APOCALYPTICA: Perttu und Paavo im Interview

26.09.2010 | 18:11

Der August beinhaltete zu seinem Ende einen wahren Freudentag für alle APOCALYPTICA-Fans: das langerwartete neue Album "7Th Symphony" erblickte endlich das Licht der Veröffentlichungswelt. Kurz zuvor besuchten die finnischen Fiedler die deutsche Hauptstadt und stellten sich der Presse. Im Hard Rock Café warteten Perttu und Paavo bei einem guten deutschen Bier auf das Gespräch und begrüßten mich mit einer Kostprobe ihrer Deutschkenntnisse: "Wein, Weib und Gesang!"

Zuvor hatte die finnische Combo das Wacken-Festival besucht und dort einen fulminanten Auftritt absolviert. "Wir standen gar nicht auf dem Billing", erklärt Paavo mit verschmitzem Grinsen, "es war ein Überraschungsgig. Nächstes Jahr werden wir einer der Wacken-Headliner sein, daher haben wir den Besuchern dieses Jahr schon eine kleine Kostprobe gegeben. Wir haben auf einem Busdach gespielt, das war eine völlig neue Erfahrung für uns. Wir konnten nicht viel performen weil einfach kein Platz war, aber es hat viel Spaß gemacht, so nah an den Fans zu sein, und die Publikumsreaktionen waren überwältigend! Wacken ist sowieso eines unserer Lieblingsfestivals auf der ganzen Welt, von daher freuen wir uns bereits sehr auf das nächste Jahr." Perttu fügt hinzu: "Es ist toll zu sehen, dass in Deutschland so viele Menschen harte Musik mögen, ohne den Fokus auf Aggression oder dergleichen zu legen. Wenn man dort ist merkt man richtig, wie wichtig den Leuten dieses Event ist, und dass sich viele wahrscheinlich das ganze Jahr bereits auf dieses Highlight gefreut haben." Wacken 2011 also, ein Event, das man sich schon einmal fett im Kalender anstreichen sollte. Doch noch muss viel Zeit verstreichen bis es soweit ist, sofortige Abhilfe schafft dagegen "7th Symphony", der - man erahnt es bereits vom Titel - siebte Longplayer von der Band, die zur Zeit aus Cellisten Eicca, Perttu, Paavo und Drummer Mikko besteht.

"Es ist sehr merkwürdig", erklärt Perttu lachend, "es ist bereits ein halbes Jahr her, dass wir die Platte fertiggestellt haben, aber trotzdem finde ich sie noch wirklich gut. Oft ist es so, dass man mit ein wenig Abstand die ganzen Fehler hört und immer denkt "Das hätte besser sein können", aber dieses Mal habe ich das Gefühl überhaupt nicht - zumindest noch nicht. Entweder ich habe noch nicht genügend Abstand oder wir haben dieses Mal einfach ein wirklich geiles Album gemacht!" Die Aufnahmen zu dem neuen Album beschreiben die beiden als eine der größten Herausforderungen der Bandgeschichte: "Wir wollten der Musik ihren Freiraum lassen, es sollte nicht zu geplant und gewollt klingen. Also sind wir einfach ins Studio gegangen, haben viel improvisiert und einfach darauf gewartet, was die Songs uns gesagt haben. Wir wollten ein gewisses Live-Feeling einfangen und deswegen hört es sich auch sehr frisch an. Man kann die revolutionäre Energie spüren, die wir das letzte Mal bei "Cult" an den Tag gelegt haben. Dieses Album kombiniert die besten Elemente aus unseren letzten vier Alben. Man kann sehr viele unterschiedliche Stilrichtungen und Elemente entdecken, es gibt Akustikpassagen und dann wieder Stücke, die total progressiv und wild sind." Hart ist die Scheibe geworden, zumindest härter als man es von APOCALYPTICA gewohnt ist. Paavo möchte das gar nicht so recht glauben, doch Perttu sieht die Sache anders: "Ja, da hast du schon recht, wenn du so etwas sagst. Ich persönlich finde auch, dass es hier eine gewisse Härte gibt, die wir vorher so noch nicht an den Tag gelegt haben. Das war aber wie bereits gesagt nicht geplant, sondern hat sich einfach so ergeben. Find ich aber sehr gut. Mir scheint es oft so, als seien bei diesem Album die softesten Elemente plötzlich die dramatischsten. Unser einziges Ziel war aber, die Messlatte für uns selbst höher zu stecken. Mit dem Gedanken haben wir uns an die Arbeit gemacht, der Rest ist dann einfach so passiert. Zum Beispiel haben wir vier oder fünf Lieder erst in der letzten Woche des Aufnahmeprozesses geschrieben, und sie haben es schlussendlich auf das fertige Werk geschafft. Wir haben uns einfach treiben lassen."

Mehr Planung erforderte da schon die Einbindung der Gastsänger. Aber auch dieses Mal ist es der Band gelungen, große Namen zu einer Kooperation zu überreden, allen voran BUSH-Sänger Gavin Rossdale, der der ersten Singleauskopplung "End Of Me" seine außergewöhnliche Stimme leiht. "Es ist ein sehr typischer Rocksong, ganz und gar nicht wie einige andere experimentelle Tracks auf dem Album. Es ist aber eine tolle Single und Gavin macht seine Sache ganz fantastisch." Bei all den illustren Namen kann es schon einmal passieren, dass für einige Leute die Band selbst in den Hintergrund tritt. Da drängt sich natürlich die Frage auf, ob ein solches Verhalten den Jungs etwas ausmacht. Beide machen ungläubige Gesichter. "Natürlich macht es uns nichts aus", so Perttu, "wieso sollte es uns auch etwas ausmachen? Immerhin haben wir diesen Weg selbst gewählt. Wenn wir große Namen zu einer Zusammenarbeit einladen ist es ganz natürlich, dass sich die Leute eben für diese Namen interessieren. Aber das ist kein Problem, wir bekommen genug Aufmerksamkeit ab." Paavo ist mit seinem Bandkollegen ganz einer Meinung: "Durch die Gastsänger erreichen wir ein viel breiteres Publikum und sprechen viel mehr Leute an. Würden wir nur Instrumentalstücke spielen, dann würden wir zum Beispiel nie im Radio oder Fernsehen gespielt werden, weil dort Instrumentalstücke einfach nicht gern gesehen sind. Durch die Gastsänger werden viele Leute auf uns aufmerksam, dann beschäftigen sie sich mehr mit uns und finden es einfacher, auch die Instrumentalstücke zu mögen. Es ist eine durch und durch gute Sache."

Bei solchen Größen gestaltet es sich mitunter schwierig, einen gemeinsamen Termin zu finden. "Ja, das ist wahrscheinlich sogar das größte Problem der Band", lacht Perttu. "Natürlich haben wir immer ganz viele potentielle Gastsänger im Hinterkopf, aber oft ist es dann so, dass sie selbst an einem Album arbeiten oder soeben eines released haben und auf Promotion- oder Konzert-Tour sind. Dieses Mal hatten wir aber sehr viel Glück, es war ziemlich einfach, alle diese wundervollen Gastsänger zu bekommen. Wir wollen immer Gastsänger, die sehr einzigartig klingen und dem Song dann diese Einzigartigkeit übergeben. Um noch einmal auf Gavin zurückzukommen: "End Of Me" war eine klare Wahl was die erste Single betraf, und wir wollten einen Typen, der nicht unbedingt ein klassischer Rocksänger ist. Daher kamen wir auf Gavin, der selbst ein interessanter Künstler ist, der Geschichten zu erzählen weiß." Grinsend fügt er noch hinzu: "Außerdem ist er auch sehr hübsch anzuschauen!" Dann geht es zumindest ein wenig seriöser weiter, Paavo übernimmt: "Wir kannten Gavin bereits eine ganze Weile, da wir einmal einen BUSH-Song geremixt hatten, er ist ein wirklich toller Typ. Als wir dann unser Album vorbereiteten, kamen wir auf ihn zu sprechen und fragten uns, was er denn so treibt. Eigentlich ist er mittlerweile ja eher als Ehemann von GWEN STEFANI bekannt, ist ein toller Hollywood-Vater, aber er sah noch gut aus. Zu gut eigentlich, der Kerl spielt einfach zuviel Tennis. Aber er hat sich auch noch gut angehört, von daher haben wir ihn genommen."

Ein weiteres Plus für APOCALYPTICA sind die immer sehr stilsicheren und atmosphärischen Videos. Perttu klärt auf: "Normalerweise stammen die Ideen immer von dem jeweiligen Regisseur, aber dieses Mal wollten wir in allen Bereichen involviert sein - Artwork, Videos, einfach alles. Auch wenn die Tracks das Album nicht viel miteinander zu tun haben, so gibt es doch eine Art roten Faden, zumindest für uns. Von daher war uns auch von Anfang an klar, dass alle Komponenten in einem Dialog stehen müssen. Die Videos müssen die Musik wirklich verkaufen und darstellen. Die Kanadierin Lisa Mann, die bereits das Video für 'I Don't Care' drehte, hat uns vollends begeistert mit ihrer Arbeit. Daher haben wir sie verpflichtet, alle Videos für dieses Album zu drehen, und wir haben uns außerdem dafür entschieden, dass es eine weiterführende Geschichte durch die Videos geben wird. Es wird drei Videos geben, also quasi eine Triologie. Es wird verschiedene Erzählperspektiven geben, aber letztendlich wird es immer um die selbe Geschichte gehen." "Der Ausgangspunkt kam von unserem Artwork", übernimmt Paavo die Erklärungen, "wir wollten diese dunkle, starke Atmosphäre auch auf die Videos übertragen. Der Stil des Artworks fließt in die Videos ein, und so bekommen die Fans quasi eine volle Tour durch die APOCALYPTICA-Welt. Die Frau auf dem Albumcover ist unsere Hauptprotagonistin, ihr folgen wir durch verschiedene Situationen. Es wirkt alles sehr surreal und cool, wir haben alle drei Videos in einem Rutsch in LA gedreht. Lisa Mann versteht es, Emotionen einzufangen und bildlich umzusetzten."

Auch wenn Eicca in den Medien oft als Kopf der Band bezeichnet wird, so herrscht bandintern doch eher die Demokratie. Alle drei Cellisten fungieren sogar als Songwriter. Perttu erklärt die Songauswahl für das Album mit einem Augenzwinkern: "Also wir haben die ganzen Notenblätter, kleben diese dann an die Wand von unserem Probenraum und werfen Darts! Das ist einfacher als sich zu prügeln, das haben wir früher getan." Paavo scheint jedenfalls seine Songs unglücklich an dieser Wand platziert zu haben, denn kein einziges von ihm geschriebenes Stück ist auf "7th Symphony" zu finden. "Nein, dieses Mal nicht", sagt er, "ich habe einfach keine guten Lieder geschrieben. Die von Perttu und Eicca waren einfach besser. Aber das wurmt mich nicht sehr, die Hauptsache ist, das es ein tolles Album geworden ist." Perttu fügt hinzu: "Eigentlich kann man das nicht so sehen, denn bei diesem Album war es das erste Mal, dass wir auch zusammen Lieder im Co-Writing entwickelt haben. Wir haben wirklich als Band gearbeitet, und jeder konnte sich einbringen. Nur weil zum Beispiel kein Track direkt aus Paavos Feder stammt, so heißt das noch lange nicht, dass er sich nicht einbringen konnte. Wir haben einfach zusammen musiziert, zusammen arrangiert und jeder konnte seine Meinung sagen. Wir sind vier Jungs, die alle sehr unteschiedliche Charaktere haben und einen noch viel unterschiedlicheren Musikgeschmack. Von daher war es eine große Herausforderung, einen Weg zu finden, den wir alle gemeinsam gehen konnten und wollten. Aber wir haben es geschafft. Und die Band gewinnt ja auch daran, dass es so viele verschiedene Stilrichtungen gibt, und meiner Meinung hört man das auch auf dem Album. Es gibt viele Dinge, die wir vorher noch nicht ausprobiert hatten, bestimmte Akkorde, bestimmte Riffs, bestimmte Effekte. Von daher klingt alles sehr aufregend und neu, selbst in dem härtestes Thrash-Metal-Stück kann man so viele Facetten erblicken wie nie zuvor."

Als Band beweisen die Jungs von APOCALYPTICA immer wieder, dass sie nicht nur hochprofessionelle Musiker sind, sondern sich selbst trotz allen Talentes und aller Erfolge nicht zu ernst nehmen, sondern viel mit einem kleinen Augenzwinkern begleiten. Was sonst will man auch von ausgebildeten Cellistion erwarten, die es sich in en Kopf gesetzt hatten, METALLICA mit ihren Streichinstrumenten eindrucksvoll zu intonieren. Nun sind sie in ihren Genre Superstars, haben ihren Humor dennoch nicht eingebüßt. So gibt es auch auf "7th Symphony" wieder einige Liedtitel, die dem ein oder anderen bestimmt ein Lächeln auf die Lippen zaubern wird. "On The Rooftop With Quasimodo" ist nur ein Beispiel, Erklärungen wollen die Jungs aber keine geben: "Du musst dich als Hörer fragen, was dieser Titel bedeuten soll. Hörst du dir den Song auf eine andere Art an und siehst du andere Bilder, weil du weißt, dass er "On The Rooftop With Quasimodo" heißt? Mit manchen Songtiteln wollen wir dem Hörer vielleicht einen kleinen Tipp geben, aber das wichtigste ist dann noch immer, dass er die eigentliche Geschichte selbst kreiert."

Mehr ist aus den Jungs nicht herauszukitzeln, also wenden wir uns lieber anderen Themen zu, zum Beispiel der Frage, ob das Heimatland Finnland einen Einfluss auf den Klang der Band hatte. Immerhin ist das Cello ein sehr melancholisch klingendes Instrument, und die Finnen selbst werden auch gerne mal als Völkchen voller Melancholie bezeichet. Paavo und Perttu jedoch haben eine andere humoristische Erklärung: "Melancholie? So ein Quatsch! Wir Finnen sind ein sehr glückliches Volk. Eigentlich sind wir viel zu glücklich, deswegen müssen wir solche Musik machen, um uns etwas runterzuziehen. Würden wir das nicht tun, würden wir dem Rest der Welt mit unserer Glückseligkeit völlig auf die Nerven gehen!" Ja, das macht natürlich Sinn und sollte nun endgültig mit allen Vorurteilen aufräumen.

Ab Oktober werden APOCALYPTICA auch wieder in Deutschland auf Tour sein, und nicht nur die Hallen zum Toben bringen, sondern bestimmt auch das ein oder andere Mädchenherz brechen. Interessant also zu erfahren, welchen Frauentyp die Herren bevorzugten, als sie kleine Jungs waren. "Arwen aus "Lord Of The Rings"", antwortet Perttu wie aus der Pistole geschossen. Konnte Liv Tyler denn die hohen Ansprüche des Kindheitstraumes in der Filmversion erfüllen. "Sie war ok, ich hatte keine Probleme damit, Liv Tylers Gesicht in dieser Rolle zu sehen. Aber ja, Arwen war schon immer eine Art Traumfrau seitdem ich mit sechs Jahren das erste Mal mit "Lord Of The Rings" in Berührung kam." Paavo hingegen hatte nicht ganz so hohe Ansprüche: "Ich war total verknallt in ein Mädchen aus meiner Klasse, da hatte ich keine Augen für irgendwelche Berühmtheiten oder so." Nach dieser Information haben die zwei lustigen Finnen endlich Gelegenheit, den bereits knurrenden Magen zu füllen, bevor es mit einigen Fernsehinterviews in die nächste Runde geht. Auch der Flieger in das Heimatland ist bereits für den frühen Morgen gebucht, dort warten noch einige Festivals auf das Quartett, bevor es auf große Hallentour in die USA aufbricht. Im Oktober ist dann - wie bereits erwähnt - Deutschland an der Reihe. Merken. Hingehen.

Redakteur:
Ricarda Schwoebel

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