Demo-Klassiker (1): SIREN "Iron Coffins" (1985) / "Dead Of Night" (1986)

25.02.2023 | 18:28

Unsere neue Artikel-Serie beginnt mit zwei Klassikern aus den 80ern. Schon im vergangenen Jahr hatte unser Redakteur Holger Andrae die schöne Idee, eine Artikelserie "Demo-Klassiker" zu starten. Jetzt soll es tatsächlich mit zwei Tapes von SIREN aus Florida losgehen, die bei vielen Metallern als Klassiker gelten. Zunächst möchten wir euch die Kassetten vorstellen.

DIE TAPES

Nicht immer beginnt die Karriere einer Metal-Band mit einem Demo. Bei SIREN, 1981 in Florida gegründet, steht am Anfang die mittlerweile rare Single "Metro-Mercenary", die 1984 in Eigenregie veröffentlicht wurde. Eingespielt wurde sie in folgender Besetzung: Doug Lee (Gesang), Rob Phillips (Gitarre), Ed Aborn (Schlagzeug) und Ben Parrish (Bass). Die 7'' ziert bereits das charakteristische Logo mit der doppelten Sichel, der fies deutenden Hand und den beiden Totenschädeln, das sich auch auf beiden Demos findet. Beim Debütalbum "No Place Like Home" wählte man leider einen schmucklosen Schriftzug. Erst mit dem Zweitwerk "Financial Suicide" wurde das Logo wieder fester Bestandteil der Optik von Tonträgern und Merch. Und so ist es bis heute geblieben.

In fast derselben Besetzung wie "Metro-Mercenary" und ebenfalls co-produziert von Gary DeMichele erschien dann im Januar 1985 das erste Demo "Iron Coffins". Nur am Bass gab es mit Edward Hauser (alias Ed Amyx) einen Besetzungswechsel. Das Tape ist einseitig bespielt und enthält vier Tracks: 'Iron Coffins', 'Shadow Of A Future Past', 'Before The Storm' und 'Over The Rainbow'. Bis auf 'Before The Storm' schafften es alle Stücke auf das ein Jahr später bei Flametrader/Semaphore erschienene Debüt, wo allerdings der eine Titel leicht zu 'Shadows Of A Future Past' abgeändert wurde.

SIREN wird in der frühen Phase der Band manchmal als Progressive Metal charakterisiert. Diese Klassifizierung ruft beim ersten Demo "Iron Coffins" vielleicht falsche Assoziationen hervor. Es sind keine verschachtelten Kompositionen, komplexe Rhythmen oder eine ausufernde Virtuosität, die die Musik von SIREN ausmachen. Die Drumbeats sind auf dem ersten Demo noch vergleichsweise einfach gehalten. Obwohl die Melodik eine wichtige Rolle spielt, sind die Songs weit davon entfernt, Mainstream zu sein. Mehr Eigenständigkeit geht eigentlich kaum. Und das begründet auch den Klassikerstatus des Demos.

Klanglich ist "Iron Coffins" keine Offenbarung, sondern ein Widerhall aus dem tiefsten Underground. Aber es gibt noch einen weiteren Pluspunkt: Die Kauzigkeit ist kaum zu überbieten. Die Gesangslinien und die Phrasierung von Doug Lee sind absolut einzigartig und sorgen für etliche Überraschungen. Auch das Songmaterial ist exquisit. 'Iron Coffins' ist noch ein relativ straighter Eröffnungstrack. Das dann folgende 'Shadow Of A Future Past' ist einer der besten Songs, die je von SIREN geschrieben wurden. Die Demo-Fassung und die Aufnahme auf dem Debütalbum haben beide ihren ganz eigenen Reiz. 'Before The Storm' ist eher ein genretypischer US-Metal-Song, der aber gesanglich etwas ausschert. Das sich textlich auf den Film "The Wizard Of Oz" beziehende 'Over The Rainbow' mit seiner ungewöhnlichen Leadgitarre und dem märchenhaft versponnenen Gesang ist ein weiterer Meilenstein im Gesamtwerk von SIREN. Auf dem Demo hört man den Bass übrigens noch besser raus als auf "No Place Like Home".

Das zweite Demo "Dead Of Night" aus dem Jahr 1986 wartet ebenfalls mit vier Songs auf: 'Dead Of Night', 'The Black Death', 'So Far To Go' und 'Slice Of Hate'. Hiervon wurden zwei, 'The Black Death' und 'So Far To Go', auch für das Debütalbum verwendet. Wieder gab es zwei Besetzungswechsel: Gregg Culbertson spielte den Bass ein und Edward "Faxon" Kotz die Gitarren. Hier kann man in der Tat zugestehen, dass besonders durch das Zusammenspielt von Bass und Schlagzeug der Sound progressiver ausgefallen ist. Erinnern wir uns daran, dass sich im Jahr 1986 der Progressive Metal erst zu entwickeln begann. SIREN kann also zu den Pionieren des Genres gezählt werden. Der Gesang ist besser abgemischt und deshalb klarer akzentuiert als auf "Iron Coffins".

Der Opener 'Dead Of Night' ist ein fantastischer Song, bei dem es völlig unverständlich ist, warum er nie für einen Langspieler verwendet wurde. Auch das an frühen Texas Metal gemahnende 'The Black Death' ist schon in dieser Fassung voll und ganz überzeugend. Der absolute Hammer ist aber 'So Far To Go' mit seiner eigenwilligen Melodieführung und den Gesangslinien zum Dahinschmelzen. Und dann der Text! "And there the lovely lady stands / She lights my way with torch in hand / She stands for liberty - and the free ..." Ganz zu schweigen vom wunderbaren Gitarrensolo, das auf dem Demo vielleicht sogar noch besser ist als auf der LP. Besonders schön ist der Schluss, der sich von der Album-Version klar unterscheidet. 'Slice Of Hate' ist ein für SIREN-Verhältnisse eher ungewöhnlicher Song. Hier bekommen wir Speed Metal mit einer gehörigen Portion Aggressivität vorgesetzt. Allerdings gibt es im Mittelteil ein ziemlich verrücktes Break.

Da bestimmt unter euch auch einige Sammler sind, hier noch eine Information: Mit etwas Glück sind beide Kassetten jeweils noch für einen höheren zweistelligen Betrag aufzutreiben, wenn man die Originale besitzen möchte. 2018 erschien bei Underground Power Records eine Compilation mit dem Titel "Up From The Depths - Early Anthology & More", die auch die beiden Demos und die Single "Metro-Mercenary" enthält.

SIREN ist seit einigen Jahren wieder aktiv in der Szene. Wurde der erste geplante Auftritt auf dem "Keep It True"-Festival 2010 noch abgesagt, so klappte es endlich im Jahr 2018. Im Oktober 2022 erschien der empfehlenswerte vierte Langspieler unter dem Titel "A Mercenary's Fate". Mit diesem Titel schließt sich der Kreis zur ersten Single.

DER HINTERGRUND (Interview mit Drummer Ed Aborn)

Da wir diese Zeitreise antreten, freut es mich ganz besonders, dass mein Kollege Holger Andrae den Kontakt zu SIREN-Schlagzeuger Ed Aborn hergestellt hat, der auch die Texte zu einigen Songs geschrieben hat. Ed kann mit Informationen aus erster Hand und Fotos aus der Zeit aufwarten. Na dann los!

Hallo Ed, wie viel Zeit habt ihr für jedes Demo im Studio verbracht?

Wir haben für die Demos nicht sonderlich viel Zeit im Studio verbracht. Damals war das Geld sehr knapp. Auch wenn wir nicht in den besten und teuersten Studios der Gegend aufgenommen haben, mussten wir dennoch die Zeit im Blick haben, da immer nach Stunden gezahlt wurde. Wir nahmen die Single "Metro-Mercenary" und die "Iron Coffins"-Demos 1984 und 1985 bei GDM Recording auf. Während der ersten Session für die Single nahmen wir tatsächlich schon 'Over The Rainbow' auf, entschieden uns dann aber dafür, die anderen beiden Songs für die Vinyl-7'' zu nehmen. 'Over The Rainbow' ist auf dem "Iron Coffins"-Demo enthalten, aber das ist eine andere Version. Wenn ich schätzen müsste, würde ich sagen, dass wir etwa 15 Stunden für die "Metro-Mercenary" und vielleicht 20 Stunden für die "Iron Coffins"-Demos gebraucht haben - jeweils etwas mehr als zwei Tage.

Für das "Dead Of Night"-Demo haben wir etwas mehr Zeit aufgewendet. Die Musik wurde in einer einzigen Session von etwa acht Stunden aufgenommen. Der Gesang und die Leads wurden in eine separaten Session am nächsten Tag aufgenommen, die nochmals etwa acht Stunden dauerte. Über einen Zeitraum von einigen Wochen gab es weitere Besuche im Studio, um den Mix zu optimieren. Insgesamt dauerten die Aufnahmen für "Dead Of Night" also wahrscheinlich 24 Stunden.

Gibt es irgendwelche lustigen Geschichten über die Zeit im Studio?

Obwohl es oft einige verrückte Zeiten und Geschichten für die Band im Allgemeinen gab, waren wir so darauf konzentriert, die Demos schnell aufzunehmen, dass die Dinge im Studio ziemlich glatt liefen. Während der Aufnahmen zu "Dead Of Night" wohnten wir in einem billigen Motel in der Nähe des Studios, da dieses nicht sonderlich nah zu Brandon lag, wo wir wohnten. Wie es sich für Gregg gehört, schloss er sich im Motel aus seinem Auto aus, was dazu führte, dass wir am zweiten Tag etwas zu spät zur Session kamen. Ich habe noch ein Foto von Gregg, wie er mit dem Kleiderbügel in sein eigenes Auto einbricht.

Weißt du noch, wie teuer es war, die Kassetten herzustellen?

Doug hat noch den ganzen Papierkram für diese Dinge, aber alles ist irgendwo tief, tief, tief in seinen Archiven vergraben. GDM Recording berechnete 15 Dollar pro Stunde für Aufnahme und Abmischung, also kosteten Aufnahme und Abmischung der "Metro-Mercenary"-Single wahrscheinlich so etwa 250 Dollar. Mir ist klar, dass 250 Dollar heutzutage praktisch nichts mehr sind, aber damals waren wir junge Leute ohne Arbeit, die versuchten, sich irgendwie durchzuschlagen und ihren Traum zu verwirklichen. An etlichen Tagen musste man sich entscheiden, ob man etwas essen oder das Auto betanken wollte. Außerdem kostete die Produktion der 7''-Singles und der Printbeilagen zu den Aufnahmen mehr als das. Ich erinnere mich nicht mehr an den genauen Betrag, aber es waren wahrscheinlich fast 800 Dollar oder mehr für die Produktion der Singles.

Das "Iron Coffins"-Demo hatte vier Songs, also dauerten die Aufnahmen etwas länger als bei der Single. Aber da wir zum zweiten Mal im Studio waren, waren wir mit dem Prozess ein wenig vertrauter. Diese Sessions kosteten also wahrscheinlich um die 350 Dollar.

Für "Dead Of Night" brauchten wir etwas mehr Zeit im Studio, und das Studio, Skybound, war etwas teurer als GDM. Die Kosten für die Aufnahme und das Abmischen des Demos beliefen sich also wahrscheinlich auf etwa 600 Dollar.

Die Kassetten ließen wir normalerweise in Chargen von 100 oder 200 Stück vervielfältigen. Einschließlich der Druckkosten für die J-Cards und die Hüllen kostete die Produktion dieser Kassetten etwa 150 Dollar pro 100 Stück, glaube ich.

Habt ihr euch aus ästhetischen Gründen für den Schwarz-Weiß-Druck entschieden (plus Blau für das Logo im Fall von "Iron Coffins") oder weil es billiger war?

Auf jeden Fall, weil es billiger war! Außerdem war das Foto des deutschen U-Boots aus dem Zweiten Weltkrieg auf dem Cover ohnehin schwarz-weiß. Die Tatsache, dass wir Farbe hinzugefügt haben, war überraschenderweise ein Upgrade! Ich glaube, wir haben das Titelbild sogar aus einem Buch in der Bibliothek kopiert. Das war in den alten Zeiten, als der eigentliche Satz noch auf speziellen Maschinen in der Druckerei gemacht werden musste usw. Wir legten jeder Bestellung ein beidseitiges Bandfoto und einen Textbeileger bei.

Wie viele Exemplare wurden hergestellt?

Definitiv kann ich sagen, dass die erste und einzige Pressung der "Metro-Mercenary"-Single 1.000 Exemplare betrug. Die Demo-Kassetten variierten, weil wir sie nach Bedarf in kleineren Chargen herstellen ließen. Wenn ich die Gesamtauflagen schätzen müsste, wurden von "Iron Coffins" und "Dead Of Night" jeweils etwa 300 bis 500 Exemplare hergestellt.

Das ist interessant, denn im Wikipedia-Artikel über euch ist von mehreren Tausend Exemplaren der Single und der Demos die Rede. Kannst du uns etwas darüber erzählen, wie die Reaktionen (Magazine, Fanzines, Labels) damals war?

Die Reaktionen von Magazinen, Fanzines, Radiostationen, die Metal spielten und Fans waren damals überwältigend gut. Wir haben damals sehr hart daran gearbeitet, so viele Kopien der Tonträger und unserer Biografien und Bilder wie möglich zu verbreiten. Wir haben uns immer sehr gefreut, wenn wir eine Antwort oder, noch besser, ein Exemplar eines Magazins oder Fanzines erhielten, das eine Rezension oder einen Artikel veröffentlicht hatte. Genauso war es, wenn wir Briefe von Fans aus der ganzen Welt bekamen. Wir waren erstaunt, dass unsere Musik in so vielen Ländern gehört wurde. Wir hatten sogar eine große Weltkarte mit Stecknadeln, mit denen wir die Herkunftsorte aller Briefe markierten, die wir erhielten.

Eine Sache, die uns immer wichtig war, war, so gut wie möglich auf die Leute einzugehen, die sich die Zeit nahmen, uns zu kontaktieren. Und wir haben uns immer bemüht, ihnen mehr zu geben als das, was sie verlangt oder bezahlt hatten. Das versuchen wir auch heute noch zu tun. Wir wissen jeden zu schätzen, der sich unsere Musik anhört.

Was die Reaktionen der Labels damals angeht, gab es ein paar Andeutungen hier und da, aber nichts schien je zum Abschluss zu kommen, bis Semaphore in Deutschland schließlich auftauchte und die Dinge mit "No Place Like Home" ins Rollen brachte.

War euch damals schon bewusst, dass einige Songs auf den Demos einen ganz eigenen Stil hatten?

Um ehrlich zu sein, ich glaube nicht, dass wir das wussten. Wir haben einfach Musik gemacht, die eine Mischung aus unseren Einflüssen (PRIEST, MAIDEN, ACCEPT, SAXON usw.) war, die durch den Filter unserer damaligen Fähigkeiten ging. Wir wussten, dass einige Songs wie 'Over The Rainbow' aufgrund der Art und Weise, wie die Gitarren eingesetzt wurden, anders waren, aber für uns war das einfach "unsere Musik". Neben den Metal-Einflüssen waren wir auch von Bands wie UFO, RAINBOW, LED ZEPPELIN, YES usw. beeinflusst. So haben sich wahrscheinlich einige dieser Elemente in die Musik eingeschlichen und sie ein wenig einzigartiger gemacht.

Wenn man uns heute fragt, was unsere Musik einzigartig gemacht hat, dann ist es natürlich die unverwechselbare Stimme und die Einstellung von Doug Lee, der von Anfang an die Konstante in unserer Musik war. Es ist diese Stimme und der Vortrag, die einen Songs letztendlich zu einem SIREN-Song machen.

Warum hat die Band den Song 'Dead Of Night' nicht für das Debüt verwendet?

Wie ihr vielleicht wisst, gab es zwischen dem "Dead Of Night"-Demo und dem Album "No Place Like Home" einen bedeutenden Besetzungswechsel. Faxon Kotz und ich hatten beschlossen, die Band zu verlassen, nachdem lange Zeit kein Plattenvertrag in Aussicht war. Als sich nur wenige Wochen nach unserem Ausstieg ein Deal ergab, wurden wir nicht benachrichtigt und stattdessen wurden die ehemaligen Mitglieder Brian Law und Rob Phillips gebeten, wieder in die Band einzusteigen.

Der Schlagzeugstil auf dem "Dead Of Night"-Demo war stark von der Double-Bass geprägt. Leider war Brian zu dieser Zeit kein Double-Bass-Schlagzeuger. Das Riff und die Schlagzeugarbeit im Titeltrack des Demos waren also nichts, an das sich die Ersatzmusiker schnell genug anpassen konnten, um den Song neu aufzunehmen.

Wer ist die Person auf dem Demo "Dead Of Night", die die Doppelsichel schwingt?

Es ist Sänger Doug Lee, der die S-Klinge schwingt. Wir haben diese Fotos in einer kalten Nacht in Florida im Januar 1986 selbst gemacht. Um das Foto zu machen, hielt Doug die Klinge in die Höhe, während Faxon mit der Kamera auf dem Boden lag. Ich stand hinter Doug und hielt ein altes Par 64-Bühnenlicht hinter ihm hoch, und Gregg fuchtelte mit der Nebelmaschine herum, um für Stimmung zu sorgen. An diesem Abend haben wir auch die Bandfotos gemacht. Es gibt immer noch ein paar Outtakes von diesem Abend, die im Umlauf sind.

Nach unserer Reunion im Jahr 2018 beschlossen wir, mit dem Cover unseres "Up From The Depths"-Anthologie-Pakets unseren Demos zu huldigen. So sieht unser Bandmaskottchen, der Metro Mercenary, dem jungen Doug Lee sehr ähnlich. Er steht auf dem Deck eines U-Boots und schwingt die S-Klinge, wie es auf dem Cover von "Dead Of Night" zu sehen war. Auch auf unserem aktuellen Album sieht er weiterhin wie Doug aus dem Jahr 1986 aus.

 

Redakteur:
Jens Wilkens

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