Gruppentherapie: DREDG - The Pariah, The Parrot, The Delusion

27.05.2009 | 14:42

"Retter des Musikbusiness", Kopfmusik für alternative Progheads, Kommerzpop mit anspruchsvollem Anstrich? Über DREDG gibt es so viele Meinungen, dass wir davon einige in unserer Gruppentherapie festhalten mussten.



Man kann nicht alles, aber vieles, das man über DREDG zu wissen glaubte, aus der Gedächtnisschatulle verbannen. "The Pariah, The Parrot, The Delusion" ist der Sprung in die Uneingeschränktheit, dem die Grazie von THRICE anhaftet. Die Bay-Area-Jungs schienen in der Vergangenheit Gefangene ihrer eigenen Entrücktheit zu sein, Opfer des Abwiegelns und der Suche nach Erklärungen. Das 2005er "Catch Without Arms" war schon Auflehnung dagegen, und nun haben sie sich erfolgreich gewehrt und die Oberhand gewonnen. Sie dirigieren, sie bestimmen. Nachdenklichkeit zeichnet ihre Songs immer noch aus, aber geistesabwesend oder unentschlossen wirkt nichts. Und die Mittel, mit denen das Quartett seine Emotionen in Musik umsetzt, variieren, was von einer nach vorne orientierten Band auch verlangt werden darf. Vielleicht muss man das anziehende 'Information', 'Ireland' und das schwerelose 'Cartoon Showroom' aufgrund der Stimmungsunterschiede nicht ähnlich traumhaft finden wie die Sonnenuntergangsvertonung 'Lightswitch' oder das dem vollkommenen Dreieinhalb-Minuten-Song entsprechende 'I Don't Know', jedoch sollte man unbedingt – auch wegen der ihnen zugrunde liegenden Musikauffassung. All die Finessen und der Detailwahn haben die Vier garantiert so lange an das Studio gebunden, bis sie es am liebsten in die Luft gejagt hätten, nur um dann anderswo ein einfaches Loser-Album zusammenzustümpern. Aber das Durchhaltevermögen war nicht vergebens, kein Nervenzusammenbruch und kein Blutrausch nutzlos – "The Pariah, The Parrot, The Delusion" ist das einladend funkelnde Glanzstück in der DREDG-Plattenreihe.
[Oliver Schneider]

DREDG versuchen auf ihrem neuen Werk erst gar nicht, die allgemeingültige Weltformel für den erfolgreichen Rock/Pop/Indie/Prog/Emo-Song zu entdecken. Stattdessen wird experimentell und abwechslungsreich drauflosmusiziert, und wer schert sich dabei schon um die Gefühlswelten der Zuhörer? Natürlich kann man sich einzelne Stücke herauspicken und findet dabei radiotaugliche Singles, so zum Beispiel 'Ireland', das ein bombastisches Stück Pomp-Rock ist und zuerst ausgekoppelt werden wird. Breitwandkinomusik für den anspruchsvollen Hörer, hart vorbei am Kitsch, nur um dann durch ein kurzes sphärisches Intermezzo die Bodenhaftung völlig zu verlieren. Diese Achterbahnfahrt wird durch insgesamt achtzehn Stücke fortgesetzt und entreißt "The Pariah, The Parrot, The Delusion" dem Mainstream mit Verve. Indie-Rock, Emo-Klänge und auch mal eine fetzige Gitarre wie in 'Saviour', dieses Album enthält alles in wohldosierten Zutaten. Das macht die vierte Scheibe der Amerikaner zu einem Gesamtkunstwerk, das unterhält und gelegentlich auch verwirrt. Die experimentelle Seite, die auf "El Cielo" dominierte, ist zurückgekehrt und steht der Band gut zu Gesicht, doch gerade dadurch ist dies alles andere als Easy Listening. Welche der beiden Scheiben besser ist, wird erst die Zeit zeigen. Bis dahin vergebe ich diese Attribute: mutig, spannend, schön.
[Frank Jäger]

DREDG schaffen auf ihrem neuen Werk ganz elegant den Spagat zwischen Kommerz und Kunst, zwischen unglaublichen Ohrwurmmelodien und musikalischen Feinheiten, die sich nie abnutzen, zwischen poppigen Refrains und immer wieder spannenden Songstrukturen. DREDG sind einfach genial. Punkt. Diese einfache, vielleicht banal klingende Weisheit sollte Fans des Genres ja eh schon bekannt sein, doch mit "The Pariah, The Parrot, The Delusion" legen DREDG eine derart erfrischend verspielte Soundwelt an den Tag, dass man auch als Bandneuling einfach mal ein Ohr riskieren sollte. Die eher kurz gehaltenen Songs und die Zwischenspiele mit experimentellen Klängen (wunderbar gelungen ist hier 'Drunk Slide') fressen sich spätestens nach zwei oder drei Hördurchgängen dermaßen unbarmherzig ins Ohr, dass man sich immer wieder dabei ertappt, so episch schöne Melodien wie die des Songkunstwerks 'Ireland' mitzusummen. Neben diesem Musik-Highlight bieten DREDG aber noch weitere grandiose Perlen wie etwa den sehr experimentierfreudigen Song 'Gathering People' oder das filigrane 'Mourning This Morning'. Wie gesagt, einfach genial!
[Caroline Traitler]

DREDG ist eine seltsame Band. Das ist keine neue Erkenntnis, aber dieses Album, an dem man mal eben schlappe vier Jahre herumgeschraubt hat, überstrapaziert dieses Attribut. Habe ich bei den heißohrigen ersten Durchläufen den Eindruck, alles – mit Ausnahme des extrem zackigen 'Information' – würde an mir vorbeirauschen, so kippt dieses Gefühl nach einiger Zeit ins absolute Gegenteil: Auf einmal springen mich die potentiellen Ohrwürmer im Gleichschritt an. Das geht so weit, dass ich in der Zwischenzeit schon über Massenkompatibilität und Radiotauglichkeit nachdenke. Beunruhigend? Nö. Selbst plakative Mitsummnummern wie das famose 'Gathering Pebbles', welches ich im Urlaub an manchen Tagen fünf Mal hintereinander abspielen musste, weil ich hoffte, danach genug von dem Song zu haben, enthalten ausreichend viele Feinheiten, die jeder Langeweile vorbeugen. Und auch krachige Gitarrenbratlinge der Marke 'Saviour' oder verträumte Soft-Progger wie 'Ireland' knacken jedes Herz. Da muss man nur auf die facettenreiche Instrumentierung lauschen, den beinahe orchestral angelegten Schmachtharmonien zuhören und schon kann man die Klangwelten von DREDG genießen. Und spaßige Reminiszenzen an zum Beispiel 'My Sharona' (THE KNACK) im Opener werden nicht nur bei mir ein Schmunzeln erzeugen. Tolles Album. Für die schönen Momente im Leben.
[Holger Andrae]

Wie man sich doch täuschen kann. "The Pariah, The Parrot, The Delusion", die Neue von DREDG, zum ersten Mal aufgelegt und nebenbei laufen lassen - danach war ich schon etwas enttäuscht, zu gleichförmig und wenig packend klang mir die Scheibe. Es war kaum etwas hängen geblieben. Später dann noch einmal mit ungeteilter Aufmerksamkeit das Album durchgehört ... et voilà, ich musste feststellen: Das Album kann deutlich mehr! DREDG haben sie auch auf diesem Silberteller verewigt, die eingängigen und einprägsamen Stücke, deren Melodie man tagelang nicht mehr aus dem Kopf bekommt. Es sind genau solche Kompositionen wie 'Information' oder 'Down To The Cellar', die mich von hervorragender Klangkunst sprechen lassen. Und doch bleibt ein zwiespältiges Gefühl bestehen. Die Scheibe hat definitiv ihre großen Momente, aber nicht alle der insgesamt sage und schreibe achtzehn Songs (inkl. einiger kurzer Intermezzi) können mitreißen. Teilweise plätschert das Ganze auch ziemlich begeisterungsarm durch die poppige Landschaft, vor allem in der zweiten Hälfte des Albums sind einige Längen zu konstatieren. DREDG haben es nicht geschafft, die durchaus vorhandenen großartigen Fragmente zu einer insgesamt überzeugenden und kompakten Einheit zusammenzufügen. Und vor allem hätte ich mir die eine oder andere Überraschung gewünscht. Warum nicht mal für den einen oder anderen Songschnipsel eine knackige Gitarre auspacken (passiert nur mal kurz bei 'Saviour') oder eine ungewohnte Instrumentierung ins Soundgewand einbauen? Das hätte "The Pariah, The Parrot, The Delusion" sicherlich mehr Schnittigkeit und Spannung verliehen. So beschlich mich ab und an das Gefühl, bestimmte Songs wieder und wieder gehört zu haben.
[Stephan Voigtländer]




DREDG. Der Name schon! Wieder eine dieser ambivalenten, polarisierenden Bands. Entweder du hasst sie oder liebst sie unendlich. Letztens, als Kollege Voigtländer bang fragte, was ich denn von "The Pariah, The Parrot, The Delusion" hielte, ging mir der Pop-Schmalz gehörig auf die Tinte. Im Sinne von: Es gibt Wertvolleres, Besseres zu tun, als den Damen beim Jammern zuzulauschen. Das war vorgestern. Heute - ein weiterer vierter Durchgang ist erfolgt - ist die melodiöse Entwicklung im Einsteigerlied bereits aller Ehren wert. Ein DREDG-typisches Öhrchenwürmchen, ein Einpräger. Die kleinen Einspielerchen und Kräuseleien zwischendrin zeugen von großem konzeptionellen Aufwand. Wie eben immer. "Catch Without Arms" liegt ja nun auch mal wieder vier Jahre zurück. Das gesamte Zusammenwirken aller Töne des Albums zu beschreiben, ist unmöglich oder mindestens in Journallänge abzuhandeln. Das die vier Typen lange bis sehr lange an den Stücken feilen, drehen, löschen, mischen, kontrastieren, ist in jeder Albumsekunde hörbar und spürbar.

Doch, ich teile Herrn Voigtländers anfängliche "Ja ... Nein ... Ja! ... Nein"-Stimmung, was diesen durchexperimentierten Kunstturm betrifft. Angehörs 'Gathering Pebbles' zum Beispiel offenbarte sich bereits mehrmals das Mainstreamstirnrunzeln – so auf Kopfhörern und den langen schwülen Tag verabschiedend ist das Liedlein aber genau das Richtige. Ist das also eine Ausspann-Platte? Lounge-Musike gar? Hier trifft Postrock-Atmosphäre auf britische Scheitelmusik - 'Information' -, paart sich in 'Saviour' ein Mitschnipserriff mit Indietronics-Klängen, werde ich da von der innehaltenden Süßen gefragt, ob 'Quotes' von der neuen MANIC STREET PREACHERS ist. "Nee? Schön, aber." Sie hat es ganz richtig erkannt: schön. Worauf wir alle nie verzichten werden und können, das liefert dieses San-Francisco-Quartett: herzerwärmende Melodiebögen und eine Unzahl von modernen tönernen Spielereien. Trotzdem bleibt es auch bei einem stimmungsbedingten Nachseufzer, weil dann manchmal doch zuviel des guten Pathos. Schön und doch glatt.
[Mathias Freiesleben]

Ein neues DREDG-Album, das weckt Begehrlichkeiten. "Catch Without Arms" und vor allem "El Cielo", die Titel ihrer letzten Alben stehen für künstlerisch hochwertige, filigran ausgearbeitete Musik, die einerseits überaus eingängig ist, trotzdem durch vielschichtige und höchst eigenständige Arrangements besticht. Also eine Band für live und für den Kopfhörer. DREDG sind in den letzten Jahren nicht nur bei Musikkritikern sehr populär geworden, sondern auch beim hörenden Fußvolk. Ausverkaufte Touren und Konzerte bei großen Open-Air-Festivals waren eine logische Konsequenz harter Arbeit. Das neue Album ist also auch gleichzeitig die Chance für die Plattenindustrie, mal wieder mit Hilfe einer Rockband gegen die Absatzkrise zu kämpfen. Gesetz dem Fall, das Album besitzt kommerzielles Potential und birgt Singlehits. Wohin geht also der Weg? Konsens à la COLDPLAY oder Querdenkerei à la MUSE?

Zunächst einmal klingt das Album ganz unverkennbar nach DREDG. Wie eine Spinne gelingt es dem Gitarristen Mark Engles, den Hörer mit schönen, meist effektbeladenen Motiven zu umgarnen und ein Netzwerk aus Gitarren aufzubauen. Die Spinne ist in diesem Falle aber Gavin Hayes, ein Weltklassesänger, der mit seiner klaren, kräftigen Stimme über der Musik schwebt und mit vielen kleinen und großen Melodien auf einen ausgedehnten Beutezug geht. Ich kann mich aber des Eindrucks nicht erwehren, dass die Beute, auf die DREDG mit "The Pariah, The Parrot, The Delusion" aus sind, verstärkt auch Hörer sind, deren musikalische Einflussquelle hauptsächlich das Radio ist und die vielleicht auch gerne mal zu "Rock am Ring" oder "Rock im Park" gehen. Oder anders gesagt: Das neue Album pendelt größtenteils geschickt zwischen breit angelegtem Stadionrock ('Ireland', 'Saviour') und zartem Art-Pop (z. B. 'Information', 'Mourning This Morning'), der eigentlich niemandem wehtut und deshalb allen Generationen von Musikhörern gerecht werden könnte. Nun die große Frage: Ist das schlecht? Nein, ganz und gar nicht. DREDG komponieren immer noch auf höchstem Niveau, alle Songs sind mit vielen Details ausgearbeitet und sind wertvolle, musikalische Kleinode. Es gibt also eine Ebene in den Songs, die man bei oberflächlichem Hören nicht erfassen kann und die vielen kommerziell ausgerichteten Radiobands leider auch fehlt. Dazu kommt eine ausgesprochene Liebe zum Detail, beispielsweise sind die einzelnen Hauptsongs mit experimentellen Interludien verknüpft. Das ganze Album hat sehr viel Fluss, ja, es ist wirklich ganz toll gemacht. Trotzdem fehlt mir bei der neuen DREDG etwas: nämlich Songs wie der Tanzflächenfeger 'Ode To The Sun' oder 'Same Ol’ Road'. Es fehlt das explosive Element, das Unerwartete, das Aha-Erlebnis, wo man denkt "Hoppla, was machen denn die da!?" Aber erst ganz am Schluss zeigen DREDG ihre gesamte Größe: Die letzten Songs 'Quotes', das fantastische Instrumental 'Down To The Cellar' und das Schlusslicht 'Stamp Of Origin - Horizon' zeigen, dass DREDG mit ihrem neuen Album ein großes, ein ganz großes Ausrufezeichen im New Artrock-Genre hätten setzten können.
[Thomas Becker]

Redakteur:
Peter Kubaschk

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