EMERGENCY GATE (Listening-Session)

01.11.2008 | 15:08

"Wo geht's hier bitte zum Notausgang?" - diese Frage wäre wohl fatal bei einer Listening-Session. EMERGENCY GATE präsentieren in München ihre neue Platte "ReWake", gleichzeitig eine Frischzellenkur, und stellen sich unserem kritischen Ohr. "Zum Notausgang bitte klicken."

Seit Monaten liegt mir Mario Lochert im Ohr, wie geil die neue EMERGENCY GATE-Platte doch ist. Und er sollte es wissen, wenn der Eindruck wohl auch etwas subjektiv ist. Denn Mario ist sowohl Bassist der Band als auch Aufnahmeleiter und Produzent sowie stolzer (Mit-)Besitzer der Dreamscape-Studios in München, in denen sowohl die heutige Listening-Session als auch die Aufnahmen zum neuen Album "ReWake" stattfanden. Mit anderen Worten lässt sich sagen: Er hatte überall seine Finger mit im Spiel. Umso spannender gestaltete sich in den letzten Tagen also die Wartezeit auf den ersten Höreindruck, denn die Eckdaten sind tendenziell beeindruckend: Zum einen konnte man Matthias Kupka (ex-SUIDAKRA) für das Projekt EMERGENCY GATE gewinnen, zum anderen steht schon vor Veröffentlichung der neuen Scheibe fest, dass man im neuen Jahr mit KREATOR, CALIBAN und ELUVEITIE auf Tour gehen wird. Die Vorzeichen scheinen auf Sieg zu stehen, doch nun gilt es, Tacheles zu reden und der angekündigten Götterscheibe gehörig auf den metallischen Zahn zu fühlen.

Eine Band besteht selten aus einer Person und wird so gut wie nie an einem Tag gegründet, und auch in diesem Fall stehen hinter EMERGENCY GATE eine mehr oder weniger lange Geschichte und eine Fülle an Kreativköpfen. Nach einem eigenproduzierten Demo mit dem Titel "Emergency Gate" im Jahr 2000 folgte erst sechs Jahre später das Album "Nightly Ray", diesmal mit einem Vertrag bei TEC/Universal in der Hinterhand. Schnell erspielte man sich mit Auftritten auf Festivals und einigen Club-Konzerten eine breitere Fanbasis, was nicht zuletzt zu einer Tour mit MERCENARY führte. Doch schon kurz darauf schlug die Faust des Schicksals erbarmungslos zu, und so wurde im Zuge von Umstrukturierungen im Hause Universal der Vertrag mit EMERGENCY GATE aufgelöst. Nach diesem herben Schlag verließ auch Gründungsmitglied Fabian Kießling die Band. Die verbliebenen Notausgänge standen nun vor der Wahl: Aufgabe oder Neuanfang? Zum Glück für die Fans härterer Töne entschied man sich für eine Runderneuerung der Band – ein neues Image, eine andere, härtere Gangart und der Blick nach vorne sind die Zeichen der neuen Zeit.

Was läge nun näher, als sich die neue Platte zu Gemüte zu führen? Klar, eine kurze Einleitung von Vladi Doose: "Das Album hat ein Konzept, einen roten Faden. Allerdings fängt er bei ein paar Passagen an zu brennen, bei anderen total dünn, dann sackt er nach unten, nur um sich am Ende doch wieder rauszudrehen – das Album ist einfach eine ganz persönliche Geschichte für mich selbst, und so werden Leute, die mich kennen, vielleicht einige Sachen wiedererkennen, während Leute, die mich nicht kennen, auf Sachen stoßen werden, die auf sie selbst passen. Inhaltlich ist das Konzept eine Art "Wiedererwachen". Der Titel "ReWake" ist ein Wortspiel aus den Worten "reborn" und "awake", wobei die Deutung tatsächlich offen und so jedem selbst überlassen bleibt." Mit diesen Worten wird der "Play"-Kopf der fetten Studioanlage gedrückt und die Katze aus dem Sack gelassen. Namentlich heißt diese Katze 'Double Suicide', als einziger Song geschrieben von Udo Simon, und entpuppt sich als fetter Tempokracher. Das Riffing ist dabei variabel, von klassischen Melodic-Death-Elementen bis rockigen Heavy-Metal-Gitarren ist ein breites Spektrum abgedeckt. Dennoch ist das hier keine Nostalgie-Show, sondern alles unter dem Stempel "modern" abzuspeichern. Ein stimmiger, von Keyboard getränkter Mittelteil strukturiert den Song und lässt eine kurze Verschnaufspause zu, bevor der Bleifuß aufs Neue durchgedrückt wird. Eine coole Nummer. Schnell, hart und kompromisslos.

Für Mario ist vor allem wichtig, dass EMERGENCY GATE mit der neuen Platte einen unerwarteten Weg einschlagen, und so definiert er den Titel "ReWake" folgendermaßen: "Wir sind eine neue Band, und wir spielen einen komplett neuen Style. Von der alten Band sind wir lediglich noch zu dritt, ansonsten ist das Line-up völlig umgebaut. Wir haben mit dieser Platte etwas Neues kreiert. So kannst du "ReWake" eben auch sehen." So fällt beim zweiten Song des Albums, 'Slave', vor allem das schnelle Drumming auf, das durch einen ziemlich groovenden, mehrfach wiederholten Mittelteil kontrastiert und dadurch hervorgehoben wird. Daneben stehen die parallel eingesetzten, verschiedenen Gesangslinien, die den gewaltigen Umfang von Mathias Kupka unterstreichen. Insgesamt macht dieser Song einen raueren Eindruck, rennt einem davon und lässt sich dabei dennoch gut fassen.

'... Of Stars And The Drifting' wartet mit der ersten Überraschung auf. Anstatt eines brutalen Kick-off tröpfelt eine unverzerrte Gitarre mit Keyboard aus den Boxen. Das Intro geht nahtlos in einen ultra-groovenden Stampfer mit zweistimmiger Gitarre über. Anschließend wird fast großes Gefühlskino betrieben, geschickt zerbombt durch rauen Gesang, der dem balladesken zwar Raum lässt, den Song jedoch daran hindert, in romantischer Bedeutungslosigkeit zu versinken. Auch ein moderner Part darf in diesem Song natürlich nicht fehlen, und so wird noch einmal modern geschrien und die Gitarre aufgedreht. Das spacige Riffing in diesem Song zeigt die großartige Bandbreite der Band, die auch weiterhin zu dem einen oder anderen ungläubigen Staunen führen wird. "Aufgrund der teils progressiven Soli und Riffs könntest du jetzt einen riesigen Begriff finden, der beschreibt, was für Musik wir machen", erklärt Mario auf die Frage, mit welcher Musikrichtung EMERGENCY GATE am besten definiert werden. Vlad konkretisiert im Scherz: "Progressive Modern New Metalcore Death-Styled Rap Hip Hop Shit Techno Metal". Und in der Tat, die Jungs am musikalsichen Schwanz zu packen fällt schwer. Ein nahtloser Übergang verbindet den beschriebenen Song mit 'Next In Line', welcher den Hörer in klar definierte Death-Metal-Welten entführt, angereichert mit teuflischem Gesang. Insgesamt fällt 'Next In Line' als durchkomponiertes Gitarrenstück auf, die Instrumente bekommen einen breiten Raum, sich zu entfalten, und machen das Lied zu einem absoluten Riffmonster.

Der nächste Song ist ein kurzweiliges Instrumental und beweist die kreative Fülle und Freude an experimentellen Themenvariationen. 'Unbeing' ist so etwas wie eine Verschnaufpause, fast drei Minuten lang, bevor mit 'Gold & Glass' der Lieblingssong der Münchner aus den Boxen schallt. Dieser beginnt mit einem Synthie-Intro, wie man es auch in den Achtzigern erwartet hätte, bevor der Song mit einem markigen "Let's Go!" in die heutige Zeit übertragen wird. Das Hauptriff besteht aus zwei Powerchords und brennt sich direkt in die Gehörgänge der Hörer. Gerade der Refrain macht neugierig auf die Live-Umsetzung, da er gerade prädestiniert dazu ist, mitgegrölt zu werden. Auch die Ausflüge in den Melodic Death sind zwar klassisch, aber durchaus kurzweilig. Nicht verschweigen darf man den grungigen Rockteil des Songs, gut und konsequent umgesetzt. EMERGENCY GATE haben es sich nicht nehmen lassen, ein cooles Video zu dem Stück zu machen. Neben einer klaustrophobischen Grundstimmung wird die Grundaussage des Songs ("Flee from this cage ...") auch bildlich gut umgesetzt.

'The Purpose' heißt der siebte Song im Bunde. Eingeleitet durch ein nostalgisches Heavy-Metal-Riff, speilt der Song mit Elementen aus eher klassischem Death Metal und dessen moderner Adaption im Melodic Death. Diese Herangehensweise macht den Song zwar voll und massiv, verhschließt die Tür vor dem Hörer allerdings nicht. Im Bundle mit Song Nummer acht, 'Trust In Me', hat die Band mit Sicherheit ein ordentliches Live-Brett zu bieten, welches seine Feuerprobe im Frühjahr 2009 bekommt. Da geht es unter anderem mit KREATOR auf Tour: "Mille Petrozza hat unser Zeug wohl ganz gut gefallen, und so kommen wir mit den Jungs auf Tour. Das Vertrauen, das damit in uns und die Platte gesteckt wurde, ist natürlich groß – aber sie werden nicht enttäscht werden." Wie auch? Mit 'Trust In Me' wird großes, hartmetallisches Ohrenkino betrieben, eingeleitet durch ein freudiges "1-2-3-4, go!". Für mich hört man gerade hier eine dreckige, punkige Attitüde raus, mit der Matthias aber nichts anfangen kann: "Mein Gesang ist nie bewusst Punk- oder Harcore-orientiert. Vielleicht entsteht der Eindruck durch die Übergänge von den cleanen Sachen ins Shouten. Das kann man aber am ehesten mit Bendings auf der Gitarre vergleichen. Bewusst punkig ist es aber nicht."

Womit wir schon beim nächsten Song wären. 'Remains' ist für mich das erklärte Highlight dieses Albums. Obwohl oder gerade weil der Song eigentlich EMERGENCY-untypisch ist, aber alle Talente dieser Band zusammenführt. Zuerst einmal die Eckdaten: Wir haben es hier mit einer Ballade par excellence zu tun, inklusive Cello, wunderbarem Gesang, langsamem Riffing in bester Dramatik, und trotz seiner sieben Minuten fast zu kurz in seiner Genialität. Auch hier ist die Marke Kupka am Gesang einfach wahnsinnig toll. "Viele Dinge in diesem Text, in diesem Song haben mich an mein altes Leben erinnert," erklärt Matthias Kupka. "So konnte ich diese Atmosphäre, die durch das Cello und das Klavier getragen wird, auch in mir selber erschaffen. Das Lied bekommt so Emotionen und wird zum Leben erweckt. Im Grunde hatte ich bei diesem Lied auch eine ganz andere Stimmung als beim restlichen Album. Ich habe viele Dinge aus der Vergangenheit Revue passieren lassen. Und so entstand der Song." Diese Intensität kommt dabei definitiv beim Hörer an. Gänsehaut vorprogrammiert!

Ein wenig bodenständiger wird’s mit 'Elementor'. Dieser Song besticht durch sein langweiliges Riffing. Klingt wie ein Widerspruch, ist es aber nicht. Denn die Melodie des primären Riffs wiederholt sich über den gesamten Song hinweg, entfaltet seine wahre Bestimmung aber erst beim zweiten Hören. Denn was einfach und nichtssagend klingt, ist ein verzwicktes Rhythmusexperiment, bei dem sich die Melodie der Gitarre wie eine Schlange um den Beat herumwindet. Grob könnte man sagen: IRON MAIDEN meets Göteborg, doch greift dieser Vergleich wahrscheinlich zu kurz. Ein Highlight in diesem Song ist ein Teil, in dem Nachrichtenmeldungen im Vordergrund stehen, welche aber von einem großartigen Solo unterlegt sind. Udo Simon zeichnet verantwortlich für die Soli auf "ReWake" und erklärt seine Herangehensweise: "Ich habe mir die Songs eingehend angehört und mir dazu Soli überlegt. Ich wollte jetzt nicht möglichst schnelle Sachen machen, sondern zum Song passend komponieren. Bei 'Elementor' ist das Solo eher progressiv angehaucht und kommt gerade in Kombination mit diesen Meldungen gut rüber." Spannend ist vor allem, dass das Solo eine Bandbreite an Stilen vermengt: Da kommt das gefühlvolle Rocksolo genauso wie Petrucci-Gefrickel. Sehr passend und verdammt stimmig.

Mit 'Life v2.0' gehen wir mit großen Schritten auf das Ende des Albums zu. Zum letzten Mal wird hier schnelles Death-Riffing betrieben, allerdings - im Grundsatz schwedisch -  bricht es doch die Melo-Death-Standards durch ambitioniertes Riffing auf und erhöht seine Langlebigkeit dadurch immens. Abgebreakte Gitarren geben dem Titel einen coolen Drive, direkt für den Nacken, nur um in einen gefühlvollen Mittelteil überzuleiten, der dennoch die nötige Portion Wumms und Heaviness mitbringt. Im Ganzen betrachtet schwingt in diesem Titel viel Melancholie mit. Dennoch ist die Stimmung dabei nicht destruktiv, sondern immer mit einem Quantum Trost versehen: "Man soll sich bei der Scheibe nicht schlecht fühlen", erzählt Vlad. "Vielmehr soll das Album helfen zu verarbeiten. Übertrieben gesagt: Wenn du die Scheibe gehört hast und in die Vergangenheit schaust, solltest du sagen können: Ach, eigentlich war's gar nicht so schlecht. Egal, was dir passiert ist, du lernst daraus. Und so soll dich die Scheibe auf jeden Fall nicht herunterholen." In diesem Sinne endet der Song, kräftig auf den Putz hauend mit seinem coolen Hauptriff, witzig umspielt vom Keyboard.

Das Ende der Scheibe markiert 'Lullaby'. Ketzerisch zusammengefasst könnte man sagen: REM in gut. Aber da der Scheiterhaufen bekanntlich kein guter Ort zum Verweilen ist, lässt sich der Song auch als Schlaflied mit satter, cleaner Gitarre und warmem, rauem Gesang beschreiben. Unheimlich unerfüllend und spannend ist das Ende, genauer gesagt der offene Schluss. Denn während man vor sich hin träumt und auf die einsetzenden Rockgitarren wartet, welche dem Lied den gewohnten Balladen-Anstrich geben, endet das Stück mir nichts, dir nichts und lässt den Hörer in der Schwebe. Der normale Gang zum CD-Player, um das Teil nochmal von vorne abzuspielen, wird von den fiesen EMERGENCY GATE'lern verhindert. So bleibt zum Schluss festzuhalten, dass der Versuch, einen Kreislauf musikalisch darzustellen, mit dieser Platte gut und spannend umgesetzt wurde. Man fühlt sich nahezu gezwungen, das Teil gleich nochmal in der musikalischen Bespaßungsanlage in Rotation zu bringen. Der letzte und erste Song gehören zwingend zusammen.

Ob EMERGENCY GATEs "ReWake" eine Götterscheibe oder der nächste Versuch einer Band ist, den Melodic Death Metal neu zu definieren, muss wohl jeder für sich selbst herausfinden. Mir gefällt der Stilmix außerordentlich gut. Nie die Wurzeln vergessend, gehen die Jungs erfrischend anders und originell an die Sache ran. Dadurch entsteht ein teuflischer Wein, versehen mit den erlesensten Früchten der gesamten Welt, angereichert mit hartem Metall, schneidender Schärfe und einer klaren Message an den Hörer. Die Produktion, glasklar im Bukett, hart auf den Punkt gebracht und fett in der Blume, tut dabei ihr Übriges. Gedulden bis zur Veröffentlichung muss man sich allerdings noch bis zum 23. Januar 2009.

Redakteur:
Julian Rohrer

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