AYREON: Interview mit Arjen Lucassen

13.11.2013 | 09:01

"Ich habe Tobias Sammet dafür gehasst!" Arjen Lucassen über Mikrofon-Neid bei Gastmusikern, seine Herangehensweise im Studio und natürlich die "Theory of Everything".

Nach fünf Jahren kehrt Arjen Lucassen wieder mit AYREON zurück. Was den Musiker antreibt, solch ein Schlachtschiff von einem Album zu komponieren und wie er an seine Gastmusiker kommt, verrät uns der gesprächige Niederländer im Interview.

 

 


Nils: Hallo Arjen. Zunächst einmal Glückwunsch zum gelungenen Album "Theory of Everything". Wobei ich ehrlich gesagt froh bin, dass ich die Songtexte schon vorliegen habe…sonst wäre ich hier auf verlorenem Posten!

Arjen: Das war mir auch sehr wichtig! Es ist ein riesiger Schwall an Informationen, die man erst einmal verarbeiten muss. Da gebe ich dir absolut recht.

Du hast verlauten lassen, dass dir AYREON nach der Veröffentlichung von "01011001" über den Kopf gewachsen ist. Sowohl die Geschichte, aber auch musikalisch.

Ja, das ist richtig. Ich hatte allerdings nie vor, mit AYREON aufzuhören. Denn es ist mein liebstes Projekt, an dem ich bis zu meinem letzten Atemzug arbeiten werde. Die Story wurde aber tatsächlich etwas zu komplex und ich konnte nicht voraussetzen, dass jeder Fan noch folgen konnte oder wollte. Vor allem wenn man die früheren Alben nicht kennt. Da war für mich klar, dass die nächste AYREON-Scheibe ganz anders werden muss. Ich wollte eine neue Besetzung, eine neue Geschichte und sogar eine etwas andere Arbeitsphase als bislang. Jetzt kann ich glücklicherweise behaupten, dass es in allen Punkten so geklappt hat. Früher habe ich immer erst alle Songs geschrieben und bin irgendwann ins Studio gegangen. Für "Theory of Everything" bin ich gleich ins Studio und habe dort die ganze Musik geschrieben. So konnte die Ideen kontinuierlich wachsen und auf diesem Weg bin ich letztendlich auch zu diesen vier Longtracks gekommen, aus denen das Album im Prinzip besteht.

Wusstest du denn schon als du ins Studio gegangen bist, welche Musiker du als Gäste haben wolltest?

Nein, ehrlich gesagt nicht. Ich warte meistens bis ich 40 oder 50 Minuten an Material zusammenhabe. Zuerst muss die Geschichte stehen, dann kann ich mir darüber Gedanken machen, welche Sänger wohl zu welchem Charakter und welche Musiker zum Kontext passen würden. Die Sänger kommen immer ganz zum Schluss. Danach schreibe ich lediglich die Songtexte.

Bitte erzähl mir doch etwas über das Gesamtkonzept, das "Theory of Everything" zugrunde liegt.

Es geht um einen Wissenschaftler, der Vater in dieser Geschichte. Und er sucht nach der Theorie für alles, der Theory of Everything. Eine Art physikalischer Weltformel, die Theorien des ganz Kleinen (Quantentheorie) und des ganz Großen (Gravitationskraft) miteinander verbindet. Der Forscher verbringt also Tag und Nacht damit, dieser Formel näher zu kommen und vernachlässigt dabei seine Frau und seinen autistischen Sohn. Zu einem gewissen Zeitpunkt entdeckt der Lehrer des Sohnes aber, dass er ein totales Genie ist und der Vater realisiert, dass sein Sohn ihm beim Finden der Theorie behilflich sein könnte. Ein Psychiater erwähnt ein Medikament, das dem Sohn helfen könnte und ihn dazu befähigen würde, seine Intelligenz zielgerichtet einzusetzen. Aber es gibt eine schlimme Nebenwirkung. Das sind in etwa die Grundzüge der Geschichte.

Wirst du die Geschichte auf dem nächsten Album auflösen und fortsetzen?

Die Sache ist, dass das Ende sehr kryptisch ist und viele Möglichkeiten zur Interpretation bietet. Insofern wäre eine Fortsetzung leicht möglich. Wenn die Fans das Album mögen und ich für eine mögliche Fortsetzung genügend Inspiration habe, könnte ich es mir gut vorstellen.

Neben den Sängern findet sich eine elitäre Schar an Prog-Musikern auf dem Album wieder. Das passt zum Gesamtsound, der dieses Mal stark in Richtung des 70er Progs geht. War das deine Absicht?

Meine Absicht war eigentlich nur, ein transparenteres Album zu machen. Zuletzt hatte ich einen sehr dichten Sound, große Gitarrenwände und die Musik hatte eigentlich gar nicht mehr die Möglichkeit, zu atmen. Mit zwölf Gitarrenspuren übereinander, 17 Sängern auf dem Album - es war einfach zu viel. Deswegen habe ich auf dem neuen Album auch nur sieben Sänger, die dafür aber alle mehr Platz bekommen und ihr Talent zeigen können. Und natürlich gibt es deswegen auch mehr rein instrumentale Teile auf der Platte, die logischerweise etwas mehr proggy klingen.

Auch wenn man der Musik viel Aufmerksamkeit spenden sollte, sind einige Stellen so ruhig, dass man sie auch zur Entspannung hören kann. Mit den bisherigen Alben wäre das eher schlecht möglich gewesen. Aber lass uns zur Auswahl der Musiker zurückkommen. Hattest du gleich eine ganze Liste mit Wunschkandidaten oder wie muss man sich das bei dir vorstellen?

Es fällt mir nie schwer. Auf meiner Wunschliste stehen bestimmt 100 Musiker, mit denen ich gerne arbeiten würde. Schwierig ist es nur, die Leute auch zu erreichen. Vor allem die ganz berühmten Musiker. Robert Plant, David Gilmour zum Beispiel. Wie kommt man an solche Leute heran? Das geht meistens nur über die Plattenfirmen oder das Management. Wenn dann die Musiker nicht direkt zur Rock- oder Progszene gehören, ist es beinahe unmöglich. Ich hätte zum Beispiel sehr gerne mit Jeff Lynne oder Kate Bush gearbeitet. Sobald sie hören, dass es irgendwas mit Metal oder Prog zu tun hat, verdrehen sie die Augen. Dafür sind aber die meisten der beteiligten Musiker auf dem Album meine erste Wahl gewesen. Es fällt leichter, wenn zumindest der Name oder das Konzept AYREON bekannt ist.

An den Keyboards hast du dir ja die Crème de la Crème ins Studio geholt.

Allerdings! Da habe ich ein paar der Weltbesten in ihrem Fach für AYREON gewinnen können. Keith Emerson und Rick Wakeman waren die Helden meiner Jugend. Hätte man mir damals gesagt, dass sie auf einer meiner Platten spielen würde, wäre ich wahrscheinlich ohnmächtig geworden. Meine Träume sind wahr geworden.

Aber auch am Mikrofon hattest du richtig große Namen. Wenn ich zum Beispiel an Bruce Dickinson denke. Wegen ihm ist übrigens Tobias Sammet richtig neidisch auf dich, er würde ihn schon seit Jahren gerne für einen AVANTASIA-Song gewinnen.

Dafür war ich extrem neidisch als Alice Cooper bei AVANTASIA zu Gast war. Als ich das damals gelesen habe, war ich richtig wütend. Ich wollte mich übergeben. Ich habe Tobias Sammet dafür gehasst, obwohl ich ihn nicht kannte. Seit zehn Jahren wollte ich schon mit Alice Cooper arbeiten und dieser Arsch hatte ihn auf einmal. Irgendwann später haben wir uns aber kennengelernt und seitdem ist alles in Ordnung. Zumal AVANTASIA musikalisch eine ganz andere Welt ist. Die einzige Gemeinsamkeit ist, dass wir beide gerne mit tollen Gastsängern arbeiten. So eingängige Melodien wie bei AVANTASIA wird man von mir nie zu hören bekommen.

Außerdem könnte ich mir ehrlich gesagt nicht vorstellen, wie man die Musik AYREONs auf einer Bühne umsetzen sollte.

Ja eben. Es werden Geschichten erzählt, für die ich ein ganzes Dutzend an Schauspielern bräuchte, um alles umzusetzen. Die müssten auch noch ein halbes Jahr Zeit haben und mit uns vorher proben. Man bräuchte ein Theater, um einen angemessenen Rahmen und ein Bühnenbild für die Show zu haben.

Und irgendwer müsste das Unterfangen auch noch bezahlen…

Das wäre ein großer Haufen Geld, in der Tat. Mit STAR ONE war ich ja auf Tour, vor ungefähr zehn Jahren. Damals haben wir ein paar AYREON-Songs gespielt, aber wir hatten lediglich vier Sänger und insgesamt ca. zehn Musiker. Für diese acht Shows war ein halbes Jahr an Vorbereitung nötig.

Dabei brauchen die meisten Metalbands Live-Shows, um zu überleben. Bei AYREON funktioniert es so nicht. Sind Plattenverkäufe noch so lukrativ?

Ich schätze mich sehr glücklich, nur von meiner Musik leben zu können. Vor allem die letzten beiden AYREON-Alben haben sich sehr gut verkauft. Und ich habe keine Band, kein Management etc. Ich mache alles selbst, und wenn ein Album fertig ist, verkaufe ich die Lizenz an eine Plattenfirma. Meine Fans sind außerdem sehr loyal. Sie wissen, dass sie einen ordentliche Gegenwert für ihr Geld bekommen. Dazu kommt, dass ich kaum Geld ausgebe. Ich bin in der wirklich sehr glücklichen Lage, dass AYREON sehr bekannt ist und ich mir in den Jahren ein gutes Standing erarbeiten konnte.

Redakteur:
Nils Macher

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