GOTTHARD: Interview mit Marc Lynn

12.11.2012 | 19:45

Vor der Headliner-Show in Bochum haben wir uns mit Bassist Marc Lynn über Gott(hard) und die Welt unterhalten.

Hallo Marc, starten wir doch direkt mit der Tour. Ihr seid schon ziemlich lange unterwegs, seid ihr zufrieden bislang?

 

Sehr zufrieden! Die Reaktion der Leute ist gnadenlos gut, leider hat sich bei uns die Krankheit eingeschlichen und wir sind alle ein wenig erkältet. Da ist man irgendwann halt am Limit jeden Abend. Wir hoffen aber, dass es heute Abend wieder geht, man merkt's ja erst beim Aufwärmen.

 

Das hoffen wir auch! Wie kam es eigentlich zu der gemeinsamen Tour mit UNISONIC? Ich vermute, es war die Idee eures ehemaligen Gitarristen Mandy?

 

Wir haben halt das gleiche Management und bei einer Besprechung kam die Idee dann auf. Wir haben sie in Südamerika und Japan begleitet, weil wir zusammen einfach mehr Leute ziehen. Sie begleiten uns jetzt eben in Spanien und Deutschland und Russland. Eine Hand wäscht die andere, wir kommen ja gut klar miteinander. Das gilt übrigens auch für Mandy, der ja früher unser Gitarrist war. Wir haben uns zehn Jahre nicht gesehen, aber das Wiedersehen war ganz locker. Und mit Kai und Michi sind wir auch befreundet, Dennis kennen wir auch schon lange und Kosta ist ja auch bei uns im Management. Von daher ist das eine ganz tolle Sache.

 

Das stimmt, die meisten Fans werden wohl auch beide Bands gerne hören.

 

Das glaube ich auch! Die Konstellation tut gut, wir geben einander Platz und helfen einander. Also wir machen Crew-Sharing, teilen uns das Material etc. Letztendlich geht es darum, den Fans eine tolle Show zu bieten. Und da möchte ich nicht irgendeine bescheidene Vorband, sondern eine Vorband, die die Leute begeistert. Das ist zwar auch schwieriger für mich, wenn ich dann auf die Bühne gehe, aber die sollen in Stimmung kommen. Das ist wichtig!

 

Du hast gerade schon kurz etwas zum Thema Konzerte und Nic gesagt, wie fühlt es sich an, mit im auf der Bühne zu stehen?

 

Es ist ganz normal geworden. Wir haben jetzt so 30, 35 Konzerte gemacht und sind schon fast zwei Jahre zusammen. Das fühlt sich gut an! Nic ist auch ein Profi, aber er muss auch noch einiges lernen. Er ist noch nicht so weit, wie es Steve mal war. Der Gedanken an Steve ist auf der Bühne jedenfalls nicht da, falls du das meinst.  Wenn wir die Gedanken ständig gehabt hätten, hätten wir ja gar keinen neuen Sänger gesucht. Man muss es erstmal verdauen können, aber dann auch abhaken. So schön es damals auch war, aber man muss für sich wieder nach vorne gucken und da gibt's auch keinen Vergleich von wegen "der hat das mal besser gesungen oder schlechter". Man hat einfach ein neues Team!

 

Darauf wollte ich auch hinaus. Wie kommt es denn im Publikum an? Ihr spielt ja auch sehr viele alte Songs. Bekommt ihr das mit, ist das Publikum begeistert?

 

Das Publikum ist voll begeistert. Aber nicht von Anfang an, da waren viele natürlich sehr skeptisch. Steve war ein Mensch, der sehr auf die Leute zuging und Nic ist eher "ich bin hier, schaut mich an, bildet euch euer Urteil". Aber gerade wenn wir die ersten Balladen spielen, tauen die Leute auf. Da haben sie es meistens überwunden, dass da ein Neuer ist, mit dem sie sich erst zurecht finden mussten. Dann stellen die fest: "Mensch, der hat das ja auch geil gesungen" und dann geht's ab!

 

So sollte es auch sein!

 

Ja, die Leute sollen ruhig kritisch kommen und einfach sehen, dass das auch ein toller Typ ist.

 

Das wird beim aktuellen Album doch ähnlich gewesen sein, dass die Leute eine riesige Erwartungshaltung im Hinterkopf hatten. Wie stark war Nic denn eingebunden von Anfang an? Beispielsweise beim Songwriting?

 

Er war direkt eingebunden, zu 100%. Bei uns bringt jeder Ideen ein, jeder ändert beim anderen etwas ab und wir versuchen gemeinsam rauszukriegen, was ein bestimmter Song braucht, was ihn ausmacht. Da ist jede Idee willkommen! Als wir - bei der Suche nach einem neuen Sänger - Nic eingeladen haben, mal zwei Wochen zu uns zu kommen, war das ja schon die nähere, nähere, Auswahl. Da hatten wir noch vier Sänger auf der Liste, mit denen wir intensiver arbeiten wollten. Und in diesen ersten zwei Wochen mit Nic haben wir zusammen schon vier Songs geschrieben. 'Remember It's Me' ist z.B. von Nic, 'Starlight' hat er mit Freddie zusammen geschrieben und bei zwei weiteren hat Nic Text und Melodie beigesteuert. Wir mussten ja jemanden finden, mit dem es menschlich passt, aber mit dem man auch die richtige Chemie hat zum Songs schreiben. Deswegen muss er auch direkt involviert sein, damit wir das Maximum rausholen können. Wir sind keine Band, wo einer sagt, wo es lang geht, sondern bei uns läuft es gemeinsam ab.

 

Das kann man dem Album auch anhören. Ich wollte erst fragen, ob es bewusst wieder ein härteres Album werden sollte. Aber wenn jeder beteiligt ist, war es vermutlich eher ein Zufallsprodukt?

 

Ja und nein! Wir wussten schon, was wir wollten. Wenn man nach zwanzig Jahren so einen Schicksalsschlag erleidet, muss man sich fragen: wie machen wir weiter? Da haben wir halt reflektiert und uns war klar: was bringt uns zum Weitermachen? Was hat uns in der Vergangenheit an uns gefallen und was eher nicht? Was war ein tolles Album? Wir hatten natürlich auch Lieblingsalben, sowohl was den Sound, aber auch was die Songs angeht. Deswegen würde ich sagen, dass "Firebirth" nichtmal härter ist als zuletzt, es ist weniger überladen. Das heißt, die Gitarren wurden nicht gedoppelt, nicht noch überall fett Keyboard rein etc. Du hast halt Drums, zwei Gitarren, Bass, Stimme. Und nicht die übermäßigen Chöre und was man sonst alles noch machen kann. Deswegen konnten wir auch vieles nach vorne mischen, es klingt härter, direkter. Das macht es aus für meine Begriffe. Wir wollten bewusst zurück zu den Basics, weniger ist mehr. Als Produzenten haben wir unseren früheren Sound-Engineer angeheuert, der hat mit uns "G." gemacht zum Beispiel. Er war nie Produzent, aber wir wussten, dass er noch mehr kann. Bei der "G." hat das das gezeigt, und dieses Album gefällt uns vom Sound her nach wie vor sehr. Und so haben wir dann mit ihm 'Need To Believe' aufgenommen und alle fanden das total geil. Am Ende, als das Album fertig war, hatten wir dann genau das, was wir wollten: mehr Dynamik, mehr Leben, weniger Soundteppich. Außerdem haben wir ohne Klick aufgenommen, sondern alles live und ohne Metronom eingespielt. Der Drummer gibt halt vier Schläge vor und dann spielen wir es, wir können es ja.

 

Auch das kommt bestimmt bei vielen Fans gut an, die diese technisch überproduzierten Alben mit Pro-Tools-Tricks nicht mehr hören wollen.

 

Aufgenommen haben wir auch mit Pro-Tools, aber nur weil das mit den Dateien sehr bequem ist. Wir haben aber nichts editiert oder das ganze auf's Metronom getrimmt. Denn dann wird es steril. Das wollten wir halt vermeiden.

 

Eine Frage zu den Songs hätte ich noch, und zwar zu den Texten. Bei den Konzerten blickt ihr nach vorne, aber reflektieren denn viele der Texte das, was ihr durchgemacht habt? Sind sie persönlicher geworden?

 

Ja, die meisten Songs sind schon das Produkt der Verarbeitung und viele handeln von Gedanken á la "lebe jeden Moment". Du weißt ja nie, wann etwas passiert. Deswegen sind die Songtexte auch überwiegend positiv, wie zum Beispiel 'Yippie Aye Yay', den ich geschrieben habe. Da ist die Message ganz einfach: cool , das Leben ist lebenswert, genieß jeden Moment. Vor allem weil es sich bei dem Unfall damals nur um einen Meter gehandelt hat, dass ich überlebe oder eben auch gestorben wäre. Darüber darf man sich freuen, auch wenn man einen Freund verloren hat. Und dann gibt es den einen Song, der für Steve geschrieben wurde, das ist 'Where Are You'.

 

Von dem, was du bisher so beschreibst, wie ist denn die Bandchemie? Fühlt es sich an wie eine neue Band?

 

Ja, natürlich. Jeder macht einen Prozess durch, findet neue Frische und ist froh über das, was er hat. Nach 20 Jahren ist es ja wie mit einem alten Ehepaar. Man redet plötzlich ganz straight miteinander, die Band hat Spaß und man findet wieder zueinander. Nic passt da perfekt in's Gefüge.Wir sind ja eine demokratische Band und treffen uns auch nicht nur zum Proben. Es hat mehr was von einer Familie.

 

Habt ihr denn schon neue Pläne oder denkt ihr erstmal bis zum Ende der Tour?

 

Das Ziel ist natürlich, nächstes Jahr wieder Konzerte und Open Airs zu spielen. Aber parallel dazu wollen wir das nächste Album schreiben. Ich denke es ist für die Fans und die Existenz der Band wichtig, dass wir noch einmal so ein gutes Album nachlegen. Dann sehen auch die letzten Kritiker, dass es noch geht. Wir wollen die nächste LP auch mit den gleichen Leuten machen, im gleichen Studio und dabei noch bessere Songs zu schreiben. Das ist unser Ziel.

 

Das wird bei den Fans sicher für Zufriedenheit sorgen.

 

Genau das denke ich auch. Und danach kann man mal über eine Live-Scheibe, eine DVD, nachdenken. Aber jetzt soll Nic erstmal richtig ankommen, er ist plötzlich in allen Medien, hat früher noch nie so große Bühnen gespielt etc. Für ihn sind das etliche Baustellen im Kopf, die man gar nicht gleichzeitig beackern kann. Das geht nur Schritt für Schritt. Das sind alles Dinge, die man mit der Zeit lernt. Und ich glaube, dass unsere Fans ihm auch diese Zeit geben. Aus dem Stegreif kann das niemand. Er hat 'ne tolle Stimme und er ist ein sympathischer Kerl. Der Rest, das kann alles noch kommen.

 

Was du da mit den Medien ansprichst, ist ja in der Schweiz noch viel extremer als bei uns. In Deutschland findet das nur in der Fachpresse statt, in der Schweiz liest man es in jedem Boulevardblatt.

 

Wir sind halt die größte und bekannteste Band in der Schweiz und Steve war eine Ikone! Da guckt man natürlich doppelt und dreifach drauf. Es gibt sogar Radiosender, die uns nicht mehr spielen. Die haben früh gesagt, ohne Steve wird das nichts mehr und jetzt boykottieren sie uns damit sie das Gesicht wahren können.

 

Das ist ja schon sehr radikal.

 

Klar ist das radikal, aber das sind Idioten. Ich mache Musik mit den Leuten, mit denen ich es will. Hätten wir die Band umbenannt, hätte es immer (Ex-GOTTHARD) geheißen. GOTTHARD ist nicht nur Steve Lee, GOTTHARD war immer ein Teil von uns allen. Es war immer im Sinne von Steve, dass die Band lebt und genau das tun wir jetzt. Und die Fans unterstützen uns, das ist das Schönste.

 

Ein wunderbares Schlusswort.Danke für das Interview!

 

Gerne doch!

Redakteur:
Nils Macher

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