Gruppentherapie: AMARANTHE - "The Catalyst"

15.03.2024 | 00:09

Direkt ins Tanzbein oder voll auf den Geist?

Ja, ich weiß, ihr scharrt schon mit den Hufen ob des kommenden März-Soundchecks mit vielen großen Namen und tollen Scheiben. Wir gehen aber noch einmal in die Untiefen des Februars. Hier polarisieren die Schweden AMARANTHE mit einer modernen, poppigen und für manche sehr fragwürdigen Spielart unseres geliebten Metals. Während Hanne bei den Klängen kaum ruhig auf dem Stuhl sitzen bleiben kann (zu ihrem Hauptreview zu "The Catalyst"), schlagen andere ob des musikalischen Chaos die Hände über dem Kopf zusammen. Lest hier acht weitere Meinungen zu "The Catalyst".



Gott im Himmel, das ist wirklich anstrengend zu hören. Ich war ja neugierig, weil ich solchen eher modernen Pop-Metal mit weiblichem Gesang doch öfter mal auch ganz gut finde. Stichwort BEYOND THE BLACK oder BLACKBRIAR, aber auch DELAIN, EPICA und Co.

In dieser Richtung spielt AMARANTHE aber eher nicht. Und auch nicht in einer ähnlichen Liga. Gleich am Anfang schreckt mich diese Hektik, dieser Overkill an elektronisch durchzogenen Industrial-Riffs - überfüttert mit leblosen Bollerdrums - ab. Uff, und der Gesang von Elize Ryd, der mir von KAMELOT damals eigentlich positiv in Erinnerung ist, ist doch ziemlich künstlich aufgebrezelt. Und wenn dann der Typ noch dazwischen kreischt, will ich echt schnell ausschalten. Was hätte ich dann verpasst?

Nun, es gibt ein paar ganz nette Refrains, die man durchaus zu schätzen wissen könnte, falls man oben genannte Bands auch gut findet. Wobei ich auch sagen muss, dass hier kaum etwas bemerkenswert heraussticht und vieles auf mich sehr künstlich und die meiste Zeit total überdreht wirkt. Dies fällt am Schluss nochmal ganz besonders auf, da gibt es nämlich ein ROXETTE-Cover. 'Fading Like A Flower' ist im Original ein schöner, geerdeter Popsong, dem AMARANTHE in allen möglichen und unmöglichen Aspekten einen eigenen Stempel aufdrückt. Alter Verwalter, selten ist mir in letzter Zeit Musik so sehr auf den Geist gegangen wie diese.

Note: 4,0/10
[Thomas Becker]

Oh Mann, ich fühle so mit dir, lieber Thomas. Oder besser gesagt, ich fühlte. Mein Erstkontakt mit AMARANTHE war damals, als Vorband von POWERWOLF, wirklich nicht gut. Mann, was ging mir die Musik und dieser Dreier-Gesang damals auf die Nerven. Aber keine Ahnung, was danach mit mir passiert ist, denn mittlerweile steht jede einzelne Scheibe von AMARANTHE in meiner Sammlung und ich höre die Scheiben gerne. Und dementsprechend war meine Vorfreude auf "The Catalyst" durchaus hoch.

Trotzdem hat das Album einige Durchläufe gebraucht, bis die Songs angefangen haben zu zünden, ohne dabei jedoch ein wirkliches Feuerwerk abzufackeln. Denn so richtig hat AMARANTHE es auf dieser Scheibe nicht geschafft, bleibende Ohrwürmer zu kreieren und damit dauerhaft im Gedächtnis zu bleiben. Beim Hören machen die Tracks durchaus Spaß, aber man hat sie danach für meinen Geschmack etwas zu schnell vergessen. Dennoch ist "The Catalyst" in meinen Ohren besser gelungen als der Vorgänger "Manifest".

Note: 7,5/10
[Mario Dahl]

Optisch könnte das Cover von "The Catalyst" eine Disney-Kreuzung zwischen FEAR FACTORY und BEHEMOTH sein, ein Artwork des Grauens, was mich davon abhält, das neue AMARANTHE-Album mit offenen Armen zu empfangen. An AMARANTHE scheiden sich auch musikalisch die Geister, und ich, der vor 10, 15 Jahren noch deutlich empfänglicher für melodisch-poppigen Power Metal war, habe vor allem ob des zu krassen Bombasts und der Elektro-Spielchen so meine Problemchen. Die sind durch "The Catalyst" auch nicht weniger geworden, doch muss ich Mario zustimmen, dass "The Catalyst" gelungener klingt als "Manifest".

Nein, ich werde auch durch den neuesten Streich kein allzu großer Freund dieses Elektro Pops mit metallischen Zügen, doch gehen die einen oder anderen Songs - vor allem 'Damnation Flame', 'Re Vision' und 'Breaking The Waves' - gut ins Ohr und sorgen für Fußwippen, ob man will oder nicht. Handwerklich tadellos, mit einem großen Zuckergussberg übergossen, doch vor allem aufgrund des Dreier-Gesangs stellenweise einfach zu viel des Guten. Wenn aber die Melodien und Refrains trotzdem catchy sind und hängenbleiben, dann scheint AMARANTHE irgendetwas richtig gemacht zu haben. Wahrscheinlich hätte ich nach dem BEAST IN BLACK/GLORYHAMMER-Konzert in Hamburg gleich ein, zwei Notenpunkte abgezogen, weil das Maß sonst voll gewesen wäre. Doch knapp fünf Wochen später haben sich meine Ohren ein wenig erholen können und tasten sich vorsichtig an "The Catalyst" heran. Ist okay.

Note: 6,0/10
[Marcel Rapp]

Was bin ich froh, dass ich nicht zu Listening-Sessions von dieser Art von Musik eingeladen und nach einmaligem Hören zu einer Notenabgabe gebeten werde. Dann hätte hier nämlich eine 9,5 gestanden und ich hätte womöglich zum "Rapp-ort" antreten müssen. Aber musikalische Nachhaltigkeit ist so ein Thema für sich und wie Kollege Mario schon richtig erwähnt, baut "The Catalyst" schon gewaltig ab. Aber das ist im Endeffekt der konzentrischen Ausrichtung dieser Musikrichtung geschuldet, welche offensichtlich auf bestimmte Elemente aus der populären Dance-Musik setzt. Dort geht es auch um kurzfristigen Erfolg und weniger um den nächsten Evergreen.

Doch weniger als acht Punkte möchte/kann ich dann doch nicht geben, da es nicht nur handwerklich klasse gemacht ist, für den gewünschten Markt auch ausgezeichnet produziert wurde (geiler WILL.I.AM-Vibe) und einige echte Hits am Start hat. Dabei macht mir AMARANTHE immer dann am meisten Spaß, wenn man sich nicht auf generische Metalbausteine versteift, die seit 2011 eigentlich nur dafür da sein sollen, edgy hart zu wirken, sondern sich selbst auch eher als Dance-Combo in der Tradition von BROOKLYN BOUNCE versteht. Den Großteil der Refrains würde auch Kollege GUETTA locker durchwinken und solche Elektrospielereien wie bei 'Re Vision' und 'Ecstasy' gehen zumindest bei mir direkt in die Beine. Ich merke, es wird mal wieder Zeit für einen Abend im Club oder ein Konzert von AMARANTHE. Muss ich mich dafür schämen? Nein - statt verachtender Blicke aus meinem CD-Regal bekomme ich von meiner SLOUGH FEG-Sammlung ein verschmitztes "gönn dir" zugeflüstert. Das schönste an Musik bleibt die Vielfalt.

Note: 8,0/10
[Stefan Rosenthal]

Eigentlich könnte ich es mir sehr einfach machen und den Text von Thomas Becker eins zu eins übernehmen. Bei AMARANTHE schlagen zwei Herzen in meiner Brust. Ich sehe die Band live sehr gerne und mag auch den "flotten Dreier" am Mikrofon. Und natürlich hat die Band in der Vergangenheit schon sehr viel Elektronik eingesetzt, was eigentlich gar nicht mein Ding ist. Dennoch hat mich die Band auf ihren Konzerten immer wieder mitgenommen.

Auch in der Stilrichtung "Modern Metal" steht für mich das "Metal" für kreischende Gitarren, geile Bassparts und ein treibendes Drumset. Diese Instrumente sind meiner Meinung nach auf "The Catalyst" noch weiter in den Hintergrund gerückt, und das Elektrogedöns dafür übertrieben. Während ältere Songs wie 'Amaranthine' und 'The Nexus' Ohrwurm-Charakter haben und nicht ohne Grund auf jeder Setliste der Band stehen, schrecken mich beim Titeltrack 'The Catalyst' schon die ersten Sekunden ab. Und dieser Elektropop zieht sich dann wie ein roter Faden durch das ganze Album. 'Re Vision' finde ich einfach nur schlimm. Und es geht noch schlimmer. Wie kann man als Modern-METAL-Band einen Klassiker wie 'Fading Like A Flower' nur so derart verhunzen?

Ein Pluspunkt für mich ist aber auch auf "The Catalyst" der schon oben erwähnte gesangliche "flotte Dreier". Und manche Songs sind dann auch "ganz nett", bleiben bei mir aber nicht wirklich hängen. So lasse ich mich überraschen, welche dieser neuen Tracks in Zukunft auf dem Liederzettel landen werden. Bitte in Zukunft aber wieder mehr METAL!

Note: 5,0/10
[Andre Schnittker]

Die Schweden polarisieren. Ohne Frage. Woran das liegt? Eventuell weil der Band ein leichter Casting-Geruch anhaftet? Oder sich ihr ganzer Weg seit 2011 irgendwie wie ein Businessplan und absolutes Kalkül anfühlt? Kein Schweiß, nur Maschine? Kein Bauch, nur Kopf? Keine Ahnung, ich bin zu weit weg, um hier detaillierte und vor allem verlässliche Hintergrundinformationen liefern zu können. Fakt ist nur, ihr 2016er Album "Maximalism" hat mich getriggert. Ich würde mich nicht als Fan bezeichnen, zu sehr rümpft sich auch meine Nase manchmal von alleine, doch muss ich gestehen, dass die musikalische Formel trotzdem häufig aufgeht und die Melodien tatsächlich haften bleiben. Das ist auch bei "The Catalyst" der Fall.

Das mittlerweile siebte Werk ist stereotypisch geworden und weicht keinen Millimeter vom schmerzhaft vorgegebenen Weg ab. Kennst du ein Album, kennst du alle. Wir haben es mit kraftvoll treibenden Songs zu tun, die mit viel Elektronik und Effekten (darf es ein bisschen Madonna sein?) aufgepeppt sind. Darüber und darunter schweben die Stimmen von Elize, Mikael und Nils, der dieses Mal gefühlt deutlich mehr Scheinwerferlicht abbekommt. Nennt es vorhersehbar oder im Baukastenprinzip komponiert, gebt den knapp vierzig Minuten gerne den Stempel "Plastik-Metal" oder auch "lebloser Pop Metal", aber Songs wie 'Damnation Flame', 'Re Vision', 'Outer Dimensions', 'Resistance' oder das eröffnende Titelstück sind schon allesamt kleine tanzbare Hits.

Ich gebe jedoch auch gerne zu, dass sie alle nach dem gleichen Schema geschrieben sind, jeder noch so kleine Ballast knallhart entfernt wurde und sich zu keiner Zeit richtige Tiefe in der Musik befindet. Das ist tatsächlich ein Nachteil in Sachen Nachhaltigkeit und Langzeitwirkung. Insgesamt macht die kurzweilige Scheibe aber durchaus Spaß, auch wenn ich verstehen kann, dass einen zu wenig Metal und zu viel Elektronik stören kann. Dennoch muss ich mich Stefan anschließen, denn trotz einiger vergebener Chancen ('Stay A Little While') und austauschbaren Ideen kratzt "The Catalyst" an den acht Punkten.

Note: 7,5/10
[Chris Staubach]

Mein Feedback zu "The Catalyst" fällt ganz ähnlich aus wie das meines Kollegen Andre, allerdings schlagen bei mir im Gegensatz zu ihm keine zwei Herzen in der Brust in Bezug zu AMARANTHE. In unserem ersten gemeinsamen Urlaub kaufte sich meine Frau 2013 das damals aktuelle AMARANTHE-Album "The Nexus" und auch wenn mir die Musik schon damals etwas zu sehr mit Elektro-Spielereien zugekleistert war, entwickelten sich einige Tracks gerade auf längeren Autofahrten zum Soundtrack des damaligen Sommers. Das erste Konzert enttäuschte mich allerdings ein halbes Jahr später komplett, denn mir war die Liveshow mit den drei Sängern deutlich zu chaotisch und generell wirkte die Band nicht besonders mitreißend.

Seither ist mein Interesse an AMARANTHE deutlich abgeflaut und wenn mir "The Nexus" damals schon zu viel Dance-Metal war, könnt ihr euch sicher denken, dass mich "The Catalyst" überhaupt nicht packen kann. Inzwischen ist die Metal-Instrumentierung nämlich so weit in den Hintergrund gemischt, dass man eigentlich auch komplett auf sie verzichten könnte. Der viel zu präsente Gesang ist auch einer klassischen Pop-Produktion entnommen und stellt nicht einmal Gesangsmelodien in den Vordergrund, die einem ein paar Ohrwürmer liefern. Nein, im direkten Vergleich zu "The Nexus" ist das hier einfach schwach, austauschbar und streckenweise schlicht langweilig. Schade eigentlich, denn als der Mix zwischen Elektro und Metal noch passte, war AMARANTHE immerhin noch als kurzweiliges Unterhaltungsprogramm überzeugend. Heute reicht es maximal zu einem Gähnen und einem ab und an genervten Stirnrunzeln.

Note: 5,5/10
[Tobias Dahs]

In meinem Schuppen hängt noch eine ziemlich zerfetzte und leicht vergilbte NIGHTWISH-Autogrammkarte vom "Bang Your Head" 2002. Damals stand ich beim Herumschlendern auf dem Balinger Messegelände plötzlich vor einem Tisch, an dem die Band saß, die mir sehr freundlich das bereitliegende Foto unterschrieb. Tarja war wirklich sehr nett zu mir. Im Weglaufen wunderte ich mich dann, weshalb auf der anderen Seite des Tisches so viele Leute standen. Großartige Zeiten!

NIGHTWISH war aber auch die einzige Band des damals breitflächig aufkommenden "Trällerelsen-Metals" - wie so mancher gerne flachste - die bleibenden Eindruck bei mir hinterließ. Mit den modernsten Abkömmlingen dieser Stilrichtung, um flott zu AMARANTHE überzuleiten, habe ich meine Schwierigkeiten, wie ich bei einigen Durchgängen von "The Catalyst" bemerkte. Thomas hat ja so recht: Mir treibt dieses völlig überdrehte Gehoppel wassertropfengroße Schweißperlen auf die Stirn. Anfangs dachte ich ja, ich würde einen aufgenommenen Bandsalat eines 87er "Hysteria"-Tapes von DEF LEPPARD hören.

Scherz beiseite: Diese Hektik und vor allem der Stimmenwirrwarr überfordern mich total! Freilich, im Titeltrack 'The Catalyst' oder in 'Outer Dimensions' sind ganz nette Melodylines auszumachen, um zwei Beispiele von vielen zu nennen. Jedoch klingt die gesamte Scheibe wie in einem Studio aufgenommen, dessen Klimaanlage stets kontinuierlich aus einem Eimerchen Koks ansaugt. Zudem kommt vor allem der, so empfinde ich persönlich ihn zumindest, fett vervielfachte Sound der weiblichen Vocals nervtötend eurovisiontauglich rüber und der Keifheinz unter den drei Stimmen leistet eigentlich ganz gute Arbeit, wird aber für meinen Gusto viel zu oft ans Mikro gelassen. Seltsamerweise finde ich das bei André verhasste 'Re Vision' gar nicht so übel, das mag aber an meiner ganz leichten Industrial-Affinität liegen. Da ich das Album einige Male beim grünen Punkt zu mir nahm, musste ich das ROXETTE-Cover 'Fading Like A Flower' noch nicht über mich ergehen lassen. Diese Musik ist für mich nur ganz bedingt und stimmungsabhängig als Hintergrundmusik tolerierbar, daher schließe ich mich in meiner Punktevergabe Herrn Schnittker an.

Note: 5,0/10
[Timo Reiser]



Fotocredits: Rafal Makiela / Nuclear Blast

Redakteur:
Thomas Becker
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