DAVE ESSER: Interview mit Dave Esser persönlich

13.11.2016 | 21:25

Verehrte Leser, ich möchte euch DAVE ESSER vorstellen. Die Band um den gleichnamigen Sänger haut uns nun mit ihrem Zweitwerk "Kantata" das nächste Häppchen vor den Latz. Ein toller, einfühlsamer und homogener Mix aus Rock und Metal, deutsch- und englischsprachigen Texten, wunderbaren Gefühlen und kaltschnäuzigen Arrangements. Dave Esser himself stand uns für ein Interview zur Verfügung. Herausgekommen ist nicht nur ein toller Bericht, sondern vor allem ein sehr persönliches und ehrliches Interview, für das ich mich an dieser Stelle noch einmal bei ihm bedanken möchte. Doch lest einfach selbst und taucht ein in die Welt von DAVE ESSER.

Grüß dich, Dave. Schön, dass es mit dem Interview klappt. Bevor es ans Eingemachte geht, lass mich kurz wissen, wie es euch so geht und wie die Stimmung im Bandlager ist.

Hey Marcel, danke der Nachfrage. Die Stimmung ist hervorragend, wenn auch ein kleines bisschen chaotisch, wie das kurz vor einer Album-VÖ so ist.

Vor rund anderthalb Jahren flatterte mir euer Debüt ins Haus. Nun steht mit "Kantata" der Nachfolger in den Startlöchern. Was ist in diesen anderthalb Jahren bei euch so passiert? Kannst du mir ein kleines Update geben?

Stimmt, wenn man so drüber nachdenkt, ist das noch nicht lange her. Aber einem persönlich kommt das viel länger vor, weil so viel passiert ist. In den ersten Monaten hatten wir eine so hohe Fluktuation in der Besetzung, dass man mit den ehemaligen Mitgliedern problemlos eine komplett neue Band gründen könnte. Das war sehr nervenaufreibend für Chris und mich und es gab irgendwann den Punkt, an dem ich hyperventilierend im Hotelzimmer lag und gedacht habe: Ich kann nicht mehr, ich mache Schluss und schmeiße hin. Aber dann hatten wir später mit unseren jetzigen Leuten ein so unfassbar großes Glück, dass ich echt froh bin, durchgehalten zu haben. Auch hinter'm Vorhang ist sehr viel passiert: Unser Team hat sich verändert und auch bei Borila sind wir nicht mehr. Das war aber eine total friedliche Transition, völlig ohne Scherereien.

"Menetekel" und "Kantata" sind Albumtitel, die Fragen aufwerfen. Was hat es mit den Titeln auf sich? Warum habt ihr ausgerechnet diese gewählt?

Naja, das war bei mir eigentlich immer schon so. Wenn Du mal an SCHATTENSPIELER zurückdenkst, kamen vor "Kantata" und "Menetekel" auch "Babel" und "Lux & Umbra". Ich wollte weder deutsche, noch englische Titel und ich wollte auch nie einen Titelsong ernennen. "Menetekel" war textlich und zwischendurch auch musikalisch recht düster, daher hat der aramäische Unheilsbegriff gut gepasst, wie ich finde. "Kantata" wiederum ist ein Gesamteindruck. Das blutverschmierte Mikrofon, die kalte Farbgebung und der Titel sollen ein Bild von ungehört verhallten Serenaden und unerfüllter Sehnsucht suggerieren. Aber das Album ist auch sehr gesangsfixiert. Die Vocals sind ein gutes Stück lauter gemischt als auf "Menetekel" und ich habe mich dieses Mal auch deutlich mehr getraut - das wird live noch spannend.

Musikalisch gesehen, was sind deiner Meinung nach weitere Unterschiede zwischen "Menetekel" und "Kantata"?

Ich glaube, das kann ich nicht besser ausdrücken, als du es in deinem Review bereits getan hast: Wir haben den Stil von "Menetekel" genommen und ihm nochmal in jeglicher Hinsicht einen Klaps gegeben. Ich sage das mit einer gewissen Genugtuung, weil es beim letzten Album auch Rezensenten gab, die der Meinung waren, wir hätten unseren Stil noch nicht gefunden oder wären noch auf der Suche nach einem Genre. "Kantata" ist also insofern ein Statement zum Gegenteil. Wir haben die metallischen Nummern noch heavier gemacht und auch bei den Balladen Hemmungen abgebaut. Wir haben außerdem zum Teil auf die orchestrale Opulenz des Vorgängers verzichtet und stattdessen mehr Synthies eingebaut oder analoge Instrumente digital verfremdet. Hinzu kommt, dass ich diesmal alles selber produziert habe. Nicht, dass ich nicht sofort wieder mit Markus Teske arbeiten würde, ich habe auch ohne Ende von dem Mann gelernt, aber wenn keiner sagt: "das würde ich rausnehmen" oder "das sollte man so nicht machen", hat das natürlich einen Einfluss auf das Endergebnis.

Verständlich. Was ist eure Intention, Songs sowohl in englischer als auch in deutscher Sprache zu verfassen? Entwerft ihr im Vorfeld Songs mit dem Gedankenspiel, dass dieser besser auf Deutsch oder eben Englisch klingt?

Ja, definitiv. Manchmal schreibe ich auch Lyrics in beiden Sprachen, um herauszufinden, was besser funktioniert. Von 'Out From The Shadows' gab's zum Beispiel auch anfänglich eine deutsche Version, die sich aber auf der Zunge falsch angefühlt hat und nicht so gut transportiert hat, was ich sagen wollte. 'The Rest Of Us' hingegen musste ganz klar auf Englisch stattfinden, weil es um Europa geht und ich meine Botschaft nicht auf den deutschsprachigen Bereich beschränken will. Wir sind da auch keine Trendhuren. Als ich angefangen hab, Musik zu machen, haben eigentlich alle immer nur Englisch gesungen und ich bin mit meinen deutschen Nummern trotzdem gut angekommen. Heute machen viele ausschließlich deutsche Sachen, weil das gerade schick ist und wir kommen mit unseren englischen Nummern trotzdem gut an. Die bilinguale Herangehensweise hat auch noch andere Vorteile: Jetzt, wo wir genug Material haben, um ein komplettes Liveprogramm mit englischsprachigen Nummern zu füllen, können wir auch mal in der Tschechei, Holland oder Frankreich auftreten, wenn sich die Gelegenheit ergibt. Das wäre schon geil.

In der Tat, obwohl ich auch eure deutschen Songs toll finde. Eure Musik ist in meinen Augen einfühlsam-rockig und krachend-sentimental. Würdest du mir da zustimmen? Was sind die Haupt-Trademarks der Musik von DAVE ESSER?

Puh, gute Frage. Wir begnügen uns lieber mit dem Schaffungsprozess, dem Kind hinterher einen Namen zu geben ist eher dein Ressort. Ich glaube aber, wenn man es nicht genau beschreiben kann, haben wir alles richtig gemacht. Wir arbeiten mit dem, was wir haben und versuchen, da das meiste rauszuholen. All deine Begriffe treffen sicherlich zu, aber was uns ausmacht und gewissermaßen auch von anderen Bands im Rock und Metal unterscheidet - und ich sage das durchaus mit großem Respekt vor den Kollegen - ist, dass wir alle aus unterschiedlichen Bereichen kommen und keine Angst davor haben, mit unserer Diversität zu experimentieren. Das ist unsere Stärke, das war ja auch der Sinn von DAVE ESSER, sonst hätte ich auch bei SCHATTENSPIELER bleiben oder als Sänger bei einer anderen Truppe anheuern können. Ich wollte aber eine Band, die im einen Moment Thrash und im nächsten Moment Musical sein kann. Dafür die richtigen Leute zu finden, war auch alles andere als einfach. Für die schnellen Nummern hat sich unser Drummer Fred, der aus dem Pop kommt, eine Doppelfußmaschine und ein Buch von Dani Löble gekauft und sich den Stil mal eben in ein paar Wochen ohne Gezicke draufgeschafft. Wenn ich mit verheultem Gesicht und randvoll mit Antidepressiva in den Proberaum komme und eine Herzschmerznummer anschleppe, gibt es da keinen, der sagt: "Ne, Alter! Das geht gar nicht, das ist nicht unser Genre", sondern die Leute setzen sich echt ganz offen damit auseinander und friemeln da so lange ganz ehrgeizig dran rum, bis das alles passt und wir happy sind. Erst dann ist es authentisch und bekommt eine ganz eigene Energie, der du dann halt Tags wie "sentimental" (SentiMETAL!) oder "krachend" geben kannst.

Eure Songs stecken voller Emotionen. Gibt es ein spezielles Konzept hinter "Kantata"? Oder stecken persönliche Geschichten und Begebenheiten hinter den neuen Stücken, die du mir nicht vorenthalten möchtest?

Ja, das gibt's tatsächlich, auch wenn das eigentlich gar nicht offensichtlich ist. Also "Kantata" ist kein Konzeptalbum, aber es gibt einen Subplot, der sich sowohl mit Schmerz und Verlust auseinandersetzt, als auch mit dem Willen, trotzdem immer wieder aufzustehen und verbissen weiterzukämpfen. Ich glaube, das Album wäre völlig anders geworden, wenn ich nicht im letzten Jahr die härteste und seelisch entbehrungsreichste Liebesgeschichte meines Lebens hinter mich gebracht hätte. Das hat nicht nur mein Songwriting stark beeinflusst, sondern im Endeffekt auch die Gestaltung des gesamten Produktes. Das fängt beim Cover an: Das Mikro ('bis Blut kommt') symbolisiert den Kampf und den Schmerz, die Figur im Türrahmen ist die unerreichte Sehnsucht, die Muse, der Sinn des Lebens, wenn man so will. Ein paar Songs stehen ganz alleine da, 'Ain't Leavin’' zum Beispiel ist einfach nur eine Fun-Nummer, in der es darum geht, dass ich die Bar nicht verlasse, bevor man mich raustragen muss. Die hat keinen emotionalen Hintergrund. 'Out From The Shadows' ist ein Abschiedsbrief an SCHATTENSPIELER, musikalische Anspielung inklusive. 'Ich warte auf Dich' und 'Leave A Light On' behandeln total emo den eben erwähnten Liebeshorror. Und das offenbar so erfolgreich, dass mir Freunde sagen: "Wenn's Dir richtig dreckig geht, schreibst Du die besten Lieder". Das nimmt mich auch jetzt noch mit, aber ich bin mittlerweile soweit, dass ich die Songs im Proberaum singen kann, ohne mich dabei aufzulösen. 'Stoff // Helden' (seit 1998 als Konzept in der Schublade, 2015 dann fertiggeschrieben) verarbeitet das ewige sich-über-Wasser-halten, nicht zuletzt auch getriggert durch die vielen, nervenaufreibenden Besetzungswechsel während "Menetekel". 'Halte durch' ist schließlich eine Durchhalteparole an mich selber, die auch im Zuge eingangs erwähnter Liebesgeschichte entstand. Ich habe den Text extra in Form der persönlichen Anrede geschrieben, weil ich hoffe, anderen, die vielleicht in ähnlichen Situationen stecken, ein bisschen von der Kraft, die ich zu der Zeit von vielen Freunden bekommen habe, zurückgeben zu können. Der Song sollte eigentlich der letzte Track auf der Scheibe werden, aber dann hat mich ein Fan angeschrieben und gefragt, ob ich noch irgendwo alte SCHATTENSPIELER-Scheiben rumfliegen habe, die ich verkaufen möchte und dann haben wir festgestellt, dass es die gar nicht mehr zu kaufen gibt. Also haben wir gesagt: Okay, dann machen wir noch fix 'In Ewigkeit Amen'. Den haben wir eh immer live gespielt und der ist einfach zu schade, um im Nirvana zu verschwinden. Außerdem stehe ich auf den Song, ungeachtet seiner pubertären Lyrik.

Okay, ich glaube, nun weiß ich alles, was ich über dieses ungemein tolle Album wissen sollte. Vielen Dank an dieser Stelle auch für die offenen Worte! Mal balladesk, mal rockig, mal mit Synthies - wie wichtig ist für dich die Abwechslung auf "Kantata" gewesen?

Total wichtig. Nichts gegen MANOWAR oder MOTÖRHEAD, die höre ich auch gerne, aber eben kein komplettes Album. Ich selber lasse in meinen Playlists RAMMSTEIN, BONNIE BIANCO, HELLOWEEN und CARRIE UNDERWOOD aufeinanderfolgen und ähnlich divers darf auch ein DAVE ESSER-Album klingen. Klar muss es hinterher soundmäßig aufeinander abgestimmt sein, sonst bekommt es einen Sampler-Charakter, aber wir versuchen schon gezielt, immer wieder auszubrechen. Ich glaube, die Nummer mit der Divergenz ist bei uns noch lange nicht ausgereizt. Mir persönlich war sehr wichtig, diesmal nicht schon wieder so symphonisch zu sein und stattdessen lieber mit Elektro-Zeug zu experimentieren. Nicht, weil ich Symphonik nicht mag, ich stehe da nach wie vor drauf. Aber ich wollte klanglich einen Schritt in eine andere Richtung machen. Manchmal passiert das ganz zufällig. Meine fabelhaften Jungs sind zum Glück sehr experimentierfreudig und dabei kommen dann so abgefahrene Sachen raus wie der militärische Marsch im Antikriegslied 'Jerusalem'. Aber die Blues-Rock-Nummer zum Beispiel wurde schon absichtlich platziert, um einen Wellenbrecher zu haben, der das Kissen zwischendurch ausschüttelt.

Gibt es Pläne mit "Kantata" die eine oder andere Show zu spielen? Was kann ich mir unter einer Liveshow von DAVE ESSER vorstellen?

Ja klar! Wir stellen "Kantata" in Duisburg auf dem Crucible Rock Fest vor [fand am 29.10.2016 statt - Anm. d Red.] und haben auch schon bis Mitte nächsten Jahres etliche Termine für weitere "Kantata"-Shows. Die Shows sind allesamt sehr unterschiedlich. Vor Kurzem haben wir zum Beispiel erst im Don't Panic (ehemaliger Panic Room) in Essen auf einer ganz kleinen Bühne gespielt und zwei Wochen später waren wir dann nebenan im Turock und haben den Support für die unfassbar guten Jungs von VANDEN PLAS gemacht - das ist natürlich vom Sound her ein Riesenunterschied und auf einer großen Bühne können wir auch viel mehr Faxen machen. Aber prinzipiell erwartet dich - ich will uns jetzt nicht über den Klee loben, aber - eine Show mit durchweg geilen, ehrgeizigen Musikern, die das, was sie auf ein Album pressen auch live transportieren können. Nicole ist live etwas mehr im Vordergrund als auf dem Album, denn es macht viel mehr Spaß, sich auf der Bühne gegenseitig an den Bällen, äh, die Bälle zuzuspielen, als im Hintergrund ein Mädel rumturnen zu haben, das ein bisschen mit dem Arsch wackelt. Du erlebst eine authentische Show mit eigenständigen, kreativen Nummern, die entweder ganz oder zumindest teilweise aus unserer Feder kommen (so z.B. von J.R. BLACKMORE oder SCHATTENSPIELER). Mit einer Extraportion Theatralik. Live-Termine findet man unter www.dave-esser.com/live.

Ich bin auf jeden Fall gespannt und freue mich schon, DAVE ESSER - mit allem, was dazu gehört - bald mal live zu sehen. Damit wäre ich mit meinen Fragen auch soweit durch und möchte mich noch einmal von Herzen bei DIR bedanken. Ich wünsche euch viel Erfolg mit diesem durch und durch tollen Album. Was möchtest du unseren Lesern und all den Rockfans da draußen noch mit auf den Weg geben?

Wir haben zu danken. Hat uns gefreut, immer wieder gerne. Den Rockfans da draußen sage ich: Wir sind alle nur so alt, wie die Musik, die wir hören. Daher: gebt der Kreativität eine Chance und euch selber eine Verjüngungskur. Im Moment erfährt die Nostalgie in allen Medien eine nie gekannte Renaissance. Junge Regisseure sind mit "Ben Hur", "Star Wars" und den "Glorreichen Sieben" so populär wie Coverbands mit 'Here I Go Again', 'Summer Of '69' und 'Born To Be Wild'. Das ist absolut cool, wir verstehen das und feiern mit euch. An unsere Jugendlieben und Kindheitserinnerungen kommt keiner ran. Aber werdet keine Spießer auf eure alten Tage und schaut euch mal andere, neue und vielversprechende Künstler in eurer Umgebung an, statt immer nur auf Altbewährtes zu setzen. Es passiert so viel Gutes auf den Bühnen Deutschlands, das viel mehr Aufmerksamkeit verdient. Wenn ihr nur nach hinten schaut und die eigene Vergangenheit hofiert, verkommen Rock und Metal im Muff und werden über kurz oder lang Musik für alte Menschen. Das können wir der nächsten Generation nicht antun. In diesem Sinne: Wir sehen uns da draußen!

Redakteur:
Marcel Rapp

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