Gruppentherapie: PARADOX-"Tales Of The Weird"

03.01.2013 | 18:02

Gruppentherapie zum Soundcheck-Zweiten im Dezember.

Jahresende: Man lässt das Musikjahr Revue passieren, die Alben des Jahres werden gehört, Listen erstellt und munter diskutiert, welche Bands nun die beste Musik abgeliefert haben. Doch haltet inne und leiht den deutschen Thrash-Veteranen PARADOX ein Ohr. Diese Band ist nämlich schon seit 1986 im Geschäft und nur der Geier weiss, warum sie so wenig bekannt sind. Möglicherweise waren die Zeitspannen ohne Veröffentlichungen (einmal elf Jahre, einmal acht Jahre) einfach zu lang. Doch seit 2008 sind sie wieder da und vielleicht wird "Tales Of The Weird" ja endlich ein kleiner Durchbruch. Ein 10 Punkte-Review von Marcel mag dabei helfen. Hier sind die Meinungen der Powermetal.de-Therapeuten:

cover

Das ist meine erste ernsthafte Berührung mit PARADOX und ich hatte davor eher Angst gehabt. Angst nämlich vor dem tausendundeintem Remake des 80er-Thrashsound, bei dem ich gern mal einnicke. Aber iwo, PARADOX machen das super! Klar basierend auf dem Sound alter METALLICA oder auch EXODUS präsentieren PARADOX melodischen Thrash-Metal auf der Höhe des Jahres 2012. Ein fetter, klarer, transparenter Sound und absolute präzise gespielte und schweizerisch exakt mit dem Schlagzeug abgestimmte Riffmonster bestimmen das Klangbild. Modern aber keineswegs steril. Dazu kommt, dass PARADOX eine der wenigen Thrash Metal-Bands sind, die einen guten Sänger haben. Sprich, einen, der auch Melodien singt. Und diese sind - auch ungewöhnlich für Thrash - sogar ohrwurmelnd, wie z.B beim Titelsong, oder 'Brutalized'. Jeder Songs ist kniffelig und sehr raffiniert komponiert, so dass das Album auch nach dem zehnten Mal nicht langweilig wird. Im Gegenteil, es entfaltet sich erst so richtig, wenn man sich peu à peu in die doch recht langen Songs einfieselt und wird dann erst so richtig toll. Im Prinzip kann ich unserem Marcel in allen Punkten rechtgeben, denn facettenreicher und progressiver kann man das Erbe alter METALLICA kaum mehr fortführen. Zudem habe ich selten eine so gelungene Transformation eines fremden Songs in den eigenen Stil gehört, wie beim RAINBOW-Cover 'A Light In The Black' mit absolut fantastischen Soloduellen im neoklassischen Stile. Warum nur 8,5 Punkte? Ich komme in Erklärungsnot…

Note: 8,5/10
[Thomas Becker]


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So richtig verstehe ich die Begeisterung in weiten Teilen der Redaktion für "Tales Of The Weird" nicht. Klar, PARADOX wissen schon seit Dekaden, wie ein ordentliches Thrash-Brötchen geschmiert wird. Dieses Album ist auch zu keiner Sekunde schlecht, meistens sogar sehr solide und gefällig unterwegs. Dennoch fehlt mir einfach der letzte Biss oder halt die genialistische Inspiration in den aktuellen Kompositionen. Man kann großartigen Thrash entweder als gnadenlose Abrissbirne interpretieren oder als vielschichtig-anspruchsvolles Feuerwerk. PARADOX ist aber weder Fisch noch Fleisch; neben aktuellen Referenzwerken von amerikanischen Bands derselben Schule wie HEATHEN, TESTAMENT oder OVERKILL ist "Tales Of The Weird" nur ein laues Lüftchen. Das mag jetzt hart klingen. Aber bei mir persönlich bleibt eben auch nach vielen Durchläufen dieser Scheibe kaum etwas wirklich Begeisterndes hängen. Klar gibt es handwerklich nichts auszusetzen und die Verbindung von Melodie und Härte ist wieder mal ordentlich umgesetzt, die Produktion ist erste Sahne. Dennoch finde ich den unmittelbaren Zugang zu "Tales Of The Weird" nicht, aus meiner Sicht ist das Songmaterial letztlich doch zu bieder und zu berechenbar.

Note: 7,0/10
[Martin van der Laan]

Ja was denn nun, liebe Mitbesprecher, "kniffelig und sehr raffiniert komponiert" oder doch eher "zu bieder und zu berechenbar"? Der Reihe nach: Thrash ist ja eigentlich kaum meine Baustelle, allerdings bauen Paradox hier angenehm viele Melodien, Facetten und Kursänderungen in die Songs ein, und pendeln generell gekonnt zwischen Thrash und hartem Power Metal. Gerade Songs wie 'Brutalized' oder allen voran der epische Titeltrack (was eine Steigerung zu Beginn!) können stellenweise echte Begeisterung auslösen und treiben das Fist-O-Meter kräftig in die Höhe. Geschmälert wird meine Begeisterung vor allem durch die fehlende Dynamik. Dabei schaukeln sich die fast permanent durchgezogene Double-Bass und die sterile Produktion etwas auf. Als Beispiel sei der von einer tollen Melodie und cleanen Gitarrentupfern getragene Refrain des Titellieds genannt, das eigentlich für einen schönen Akzent sorgen könnte, aber irgendwie voll an mir vorbeirauscht, wie so vieles auf dieser Platte. Vielleicht meint Kollege Martin genau das? Vielleicht bin ich einfach kein Thrasher? Fakt ist: mir killt das am Ende zu wenig um den Kopf unkontrolliert gegen die Wand bangen zu wollen.


Note: 7.0/10

[Simon Volz]




Auf die Würzburger Thrasher um Urgestein Charly Steinhauer ist Verlass: Die Truppe schafft es immer wieder, erstklassigen Thrash zu produzieren, der herrlich an alte Glanztaten aus der Bay Area erinnert. War es auf "Collision Course" noch METALLICA, die eindeutig Pate standen, so höre ich heute viel eher HEATHEN heraus. Klar, einen Originalitätspreis gewinnen die vier Musiker damit nicht, aber das ist bei der gebotenen Qualität auch nicht schlimm. Denn das heidnische Gitarrenduo Altus/Piercy, auf dass ich mich hier beziehe, gehört wohl zu den besten Duos des Genres. Und wenn ich Steinhauer/Münzner mit eben diesem vergleiche, ist das ein Riesenkompliment. Der Unterschied ist aber – und da bin ich jetzt über die Worte meines Kollegen Becker verwirrt – der Umstand, dass die Bands aus der Bay Area mit ihren Riffs töten können. Die sind messerscharf wie Rasierklingen. Bei PARADOX fehlt dieses letzte Quentchen Brutalität, welches einen HEATHEN- oder eine EXODUS-Song zu einer Killernummer machen. Obendrein kommt der deutsche Akzent von Charly für als Manko hinzu, denn zu Bay-Area-Thrash passt kein solcher Akzent. Zumindest nicht in meinem kleinen Höruniversum. So bleibt "Tales Of The Weird" ein erstklassiges Thrashbrett der ersten Liga und PARADOX neben ARTILLERY eine der wenigen Bands aus Europa, die es schaffen, mit meinen heiligen Amikultbands verglichen zu werden, ohne dabei schlecht abzuschneiden. Einmal das rasante 'Escalation' anhören und zustimmen. Mehr Nummern dieses Kalibers und ich würde weniger herumnörgeln.

Note: 8,0/10

[Holger Andrae]




Bay Area hier, junge Retro-Thrasher aus aller Welt da, und der Prophet im eigenen Lande zählt nichts. Eine alte Weisheit, die selten so wahr ist, wie bei PARADOX aus Unterfrankens Hauptstadt Würzburg. Seit 27 Jahren im Geschäft und seit Vorzeiten oft als deutsche Antwort auf den melodischen Thrash aus Nordkalifornien gefeiert, hat es doch nie so weit gereicht, einer etwas breiteren Öffentlichkeit als eine der großen deutschen Thrashbands zu gelten. Ständig stand man im Schatten anderer, und daran wird sich im Zweifel auch mit "Tales Of The Weird" nichts ändern. Leider, so muss man sagen, denn Charly Steinhauer und seine Mannen servieren uns einmal mehr eine rundum gelungene Scheibe, welche die Stärken des genannten Bay Area Thrashs, des klassischen Speed Metals und des melodischen Power Metals - echter Power Metal, kein Schunkelstahl! - in sich vereint. Messerscharfe Riffs, flotte und melodische Leads ohne Kitschfaktor, dazu eine in mittleren Tonlagen liegende, klare und eindringliche Stimme, die sich hinter kaum einem Genrekonkurrenten verstecken muss, und zu guter Letzt eben auch Songs, die im Ohr bleiben. Manch einer wird sich vielleicht am etwas kalten Drumsound stören, und manch anderer vielleicht daran, dass sich die Band in den letzten Jahren doch ein Stückchen weit vom klassischen Speed und Thrash entfernt hat und auch Momente aufweist, die auch Fans von Truppen wie RAGE munden dürften (man höre hierzu besonders das eröffnende Titelstück). Doch keine Sorge, die Bay-Area-Schlagseite dominiert zu jeder Zeit! Im Großen und Ganzen ist auf PARADOX also allzeit Verlass, und der Band wäre deutlich mehr Beachtung zu wünschen, als sie bekommt.

Note: 8.0/10

[Rüdiger Stehle]

 

 

Redakteur:
Thomas Becker

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