Gruppentherapie: SORCERER - "Reign Of The Reaper"

05.11.2023 | 22:00

Vom Zauber zwischen Zeilen und Tönen.

In dieser letzten Gruppentherapie zum Oktober-Soundcheck reden wir mal über Gefühle. Was heißt es zum Beispiel, ein Soundchecker zu sein? Vor allem wenn die emotionalen Gäule mit ihm durchgehen? Wenn diese gewisse Magie der Musik ihn voll flasht? Ja, genau das kann einem mit SORCERER passieren!

Marcel zum Beispiel ist "in seinem Inneren berührt" (zu seinem Hauptreview) und unsere Soundchecker wählen "Reign Of The Reaper" auf Platz 2 im Soundcheck. Kollektiverleuchtung also? Nein. Wie immer in der Gruppentherapie gibt es auch etwas zu meckern, man mag es kaum glauben...



Soundchecker zu sein ist immer wieder eine sehr spannende, beglückende, aber auch grenzwertige Herausforderung für mich persönlich. Ich weiß, dass meine Kollegen (wo sind eigentlich die Kolleginnen?) genauso viel Mühe und Herzblut in das allmonatliche Voting stecken. Man wird da vor diverse, zum Teil persönlich schmerzhafte Konflikte gestellt. Bepunkte ich jetzt vor allem oder ausschließlich das besonders hoch, was meine musikalischen Urinstinkte triggert? Oder lasse ich auch eine analytische Komponente einfließen? Betrachte ich was künstlerisch wertvoll und einfach gut gemacht ist? Und wenn ja, wie weit soll dieser ganze Quatsch eigentlich gehen?

Ich hatte bis kurz vor Abgabe der Noten zum Oktober-Soundcheck "Reign Of The Reaper" von SORCERER mit sehr starken 8,5 Punkten notiert. Aber in dieser Note war zu wenig Emotion. Ich habe mich letztlich dazu entschlossen, dass ich ausdrücken möchte - mit Note und Gruppentherapie - wie sehr mich diese Band auch mit dem hier zur Debatte stehenden Album einfach nur glücklich macht. Dass ich keinen Bock mehr habe, mir jetzt zu überlegen, was vielleicht am Debüt noch einen Tick fesselnder oder gekonnter gemacht war.

Ich bin ein riesengroßer Fan der überirdisch großartigen Band SOLITUDE AETURNUS. Trotz CANDLEMASS und allem anderen bin ich der Auffassung, dass die Melange von klassischem melodischem Heavy Metal mit Epic und Doom Metal nie besser funktioniert hat als auf den göttlichen SOLITUDE AETURNUS-Alben. Und der einzig wahre Erbe dieser unglaublich großartigen Band ist in meiner Welt eben SORCERER. Eigentlich muss ich an dieser Stelle gar nicht mehr viel sagen. Sondern nur noch einmal meiner großen Freude über und meiner grenzenlosen Sympathie für diese Band Ausdruck verleihen. All Gods bless SORCERER!!

Note: 9,5/10
[Martin van der Laan]

Ja, Martin. Manchmal muss das musikalische Herz sprechen und dann vermehren sich die Notenpunkte wie von Geisterhand. Passt ja auch zum gespenstischen Oktober. Jedenfalls hast du mich dazu gebracht, nach langer Zeit mal wieder in "Alone" von den von dir vergötterten SOLITUDE AETURNUS reinzuhören. Den - nicht nur von dir - gewählten Vergleich kann ich nicht ganz nachvollziehen. Denn wo bei SA meisterhaft konstruierte, doomige Melodiebögen wie zäher Honig aus den Boxen fließen, höre ich bei SORCERER eher gut gemachten Heavy Metal, der ab und zu das Gas- mit dem Bremspedal verwechselt. Dabei agiert SORCERER ebenso hochkonzentriert und professionell wie brav.

Was ich damit meine? Das Album ist technisch nahezu perfekt eingespielt, die Gitarrensoli sind der Hammer. Das Songwriting ist größtenteils gelungen und auch Sänger Anders Engberg trillert solide. Aber die Band bewegt sich in einem sehr engen Fahrwasser, ohne jemals ernsthaft nach links oder rechts auszubrechen. Das verdirbt mir schon beim Opener den ultimativen Hörgenuss. Da werden die tollen Chöre sehr weit nach hinten gemischt, obwohl sie am Ende des Songs eigentlich die Hauptrolle spielen. Warum? Aus falsch verstandenem Zwang zur Schwere? Aus Angst, die Zielgruppe zu enttäuschen?

Mit etwas mehr Mut der Band hätten Martins Geister vielleicht auch zu mir gesprochen. So höre ich ein nettes Album, bei dem ich mir die Highlights aber gezielt heraushören muss.

Note: 7,5/10
[Julian Rohrer]

 

SORCERER nach der Reunion hat mich nie besonders interessiert. Immer wieder war eine hymnische Rezension in verschiedenen Magazinen zu lesen, aber jedes Mal wenn ich es mit einem Song probierte, hatte der Sound für mich zu viel Bombast. So habe ich dann diese Gruppentherapie zum Anlass genommen, mich wenigstens ein Mal intensiv mit einem neueren SORCERER-Album auseinanderzusetzen.

SORCERER steht ja für Epic Doom, was eigentlich genau meine Baustelle ist. Aber ich mag meinen Doom Metal lieber reduziert und starkknochig. Auch "Reign Of The Reaper" hat extrem viel Bombast, was mich daran hindert, emotional so richtig abzutauchen in die Songs. Stattdessen verweile ich die ganze Zeit an der glitzernden Oberfläche. Julian hat auch damit recht, dass der Doom-Anteil nicht mehr sonderlich stark hervortritt; er ist zwar noch präsent, aber nicht mehr so dominant.

Das Referenzalbum ist sehr deutlich "Tyr" von BLACK SABBATH. Manchmal sind Anders Engberg und Tony Martin kaum zu unterscheiden, was natürlich auch heißt, dass Anders ein Weltklassesänger ist. Immer wieder kann er mich mit seiner Stimme begeistern. Auch das Songwriting hat Qualität, wobei mir die erste Hälfte des Langspielers eindeutig besser gefällt als die zweite, vor allem 'Morning Star' und der Titeltrack. So zolle ich einem sehr guten Album meinen Respekt, werde aber auch dieses Mal nicht zum Fan.

Note: 8,0/10
[Jens Wilkens]

Wenn eine Band schon SORCERER heißt, dann sollte sie doch etwas Magisches haben, oder? Ähnlich wie bei den hochgelobten CIRITH UNGOL finde oder höre ich diesen Zauber zwischen den Zeilen oder Tönen allerdings nicht. Während es bei den US-Amerikanern noch einfach zu erläutern ist (für mich Hobbitfan ist der sperrige, kantige Tolkienansatz von Jarvis Leatherby und Co. eher eine Brottrunk-Erfahrung als eine Reise nach Mittelerde), kann ich es bei den Schweden so genau gar nicht sagen. Das ist schon etwas bieder, irgendwie spießig erwachsen und wirkt mit seinen Doomelementen auch unnötig angeleint.

Das funktioniert auf dem KIT bei Nieselregen bestimmt klasse, kann mich verkappten Malle-Metaller zuhause aber nur bedingt begeistern. Also nein, Jens – weniger Doom und mehr Bombast wäre mein Wunsch. Aktuell muss ich aber mit dem Status quo Vorlieb nehmen und somit bin ich wie von Martin beschrieben eben "nur" auf der rein qualitativen Ebene. Und hier ist halt alles im Lot und technisch einwandfrei performt, so dass es trotzdem noch für eine gute Note reicht. Wenn beim nächsten Mal dann auch ein paar Zaubertricks für mich dabei sind, dann funktioniert's auch mit einer noch höheren Note.

Note: 7,5/10
[Stefan Rosenthal]

Diese Gruppentherapie fängt mit Begeisterung an, so möge sie nun auch mit Begeisterung enden. Mit SORCERER hat es für mich beim Vor-Vorgänger "The Crowning Of The Fire King" (damals sogar Erster im Sondcheck 10/2017) klick gemacht. 'Ship Of Doom' war das. Das ist epischer Doom mit Melodien, die sich zum Himmel recken. Für so etwas habe ich eine Schwäche, ganz unabhängig vom Stil. Und so etwas gibt es auch auf "Reign Of The Reaper" wieder zu hören. Beim Titeltrack an zweiter Stelle bin ich schon voll dabei, oh Gott, bei 'Eternal Sleep' geh ich gar auf die Knie. Und 'Break Of Dawn' ganz am Ende ist für mich das Highlight der Band. Ja, es sind die eher langsamen, doomigen Songs, über denen die unglaubliche Stimme von Anders Engberg ihre Schwingen ausbreiten kann, die mich besonders packen. Da kullert fast ein kleines Tränchen beim Hören und dazu Schreiben. Und es liest sich fast so, als wäre es dir ähnlich gegangen, lieber Martin.

Klar kann ich auch die Beiträge der anderen Therapeuten verstehen. So eine Musik packt einen einfach oder sie tut es nicht. Ja genau, es ist dieser "Zauber zwischen den Zeilen und Tönen", lieber Stefan, den ich hier genauso spüre wie auch schon bei CIRITH UNGOL. Ist man dafür nicht empfänglich, dann findet man sie eben "nur gut". "Brav" kann ich auch verstehen, weil es hier kaum Haken und Borsten in dieser Musik gibt. Das ist hier aber ebensowenig gewollt oder passend wie Prog-Passagen bei ENDSEEKER. Ich genieße den Sound in vollen Zügen!

Note: 9,0/10
[Thomas Becker]

Redakteur:
Thomas Becker

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