Gruppentherapie BURNING WITCHES - "The Dark Tower"

01.06.2023 | 14:46

Alles schon auserzählt oder immer noch gut genug?

Die musikalisch tief im traditionellen Metal verwurzelten Schweizer Damen sind eine der aufsteigenden neuen Bands der letzten Jahre. Jetzt müssen sie sich erstmals im powermetallischen Soundcheck behaupten (zum Soundcheck Mai 2023) und landen im gesicherten Mittelfeld (Platz 12). Was dennoch toll ist, aber auch was es zu kritisieren gibt, wird ausführlich in dieser Gruppentherapie erörtert.

Was ich an BURNING WITCHES-Alben stets mochte, war ihre Unberechenbarkeit, der dezente Hauch von Wahnsinn, der im Schwermetall der Damen verankert war. Natürlich hörte man stets die großen Namen als Einfluss heraus und auch auf "The Dark Tower" sind Heroen wie ACCEPT, WARLOCK, JUDAS PRIEST und IRON MAIDEN fester Bestandteil des Sounds. Doch die letzten Werke der Hexen - allen voran "Dance With The Devil" und "The Witch Of The North" - ließen nie die gewisse Eigenständigkeit vermissen. Damit will ich nicht sagen, dass "The Dark Tower" langweilig klingt, definitiv nicht. Nur vermisse ich die Überraschungseffekte, wirkt der Großteil des Songmaterials zu sehr auf Nummer sicher getrimmt. Das hat das aktuell etwas zu geradlinig denkende BURNING WITCHES-Gespann überhaupt nicht nötig, denn die Band ist, wie sie ist, richtig stark, aber agiert aktuell doch ein wenig mit Handbremse. Warum denn? Lasst die Heavy-Metal-Sau doch von der Leine. Zumindest machen 'Unleash The Beast', 'Heart Of Ice' und 'Doomed To Die' ziemlich viel Freude und lassen die etwas zu kitschige 'Tomorrow'-Herzschmerzballade schnell vergessen. Die restlichen Songs sind allesamt gut, halten straighten Heavy Metal der gewohnten Schlagseite bereit und lassen nur wenige Wünsche offen. An die letzten beiden Alben reicht der Dunkle Turm trotz seiner Mystik dann aber doch nicht heran.

Note: 7,5/10
[Marcel Rapp]

Erstmal muss ich mich bei den BURNING WITCHES-Damen bedanken für eine emotionale Reise in meine Kindheit. Interessanterweise hat das noch gar nichts mit der Musik zu tun, sondern eher mit dem Jason Dark-Gedächtnis-Artwork. Nur leider ist es nicht das Cover zur John Sinclair-Ausgabe 3473: "In den Fängen der blutrünstigen Vampir-Hexen", sondern die Visualisierung des neuen Albums "The Dark Tower" (auch kein Stephen King-Bezug). Aber der Vergleich zur bekannten Groschenroman-Reihe ist nicht so abwegig, denn statt Trivialliteratur bekommen wir hier Trivialmusik auf die Ohren. Das ist so simpel komponiert, langweilig und spannungsarm umgesetzt (ich fühle förmlich die Präsenz von Marcels erwähnter "Handbremse"), dass ich ohne Soundcheck keine drei Songs am Stück gehört hätte. Aber eben auch handwerklich vollkommen in Ordnung und fährt man seine Ansprüche etwas nach unten, dann muss man konstatieren, dass es zumindest besser ist als vieles, was DORO in den letzten Jahren so veröffentlicht hat. Ob nun die Ballade 'Tomorrow' oder die Headbanger 'Evil Witch', 'The Dark Tower' und 'Doomed To Die', das hat phasenweise schon mehr Qualität als bei Frau Pesch. Gut, das ist nicht schwer, aber ihr wisst, was ich meine. Somit klarer Fall von absolutem Durchschnitts-Metal mit einem Bonuspünktchen für das Artwork. Aber statt "The Dark Tower" eine weitere Runde im Player zu spendieren, gehe ich jetzt wohl mal zum Bücherschrank und gucke, was der olle Geisterjäger so macht.

Note: 6,5/10
[Stefan Rosenthal]

Es ist doch überraschend, wie sehr ein Album, das eigentlich viele der persönlich geliebten Schlüsselreize bedient, letztlich doch furchtbar langweilen kann. BURNING WITCHES hätte sich sicher nicht nach einem WARLOCK-Album benennen müssen, um die musikalischen Intentionen und Bezüge zu verdeutlichen. Aus der jetzt bestätigten Vorahnung heraus hatte ich zuvor einen Bogen um diese Band gemacht. Durch das Review von Mario und die Tatsache, dass unser neuer Chef dieses Thema zur Gruppentherapie ausrief, bin ich dann doch neugierig geworden. So leid es mir tut so etwas schreiben zu müssen über eine bestimmt sympathische und begeisterte Heavy-Metal-Band: "The Dark Tower" ist ein Musterbeispiel an belangloser Durchschnittlichkeit. Das ist dieser seltsam unbeholfene "Wenn-ich-mal-groß-bin-werde-ich-wie-JUDAS PRIEST"-Metal, der mich schon in den 1980ern an mehreren Teutonen-Metal-Protagonisten massiv gestört hat. Bis hinauf zu Doro & Co. wirkten die auf mich immer wie die linkisch-hüftsteifen und nun mal weniger begabten Cousins und Cousinen der stilbildenden Priester. Ich habe mehrfach versucht "The Dark Tower" noch einmal so vorurteilsfrei wie möglich eine Chance zu geben, aber es wird einfach nix mit BURNING WITCHES und mir. Das Eröffnungsriff von 'Renegade' zum Beispiel dürfte zu den meistverwendeten der Metal-Geschichte gehören. Auch die ständige Wiederholung derselben Stampfmetal-Bridge/Chorus-Kombis geht mir irgendwann einfach nur noch auf den Zeiger. Würde mich nicht wundern, wenn man so etwas inzwischen schon mittels KI generieren kann...

Note: 5,0/10
[Martin van der Laan]

Er hat zwar noch keine 1,2 Milliarden Dollar eingespielt, wie sein computerspielbewährter Namensvetter aus dem aktuellen Hollywood-Animationsstreifen, aber er hat Recht, unser Super-Mario Dahl: Hier sind 8,5 Punkte [in der Einzelrezension - Anm. d. Red.] vollkommen gerechtfertigt! Seit den ersten beiden Alben konnte mich selten ein Song der BURNING WITCHES so packen, wie viele Tracks der aktuellen Langrille "The Dark Tower". Thrash, Hair-Metal, der die CRÜE an die Wand drückt, sowie opulent-priesterliches Schwermetall in drei aufeinanderfolgenden Liedern? Die Fernsehwerbung suggerierte einst im Zusammenhang mit Schokoladeneiern, so etwas ginge nun wirklich nicht. Die Hexen schaffen das dennoch mit fluffiger Lockerheit und jenem Schüssken Irrsinn, das Redaktions-Cheffe Marcel den personell international aufgestellten Damen inzwischen abspricht, wenn ich ihn recht verstehe. Für mich klingt das erwähnte Dreigestirn 'Unleash The Beast', 'Renegade' und 'Evil Witch' jedoch so eingängig und, trotz aller verarbeiteten Einflüsse, mindestens so eigenständig und frisch wie Lieder der ersten beiden Alben, die noch Seraina Telli fabelhaft eingesungen hatte. Die neue Scheibe strotzt nur so vor packenden, mit kraftvollen Riffs unterlegten Melodien, man höre zum Beweis 'World Of Fire', 'The Dark Tower' oder 'Arrow Of Time'. Martin liegt richtig mit seiner bereits in den Untiefen dieser Gruppentherapie gelaanten, äh, gespoilerten Meinung, dass die BURNING WITCHES "Wenn-ich-mal-groß-bin-werde-ich-wie-JUDAS PRIEST"-Metal spielen. Und hoffentlich legen sie es auch wirklich und hartnäckig darauf an, derart groß zu werden! Wir brauchen dringend neuen Metal-Helden-Nachwuchs, in den 20er Jahren des neuen Jahrtausends sehr gerne auch durchgängig mit XX-Chromosom.

Note: 8,5/10
[Timo Reiser]

Nun denn, die Meinungen gehen auseinander, wie man sieht, und das ist verständlich, denn am Ende haben wir es bei BURNING WITCHES mit zwei recht trivialen Feststellungen zu tun: Einerseits damit, dass die Band handwerklich aber auch gar nichts anbrennen lässt und blitzsauberen Heavy Metal klassischer Prägung vom Stapel lässt, der mich tatsächlich mehr an die eine oder andere teutonische Band erinnert, speziell an STORMWITCH, ZED YAGO, HELLOWEEN und WARLOCK, als an die hier viel zitierten britischen Flaggschiffe, die mir eher nicht in den Sinn kommen. Andererseits, und daran entzündet sich wohl der Disput, ist es eben doch irgendwie ein Generikum, da wirklich markante Alleinstellungsmerkmale schwer zu finden sind. Daher wundert es mich auch etwas, dass unser Hauptrezensent hier zu stattlichen 8,5 Punkten findet, stört ihn die Generik in der Gruppentherapie zu THULCANDRA doch deutlich mehr. Dabei ist es in beiden Genres heutzutage ähnlich schwer, wirklich innovativ oder eigenständig zu sein, weil sie halt sehr stark auserzählt sind, und so trennt sich die Spreu vom Weizen dann doch eher in der Disziplin individuelle Klasse als im Punkt der Unverkennbarkeit. Insoweit agieren die brennenden Hexen solide, nicht mehr nicht weniger, denn auch vom irren Wahnsinn, den der eine oder andere Kollege gewittert haben mag, kommt an meinen Schallkollektoren eher wenig an. Allenfalls in den härteren Passagen von 'Into The Unknown' schwingt dezent eine am Rad drehende Vokalperformanz mit, die ich allerdings eher deplatziert finde. Gleichwohl bleibt am Ende genug Zählbares für eine solide Bewertung, denn neben der handwerklichen Klasse funktionieren auch die Songs recht gut. Wer richtig tief drin steckt, in der neuen Welle des traditionellen Metals, der findet in BURNING WITCHES eine weitere grundsolide Band, die Spaß macht, aber eben auch keine, die irgendwie nennenswert herausragt.

Note: 7,0/10
[Rüdiger Stehle]

Okay, am Schluss schreibt jetzt noch der, der am wenigsten Ahnung von dieser Band hat. Ganz unbedarft höre ich daher BURNING WTCHES. Und obwohl der Bandname es ja schon sagt, reibe ich mir bei nachgängiger Recherche (heißt, ich lese die Beiträge meiner Vorgänger) die Augen: Echt jetzt, das sind Mädels? Auch am Mikro? Nee, das hätt ich jetzt nicht gedacht; es gibt viele Metal-Sänger, also Y-chromosomale Einheiten, die genau so singen. Doch macht es das Gehörte jetzt besser? Irgendwie finde ich es ja schon witzig, dass man auch heute noch versucht, Groschen mit Songtiteln wie 'Evil Witch', 'Heart Of Ice' oder 'Doomed To Die' zu verdienen. Ein bisschen wie diese Songtitel ist dann aber auch die Musik. Muss ich jetzt - vor allem nach dem Lesen der vorherigen Beiträge - nicht weiter erklären, oder? Ohne Frage, das ist spielerisch extrem professionell vorgetragen, hat auch manchmal einen gewissen Charme; dann gibt es aber auch wieder Stellen, die schon fast dreist abgegriffen wirken, weil sie schon mindestens dreihunderteinundfünfzig mal so oder so ähnlich verwurstet wurden. Dazu ist das Album auch noch ziemlich lang. Als Pluspunkt gibt es aber - im Gegensatz zu der eben erst verarzteten neuen IMMORTAL-Scheibe - immer wieder sehr feine Gitarrenleads und mitunter coole Gitarrenharmonien zu bestaunen, die das Album ein wenig retten.

Note: 6,5/10
[Thomas Becker]

Fotocredits: Martin Rahn / Napalm Records

Redakteur:
Thomas Becker

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