APOCALYPTICA: Interview mit Perttu

27.04.2011 | 07:44

Zweiter Teil der "7th Symphony"-Tour und die dritte und letzte Show in Deutschland, bevor es in die USA geht.

Bevor Apocalyptica nach USA und Kanada aufbrechen, spielen sie drei Shows in Deutschland. Heute hat sich Perttu die Zeit für ein Interview genommen. Leider stehen nur knapp zwanzig Minuten zur Verfügung. Viel zu kurz, um alle Fragen zu stellen.

Zuerst mein Versuch, Perttu auf Finnisch zu begrüßen:

Hyvää päivää tervetuloa Neu-Isenburgiin.

(Guten Tag, herzlich willkommen in Neu-Isenburg). - Perttu grinst ein wenig, hat es aber verstanden und begrüßt mich auf Deutsch).

Danke, dass Du dir Zeit für ein Interview nimmst.

Ihr habt jetzt den zweiten Teil der "7th Symphony"-Tour gestartet. Beim ersten Teil hattet ihr Tipe Johnson von den LENINGRAD COWBOYS dabei. Wer begleitet euch denn diesmal?

Er ist auch diesmal mit dabei. Er begleitet uns schon seit zwei Jahren. Wir fanden es interessant, unsere Singles und die bekannten Radiosongs mit Gesang auch in Live-Konzerten zu performen und so suchten wir nach Sängern, die zur Band passen würden. So fanden wir Tipe. Er ist ein wunderbarer Mann, ein wunderbarer Charakter und überhaupt ein wunderbarer Mensch.

Es ist natürlich schwierig einen Sänger nur für - sagen wir mal - drei Songs in ein Konzert zu bringen. Denn wir spielen natürlich hauptsächlich instrumentale Musik. Aber ich denke, so wie er es macht und wie es rüberkommt - es fühlt sich für uns ganz normal an. Wir glauben, dass das Publikum ähnlich denkt. Es ist nicht wirklich sonderbar, dass plötzlich bei uns auf der Bühne gesungen wird.



Außerdem machen die gesungenen Stücke einen großen Teil unserer Karriere aus. Wir machen das seit ungefähr zehn oder elf Jahren. Wir verwenden soviel verschiedene Musikstile: Klassische Instrumentalmusik, Thrash, dann noch die Power-Rock-Songs mit Vocals. So ist ein Konzert mit all diesen verschiedenen Elementen sehr interessant.

Auf Euren CDs habt ihr immer viele Gastsänger, die offensichtlich gerne mit euch zusammenarbeiten. Gibt es eine Sängerin/einen Sänger mit dem ihr besonders gerne einmal zusammenarbeiten würdet?


Ja, als wir anfingen, über das Album nachzudenken, fanden wir es toll, sozusagen eine "Tabula rasa" zu haben und verschiedene Möglichkeiten zu prüfen. Wer passt zu uns, wer ist eventuell zu bekommen und all diese Dinge. Es ist ein bisschen wie eine Lotterie oder eine Art Darts zu spielen - lass uns einfach mal sehen, was passiert.

Für dieses Album, "7th Symphony", haben wir mit vielen Sängern Kontakt aufgenommen und ihnen Demobänder geschickt. Eigentlich stellte sich nur die Frage, wer die Möglichkeit hatte, es zu machen. Das war alles. Das verschaffte uns wiederum die Möglichkeit, tolle Experimente zu machen und wir konnten mit verschiedenen Sänger viele verschiedene Dinge ausprobieren. Natürlich richtete sich die Ausführung wie wir es machen wollten auch danach, welche Stimmen die entsprechenden Sänger hatten.

So konnten wir es gemeinsam mit ihnen unter verschiedenen Gesichtspunkten betrachten.


Gibt es auch Sänger/innen, die EUCH fragen, ob sie mit euch zusammenarbeiten können und ob ihr auf sie abgestimmt dann die Songs schreiben würdet?

Erstaunlicherweise sehr viele. Nachdem wir uns im Laufe der Jahre einen Namen gemacht hatten, ist es natürlich leichter für sie geworden. Die Leute kennen uns und deswegen sagen sie manchmal: "Hey, wenn Ihr mich irgendwie mal braucht, lasst uns etwas zusammen machen!"

Z.B. Corey Taylor (STONE SOUR, SLIPKNOT), der auf dem "The Worlds Collide"-Album singt. Diese Zusammenarbeit hat in Deutschland auf einem Festival angefangen, nachdem wir ihn dort getroffen haben. Wir trafen ihn Backstage, er kam und sagte "Jungs, ich mag Euch!" Und so haben wir uns in diesem Moment entschieden, etwas zusammen zu machen.

Viele Sänger fühlen auch, dass sie mal etwas Außergewöhnliches mit ihrer Stimme ausprobieren können, wenn sie mit uns arbeiten - das ist sehr ermutigend.

Wie komponiert ihr überhaupt? Gibt es da nur eine Melodie oder auch schon von Anfang an einen passenden Text dazu? Sitzt ihr zusammen oder macht jeder etwas für sich und trefft ihr euch dann und bringt die einzelnen Kompositionen "unter einen Hut"?


Das ist unterschiedlich. Für "7th Symphony" wollten wir mal eine andere Art des Arbeitens und Komponierens ausprobieren. Das war das erste Mal, dass wir als Band agiert haben und tatsächlich versucht haben Ideen zu verbinden und gemeinsam zu komponieren.

Ich ging zu Eiccas Proberaum und wir machten einen Song zusammen, indem wir bei Null anfingen. Auf diese Art und Weise haben wir früher nie zusammengearbeitet. Ich denke, auf "7th Symphony" kann man viel mehr von unseren jeweiligen Charakteren hören, als jemals zuvor, denn jeder war sehr stark an der Musik beteiligt.

 

Es ist lustig, eine Band zu haben, die aus vier Personen besteht, die alle vier total verschieden voneinander sind. Das führt natürlich zu Konflikten. Der eine mag es heftig, der andere nicht so brutal...

Und Mikko ist sowieso der totale Elektro-Typ und er liebt z.B. die BEATLES. Es ist toll, so verschiedene Typen und unterschiedliche Musikgeschmäcker in einer Band zu haben. Und wenn wir alles in einen Topf werfen, haben wir die Möglichkeit, auf ganz überraschende Art und Weise Musik zu machen.

Es ist unser wesentliches Ziel, dass wir keinen Song so spielen, wie er schon immer gespielt worden ist, selbst wenn wir Thrash Metal spielen. Das kommt natürlich auch daher, dass unser Instrument, das Cello, sowieso schon anders ist.

Schon sein Klang ist für Rockmusik fremdartig. Unser Ziel ist es, interessante Musik zu machen, die auch ein wenig aus dem Rahmen fällt, aber trotzdem eine eigene, überzeugende, starke Identität hat.

Ihr hattet in Köln Tipe als Sänger dabei, ich habe euch aber auch schon ohne Sänger erlebt. Meiner Meinung nach braucht ihr bei Live-Konzerten keine Sänger. Es ist unglaublich faszinierend zu sehen, was man alles mit einem Cello anstellen kann. Ich stelle es mir aber auch sehr anstrengend vor ...

Es ist fast wie ein kleiner Hirnschaden jeden Abend. Nach dem gestrigen Konzert habe ich mich gefühlt, als hätte mich jemand zusammengeschlagen - es ist ein Gefühl wie nach einem Boxkampf. Ich habe zwar nie geboxt, aber ich hatte das Gefühl, als hätte jemand stundenlang auf mir herumgeschlagen. Ja, es ist schon heftig. Und Headbanging ist durchaus so etwas wie Hochleistungsarbeit (lacht).

Was den Gesang betrifft: Wir spielen ungefähr neunzehn Songs in einem Set und Gesang kommt in drei Liedern vor. Er ist nicht der Hauptteil. Zu den Coversongs, die wir mit den Celli aufgenommen haben, werden wir keine Vocals hinzufügen. Die bleiben wie sie immer waren, z.B. die METALLICA-Tracks. Aber die Idee, Gesang auch in die Live Konzerte zu bringen, kam eigentlich nach dem Erfolg der 'I Don't Care'-Single in den USA. Viele Leute hörten diesen Song im Radio und sie kennen uns nur wegen dieses Songs. Besonders in den Staaten. Deshalb wäre es seltsam, diesen Song nicht oder nur instrumental zu spielen.


Ehrlich gesagt wäre die Instrumental-Version von 'I Don't Care' ziemlich langweilig. Immer nur eine Note, die Melodie ist instrumental nicht so toll. Das ist auch die Herausforderung bei den METALLICA-Tracks. Oft besteht die Melodie nur aus ein oder zwei Noten, die sich ständig wiederholen. Ich mag das. So kann ich wenigstens die Verantwortung für die Melodie bei einigen Songs abgeben. Das ist cool. (er lacht wieder)

Was auch immer wieder beeindruckend ist, ist der Wechsel von harten, rockigen Stücken zu sanften Tönen. In Köln herrschte bei dem Medley ('Beautiful', 'Sacra', 'Bittersweet') schon eine fast andächtige Stille. Bekommt ihr das denn auf der Bühne überhaupt mit?

Durchaus. Und das ist sogar mein Lieblingsmoment bei unseren jetzigen Live-Shows. Ich denke, das war eine brillante Idee von uns. Wir haben das Experiment angefangen, als wir vor einem Jahr eine Hallentour durch Finnland gemacht haben. Es fühlte sich vollkommen normal an, alle Effekte herunterzufahren, um zu zeigen, wie sich das Cello als klassisches Instrument anhört.

Dann dachten wir, warum sollten wir es nicht auch einmal in einer Rockhalle probieren. Es war eine Herausforderung, die uns ein wenig ängstigte. Würde das Rock-Publikum leise genug sein? Wären sie gelangweilt und würden Bier holen gehen oder was auch immer. Aber es wurde der größte Erfolg jeden Abends. Die Leute halten den Atem an und es ist fast ein religiöses Gefühl. Die Reaktion des Publikums ist unglaublich. Es ist ganz einfach, auf der Bühne zu weinen, weil das Gefühl einfach überwältigend ist.

Es war phantastisch!

Ich denke, es ist hervorragend. In diesem Moment ergibt sich eine wundervolle Linie, die das Konzert strukturiert.

Deshalb ist dieser Teil so interessant. Er führt uns durch so viele verschiedene Gefühle, bis hin zum kraftvollen Ende. Weg vom typischen APOCALYPTICA-Klischee, das die Leute schon seit Jahren kennen. Es ist klassisch, es ist speziell und unsere Band hat die Möglichkeit, es zu tun. Es ist sehr, sehr gut so.

Besonders beeindruckend finde ich auch euer Headbangen beim Spielen. Gibt es ein Geheimnis wie ihr es schafft, da noch die richtigen Töne zu treffen? Da wird einem ja schon beim Zusehen schwindelig.

(lacht) Ich habe keine Ahnung. Ich glaube, dazu braucht man eine angeborene Verrückheit. Ich habe versucht herauszufinden, wie es passiert. Es ist die Gemütsverfassung wie man auf die Bühne geht - (denkt nach) - ich erkenne nicht klar, was passiert.

Sehr oft muss ich nach dem Konzert z.B. den Tontechniker fragen, ob alles gut war, weil ich keine Ahnung habe, was während der letzten neunzig Minuten passiert ist. Aber das ist das seltsame beim Spielen - dass es ist wie eine vollkommene Reise irgendwohin ist, eine Art Raus-aus-dem Körper-Experiment.

Ihr strahlt auf der Bühne immer eine unglaubliche Spielfreude und Fröhlichkeit aus. Ihr lacht oft und macht viele Späße mit dem Publikum. Von einigen Begegnungen nach dem jeweiligen Konzert, z.B. in Wiesbaden, habe ich das Gefühl, dass ihr auch wirklich fröhliche Menschen seid. Ist das so?

Heutzutage würde ich sagen: Ja! Als wir vor vielen Jahren angefangen haben, war ich sehr ernst. Weißt du, ich war ein junger, zorniger Mann. Ich war so ernst und hatte Death Metal im Sinn und fühlte eine Menge Aggressivität in mir. Aber eines Tages bemerkte ich, wie lächerlich das in Wirklichkeit ist. Ich begann, darüber zu lachen. Und langsam begann sich alles zu ändern. Wir sind immer noch verrückt, sind immer noch meschugge - es ist wahnsinnig komisch ...

Ich denke, besonders das letzte Jahr oder sogar die beiden letzten Jahre haben der Band und den einzelnen Bandmitgliedern sehr gut getan. Und die Aufnahmen zu "7th Symphony" haben uns näher zusammengebracht, als wir es je wollten.

Jetzt, nach einer bereits ziemlich langen Karriere, haben wir das Bedürfnis, zu dem Feeling zurückzukehren, welches wir hatten, als wir mit der Band anfingen. Wir haben jetzt wieder dieselbe junge, rebellische Einstellung und ein neues, frisches
Empfinden.


Wahrscheinlich ist das der Grund, warum das Album so ist wie es jetzt ist, ein wenig fremdartig und experimentell. So wollten wir noch einmal anfangen wie ganz zu Bgeinn und etwas besonderes hervorbringen.

Und der Effekt ist großartig, wir hatten eine Menge Spaß bei den Aufnahmen und dann konnten wir allen zeigen, was wir gemacht haben, Konzerte spielen und das ist alles sehr erfreulich.

Natürlich gab es auch andere Zeiten, in denen wir im Grunde genommen nicht miteinander geredet haben. Ich bin mir sicher, dass jede Band diese Momente hat. ich bin sehr froh, dass es uns noch gibt, dass wir noch zusammen sind und ich genieße jeden Tag.

In Wiesbaden hat mich jedesmal beeindruckt wie nett ihr zu wartenden Fans gewesen seid. Ihr habt Autogramme gegeben, für Fotos posiert oder einfach nur mit den Leuten geredet. Das ist eigentlich das, was die Fans wollen. Es ist manchmal schade, dass die Bands so abgeschottet werden. Warum ist das so?

Ich denke, wir haben immer versucht, einen Weg der Verbundenheit zu finden. Das Publikum ist das fünfte Bandmitglied. Die Beziehung ist gegenseitig: Sie sind der Grund, warum wir hier sind und wir sind der Grund, warum sie hier sind. Auf diese Art und Weise respektieren wir das Publikum. Ohne sie gäbe es unseren Beruf nicht.

(denkt einen Moment nach) hm ... ich bin nicht immer freundlich (lacht wieder), na ja, aber doch die meiste Zeit. Es ist manchmal sehr schwierig, freundlich zu sein, wenn du todmüde bist. Aber keiner fragt danach. Wir bemühen uns, nett zu sein. Wenn da Leute stehen, die stundenlang warten, ist es fies, einfach wegzugehen. Natürlich sagen wir dann Hallo.

Würdet ihr gerne manchmal in kleinen Clubs mit direktem Kontakt zum Publikum auftreten oder ist das inzwischen nicht mehr möglich?


Wir spielen tatsächlich auch in kleineren Clubs. Es kommt darauf an, in welchem Land wir spielen. In mancher Hinsicht sind kleinere Clubs für uns tatsächlich das Größte. Es ist allerdings eher von Bedeutung wie weit das Publikum entfernt ist.

Im Grunde ist es egal, wie groß die Menge ist, hauptsache das Publikum steht nah genug an der Bühne. Dann bekommst du das besondere Gefühl beim Spielen.

In großen Hallen gibt es oft das Problem, dass die Absperrung bis zu zehn Meter weit weg ist. Dann ist es schon sehr schwierig, den Schweiß zu riechen und all diese Dinge mitzubekommen, die das Rock'n Roll Feeling ausmachen.

In den USA werden wir z.B. in vielen Städten spielen wo wir noch nie gespielt haben. Wir fliegen da übrigens morgen hin. Ich denke, dort werden wir in Hallen vor 600 bis 800 Leuten spielen.

Spielt ihr denn auch manchmal - sozusagen in eurer Freizeit - auch noch klassische Stücke?


Bedauerlicherweise nicht. Fast gar nicht. Die Zeit mit APOCALYPTICA ist sehr intensiv, aber ich vermisse es sehr.

Irgendwann werde ich mich wieder in den perfekten klassischen Zustand bringen und viel mehr Konzerte dieser Art spielen.

Trefft ihr euch denn auch privat? Schließlich verbringt ihr ja sehr viel Zeit miteinander: auf Tour oder im Studio.

Nein, nicht wirklich. Wenn wir zu Hause sind - ich lebe in einer anderen Stadt, als die anderen - haben wir nicht wirklich das dringende Bedürfnis, uns zu treffen. (lacht) Wir sind ja sowieso 250 oder 300 Tage im Jahr zusammen.

Welche Frage hast Du denn noch nie gehört, würdest aber gerne mal was darüber erzählen?

Welche Frage habe ich nie gehört (denkt intensiv nach) hm -

 

Eigentlich hast du so eine Frage gestellt. Du hast gefragt, ob ich ein glücklicher Mensch bin. Wir haben schon vorher ein wenig darüber gesprochen. Es ist sehr seltsam, das werden wir nicht oft gefragt. Dabei ist das eine ganz wichtige Sache. Und meine Antwort lautet: Ja! Ich bin im Moment sehr glücklich. Ich freue mich über die Band, die Musik, über das Leben im allgemeinen. Das Leben ist schön!

Ich bin etwas neugierig und es würde mich zum Schluss interessieren, welche Interviewfragen Dich am meisten nerven?

Wenn wir auch heute noch immer wieder mit der Frage konfrontiert werden, woher die Idee kam, METALLICA mit dem Cello zu spielen. Dieser Moment ist ätzend. Warum zum Teufel müssen wir nach 15 Jahren immer noch erklären, warum wir angefangen haben, METALLICA mit dem Cello zu spielen? Wir haben das schon mehrere zehntausend mal beantwortet. Das ist die nervigste Frage.

Ich sehe, wir müssen das Interview beenden.


Ja, wir haben jetzt noch ein Meet and Greet.

Ich versuche noch einmal, etwas auf Finnisch zu sagen: kiitos haastattelusta! (Dankeschön für das Interview!)

Perttu wiederholt es lachend noch einmal korrekt auf Finnisch und ich bekomme ein nettes "Dankeschön!" von ihm zurück.


Vielen Dank für das Interview und noch viel Spaß und alles Gute für die weitere Tour in den USA! Und natürlich viel Erfolg.


Es war toll, Dich zu treffen. Vielen Dank.

Im Juni, Juli und August spielen APOCALYPTICA u.a. auf verschiedenen Festivals in Deutschland.

Redakteur:
Hannelore Hämmer

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