Gruppentherapie: IRON MAIDEN - "Senjutsu"

14.09.2021 | 15:47

Wie keine Gruppentherapie zu "Senjutsu" von IRON MAIDEN bei POWERMETAL.de? Falsch gedacht, natürlich konnten auch wir es uns nicht entgehen lassen, über das aktuell wohl am heißesten diskutierte Album zu sprechen, nur brauchten die meisten Kollegen ein paar Tage, um das Gehörte sacken zu lassen und entsprechend einzusortieren. Herausgekommen ist ein durchaus überraschendes und umfangreiches Meinungsbild zum neuen Werk der Eisernen Jungfrauen, aber lest selbst:

Nicht dass es noch mehr gebraucht hätte, um meine Vorfreude auf das neue IRON MAIDEN-Langeisen "Senjutsu" zu steigern, doch als unser Chefredakteur Peter in seiner Rezension vom besten Album seit "Brave New World" sprach, konnte ich die Ankunft der Doppel-CD erst recht nicht mehr erwarten. Immerhin würde ich mich als großen Fan der Post-Reunion-MAIDEN bezeichnen und gerade "A Matter Of Life And Death" und "The Book Of Souls" landen regelmäßig in meinem Player. Und was soll ich sagen? Der siebzehnte Langdreher der Eisernen Jungfrauen wird sich nahtlos in die Rotation einfügen, denn "Senjutsu" hat einige überraschende Wendungen parat, kommt phasenweise ungewohnt ruhig und düster daher und klingt dank einiger unkonventioneller Melodiebögen überraschend frisch. Man höre hierzu etwa den Titeltrack oder das sperrige und dennoch starke 'Death Of The Celts', die beide immer wieder unerwartete Haken schlagen, wenn man gerade glaubt zu wissen, wohin sich das nächste Gitarren-Lead drehen wird. Ebenso überzeugt die dunkle Halbballade 'Darkest Hour' oder das vertrackte 'Lost In A Lost World', das in meinen Ohren einen gewissen 'The Lonliness Of The Long Distance Runner'-Vibe versprüht. Generell sind Parallelen zu "Somewhere In Time" dank des sehr präsenten Keyboards nicht von der Hand zu weisen, was mir als Liebhaber selbigen Drehers natürlich sehr gut gefällt. Doch nicht nur die Epen sind dieses Mal gelungen, mit dem bereits vorab veröffentlichten 'Writing On The Wall' gibt's eine geradlinige Nummer mit Southern-Rock-Schlagseite, während auch die Freunde von prägnanten "Hits" mit dem tollen 'Stratego' und dem Smith/Dickinson-Ohrwurm 'Days Of Future Past' nicht zu kurz kommen. Letztere Nummer hätte so übrigens auch wunderbar auf Dickinsons letzte drei Solowerke gepasst. Den kompositorischen Vogel schießt aber wieder einemal Mr. Harris ab, wenn er mit dem abschließenden "Hell On Earth" mal eben den stärksten Longtrack seit Mitte der Achtziger aus dem Ärmel zaubert. Allein diese Melodien - zum Niederknien! Bevor ihr mich nun als hoffnugslosen MAIDEN-Fanboy abstempelt, seien aber auch ein paar Kritikpunkte genannt: Ja, auch "Senjutsu" hätte eine Kürzung auf eine CD ähnlich wie dem Vorgänger gut getan ('The Time Machine' käme als Streichkandidat in den Sinn), Kevin Shirley wird den Eisernen Jungfrauen wohl niemals einen richtig transparenten Sound verpassen und der Titeltrack macht als Opener keine besonders gute Figur, auch wenn ich den Song an sich sehr mag. Das alles macht mir das Langeisen aber keinesfalls madig, wird aber natürlich den Kritikern der Prog-MAIDEN-Jahre genügend Futter liefern. Aber selbigen reichte ja schon die Ankündigung der Trackliste und Songlängen, um ihre Kritik verfrüht abzufeuern. Ich jedenfalls freue mich darauf, diesen Kandidaten für mein Album des Jahres noch viele Male zu genießen und gehe mit Peter d'accord: Das hier ist das beste Album seit "Brave New World"!

Note: 9,5/10
[Tobias Dahs]

 

Allein die Ankündigung eines neuen Albums der britischen Metal-Ikone sorgt für ausreichend Gesprächsstoff. Kein Wunder also, dass es auch im Vorfeld von "Senjutsu" so gekommen ist. Der Titel und das Albumcover haben schließlich im Vorfeld verstärkt fernöstliche Einflüsse erwarten lassen, die erste Single 'The Writing On The Wall' dagegen, die sich als feiner Ohrwurm entpuppt und mit lässigen Gitarrenpassagen aufwartet, wurde als Referenz an die eigene Vergangenheit betrachtet, und ließ bei vielen Fans die Hoffnung aufkommen, die Formation hätte sich diese tatsächlich als Vorlage genommen.

Doch IRON MAIDEN bleibt nach wie vor alles andere als vorhersehbar, weshalb wir weder ein „japanisches“ Album, noch einen "Nummer Sicher"-Tonträger, mit dem man sich bemühen würde, unmittelbar an die glorreichsten Band-Tage anzuknüpfen, kredenzt bekommen.

An Ideen mangelte es den Herrschaften aber ganz sicher auch nicht. Mit über 82 Minuten Laufzeit ist das 17. Studioalbum nämlich ein ganz schöner Brocken. Dass Steve Harris darauf einmal mehr seine Vorliebe für progressive Epen auslebt, dürfte allein durch die Tatsache klar sein, dass die von ihm im Alleingang komponierten Nummern mit Ausnahme von 'Lost In A Lost World' über zehn Minuten dauern. Dabei zieht der gute Mann allerdings alle Register und liefert vor allem mit dem besagten Track einmal mehr den Beweis, dass der britische Prog Rock der 70er Jahre für ihn ebenso einflussreich war, wie seine erklärten und bekannten Favoriten WISHBONE ASH, DEEP PURPLE und UFO.

Vielleicht wäre es für den Zuhörer ein wenig einfacher gewesen, wenn die Band die Songreihenfolge anders gestaltet hätte, doch der an den Schluss gestellte Triple-Pack aus der Feder des wohl bekanntesten Pete-Way-Fans der Welt, weiß auch über den Zeitraum einer halben Stunde zu begeistern. Nach der mit dezenten JETHRO TULL-Referenzen und einer fast gemütlichen Folk-Atmosphäre ausgestatteten 'Death Of The Celts', gefällt 'The Parchment' mit an frühen Space Rock erinnernden Instrumental-Passagen. Als Ober-Hammer der Kategorie "MAIDEN-Monumental-Epos" muss dann das Finale 'Hell On Earth' bezeichnet werden. Hier lassen sich "Powerslave"-Reminszenzen ebenso ausmachen wie jene Gitarren-Synthesizer-Klänge, die schon frühere Werke mit entsprechender Eleganz veredelten.

Aber nicht nur instrumental wird große Kunst geboten, auch Bruce Dickinson lässt unmissverständlich erkennen, dass er weder an Charisma noch an Stimmgewalt eingebüßt hat. Das gelingt ihm in den von ihm zusammen mit seinem kongenialen Partner Adrian Smith geschriebenen Nummern am besten. Dass sich diese - konkret 'The Writing On The Wall', 'Days Of Future Past' (der meiner Meinung nach ideale Opener!) und 'Darkest Hour' – zudem als die eingängigsten erweisen, sollte nicht weiter verwundern. Das Duo hat diese Art von Kompositionen einfach im Blut!

Der von Steve und Adrian geschriebene Titelsong, mit dem die Scheibe eröffnet, braucht zwar im direkten Vergleich dazu eine gewisse Zeit, ehe sich einem auch dieser "erschlossen" hat, auf jeden Fall aber wischt Dickinson bereits damit alle Zweifel vom Tisch, er hätte nicht mehr das Stimmvolumen für derlei dramaturgisch anspruchsvolles Material. Als solches erweisen sich auch die beiden von Harris und Jannick Gers komponierten Nummern 'Stratego' und 'The Time Machine'. Letzteres ist obendrein mit einem anbetungswürdigen Instrumental-Part ausgestattet, der allen notorischen Nörglern und Zweiflern ans Herz gelegt sei. Besser kann IRON MAIDEN die Dreifach-Besetzung an den Äxten nicht verdeutlichen.

Alles richtig gemacht? Ja, denn "Senjutsu" ist mit Sicherheit das stärkste MAIDEN-Album der letzten beiden Dekaden geworden! Up The Irons!

Note: 8,0/10
[Walter Scheurer]

 

Der Kollege Peter schreibt in seinem Review, dass es sich bei "Senjutsu" in seinen Augen um das beste IRON MAIDEN-Album seit "Brave New World" handelt. Nun, dem will ich insofern nicht widersprechen, als dass es seine Meinung ist und er das so empfindet. Zustimmen kann ich ihm da jedoch leider überhaupt nicht. Nun gut, ich habe "Senjutsu" mittlerweile sicherlich mehr Durchläufe gegeben, als es "The Matter Of Life And Death", "The Final Frontier" und "The Book Of Souls" bis heute hatten. Die besagten Alben waren mir insgesamt zu sperrig und nicht actiongeladen genug. Das ist auf "Senjutsu" tatsächlich um einiges besser, wenn auch nicht perfekt. Mit dem Titeltrack, der zunächst noch etwas gewöhnungsbedürftig war, 'Stratego', dem coolen 'The Writing On The Wall' und 'The Time Machine' (ich verstehe gar nicht, dass sich so viele mit dem Song schwer tun) sind IRON MAIDEN wirklich coole Nummern gelungen, die sich immerwieder in den Erinnerungen wiederfinden und man gerne mal nebenbei vor sich hin trällert. Die restlichen Tracks sind leidwer wie die vorherigen Alben zu progressiv, zu sperrig und zu lang. Selbst das so viel gelobte finale Stück 'Hell On Earth' konnte mich nicht wirklich mitnehmen. Bis gestern Abend. Da habe ich mir den Song nämlich nochmal losgelöst vom Album angehört und siehe da, er zündet. Zwar sind mir einzelne Passagen weiterhin zu langatmig, aber insbesondere der Refrain mit der beeindruckenden Gesangslinie von Bruce wollen seit gestern Abend mein Gehirn nicht mehr verlassen. Wie gesagt, Peters Einstufung als bestes MAIDEN-Album seit "Brave New World" kann ich nicht unterschreiben. Für mich ist "Senjutsu" das beste Album seit "Dance Of Death" ohne jedoch an dieses annähernd heranzukommen.

Note: 7,0/10
[Mario Dahl]

 

IRON MAIDEN gehört nicht ganz zu den allerersten Grundbausteinen meines Musikgeschmacks. Seit 1987/88 kroch die Band jedoch immer mehr in die Ritzen und Fugen meiner musikalischen DNA, um dort den Zement zu bilden, der alles zusammenhält. Sehr gute Songs der mittlerweile sechs Helden von der schrulligen Kreideplatte zwischen Atlantik und Nordsee, und davon gibt es verdammt viele, treiben mir mit ihrer fabelhaften Mixtur aus dramatischer Ausdruckskraft des Heldentenors von Bruce Dickinson, erzählerischer und musikalischer Brillianz, Jahrtausendmelodien, sowie der ihresgleichen suchenden Rhythmusgruppe regelmäßig immer noch das Wasser in die beim Hören manchmal schwelgerisch geschlossenen Augen. Dementsprechend überkam mich im Frühsommer helle Aufregung, als das Cover mit dem nunmehr leicht vergilbt erscheinenden alten Logo und dem prächtigen Samurai-Eddie via Social Media veröffentlicht wurde. Sofort verfiel ich nach dessen Betrachtung beim Frühstück kurzzeitig in Schnappatmung und fragte meine Frau, wo zum Henker denn die Baldriantabletten wären! Jetzt isses da, wie Peter schrieb, dessen Sichtweise ich mich über weite Strecken anschließen kann, und der Sensor für mein oben beschriebenes "Maiden-Gefühl", würde es einen solchen geben, schlüge bei zwei Songs dunkelrot aus, dunkelröter ginge es nicht: 'Darkest Hour' und 'Hell on Earth'. Vor allem die erstgenannte (Halb-)Ballade über eine berühmte Rede von Sir Winston Churchill berührt mich ganz, ganz tief! Und der zweite Geniestreich wird von nahezu jedem Ohrenzeugen als ein Höhepunkt der Scheibe genannt, bringt er doch die von mir aufgeführten typischen Attribute der Musik von IRON MAIDEN perfekt auf den Punkt. Und sonst? Die beiden Vorab-Singles 'The Writing On The Wall' mit Fusion-Asia-Western-Atmosphäre und 'Stratego' als kurze, schnelle Rocknummer konnten bei mir bereits im Vorfeld des Albums via Video aus der Tube zünden. Der verbleibende Rest gestaltet sich im Vergleich zu den drei Vorgängern nur noch manchmal sperrig und keinesfalls "langweilig", wie mir ein gewisser, auf der schwäbischen Ostalb berüchtigter Musikgeschmacks-Terrorist mit Vorliebe für Schwellkörperstimulanz-Pseudometal der Marke MÖTLEY CRÜE via WhattsApp ungefragt mitteilte! 'Days Of Future Past' ist auch kurz und flott, aber ebenfalls toll! Ich muss Mario vehement zustimmen: Die Kritik an 'The Time Machine' kann ich genau wie er nicht so richtig nachvollziehen, bleibt die packende Melodie doch immer eine ganze Zeit in meinem Gehör haften. 'Death Of The Celts' und 'Lost In A Lost World' sind für mich MAIDEN-Business as usual und die größten Schwierigkeiten bereitet mir 'The Parchment', das nach fünf Durchgängen immer noch nicht so richtig zündet. Frank Wilkens und Mario muss ich noch bezüglich des Openers 'Senjutsu' widersprechen: "gewöhnungsbedürftig" oder gar "Füllmaterial"? Wie sagte ein Betreuer auf einer Gemeindefreizeit schockiert, als er nach zehn Tagen unseren Vorrat an leeren Bierflaschen sah? "Also wissed ihr, also woisch!" - Der Track ist in meinen Ohren außergewöhnlich für IRON MAIDEN und mit seinem grandiosen Stimmungs- und Spannungsaufbau ein vortrefflicher Opener! Die zu wenig laut vernehmbar kritisierte Preispolitik des Managements der Band hinsichtlich der für manche Tonträgerausführungen des neuen Albums aufgerufenen Mondpreise wäre übrigens auch einmal eine Interviewfrage wert. Und abschließend ist mir mit "Senjutsu" endgültig klar geworden, wie Kevin Shirley zu seinem Spitznamen "Caveman" kam: Es muss bei ihm halt immer so ein kleines Bisschen dumpf klingen – wie in einer Höhle eben.

Note: 8,5/10
[Timo Reiser]

 

IRON MAIDEN ist zurück. Kaum ein Metalhead auf dieser Welt, an dem diese Nachricht vorbei gehen dürfte. Wie immer bieten die neuen Veröffentlichungen dieser berühmten Band genug Nahrung für Spekulationen und Diskussionen. So wird es auch bei "Senjutsu" sein, da bin ich mir ziemlich sicher. Mal ehrlich, IRON MAIDEN muss niemandem mehr etwas beweisen. Genau den Eindruck hatte ich beim Vorgänger "The Book Of Souls". Wahrlich kein schlechtes Album, aber es wurde meiner Meinung nach zu viel an kreativem Output in die Waagschale gelegt. Mir persönlich gefällt IRON MAIDEN zum Beispiel immer dann, wenn die Songs einfach mal von der Leine gelassen werden. Wenn den Titeln Raum und Zeit geben wird, sich zu entwickeln und damit mehr Energie zu entfalten, als wenn jede Spielminute überfrachtet wird. Ich bezeichne mich also als Fan von solchen Hymnen wie 'Alexander The Great' oder gehe auch ohne weiteres als 'Rime Of The Ancient Mariner'-Junkie durch. Wem es ähnlich ergeht, wird auf "Senjutsu" mehr als nur zufrieden gestellt. Allein die letzten drei Songs sorgen diesbezüglich für Begeisterung. Jedes dieser Epen überschreitet die Zehn-Minuten-Marke mühelos. Nebenbei merkt, handelt es sich dabei allesamt um Steve Harris Kompositionen. Von einigen Fans gefürchtet, von anderen geliebt, so wird es wohl immer sein. Ich persönlich genieße es, mich in diese langen Geschichten hinein fallen zu lassen, diese drei Tracks offenbaren jeder für sich eine Stimmung, die dazu einlädt, sich intensiver damit zu beschäftigen, ohne dass man nach jedem Takt ein neues Riff oder einen Tempowechsel befürchten muss. Wenn man dazu noch solche Hammersongs wie das leicht mit Southern-Trademarks gespickte 'The Writing On The Wall' oder das melancholische 'Darkest Hour' auf dem Zettel hat, dann kann eigentlich nichts mehr schiefgehen. Nun ist wahrlich nicht alles perfekt, der Opener und Titeltrack sowie das für IRON MAIDEN kurze 'Days Of Future Past' gehen dezent als Füllmaterial durch und auch an der Produktion gäbe es etwas herumzumäkeln, über das gewöhnungsbedürftige Artwork hülle ich mal den Mantel des Schweigens. Aber wie schon erwähnt, diese sechs Herren müssen sich nicht mehr beweisen, auch nicht auf ihrem mittlerweile 17. Studioalbum. Vielleicht sind sie sich dessen bewusst und präsentieren sich 2021 gelassener denn je. Wie auch immer, für mich das beste IRON MAIDEN Album seit drei Dekaden.

Note: 8,5/10
[Frank Wilkens]

 

Wenn ein Schwergewicht wie IRON MAIDEN sich schon der japanischen Thematik bedient, dann will man natürlich wissen, wie scharf Eddies Katana im Jahre 2021 so die Luft zerschneidet, und ob Bruce & Co. eher einen Shogun oder Ashigaru im Geiste vor sich hatten als sie das Konzept für das neue Album "Senjutsu" ausgearbeitet hatten.
Nach 81 Minuten Laufzeit kann man leider festhalten, dass die Jungs von IRON MAIDEN es wieder nicht geschafft haben ein spannendes Konzept stringent durchzuziehen, sondern der starke Titeltrack und Opener (mit Taiko-Elementen) der einzige Fingerzeig in diese großartige Mythologie ist. Ich würde mir tatsächlich endlich mal ein in sich stimmiges Konzeptalbum von dieser Band wünschen, da das Handwerk doch mehr als vorhanden ist und die gesamte Entwicklung dann endlich konsequent zu Ende gegangen wäre.

Zusammen mit der leicht muffigen Produktion und der Tatsache, dass Bruce halt keine 30 mehr ist, sind das aber auch schon alle Probleme, welche ich mit dem neuen Album habe. Wie von meinen Kollegen schon genug beschrieben, sind die Songs durch die Bank weg ziemlich stark und ergeben in Summe sicherlich das stärkste Album seit "Dance Of Death" oder sogar "Brave New World". Knaller sind für mich der wunderbare Hit 'Days Of Future Past', das ungewöhnliche aber geniale 'The Writing On The Wall' (Southern Rock Baby!), sowie der Longtrack 'Death of The Celts', der aber sicherlich für jemanden, der Folk-Musik liebt auch reichlich Bonuspunkte sammelt. Der sich bei vielen als Album-Highlight rauskristallisierende Song 'Hell On Earth' ist ohne Frage auch klasse, packt mich aber emotional nicht so stark wie manch anderer Song der Briten in der Vergangenheit. Exemplarisch sei einmal der "Final Frontier"-Abschluss 'When The Wild Wind Blows' genannt.

Somit kann man festhalten, dass der Totentanz von 2003 sicherlich das eingängigere und kompaktere Material am Start hatte, während der aktuelle Japan-Trip das komplexere und ausgereiftere Songwriting ins Rennen schickt. Wobei ich hier das im Zusammenhang mit diesem Album, und quasi als Ausrede für eine Gewisse Sperrigkeit, herhaltende Wort "progressiv" gerne vermeiden würde. Dabei geht es mit gar nicht um die endlose Debatte, was eigentliche progressive Musik ist, sondern inwieweit hier die Inspirationsquelle Prog-Rock der 70er sich tatsächlich wiederfindet. Und in meinen Ohren kaum. Klar, ich höre längere Kompositionen mit deutlichem Hang zu instrumentalen Schwerpunkten, aber das reicht bei aller Liebe nicht für jemanden der darunter YES, KING CRIMSON, ELP oder GENESIS versteht.

IRON MAIDEN nimmt sich einfach die Zeit, welche für den jeweiligen Song zielführend zu sein scheint, und gibt der Vielzahl an großartigen Gitarrenharmonien und teilweise richtig starken Melodien den notwendigen Freiraum. Somit ist die Platte anspruchsvoll und clever wie ein Shogun in der Gefechtsplanung, stellt aber keine Herkules-Aufgabe dar, welche mögliche Hörer abschrecken müsste. Dafür ist sie im Kern immer noch viel zu eingängig und leichtfüßig wie ein Ashigaru. Außer man wartet seit über zwanzig Jahren auf einen zweiten 'The Wicker Man'. Dann wird man mit diesem Werk erneut keinerlei Spaß haben.

In Summe ist IRON MAIDEN zwar kein Hattori-Hanzō-Schwert gelungen, aber immer noch eine Klinge, welche sich butterweich in die Ohrmuschel schneidet. Und das hätte ich im Leben nicht mehr erwartet.

Note: 8,5 / 10
[Stefan Rosenthal]

 

Ich würde mich nicht unbedingt als IRON MAIDEN-Fan bezeichnen, kenne, mag und besitze aber vieles von der Band, neben den Altwerken, mein Lieblingssong ist 'The Clairvoyant', gefallen mir auch "Brave New World" und noch mehr "Dance Of Death". Dabei markiert für mich "Dance Of Death" von 2003 ein Album, an das IRON MAIDEN seit dem nicht wieder herangekommen ist, die Songs wurden anschließend immer länger und langatmiger, wobei zu IRON MAIDEN auch immer der Longtrack dazu gehörte, jedoch konnten mich die Briten von "A Matter Of Life And Death" bis "The Book Of Souls" nicht wirklich überzeugen. Das ändert sich nun mit "Senjutsu". Die im Vorfeld veröffentlichten Tracks, 'The Writings On The Wall' und 'Stratego' haben mir bereits ganz gut gefallen und konnten eine gewisse Vorfreude entfachen, da Erinnerungen unter anderem eben an "Dance Of Death" wach wurden, es klang wieder etwas frischer und unverbrauchter, vor allem klang Bruce Dickinson sehr gut und nicht mehr so gequält wie teils auf "The Book Of Souls", auch, da er sich mitunter tieferen Tonlagen bedient. Und was soll ich sagen? Diese Eindrücke konnten sich tatsächlich auch auf Albumlänge bewahrheiten. Der Opener und Titeltrack ist absolut episch und beherbergt nicht nur einen wunderbaren Refrain, sondern auch exzellentes Drumming von Nicko McBrain, der hier einen fetten Tom-Groove quasi durch den Song spielt. An dieser Stelle möchte ich eine Lanze für McBrain brechen, denn sein Schlagzeugspiel ist so charakteristisch und toll in Szene gesetzt, dass es eine Freude ist, ihm zuzuhören. Ich finde, es gibt heutzutage wenige Drummer, die wirklich noch einen derartig eigenen Stil haben und die Songs erst dadurch zu leben beginnen. Dabei ist sein Spiel gar nicht mal technisch extrem versiert, aber umso ausgefüllter mit Persönlichkeit. Aber klar: Wäre "Senjutsu" drei Minuten kürzer, hätte es keine Doppel-CD gebraucht und ja, es haben sich wieder ein paar Längen eingeschlichen, 'Lost In A Lost World' ist zudem ein Song, der für mich nicht so recht funktioniert. Aber wenn ich dann Songs wie besagten Opener, die Singles oder 'The Time Machine' und ja, auch die Longtracks auf CD2 höre, bekomme ich den Eindruck, dass die Herren von IRON MAIDEN gerade ihren fünften Frühling haben. Es gab auch bereits viel Kritik am Sound zu hören, da er transparenter hätte sein können und Bruce etwas dumpf klingt. Das höre ich zwar alles auch, bin aber auch der Meinung, dass man das schnell überhört. Der Platz 1 im September-Soundcheck hätte für mich nach England und zu Iron Maiden gehen müssen.

Note: 8/10
[Jakob Ehmke]

 

Da ist sie also, die siebzehnte Studioscheibe von IRON MAIDEN, und irgendwie habe ich mich so gar nicht darauf gefreut. Zu wenig konnten mich sämtliche Scheiben seit der Rückkehr Bruce Dickinsons begeistert, zu nervig waren über all die Jahre die sich gleichwohl zu jedem Album über das metallische Paralleluniversum ergießenden Lobpreisungen der sehr stattlichen Fanboygemeinde, und als dann auch noch dieses vermeintliche Wunderwerk "The Writing On The Wall" als Promo-Video die einschlägigen Portale heimsuchte, war meine persönliche Erwartungshaltung von eher kassandrischer Ausprägung. Walter, wo hörst du bei diesem Song einen Fingerzeig in Richtung klassischer IRON MAIDEN-Werke? Für meinen Teil hörte ich da zunächst einmal eher eine recht antriebsarme MOLLY HATCHET-Coverversion, lediglich um den MAIDEN-Stallgeruch zu erzeugen, fein garniert mit einem der so üblichen wie nervigen Schluckauf-Refrains und dem obligatorischen Leadgitarrenmäander der neueren MAIDEN-Tradition. So weit, so schlimm.

Was dann allerdings passiert ist, weiß ich nicht so recht, denn trotz dieser nicht nur sprichwörtlich grausigen Vorzeichen des Mentekels an der Wand, hat mich die zweite Single 'Stratego' irgendwie doch noch der Lethargie und Gleichgültigkeit entrissen, denn das Stück hat mich vom Fleck weg mitgenommen. Da höre dann tatsächlich auch ich die eine oder andere Referenz an "Somewhere In Time", was dann mal ganz grundsätzlich ein vernünftiger Ansatz ist. Dass die Band diesen Lichtstreif am Horizont natürlich flugs wieder mit ihrem Fetisch für Songlängen und drei bis achtzehn extra Wiederholungsschleifchen altbekannter melodischer Motive nieder trampeln würde, war indes klar. Doch war es das wirklich? Nun, zum Teil sehe ich die dunklen Vorahnungen schon auch in "Senjutsu" bestätigt, denn ich habe immer noch viel zu oft das Gefühl, dass Steve Harris gerne mal Progressivität mit schlichter Länge verwechselt, denn so leid es mir ernsthaft tut, progressiv im Wortsinne ist an "Senjutsu" einfach mal gar nichts, außer vielleicht der erwähnte Southern-Rock-Einfluss, denn den hatten wir vorher noch nicht.

Davon abgesehen ist "Senjutsu" aber in jeder Faser durch und durch von der Post-2000-Maiden Blaupause abgezogen, was so weit geht, dass ich nicht seltener denken muss, dass ich exakt diese Hookline, exakt diese Melodie, exakt diese Phrasierung, von den Herrschaften schon gehört habe, als dies andere Leute gebetsmühlenhaft bei AC/DC, RUNNING WILD und W.A.S.P. behaupten und bei IRON MAIDEN kategorisch bestreiten. Das ist irgendwo auch ein bisschen lustig, aber, und nun schließt sich der Kreis, IRON MAIDEN muss für mich gar nicht progressiv sein. Eine Band wie diese, darf sich meinetwegen gerne hier und da selbst zitieren, wenn sie es mit Charme und Schwung tut, und genau das gelingt den Eisernen von der Insel mit "Senjutsu" auch für mein Empfinden deutlich besser als auf den letzten drei Alben, und zumindest gleich gut wie auf den ersten beiden Alben nach der Reunion. Das hat für mich mehrerlei Gründe, und zuvorderst möchte ich hier Bruce Dickinson nennen, denn er singt auf dem neuen Album so gut wie lange nicht mehr. Er klingt weniger angestrengt, weniger gepresst, manchmal sehr gefühlvoll mit fast atemberaubender Lässigkeit, wie etwa beim tollen Finale von 'Lost In A Lost World', und er klingt vor allem wieder so, als hätte er richtig viel Spaß im Studio gehabt, und dieses Gefühl hatte ich speziell beim abysmalen Tiefpunkt "The Final Frontier" so gar nicht mehr. Weitere Gründe für eine Fortsetzung des mit "The Book Of Souls" begonnenen Aufwärtstrends sehe ich in der aus meiner Sicht durchaus gelungenen Produktion, die wenig überraschend gerade den Bass gut heraus arbeitet, aber auch sonst eine für meine Ohren recht angenehme, dunkle Stimmung generiert.

Und am Ende entscheidend ist, dass sich das Verhältnis von Songs, die ich wirklich gerne anhöre, zu den eher langweiligen Teilen des Albums im Vergleich zu den Vorgängern deutlich verbessert hat. So finde ich auf "Senjutsu" zumindest das Titelstück, 'Stratego', 'Lost In A Lost World' und 'My Darkest Hour' richtig stark, die Longtracks sind auch einen Tick weniger langweilig als üblich, und im Albumkontext als Exot funktioniert dann am Ende sogar auch noch der Song aus den Everglades halbwegs ordentlich. Unterm Strich höre ich "Senjutsu" also tatsächlich ziemlich gerne an, was mehr ist, als ich erwarten konnte, und vor allem viel mehr, als ich über die letzten Alben der Band behaupten könnte.

Note: 7,5/10
[Rüdiger Stehle]

Redakteur:
Tobias Dahs

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