Gruppentherapie: WITCHCRAFT - "Nucleus"

04.02.2016 | 22:51

Hexhex im Zellkern: ein Sieger-Motto?

Gääähn, Retro-Rock. Jetzt, 2016, auch bei Powermetal.de auf dem Thron? Folgen wir jetzt auch dem allgemeinen Trend "alt gleich gut"? Aber halt mal, da singt ja gar keine Frau! Na sowas. Doch die Hexen sind bei Nuclear Blast, dem BLUES PILLS/GRAVEYARD/KADAVAR-Label. Jetzt kommt so langsam doch der Verdacht auf, WITCHCRAFT könnte wirklich gut sein. Oder?

Sie wird überall gefeiert, die neue WITCHCRAFT. Auch bei uns. Soundcheck-Sieg im Januar und Traumnote von Haris. Mein Kollege erläutert in seinem Review auch schön, weshalb: Lebendiger Sound, perfektes Zusammenspiel, Leichtigkeit trotz Doomigkeit, Stil und Originalität trotz rückwärts gerichteter Inspirationen. Das kann ich selber alles gerne auch bestätigen, denn "Nucleus" ist insgesamt ein sehr feines Ding sowohl für Rock-Schwitzer als auch für Musik-Gourmets. Bleibt mir also eher zu erläutern, warum diese Scheibe für mich noch nicht DER große Wurf ist, den andere Kritiker hier hören. Nun, die allerorts gepriesenen Longtracks haben trotz aller Atmosphäre und Magie doch auch ihre Längen. So zieht sich der Titelsong mit seiner steten Wiederholung ein und derselben Melodie am Ende unnötig in die Länge und auch 'Breakdown' ist für meinen Geschmack zu langsam und breitwalzend aufgebaut. Nein, hier hatten die ganz großen Rock-Acts der Siebziger rein spannungstechnisch eben doch noch etwas mehr auf dem Kasten. So sind die kürzeren, oft knackig harten Rocksongs, der immer alles gebende Gesang und der herrlich kantende Gitarrensound für mich eher die Alben-Glanzlichter. Ich hab das Gefühl, WITCHCRAFT beginnt jetzt erst so richtig, groß zu werden und bereitet sein Magnum Opus für die Zukunft hier erst noch vor. "Nucleus" ist hierbei lediglich Phase Eins.

Note: 8,0/10

[Thomas Becker]

Ein neues WITCHCRAFT-Album, das an vielen Ecken und Enden bis an die Decke schießt und zahlreiche Lobpreisungen einheimsen darf? Irgendwie kommt mir das alles sehr bekannt vor. Retro-Hype hin oder her, "Nucleus" ist ein ordentliches bis gutes Album geworden. Vielerorts spricht man von Magie und Zauber, was sich mir beim Hören lediglich bei den Longtracks 'Nucleus' und 'Breakdown' zum Teil erschließt. Ein bisschen Classic Rock hier, ein Hauch von Doom dort, es tut mir fast schon leid zu sagen, doch in den vergangenen Jahren wurde der Markt dahingehend förmlich überflutet mit Bands, die am liebsten in den 1970er Jahren gelebt hätten. Da bleibt nicht mehr viel Platz für etwas Eigenständiges oder gar Magisches, obwohl die Schweden es auf "Nucleus", aber auch schon auf den guten Vorgängeralben, wirklich darauf angelegt haben. Manche Songs zünden, manche bleiben auf der Strecke, manche haben das gewisse Extra, manche verleiten eher zum Gähnen als zum psychedelischen Träumen. So überlasse ich die überschwänglichen Meinungen eher Kollegen, die von Retro und leichtem PENTRAGRAM-meets-BLACK SABBATH-meets-LED ZEPPELIN-Charme immer noch nicht genug bekommen können.

Note: 7,0/10
[Marcel Rapp]

WITCHCRAFT. Ein paar mal schon auf meinem Grill. Immer eher in den bunten gräsernen Retrorock-Beutel mit Batik-Aufbügelung gepackt. Aber dass da auch noch dunkle Doom-Patches und Traurigkeits-Flicken drauf müssen, war und ist mir nun neu. Die Band hat sich in ihrer Leibhaftigkeit sehr rar gemacht, vielleicht ändert sich das ja nun mit diesem "Nucleus". Denn das Material hat es verdient, in das tanzend niedergetretene Hartgras vor Festivalbühnen, in rhythmisch mitwackelnde Trinkbecher und den sommerhaften Abendhimmel überhaupt gepumpt zu werden. Stehen meine Kollegen schon wegen des ausufernden Riffings stramm, ist meinerseits danebenstellen angesagt. Ein Stupser in die Seite. Ja, doch, das ist großartig, wie 'Nucleus', 'The Obsessed' und 'Helpless' wachsen, ja doch, ja doch, hier wird unsere teure Zeit teuer veredelt. Den fünf Schweden, die seit nahezu zwanzig Jahren Musik zusammenbauen, ist diese Gemeinsamkeit und Freundschaft deutlich in diesem tollen selbstbewussten und viel(st)seitigem Album anzumerken. Voller Spannungen, Melodien für den Hauptgang und Ideen, die beweisen, dass das Label Retro-Rock nicht gleich Kopiertechnik bedeutet. Hoffentlich bald auch mal live. Und nicht wieder eine dieser abrupten Absagen, für die WITCHCRAFT leider auch bekannt ist.

Note: 8,5/10
[Mathias Freiesleben]

Als jemand, der tatsächlich viel und gern Bands aus der sogenannten Retro-Welle hört, möchte ich den Meinungen meiner Kollegen hinzufügen, dass WITCHCRAFT in meinen Ohren nur sehr wenig mit diesem momentanen Trend zu tun hat. Klar, die Einflüsse sind unüberhörbar in den 70ern verwurzelt, aber die üblichen Eigenschaften wie betont rückwärtige Produktion oder plakatives Okkult-Getue haben die Schweden nicht nötig. Sie haben vielmehr ein zeitgemäß produziertes Rockalbum abgeliefert, das eine aktuelle Interpretation und Weiterentwicklung der Sounds des Zeitalters von Psychedelic und Prog Rock bietet, und das in exzellenten Songs, die sich von Genregrenzen nie einengen lassen. Das macht dann auch den Erfolg des Band-Sounds bei Leuten aus, die mit reinem Retro-Rock nicht so viel anfangen können. Und deshalb ist eine gute Note allein durch die musikalische Qualität und den Charakter von "Nucleus" begründet, und hat denkbar wenig mit der aktuellen Beliebtheit von 70er-Sounds zu tun.

Note: 8,5/10
[Raphael Päbst]

Redakteur:
Thomas Becker
1 Mitglied mag diesen Artikel.

Login

Neu registrieren