APOCALYPTICA: Interview mit Perttu

17.02.2020 | 00:05

Das neue Album der Finnen heißt "Cell-0" und hat mich ziemlich aus den Socken gehauen. Endlich wieder "back to the roots". Deshalb habe ich mich sehr gefreut, dass ein strahlender und ausgesprochen gut gelaunter Perttu einige Fragen zum neuen Album und einige Fragen der Kategorie "was ich schon immer mal wissen wollte" beantwortet hat.

Hallo Perttu, danke, dass du dir die Zeit genommen hast, mit uns zu reden.

Ich liebe es, über mich selbst zu reden! (lacht)

Das ist prima.

Ich könnte allerdings auch schlimme Dinge von den anderen Jungs erzählen. (lacht wieder)

Zwei meiner Lieblingsbands - APOCALYPTICA und SABATON - gemeinsam auf Tour, das ist schon eine tolle Sache. Eure Version von 'Fields Of Verdun' hat mich ziemlich begeistert, aber die Ankündigung, dass ihr gemeinsam auf Tour geht, hat das Ganze noch getoppt.

Oh ja, es ist großartig, es ist wunderbar, dass sie uns eingeladen haben, diese interessante Sache gemeinsam zu machen. Am Anfang war da die Idee, dass heutzutage viele zusammenarbeiten, weil das cool ist. Man macht einen Song zusammen und dann gerät die ganze Sache in Vergessenheit. Sie aber wollten mit uns zusammenarbeiten, wir hatten schon einige Tracks zusammen aufgenommen und auch veröffentlicht und so planten wir das Konzept für die Show. Wir spielen ungefähr eine halbe Stunde gemeinsam mit ihnen in ihrem Set und es war für uns ausgesprochen cool, dass wir letztendlich die Chance hatten, mit diesen großartigen Musikern zusammenzuarbeiten. Vielleicht spielt es auch eine Rolle, dass wir alle aus Skandinavien kommen und so prima zusammen harmonieren. Wir Skandinavier kommen gut miteinander aus und beide Bands - sowohl AMARANTHE als auch SABATON - sind tolle Menschen und genauso tolle Musiker. Der Name "The Great Tour" ist Programm.

Wie ist es denn überhaupt dazu gekommen, dass ihr 'Fields Of Verdun' aufgenommen habt?

Sie fragten uns, das war der Ausgangspunkt. Sie hatten diese Idee, dass es sicher bei ihren Fans für Verwirrung sorgen würde, wenn sie eine neue SABATON-Single ankündigen würden, diese aber nicht selbst herausbringen, sondern als Version von einer anderen Band. So fing alles an. Das war brilliant, so bekamen wir ebenfalls Aufmerksamkeit. Ich denke, dass die meisten ihrer Zuhörer nicht gerade in erster Linie typische APOCALYPTICA-Fans sind, aber gerade das machte es so besonders. Ich würde mal sagen, zumindest für uns ist Musik eine dermaßen universelle Angelegenheit, dass wir nicht unterscheiden, ob jetzt jemand nur Heavy Metal oder Klassik mag. Es wäre großartig, wenn die Leute ihre Augen öffneten und verschiedenen Musikstilen eine Chance gäben. Deshalb denke ich, dass es eine fantastische Gelegenheit ist, vor dem SABATON-Publikum zu spielen, von denen uns die meisten wahrscheinlich noch nie gehört haben oder wenn, dann nur einen Song. Es ist also nicht unser übliches Publikum, aber das ist eine wunderbare Gelegenheit, sie auch für uns zu gewinnen. Und am Ende unseres eigenen Sets bekommen wir üblicherweise tollen Beifall. Darüber freue ich mich immer sehr.

Und wer hatte die Idee, eine gemeinsame Tour zu veranstalten?

Die Idee für die Tour kam von den Jungs von SABATON. Sie haben uns angesprochen und wir dachten: "Yeah, das könnte funktionieren!" Das Cello, unsere Band – wir haben bemerkt, dass wir ganz gut zu vielen Gelegenheiten passen und dass es interessant ist, mit unseren Cellos verschiedene Sachen auszuprobieren. Ich würde mal sagen, dass wir mit SABATON vermutlich zum ersten Mal mit einer Power-Metal-Band gearbeitet haben, das war großartig. Üblicherweise machen wir unsere eigenen Songs, Balladen, was auch immer. Aber bei dieser Zusammenarbeit konnten wir unsere Instrumente musikalisch gesehen einmal mehr auf völlig andere Art und Weise handhaben, was ganz wichtig für uns ist, weil wir immer wieder die Herausforderung suchen, etwas Neues zu machen. Wir wollen uns nicht ständig nur wiederholen, sondern suchen die Möglichkeit, so viel wie möglich mit unseren Instrumenten herumzuspielen.

Hört ihr oft von den Fans, dass sie sich freuen, dass ihr wieder zu euren Wurzeln zurückgefunden habt?

Na klar, ständig! Sie haben sich 20 Jahre lang beschwert, dass wir uns von unseren Wurzeln entfern haben. Jetzt haben wir ein Instrumentalalbum herausgebracht und alle lieben es. Und ich genieße das. Es ist wirklich unglaublich, aber für uns war diese Entwicklung immer die Hauptsache. Wir haben nichts unversucht gelassen, uns quasi ständig neu zu erfinden. Zuerst starteten wir mit Cellos, dann würzten wir das Ganze mit ein wenig Percussion, fügten Drumming hinzu, fügten mehr Drumming hinzu, rundeten mit Gesang ab und gaben schließlich noch mehr Gesang dazu. Und nach "Shadowmaker" kamen wir erneut in die Situation uns zu fragen, was der nächste große Schritt für uns sein könnte. Wir erkannten, dass wir sozusagen im Kreis wieder zurückgehen müssen, um tatsächlich den gewaltigen Schritt nach vorne zu machen. Solche Ideen flossen in das letzte Album ein, aber ich denke, noch viel wichtiger war, dass wir an niemanden denken oder auf niemanden hören wollten. Im Musikgeschäft gibt es genauso viele Meinungen wie Leute daran beteiligt sind. Da heißt es dann, macht dies, tut das, das ist gut fürs Radio, die Arbeit mit diesem Sänger ist toll... Natürlich haben wir oft diese Vorschläge befolgt, aber jetzt stand für uns fest: Okay, diesmal gibt es niemanden außer uns vier Jungs mit unseren Cellos (und dem Drummer), keinen Produzenten, der sich einmischt, keine Plattenfirma, kein Management. Wir ganz alleine konzentrieren uns darauf, ein Album mit der Musik zu machen, von der wir fühlen, dass sie uns und unser Innerstes am stärksten repräsentiert, dass sie quasi das Herz von APOCALYPTICA und den Cellos darstellt. Das ist nun das Endergebnis und ich muss zugeben, dass ich darüber sehr glücklich bin und dass es wunderbar ist, dass viele Leute es so gut finden. Es macht uns froh und es ist unglaublich, diese Songs nun live zu spielen. Es ist immer aufregend und wunderbar zugleich, wenn man neues Material hat und dies jetzt live spielt.

Eure Videos sind ein wenig verstörend, aber ich denke, das habt ihr bewusst so gemacht, damit man darüber nachdenkt?

Ja, besonders das erste Video von 'Ashes'. Wir wollten das Video unbequem gestalten, nicht etwa sichtbar brutal oder sehr gewalttätig, nichts in dieser Art. Die Bilder sollten nur so sein, dass man sich eigentlich nicht so gut fühlt. Auch der Song ist nicht von der Art, dass man sich gut fühlen soll, man soll eher aufwachen und sich vor Augen führen, dass alles irgendwie den Bach heruntergeht und dass wir vielleicht eines Tages alle von diesem Planeten ausgelöscht werden.

Aber man sieht auch, dass die Natur zurückkehrt. Wir zerstören alles, auch uns, aber die Natur kommt zurück.

Das ist genau die Bedeutung, die im 'En Route To Mayhem'-Video zum Ausdruck kommen soll. Möglicherweise gibt es keine Menschen mehr, aber dennoch geht es irgendwie weiter.

Kleine Zwischenfrage: Wer spricht die Worte in 'Beyond The Stars'?

Oh, das ist unser früherer Tourmanager Tom, ein toller Charakter und ein liebenswerter Mensch. Als wir letztes Jahr durch die USA tourten, ist mir aufgefallen, dass er eine coole Theaterstimme hat und so haben wir beschlossen, dass er diesen Part sprechen soll.

Er erinnert mich ein bisschen an Sir Christopher Lee...

Oh ja, Christopher Lee! Stell dir mal vor, wie cool das gewesen wäre, einen Christopher Lee auf dem Album zu haben. Aber leider lebt er ja nicht mehr. Aber eigentlich ist 'Beyond The Stars' der spaßige Teil des Albums. Das war der erste Song, den ich für "Cell-0" geschrieben habe und ich wusste sofort, dass es der letzte Song auf der Platte werden muss. Damit kann man das Thema fortsetzen. Es ist irgendwie eine Art Botschaft an die Menschheit, wie ein kleiner Satellit, der irgendwohin reist, ganz weit weg – ähnlich wie die Voyager-Sonde aus den Siebzigern. Auch die trägt einige Botschaften der Menschheit und wenn eines Tages dieser Planet vielleicht öde und leer ist, dann ist dieser kleine Satellit alles, was von uns übrig ist. Vielleicht wird er eines Tages gefunden, vielleicht aber auch erfährt nie jemand etwas von unserer Existenz. Aber ich mochte irgendwie die Idee der Einsamkeit dieses kleinen Raumschiffes und die Vorstellung, dass dieses Schiff das einzige ist, welches diese Melodie, dieses Lied mit sich trägt - selbst wenn wir nicht mehr existieren.

Eure Musik von früher würde ich ein bisschen als Ausdruck risikofreudiger, ein wenig zorniger – sorry, aber mir ist kein anderes Wort eingefallen – junger Männer beschreiben, die versuchen, mit ihrer Musik ihren eigenen Weg zu gehen, egal, was geschieht oder was andere Leute darüber denken...

Oh ja, wir waren sehr zornige junge Männer - jetzt sind wir sehr zornige alte Männer (lacht).

Ich finde, eure Kompositionen heutzutage gehen mehr in die Tiefe, berühren mehr und gehen noch mehr unter die Haut. Aber sie sind nicht länger mit dieser "zornigen Härte" angefüllt.

Es freut mich, dass du so fühlst, weil ich dasselbe fühle. Wenn man so viele Alben und so viele Projekte gemacht hat, wie wir, da lernt man sehr viel, macht aber natürlich auch Fehler. Es ist unmöglich, ein komplettes Album zu machen, ohne zu denken, dass man einen Song besser hätte machen können. Es gibt immer eine Gelegenheit, darüber zu spekulieren. Auch jetzt würde ich nicht behaupten, dass dies ein perfektes Album ist, obwohl wir natürlich unser Bestes gegeben und viel erreicht haben. Aber die Hauptsache war, dass wir ihm all unsere musikalische Seele gegeben haben und es freut mich, dass du diese neue Tiefe der Musik fühlst. In manchen Teilen fühlt es sich wie ein erhebliches Durcheinander an, weil es uns sehr wichtig war, in "Cell-0" dieses umweltbedingte Durcheinander zu zeigen und wie die Menschheit den Planeten behandelt.

Ich denke, besonders das Video 'En Route To Mayhem' ist dafür ein gutes Beispiel: Es ist durchaus möglich, dass wir uns selbst den Weltuntergang bereiten, aber das Leben wird irgendwann auf die Erde zurückkehren – in gewisser Weise eine tröstliche Hoffnung. Das ist meine Interpretation dieses Titels, eigentlich der ganzen CD.

Das ist das, was wir tatsächlich wollten. Wir verbringen fast unser ganzes Leben zusammen in einem Bus und reden ständig miteinander. Wir haben so viele Länder gesehen und sehen natürlich auch, wie Menschen die Natur verwüsten. Dieses bange Gefühl, dass unser Planet offensichtlich leidet, hat uns auch dazu gebracht, diese Art "Kunstwerk" zu schaffen. Wir sagen niemandem, wie es vielleicht ein Prophet tun würde, fangt jetzt an zu recyceln. Das ist viel zu offensichtlich und es gibt wesentlich bessere Leute als wir, die das tun sollen und können. Aber für uns war es ein interessanter Ansatz, dieses Thema aufzugreifen. Das Bild, was bei "Ashes Of The Modern World" offenkundig in deinem Kopf entsteht, wenn du den Song hörst, ist wahrscheinlich das von der "verwundeten" Erde und dann fragst du dich vielleicht, warum geschieht das, was hat zu diesem Punkt geführt? Unser Ziel ist es also, eine Spielwiese aus instrumentaler Musik zu schaffen, ohne Geschichte und ohne Text, der Fragen aufwirft. Außerdem ist es für jeden anders, die Musik zu hören. Und je nachdem, wann du sie hörst, entdeckst du immer wieder andere Betrachtungsweisen. Deshalb hoffe ich, dass wer auch immer in dieses Album eintaucht, sich überlegt, was es bedeutet, was es bedeuten könnte und seine eigene Haltung dieser Erde gegenüber hinterfragt.

Denkst du, dass es eine Tour geben wird, während der ihr das ganze "Cell-0"-Album spielen werdet, wie beispielsweise bei eurem Konzert in Düsseldorf?

Wir planen natürlich eine Tour. Wir starten schon im März in Finnland und spielen jede Menge der neuen Songs. Solche Konzerte wie in Düsseldorf [Anmerkung der Verfasserin: Vorstellung des neuen Albums] werden wir nicht ständig spielen. Aber wir haben schon darüber gesprochen, dass wir tatsächlich hin und wieder Konzerte dieser Art spielen sollten. Das ist natürlich etwas ganz Besonderes für unsere Hardcore-Fans, um das ganze Feeling zu bekommen. Ich weiß nicht, wann das nächste Konzert dieser Art sein wird, aber auf der Tour werden wir auf jeden Fall eine Menge der neuen Songs spielen, weil das natürlich auch für uns eine spannende Herausforderung sein wird. Und natürlich ganz besonders deshalb, weil wir unheimlich glücklich und stolz auf unser "Baby" sind.

Jetzt noch ein paar andere neugierige Fragen. In einem früheren Interview hast du mir erzählt, dass du durch deinen Vater zur Musik gekommen bist. Wann hast du gewusst, dass es das Cello sein soll?

Ich habe mit fünf Jahren angefangen. Zuerst wollte ich Opernsänger werden. (lacht)

Apropos Opernsänger: Könnte einer von euch eure eigenen Songs singen?

Oh nein, wir haben fürchterliche Stimmen! Mit ein Grund, warum ich Cello spiele. (lacht) Aber die Oper war der Anfangsgrund, warum ich es wollte. Ich begann meine Mutter zu nerven, dass ich auch auf der Bühne stehen wollte und was ich dafür tun müsse, um dort zu stehen, blutige Masken zu tragen und jeden Abend vor Publikum zu sterben mit anschließendem Applaus. Das hat mich als Kind total fasziniert. Mein Vater war Cellist und so kam es, dass ich dieses Instrument wählte.

Es gibt da ein Video, da spielst du im Alter von zwölf Jahren beim "7th EBU Concert of Classical Music with Young Soloists (Copenhagen, Denmark, 1991)" die 'Hungarian Rhapsody' von D. Popper. Warst du da nervös? Es sieht eigentlich nicht so aus.

Nein, ich war es gewohnt, schon in jungen Jahren vor Publikum zu spielen.

Es ist übrigens sehr interessant deinen Fortschritt und den von APOCALYPTICA im Laufe der Jahre zu sehen.

Ich hoffe, dass der Fortschritt ständig weitergeht. Im Moment fühlt sich das gut an. Diese Aufnahme hat uns nicht nur zurück zu den Wurzeln geführt, wir haben auch dieselbe Begeisterung wie damals. Nach 23 oder 24 Jahren ist es unglaublich, immer noch die selbe Flamme in sich zu spüren.

Zusammen mit Eicca hast du die Oper "Indigo" geschrieben. Wie seid ihr auf diese Idee gekomen?

Eigentlich wurde uns das von der Finnischen National-Oper vorgeschlagen. Ich kenne die Finnische National-Oper und die Direktorin ziemlich gut, sie ist auch eine ziemlich bekannte Opersängerin und wir haben schon früher gemeinsame Konzerte gegeben. Sie hatte die großartige Idee für diese Oper mit dem Mix aus harten, schweren Elementen und der traditionellen Kunstform der Oper. Es mag vielleicht komisch klingen, aber die Oper ist eine meiner größeren Leidenschaften - war es schon mein ganzes Leben – gerade heutzutage ist sie einer der besten Orte, um all dem Lärm und dem Geruch der Pyros zu entgehen. Oper ist etwas vollkommen anderes und manchmal wünscht man sich dieses Kontrastprogramm.

Was war das für ein Gefühl, als die Oper dann wirklich aufgeführt wurde?

Ehrlich gesagt, kann ich mich an nichts erinnern, ich war viel zu aufgeregt...

Würde es dich freuen, wenn "Indigo" auch an anderen Opernhäusern aufgeführt werden würde?

Unbedingt, das wäre großartig! Aber wie auch immer, es ist wunderbar so verschiedenartige Dinge zu tun, weil du immer wieder etwas Neues lernst, die Dinge anders siehst und dadurch auf jeden Fall deine Arbeit beeinflusst wird, wie auch das Komponieren neuer Songs für APOCALYPTICA. Beispielsweise habe ich im letzten Jahr, während wir die Songs für "Cell-0" geschrieben haben, auch ein Oratorium für Operngesang und Orchester geschrieben. Das war die gleiche Herausforderung und genauso bedeutend wie die Oper. Ich bräuchte einfach etwas mehr Zeit, aber wir sind üblicherweise so mit der Band beschäftigt, dass es schwierig ist, eine Zeitnische zu finden, um noch etwas anderes zu tun. Aber es ist einfach sehr erfrischend für die musikalische Seele, sich auch einmal in anderen Gebieten zu bewegen.

Vielen Dank, dass du all meine Fragen beantwortet hast. Ich wünsche dir noch viel Erfolg das zu tun, was immer du möchtest und woran du Spaß hast.

Ebenfalls vielen Dank. Ich hoffe, dass dir der Abend gefällt – und wir werden auch 'En Route To Mayhem' spielen.

Redakteur:
Hannelore Hämmer
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