AMPLIFIER: Interview mit Sel Balamir

23.08.2005 | 23:04

"In einer manipulierten Welt wie heute sind wir wohl etwas erfrischend Anderes."


"To amplify" bedeutet auf Deutsch "verstärken". Stark ist auch, was die britische Band AMPLIFIER bravourös mit ihrem Debütalbum "Amplifier" meistert: Nicht nur, dass sie mit einer Minimalbesetzung aus drei Musikern (Sel Balamir – Gesang, Gitarre; Neil Mahony – Bass; Matt Brobin – Drums) einen Sound hinbekommt, der an Druck und Intensität kaum noch zu überbieten ist, das Trio hat so ganz nebenbei ein Album vorgelegt, das die europäische Presse jetzt schon als Meilenstein der modernen Rockmusik ansieht.

Die Presseinfo könnte es nicht besser beschreiben: "AMPLIFIER saugen LED ZEPPLIN, THE WHO, THE POLICE, MOGWAI, MASSIVE ATTACK, Bowie und Brad – einfach alles mit Qualität – auf und atmen es aus, in einem Wolkenbruch von Gitarren Pickups und Distortion Pedals." Ganz schön übertrieben mag man beim ersten Lesen denken, bis man die CD in den Schacht geschoben hat... Songs wie das groovende 'Motorhead', das überirdische 'Airborne' oder das nicht minder faszinierende 'One Great Summer' fesseln sofort, moderne Rockmusik mit 70er Wurzeln par excellence! Weitere große Namen wie PINK FLOYD, TOOL oder PORCUPINE TREE schießen mit jedem weiteren Hördurchlauf in den Kopf. Was für grandiose Musik, was für eine großartige Band! Selbige nimmt den aufkeimenden Hype um ihre Person gelassen und äußerst bescheiden. "Es ist ganz einfach: Ich spiele Gitarre und mache Musik", äußert sich ein sehr sympathischer Sel Balamir am Telefon. "Wir sind ganz normale Jungs und machen normale Musik für normale Leute."
Mag sein, trotzdem macht die Musik unglaublich Eindruck – nicht wenige Medien bezeichnen AMPLIFIER bereits als die Zukunft der Rockmusik, als Instanz, die die (britische) Rockszene verändert hat. Einige Musiker brauchen drei, vier oder fünf Alben, um überhaupt annähernd solche Lorbeeren einzufahren, demzufolge müssten die Jungs doch tierisch stolz auf sich sein. Sel sieht das alles eher nüchtern: "Das ist alles natürlich sehr schmeichelhaft. Aber ehrlich: wenn du zu viel darüber nachdenkst, dann flippst du irgendwann aus." Und fährt lachend fort: "Die Leute hätten das Album auch hassen können. Wir hätten für sie die beschissenste Band sein können, die jemals auf dem Planeten gewandelt ist, haha. Wie würden wir uns dann fühlen? Es würde nicht den leisesten Unterschied machen. Der Punkt ist: Wir sind und machen AMPLIFIER, einfach weil wir nichts anderes machen wollen. Deswegen mögen die Leute auch unser Album, da es offen und ehrlich ist. In einer manipulierten Welt wie heute sind wir wohl etwas erfrischend Anderes."
Der Superlative nicht genug: Produziert und gemixt wurde "Amplifier" von den Szene-Koryphäen Steve Lyon (THE CURE, DEPECHE MODE) und Chris Sheldon (FOO FIGHTERS, MY VITRIOL, FEEDER), welche schon länger zum Bekanntenkreis der Band gehören. "Ich kenne Steve schon eine ganze Weile, er ist ein echt feiner und lockerer Kerl", erzählt Hauptsongwriter Sel. "Ich brauchte einfach jemanden, dem ich vertrauen konnte und der alles in die Hand nimmt, all das komplizierte Prozedere, das ansteht, wenn man ein Album aufnimmt. Chris Sheldon nennen wir nur 'The Machine', haha. Er ist wie der Terminator, arbeitet schnell und präzise. Für uns ist es ein großes Kompliment, mit zwei so fähigen Leuten zusammengearbeitet haben zu dürfen."
Was manche nicht wissen: Album "Amplifier" erschien bereits im Sommer 2004 über das britische Label Music For Nations, leider ging selbiges kurz darauf pleite. Selbst den sonst so coolen AMPLIFIERn ging da der Arsch ziemlich auf Grundeis. "Eine Woche, nachdem das Album rauskam, ging die Firma Konkurs", erinnert sich Balamir. "Drei Jahre Arbeit zunichte, aber die BMG behielt uns (Music For Nations war ein Sublabel der BMG – d. Verf.). Sie stellten uns Toursupport und wir spielten auf großen Festivals wie dem Download. Aber sie schienen nicht wirklich daran interessiert, das Album voran zu bringen. Es war schlussendlich eine Erleichterung, von der BMG wegzukommen." Mittlerweile sind die Jungs bei SPV untergekommen, die "Amplifier" am 06. Juni inklusive Bonus-EP mit vier neuen Songs sowie zwei Videoclips re-releasten.
Von Mai bis Juni 2005 verlustierten sich AMPLIFIER auf Tour durch Deutschland, Holland, Belgien und die Schweiz. Die Frage, ob sie denn on stage einen zusätzlichen vierten Mann bräuchten, um den gleichen druckvollen Sound wie auf Platte hinzubekommen, quittiert der Gitarrist, der bereits mit acht Jahren zum ersten Mal in die Saiten griff, mit herzlichem Lachen. "Viele wollen es einfach nicht glauben, aber es funktioniert tatsächlich nur mit uns Dreien. Dazu muss man aber wissen, dass ich auf der Bühne allein schon vier Amps benutze, genauso wie unser Bassist." Schwere Geschütze!
Da Debüt "Amplifier" schon gut ein Jahr auf dem Buckel hat, hatten Sel und der Rest der Band reichlich Gelegenheit, um bereits an neuen Songs zu tüfteln. "Höchstwahrscheinlich gibt es schon nächstes Jahr ein neues Album", lässt er hoffen. "Ich hätte schon genug Songs für zwei Alben zusammen. Aber es kommen wöchentlich so viele neue Scheiben raus – oft ist es gut, etwas zu warten, auch, wenn man schon Material fertig hat. Auf den richtigen Zeitpunkt kommt es an."

Redakteur:
Kathy Schütte

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