anderen Seite des Raums ist ebenfalls eine Sitzecke, dort hat sich Gitarrist Linde hingelegt, er schläft wie tot, völlig im Traumland, nur seine blonden Rastas sind zu sehen - und gegenüber von ihm sitzt Bassist Mige, vor sich eine Fanta. Die Managerin von HIM erklärt: "Gestern war die Abschlussparty unserer Tournee, alle hatten bis tief in die Nacht Zeit, weil wir nicht zu einem anderen Konzert fahren mussten. Wahrscheinlich riecht mein Atem deshalb immer noch nach Rotwein, haha." Mige ist die lange Feier ebenfalls anzusehen, unter den Augen sieht er übernächtigt aus. Auf dem Sessel neben ihm steht ein Laptop, dort läuft eine Art Talkshow. Interview-Atmosphäre zum Wohlfühlen...

HIM sind bei dieser Tour zusammen mit THE RASMUS und NEGATIVE unterwegs. Finnische Kollegen unter sich. In Leipzig gibt das Package gleich zwei Konzerte, weil der erste Gig extrem schnell ausverkauft war. Überrascht? "Ja, schon", sagt Mige. "Aber wir hatten ja immer viele Fans in Deutschland, speziell in Leipzig. Und es kommen ja wohl auch viele Fans wegen den Vorbands..." Die Kombination der Tour ist in der Tat ungewöhnlich, denn gerade THE RASMUS spielen musikalisch eher in der Pop-Rock-Liga und gehören noch mehr in den Mainstream als HIM. "Diese Tour ist für uns schon besonders", sagt Mige. Denn die beiden Bands kommen wohl aus derselben Stadt wie HIM, wie er in leicht nuschelndem Englisch erzählt. Von daher sei es "eine echte Gemeinschaft", die sich auf der langen Reise die Tourbusse teilt. Zudem seien THE RASMUS nicht allzu weit von der Musik von HIM entfernt, glaubt er. Wer sich die Zusammenstellung der Bands letztendlich aber ausgedacht hat, vermag Mige nicht zu beantworten: "Das hat sich eben einfach so ergeben, wir sind ja beim selben Label." Ebenso kann er wenig dazu sagen, ob sich die Stimmung auf dieser Tour nennenswert von den anderen Konzertrundfahrten unterscheidet oder ob er gar eine besonders witzige Story berichten möchte. "Dazu habe ich mit der Band einfach zu viele Sachen erlebt, all diese Geschichten haben uns näher ans Tor des Himmels gebracht, haha..." Jede Tour hätte da eben ihre eigenen Vorteile besessen. Doch besonders die Konzerte in Deutschland hat Mige in guter Erinnerung: "Hier ist es immer schön." Bei soviel Abgeklärtheit muss dennoch die Frage nach möglichen Träumen für eine der nächsten Tourneen erlaubt sein: Wie wäre es etwa mit den schwedischen Rockern von TURBONEGRO? HIM-Sänger Ville Valo ist schließlich Mitglied der Turbojugend. Da lacht Mige und zeigt auf seine Seemannsmütze, outet sich ebenso als TURBONEGRO-Fan. Doch trotzdem, eine Tour käme wohl nicht in Frage. "Da ist die Musik wohl zu unterschiedlich." Und ansonsten, so sagt der bärige Bassist, "standen wir schon mit MONSTER MAGNET, TYPE O NEGATIVE und OZZY OSBOURNE auf der Bühne..." Nach solchen Erlebnissen sind Träume wohl zu Recht obsolet.

Okay, dann wieder zur aktuellen Tour. Da stehen, wie Mige sagt, natürlich alle HIM-Alben im Mittelpunkt. Auch die im vergangenen Jahr erschienene Platte "Dark Light", die in der Musik-Presse nur durchwachsene Kritiken erhielt. "Ich würde an den Songs auch jetzt ein halbes Jahr später nichts ändern, schließlich war das Album sehr erfolgreich", sagt Mige. Doch bei der nächsten Aufnahme, da sollten sich die Fans auf einen komplett anderen Sound einstellen, auf mehr Experimente. "Wir haben erst ein paar Riffs geschrieben", sagt er. Doch soll das Ergebnis kein normales HIM-Album sein. "Wirklich all unsere Ideen sollen auf die Scheibe, jedes Mitglied unserer Band soll seine Vorstellungen einbringen können. Das werden zwar sehr unterschiedliche Sachen sein, aber dieses Vorgehen bietet für alle die ultimative Freiheit. Wir benötigen für so ein Experiment natürlich viel Disziplin. Aber das Ergebnis soll nicht engstirnig klingen, sondern eben einfach intensiv." Mit dieser Fixierung auf ein außergewöhnliches Album lautet die Antwort auf die Frage nach den anderen Plänen für dieses Jahr schlicht und einfach: "Keine, nur das Album und die Konzerte zählen."

Nach so viel erhellendem Gespräch über musikalische Kreativität ist nun der Raum offen für Tratsch. HIM sind für solche Art von Gelaber immer eine gute Wahl. So landete Ville Valo im Februar für ein paar Stunden im Knast, weil er in seinem Haus randalierte. "Naja, das war schon eine komische Geschichte. Die Polizei hat da wohl überreagiert", kommentiert Mige mit einem wissenden Lächeln. Außerdem hat Ville Valo inzwischen seine langjährige Freundin geheiratet, auch diese Geschichte ging durch die Medien. Ist der Sänger, da nun endgültig vergeben und sowieso ein wenig älter als am Anfang der HIM-Historie, immer noch ein Sex-Symbol für seine weiblichen Fans? Mige schmunzelt, überlegt kurz. "Ich denke, da muss man die Fans fragen", so die unverbindliche Antwort. Gesprächiger zeigt er sich bei einer anderen Frage, die die Entwicklung der Band an sich betrifft: HIM steht seit Anfangszeiten für die Kurzform von His Infernal Majesty - aber was hat der Bandname heute noch für eine Bedeutung? "Er steht einfach für die Band, wie sie sich entwickelt", fasst der Tieftonmann zusammen.

Gerade in diesem Augenblick der dürren Antworten fallen - wie bei dem gesamten Interview schon - die gesprochenen Worte aus dem Laptop vor Mige auf, schaut er doch auch immer wieder in Richtung Bildschirm. Was ist das eigentlich für ein Programm, was er da anguckt? "Das ist eine alte finnische Talkshow mit Adolf Ehrnrooth, die schaue ich, wenn ich relaxe." Die Aufklärung über die fremde Art von TV-Gespräch erfolgt per Internet: Ehrnrooth, in seiner Heimat besser bekannt als General Adolf Ehrnrooth, ist in Finnland so etwas wie ein Freiheitsheld, da er 1944 dafür verantwortlich war, dass Stalins Sowjet-Truppen das Land nicht überrennen konnten, weil er sie am Eindringen in die karelische Landenge nach Südfinnland hinderte. 1989 wurde ihm deswegen das Großkreuz des finnischen Freiheitskreuzes verliehen. Von ihm stammt das Zitat: "Finnland ist als ganzes Land einzigartig, von den Fjällen in Lappland bis zu den Hainen in Karelien." Vor zwei Jahren starb Ehrnrooth im Alter von 99 Jahren und bekam ein Staatsbegräbnis - sehr zum Ärger linker Kritiker seiner als allzu patriotisch empfundenen Ansichten. Wieder was gelernt...

Mige selbst bezeichnet sich dagegen nicht als Patriot. Denn die Frage, ob es ihm eine Freude sei, dass finnische Bands inzwischen auf breiter Front so erfolgreich sind, kann er nicht klar beantworten. "Es geht um die Musik, nicht um Herkunft oder Hautfarbe. Klar gibt es viel Musik in Finnland. Aber wir sind eben ein weites und sehr kulturfreundliches Land." Und eben eine Gegend mit einer langen kulturellen Tradition, die Bands wie etwa MOONSORROW in ihren Texten verarbeiten. Wie ist denn das bei HIM, könnten sie sich vorstellen, einmal den finnischen Nationalepos, die Kalevala, in ihren Texten zu verarbeiten? "Das ist wohl für uns nicht mehr zeitgemäß genug", gibt Mige schmunzelnd zu Bedenken. In diesem Moment ist Ville gerade fertig mit seinem Interview und kommt durch den Raum gelaufen. Mige fragt ihn: "Könntest du dir vorstellen, dass du über die Kalevala einen Text verfasst?" Ville denkt kurz nach, zeigt gleichfalls ein Lächeln und antwortet: "Nein, das sollen lieber AMORPHIS machen..." Damit sind die Tagesordnungspunkte fast alle aufgebraucht, die Frage nach möglichen Problemen innerhalb der Band scheint wegen der recht gelösten Stimmung im Raum fast sinnlos. Mige antwortet trotzdem: "Nein. Wir haben nur die üblichen persönlichen Sorgen." So sollen am Ende des Gesprächs mit dem HIM-Bassisten noch seine letzten Worte an die Fans stehen - doch die verweigert Mige: "Ich habe Angst vor letzten Worten..."

Redakteur:
Henri Kramer

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