EISBRECHER: Interview mit Alexx Wesselsky

28.09.2018 | 21:36

EISBRECHER feiert dieses Jahr 15-jähriges Jubiläum. Im Rahmen der zweiten Auflage des eigenen "Volle Kraft Voraus Festivals" wurde dieses bereits gebührend gefeiert. Den Bericht dazu könnt ihr hier lesen. Wir konnten uns im Rahmen des Festivals mit dem Sänger Alexx Wesselsky unterhalten. Der "Checker" hatte dabei trotz eigentlich begrenzter Zeit sehr großen Redebedarf. Und wer ihn kennt, weiß, dass er Dinge gerne so ausspricht wie sie sind, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen. Um die Authentizität seiner Aussagen nicht zu verfälschen, wurde der Text bei der Übertragung von der Audioaufnahme in die schriftliche Version nur unwesentlich bearbeitet. Viel Spaß beim Lesen.

Hallo Alexx, erst einmal herzlichen Glückwunsch zu 15 Jahren EISBRECHER.

Ja, wer hätte das gedacht!

Wenn man eure Karriere von Beginn an verfolgt hat, ist es für euch ja fast nur aufwärts gegangen.

Tendenziell ja. Es gab kleine Wellen und Dellen, aber die Tendenz war immer nach oben. Das ist wie ein Keilrippenriemen, den du schräg nach oben hältst, so sieht unsere Geschichte aus. Es geht ja nicht nur glatt. Es wäre ja ein bisschen scheiße, wenn man nicht ab und zu auf die Fresse fliegt. Sonst lernt man nichts dazu und wird auch nicht besser. Fehler machen Leute, hat mal ein kluger Mann gesagt.

Trotz des steigenden Erfolgs schreibt ihr Fannähe weiterhin groß. So habt ihr gerade 1,5 Stunden Autogrammstunde hinter euch.

Zweieinhalb Stunden, bitte korrigieren, ich habe jetzt noch Schmerzen im linken Fuß.

Wenn möglich mischst du dich ja auch immer noch gerne unters Volk...

Unbedingt, das mache ich immer, wenn es geht. Du kannst in einer Rockband spielen und trotzdem erkennt dich irgendwie keiner. Da musst du schon vor vielen Leuten spielen, Platten verkauft haben oder mediale Aufmerksamkeit genossen haben, dass du dauerhaft belagert wirst, wenn du dir einen Gig anschauen willst. Durch das Fernsehen gab es da einen riesigen Sprung. Ich bin es von daher in all den Jahren gewohnt, seit ich seit 2007 mit TV und Musik zweigleisig fahre, wobei Musik für immer die Nummer Eins sein wird. Das ist mein Ding und Fernsehen hat mir quasi Geld eingebracht. Wenn ich mir heutzutage eine Band anschauen will, werde ich davon nicht viel mitkriegen. Aber ich geh trotzdem ins Publikum, weil ich mir die Bands nicht von der Seite angucken will. Ersten klingt es scheiße und zweitens sehe ich nichts. Ich will das gleiche Konzerterlebnis wie jeder andere auch. Ich bin ja auch Fan. Ich möchte mir IRON MAIDEN und PRONG von vorne anschauen. Und wenn der Preis ist, dass ich ein paar Fotos mache, dann ist es völlig in Ordnung. Wenn keiner ein Foto von mir will, dann kennt man mich nicht. Wenn keiner mich kennt, dann gibt es mich nicht und dann gibt es auch kein EISBRECHER, das ist doch ganz einfach. Da werde ich mich nie beschweren. Es kommt immer auf die Art und Weise an. Wenn einer blöd kommt, dann geh ich. Wenn die Leute freundlich sind, kriegen sie ihr Foto. Das steht außer Frage, denn es ehrt einen ja auch. Klar ist es manchmal anstrengend, alles andere wäre gelogen. Wenn ich mir etwas anschauen will, aber ich kann es nicht genießen, dann ist das der Preis. Und ich zahle ihn mit meiner Privatheit. Mein Berufswunsch war Öffentlichkeit.

Ihr feiert eurer 15-jähriges Jubiläum mit einer neuen Best Of?

Nein, einer Retrospektive, das ist was ganz anderes. Wer ein Best Of-Album macht und das auch so draufschreibt, sagt, dass der Rest für'n Arsch ist. Das sind unsere besten Songs, ihr braucht die anderen Alben nicht kaufen, die besten Nummern sind hier drauf, schmeißt die anderen weg. Und die stehen halt dummerweise im Laden, aber braucht man dann ja nicht. Das ist Bullshit, ich werde doch nicht meine eigenen Songs abwerten. Ich kann da nur nicht alle Stücke drauf packen. Das machen die Leute sowieso selber mit ihrer Spotify-Playlist. Das hier sind die Stücke, die unsere Karriere markieren. Das ist die Straße, die wir gegangen sind. Das sind die Schilder und Eckpfeiler. Das sind spezielle Songs für spezielle Zeiten. Es gibt sehr viele ruhige Songs, wir hätten eine eigene Balladenplatte machen können. Wir haben uns entschieden die Singles zu nehmen und die Nummern, ohne die wir einfach nicht können, weil die einfach in keiner Live-Setliste fehlen dürfen. Ich finde nicht alles von uns umwerfend und mit der Zeit entfernt man sich auch von manchen seiner Kinder und sagt: "Oh, das ist ja missraten." Aber es sind zum Glück nicht viele. Wir haben auch sehr viel schöne Stücke, die jetzt nicht auf dieser Retrospektive gelandet sind. Ich empfehle jedem, dass sie die EISBRECHER-Alben kaufen sollen; sie werden sich wundern, was da für tolle Songs drauf sind, die wir z.B. noch nie live gespielt haben. Diese sind zwar geil, aber halt nicht live-tauglich.

Mit 'Menschenfresser' ist ein neues Stück auf eurer Retrospektive, das im Original von RIO REISER ist und aus dem Jahr 1986 stammt. Warum habt ihr euch gerade dafür entschieden? Ich zitiere mal einen Textzeile: "Menschenfressermenschen gibt's nicht erst seit '33."

"Menschenfressermenschen sind normal und meist sehr fleißig, Menschenfressermenschen gibt's nicht erst seit '33." Wir haben die Nummer nicht deshalb ausgewählt, weil die Zahl 33 drin vorkommt. Sie kommt da drin vor, weil sie das Bouquet perfekt abrundet. Der Text ist einfach makellos, von vorne bis hinten richtig und trifft den Nagel auf den Kopf. Er beschreibt den Zustand '86, als der Song entstanden ist. Er hätte aber auch aus den 60er Jahren stammen können, mit Studentenunruhen und so. Und der Rio Reiser ist 100% ein alter 68er. Der passte in den kalten Krieg, in die schon damals westliche, turbokapitalistisch angehauchte Gesellschaft, wie die unsere. Wir haben gesehen, was nach der Wende passiert ist. Wir haben gesehen, wie ein ganzes Land abgewickelt wurde. Das ging nicht nur menschlich und freundlich zu. Wir haben gesehen, wer da sein Business gemacht hat und wer danach kein Business mehr gemacht hat. Eine komplette Enteignung eines Volkes haben wir durchgerissen. Fakt ist, dass der alte Sozi Reiser einen Song und Text geschrieben hat, der klar sagt, dass das kapitalistische System, was wir reiten, krank ist. Wir fressen uns und unsere Kinder selber auf. Wir sind die Revolution, die ihre eigenen Kinder frisst; die, die den Planeten vernichtet, uns selbst vernichtet, unsere Ressourcen vernichtet. Und bevor wir uns alles selbst umgebracht haben, bringen wir am liebsten natürlich erst mal andere um. Dieser Text ist so gut, ich bin froh, dass er mir wieder in die Hände geflogen ist. Da staunt man nicht schlecht, denn das kann man nicht besser machen.

Wir setzen es jetzt auf unsere EISBRECHER-Art um und ich hoffe, der Rio kann damit leben auf seiner Wolke, wenn er die Harfe zupft und sich einen Joint reinpfeift. Es ist ganz anders vom Style als Rio je war; ich hoffe, es ist ihm recht, das würde mich freuen. Es ist mir nur wichtig, dass ein Text wie dieser nicht in Vergessenheit gerät. Denn dieser Text gehört in diese Zeit. Ich bin megastolz, dass er auf dieser Platte gelandet ist. Es ist am Schluss nicht wichtig, ob die Leute glauben, dass er von EISBRECHER oder Rio Reiser ist. Es ist wichtig, dass beim einen oder anderen da oben etwas angeht und er sich klar wird, dass es nicht 5 vor 12, sondern bereits 55 nach 12 ist. Ich selbst habe keine Kinder, alle kriegen Kinder und setzen Kinder in die Welt und verhalten sich trotzdem, als hätten sie keine. Das ist das, was ich nie begreifen werde. Nur der Mensch ist in der Lage, so zu tun, als würde er mit seinem Biomist und seinem Fahrradhelm und seinen E-Zigaretten irgendwas retten. Und trotzdem kippen sie den Scheiß in die Flüsse, schmeißen ihre Batterien weg, fahren mit der Kackfähre sinnlos in der Gegend herum. Es ist die Welt ihrer Kinder, es ist ihr Problem. Das Problem ist, dass es keinem je reicht. Wenn der Mensch mal definieren könnte, wann es ihm reicht, dann bräuchten wir nicht soviel Scheißreichtum. Dann würde es irgendwann reichen mit 1000 Euro, 1500 oder 2000 Euro im Monat. Und da sind alle gefragt. Die Masse ist ein Problem und die kleine Superelite ist ein Problem. Asozial sind wir alle, dekadent, wehleidig, aggressiv. Und das müssen wir in der Griff bekommen. Wir müssen alle zum Arzt. Stellt sich nur die Frage, wer soll dieser Arzt sein, der alle retten soll? Gott? Keine Ahnung, ich habe keine Antwort auf die Scheißfrage.

Ich finde es nur wichtig, dass man drüber nachdenkt. So lange sich fortgepflanzt wird, sollte jeder Fortpflanzer irgendwas für seine Nachzucht tun. Man muss im Leben versuchen, es so wenig falsch wie möglich zu machen, denn richtig machen kannst du es eh nicht. Und wenn das der Ansatz wäre, dann wären wir schon alle ein Stück weiter. Man braucht nicht jeden Tag ein Barbecue und ein Mann definiert sich auch nicht über zehn Steaks am Tag. Aber was sehen wir in den Medien? Wer nicht grillt, ist kein Kerl, das ist Bullshit! Wer keine 370 PS unter der Motorhaube hat, ist nichts. Ich wünsche uns gute Besserung. Ich bin 50, ich hab es nicht mehr so lang. Und ich bin kein bisschen traurig, dass ich früher den Planeten verlasse, als viele andere, die da stehen mit ihren 16 Jahren, denen ich nicht weiß, was ich sagen soll. Wichtig ist, Mut musst du haben, aber anpacken musst du es schon. Du musst eigentlich klüger sein als deine Eltern und Großeltern und viele von denen, die um dich herum sind. Du musst ein Kämpfer sein. Und wenn man dich findet, dann wahrscheinlich im Rock 'n' Roll, denn Rocker sind ja sowieso immer anders. Der Mainstream steht in der Scheißdisse und singt "Hey Bitch, Fuck You", keine Ahnung oder hört sich scheiß Schlager an. Rock ist was anderes. Es gibt zwar beschissene Rockmusik, die mir nicht gefällt. Aber Rockmusik ist immer eher etwas für unangepasste Menschen. Und die werden diese Welt retten, auch wenn sie von den ganzen Angepassten nur ausgelacht, verarscht und vielleicht irgendwann sogar verboten werden. Wenn eine Partei wie die AfD an die Macht kommt, hat sich's ausgemerkelt, ausgerockt, ausgefreiheitet. Wir müssen da dran bleiben, unsere Freiheit erhalten. Du siehst, du kannst mir eine Frage stellen und ich kann dir 30.000 Antworten geben.

Mit dem "Volle Kraft Voraus Festival" habt ihr euer eigenes Festival ins Leben gerufen, welches dieses Jahr jetzt in die zweite Runde geht. Allerdings hatte ich auch irgendwo gelesen, dass die Fortsetzung auf der Kippe stand, weil es nicht ganz so gut gelaufen ist?

Das ist lustig, dass du das gelesen hast. Wir veranstalten das Ding hier selber, das heißt, hier sitzt der Veranstalter. Ich mach das zusammen mit Marco Goethel. Wir haben gesehen, was letztes Jahr los war, da wir selber da waren. Und es war uns sofort klar, dass wir das nächstes Jahr wieder machen. Dass aller Anfang schwer ist, ist klar. Es hätten auch gerne etwas mehr Leute da sein können, wir hatten so ungefähr 2500 bis 2700 - alles andere als ein Flop, alles andere als supergeil. Du brauchst immer einen zweiten Shot. Egal, wer irgendwas geschrieben hat oder irgendwas gelabert hat, der kam nicht aus unserem Lager. Und da wir die Macher sind, wäre es interessant gewesen mit uns zu sprechen. Man steckt nicht so viel Arbeit rein und gibt dann auf, wenn es mal ein bisschen holprig und stolprig ist. Ich spiele in einer Rockband. Und das, was ich hier erleben darf, das ist nur ganz wenigen vergönnt. Und warum? Weil man auf so viel verzichtet hat, weil man so viel gekämpft hat, weil man Glück hatte, weil man beißen muss, weil man lieber Messebau macht und Scheißjobs um weiterhin mit 30, 35 oder 40 noch seinen Rockstar-Traum zu leben? Es kostet einen Haufen Nerven und Energie, aber wenn du was willst, dann bist du auch bereit dazu. Und das gilt genauso für dieses Festival. Und dieses Jahr bereits gibt uns recht. Wir haben ein geiles Line-up, die Bands sind gekommen und ich schwöre dir, es wird nicht schwieriger für uns, sondern leichter. Und das nächste Jahr verkaufen wir die Hütte aus, Punkt, keine Zweifel!

Ich war nicht sicher, dass es dieses Jahr so gut laufen würde, wir haben mit Gästen diesmal vielleicht 3500 bis 3800, verkauft haben wir 3300. Und mit 4200 bis 4300 ist die Halle ausverkauft. Ich habe hier zuletzt PETER MAFFAY gesehen, unplugged, sah gut aus, war ausverkauft, das machen wir nächstes Jahr auch. Vielleicht auch wieder mit dem gleichen Line-up, denn das hat ja dieses Jahr super geklappt und das hat vorher in der Form noch keiner gemacht (großes Gelächter im Raum).  Weltweit das einzige Festival mit immer den gleichen Bands, die müssen sich immer frei nehmen. Ja, wahrscheinlich nicht, aber warum auch nicht, einfach mal drüber nachdenken. Du siehst, wenn man selber der Herr im Hause ist, dann kann man auch machen, was man will. Das Schöne ist, wenn ich auf die Fresse falle, bin ich selber schuld und wenn wir es schaffen, sind wir auch selber schuld. Und wenn einer sagt, das finde ich alles scheiße, dann kann er zu uns kommen und darf sich gerne beschweren. Ich kann es also nicht auf andere schieben, das finde ich wichtig. Das ist das, was der Nation gut tun würde, jeder Firma, jedem Individuum. Hör auf mit dem Finger immer auf andere zu zeigen. Hör auf die Schuld immer bei anderen zu suchen. Die da oben, die da unten, die da drüben, die da links, die da recht, die Flüchtlinge, Schuld ist jeder andere, nur nicht du selbst. Mehr Mut, mehr Einsatz, mehr Kampf, zeig doch mal, wie du es klüger machen würdest! Das ist es einfach. Selbst der Kleinste hat Macht. Die meisten sind einfach zu faul, müde oder schon gebrochen. Das kann natürlich sein. Aber dann muss man halt für die mitkämpfen. Solche Herausforderungen sind genau meins, zumindest noch!

Redakteur:
Tommy Schmelz

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